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Primärrechtsschutz auch bei Unterschwellenvergaben?

Mit Beschluss vom 13.12.2017 (Az. 27 U 25/17) hat das OLG Düsseldorf zum Primärrechtsschutz bei Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte Stellung genommen. Danach gebe es auch im Unterschwellenbereich gewichtige Gründe, die Einhaltung einer Informations- und Wartepflicht durch den öffentlichen Auftraggeber zu verlangen.

Tenor des Beschlusses:

  1. Auch unterhalb der Schwellenwerte und unterhalb einer Binnenmarkrelevanz ist ein Vertrag über Überlassung eines Grundstücks zwecks Betriebs von Sport- und Freizeitanlagen in einem transparenten und diskriminierungsfreien Verfahren zu vergeben.
  2. Bei Verstößen steht dem betroffenen Bieter oder Bewerber der Zivilrechtsweg offen, um im Wege einer einstweiligen Verfügung ein Zuschlagsverbot erwirken zu können.
  3. Ist der Zuschlag bereits erteilt, kann Primärrechtsschutz nicht mehr erreicht werden. Anderes gilt nur, wenn der geschlossene Vertrag unwirksam oder nichtig ist.
  4. Ein unter Verstoß gegen die Informations- und Wartepflicht geschlossener Vertrag wegen Verstoßes gegen ein ungeschriebenes Gesetz als nichtig einzustufen, um effektiven Rechtsschutz sicherzustellen.

Das OLG Düsseldorf stützt diese „gewichtigen Gründe” insbesondere auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs:

„Nach der Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union fordern die gemeinsamen Verfassungen der Mitgliedstaaten und die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten einen effektiven und vollständigen Schutz gegen Willkür des öffentlichen Auftraggebers. Dieser vollständige Rechtsschutz verlangt, sämtliche Bieter vor Abschluss eines Vertrages von der Zuschlagsentscheidung zu unterrichten. Ein vollständiger Rechtsschutz verlangt auch, dass zwischen der Unterrichtung abgelehnter Bieter und der Unterzeichnung des Vertrags eine angemessene Frist liegt, innerhalb der für den Bieter ein vorläufiger Schutz gewährt werden kann, wenn er für die volle Wirksamkeit der Entscheidung in der Sache erforderlich ist.“

Der Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen hinterfragt die Entscheidung des OLG Düsseldorf in einer Stellungnahme kritisch (hier [1]).


Veranstaltungshinweis:
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Die §§ 134, 106 Abs. 1 GWB sähen eine Informations- und Wartepflicht für Auftraggeber vor dem Vertragsschluss nämlich nur für Vergaben oberhalb der EU-Schwellenwerte vor. Im Unterschwellenbereich finden sich derartige Regelungen dagegen ausdrücklich nicht. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einer grundlegenden Entscheidung vom 13.06.2006 (Az. 1 BvR 1160/03) klar gemacht, dass eine Beschränkung des Primärrechtsschutzes im Vergaberecht auf Auftragsvergaben oberhalb bestimmter Schwellenwerte verfassungsgemäß ist:

„Die in der Rechtsordnung dem übergangenen Konkurrenten eingeräumten Möglichkeiten des Rechtsschutzes gegen Entscheidungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge mit Auftragssummen unterhalb der Schwellenwerte genügen den Anforderungen des Justizgewährungsanspruchs. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber das Interesse an einer raschen Vergabeentscheidung und damit an der Möglichkeit einer sofortigen Ausführung der Maßnahme für gewichtiger als das des erfolglosen Bieters gehalten hat.
Vergaben unterhalb der Schwellenwerte sind ein Massenphänomen. Müssten für solche Vergaben stets bestimmte Verfahrensvorkehrungen getroffen werden, um effektiven Primärrechtsschutz zu ermöglichen, könnte das die Verwaltungsarbeit erheblich beeinträchtigen und dadurch die Wirtschaftlichkeit der Vergabe leiden. Demgegenüber ist der erfolglose Bieter durch die Auftragsvergabe in einer bloßen Umsatzchance, nicht in seiner persönlichen Rechtsstellung betroffen. Wird er auf einen Schadensersatzanspruch verwiesen, kann sein auf den Erhalt einer Umsatzchance gerichtetes Interesse durch einen solchen Anspruch grundsätzlich ausgeglichen werden. Daher ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber den in der allgemeinen Rechtsordnung verfügbaren Sekundärrechtsschutz als ausreichend angesehen und keine besonderen Vorkehrungen zur Realisierung von Primärrechtsschutz, etwa durch eine Pflicht zur Information des erfolglosen Bieters vor der Zuschlagserteilung, getroffen hat.”

Vor diesem Hintergrund stuft der Städte- und Gemeindebund NRW  die Entscheidung des OLG Düsseldorf als Einzelfallentscheidung ein: Diese sollte aus Sicht des Verbandes nicht zur Folge haben, dass Städte und Gemeinden nunmehr auch alle Vergaben im Unterschwellenbereich vor dem Vertragsschluss mit einer Informations- und Wartepflicht gegenüber den Bewerbern und Bietern versehen müssen.

Auch die Rechtsfolge “Nichtigkeit des Vertrages” erscheine unsachgemäß, zumal diese bei konsequenter Anwendung der OLG-Entscheidung dann auc bei Bagatellvergaben, also auch bei einem Auftragswert von zum Beispiel 5.000 Euro, greifen müsste.

Dies sei aber gerade vor dem Hintergrund des vom BVerfG auch in den Mittelpunkt seiner Entscheidung gerückten „Interesses des Auftraggebers an einer raschen Vergabeentscheidung und damit an der Möglichkeit einer sofortigen Ausführung der Maßnahme“, also gerade heute mehr denn je erforderlicher schneller (kommunaler) Investitionen, nicht recht nachvollziehbar.

Quelle: StGB NRW-Mitteilung vom 25.01.2018


Hinweis der Redaktion: Die Entscheidung des OLG Düsseldorf wird in Kürze ausführlich im Vergabeblog besprochen!

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