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Unklarheiten in den Ausschreibungsunterlagen gehen stets zu Lasten des Auftraggebers (VK Südbayern, Beschl. v. 16.10.2017 – Z3-3-3194-1-30-06/17)

RechtUnklare und auslegungsbedürftige Begriffe sind zu Gunsten der Bieter weit auszulegen. Und die von der Vergabestelle verursachten Unklarheiten dürfen nicht zu Lasten der Bieter gehen. Vielmehr gehen diese stets zu Lasten des Auftraggebers. Dies hat die Vergabekammer Südbayern entschieden.

§ 122 Abs. 4 S. 2 GWB, § 48 Abs. 1 VgV

Sachverhalt

Der Auftraggeber beabsichtigte die Vergabe einer Rahmenvereinbarung über Mediadienstleistungen an eine Mediaagentur. Als Eignungsanforderungen waren u.a. ein jährliches Umsatzvolumen von 100 Millionen Euro der Agentur verlangt sowie „ein fester Personalstamm von mindestens 20 Mitarbeitern, davon mindestens drei Media-Direktoren und/oder mindestens vier eigenständige Units bzw. Teams.“

Im Laufe des Teilnahmewettbewerbs stellte ein Bewerber die Bieterfrage, ob mit dem Umsatzvolumen das „Billing-Volumen“ gemeint sei, welches die Agentur verwalte bzw. als Schaltvolumen in den Medien platziere. Der Auftraggeber antwortete: „Billing-Volumen ist gemeint.“

Eine unterlegene Bieterin rügte die beabsichtigte Vergabe an einen Konkurrenten schließlich mit dem Vorwurf, dass die erfolgreiche Bieterin weder das erforderliche Billing-Volumen erfülle, da es erforderlich sei, dass das Volumen auch durch ihre eigenen Bücher gehe, noch über 20 Vollzeitbeschäftigte bzw. drei Media-Direktoren verfüge. Die erfolgreiche Bieterin wiederum verteidigte sich damit, dass nur 20 Mitarbeiter verlangt seien, nicht jedoch explizit Vollzeitbeschäftigte. Zudem reiche es aus, wenn sie ein Billing-Volumen verwalte, auch wenn direkt zwischen Auftraggeber und Medien abgerechnet würde, ohne dass der Betrag über ihre eigenen Bücher laufe.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer hat die Vergabestelle im Ergebnis dazu verpflichtet, die Eignung des erfolgreichen Bieters weiter aufzuklären und sodann die Eignungsprüfung zu wiederholen. Im Wesentlichen wurde der Nachprüfungsantrag aber zurückgewiesen. Die Vergabekammer hat die maßgeblichen Eignungsanforderungen sämtlich als unklar angesehen und daher entsprechend der üblichen Vorgehensweise zu Gunsten der Bieter ausgelegt.

So sei beispielsweise der Begriff des festen Personalstammes arbeitsrechtlich nicht definiert, der Begriff des Media Direktors ebenfalls nicht geregelt und es bleibe unklar, welche Unternehmensteile als vier eigenständige Units bzw. Teams angesehen werden können (Zitat: VK Südbayern, aaO Rn. 89). Danach könne die Anforderung an einen Personalstamm von 20 Mitarbeitern auch durch 20 Teilzeitmitarbeiter erfüllt werden. Auch könne jeder Bieter selbst entscheiden, welchen Mitarbeiter er als Media Direktor bezeichne.

Der Begriff des Billing-Volumens sei ebenfalls unklar. Zwar spreche einiges dafür, dass damit im Branchenjargon tatsächlich nur ein solcher Umsatz gemeint sei, der unmittelbar von einer Agentur im Auftrag eines Kunden bei den Medien getätigt werde (eingekauftes Werbevolumen). Allerdings habe die Vergabestelle hier auf eine Bieterfrage hin den Eindruck erweckt, dass es bereits ausreiche, wenn eine Agentur in Bezug auf ein bestimmtes Volumen nur beratend tätig gewesen sei.

Da auch nicht ganz geklärt werden konnte, ob die bestplatzierte Bieterin diese bieterfreundlich zu verstehenden Anforderungen erfüllt, hat die Vergabekammer den Auftraggeber zur Wiederholung der Eignungsprüfung verpflichtet.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung der Vergabekammer Südbayern ist ein Musterbeispiel für den bereits seit langem etablierten Grundsatz der bieterfreundlichen Auslegung von unklaren Anforderungen in den Vergabeunterlagen. Die Eingangsfrage ist aber stets, ob denn auch tatsächlich eine unklare Anforderung vorliegt. Dabei hat die Vergabekammer ebenfalls einen strengen  Maßstab angelegt. Ihr ist aber zuzugeben, dass die Anforderungen hier durchaus klarer hätten formuliert werden können.

Praxistipp

Auftraggebern dürfte auch schon vor dieser Entscheidung klar gewesen sein, dass die Eignungsanforderungen möglichst klar und bestimmt formuliert sein müssen. Die vorliegende Entscheidung zeigt aber, dass jedes Beschaffungsvorhaben spezifisches Branchen-Knowhow voraussetzt, über das eine Vergabestelle häufig nicht verfügt. Welcher Einkäufer weiß schon exakt, was ein Media-Direktor ist oder was unter Billing-Volumen in der Werbebranche im Detail zu verstehen ist. Vergabestellen ist daher zu raten, sich entweder professionell beraten zu lassen (falls es das Auftragsvolumen hergibt) oder anderenfalls auf bewährte Eignungsanforderungen zu rekurrieren, die dann zwar nicht völlig perfekt zu dem spezifischen Auftrag passen, aber doch vergaberechtlich anerkannt sind.

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Über Dr. Michael Sitsen [1]

Dr. Michael Sitsen ist Rechtsanwalt bei Orth Kluth Rechtsanwälte [2] in Düsseldorf und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Er berät und begleitet seit vielen Jahren Auftraggeber und Bieter bei Ausschreibungen aller Art. Neben dem Vergaberecht gehört auch das Beihilfenrecht zu seinen Beratungsschwerpunkten. Er hält Schulungen zum Vergaberecht, u.a. für den Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen. Vor seiner anwaltlichen Tätigkeit war er mehrere Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter des bekannten Vergaberechtlers Prof. Dr. Jost Pietzcker in Bonn.

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