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„Wissen erzeugen, das die Welt bewegt!“ – Interview mit Dr. Ralph Hintemann vom Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit

Dr. Ralph Hintemann ist Gesellschafter und Senior Researcher des Borderstep Instituts für Innovation und Nachhaltigkeit. Seit mehr als 25 Jahren forscht er im Bereich neue Technologien und ihre Umweltwirkungen, insbesondere mit dem Fokus auf Informations- und Kommunikationstechnologien. Im Mittelpunkt seiner Forschungstätigkeit stehen die technischen und marktlichen Entwicklungen bei Rechenzentren. Gemeinsam mit Forschungspartnern aus Unternehmen erforscht er neue und effiziente Lösungen für Rechenzentren und untersucht Innovationsstrategien, neue Geschäftsmodelle und marktliche Rahmenbedingungen. Dr. Hintemann wird als Referent auf dem 3. IT-Vergabetag auftreten und auch an der Podiumsdiskussion zum Thema Nachhaltige Beschaffung –  Mehr als nur „Green IT“ teilnehmen.  Wir haben ihm im Vorfeld einige Fragen rund um das Leitthema des diesjährigen IT-Vergabetages gestellt.

Vergabeblog: Sehr geehrter Herr Dr. Hintemann, Sie sind Gesellschafter und Senior Researcher am Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit. Womit beschäftigt sich das Borderstep Institut im Wesentlichen und was sind Ihre Forschungsschwerpunkte?

Dr. Ralph Hintemann: Borderstep ist als unabhängige und gemeinnützige Forschungseinrichtung im Bereich der anwendungsorientierten Innovations- und Entrepreneurshipforschung tätig und dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung verpflichtet. Mit unseren wissenschaftlichen Arbeiten erforschen wir Problemlösungen für ein nachhaltiges Wirtschaften und erarbeiten zukunftsfähige Handlungsstrategien für Unternehmen, Gründer, Verbände und Politik.

Die Forschungen des Borderstep Instituts sind anwendungsorientiert und zielen konsequent darauf, in der Praxis umgesetzt zu werden. Unser Anspruch ist es, neues problemorientiertes Wissen zu erzeugen, das die Welt bewegt! Bei Borderstep treffen Betriebswirtschaftler auf Volkswirtschaftlerinnen, Umweltwissenschaftler auf Sozialwissenschaftler, Politologinnen auf Ingenieure. Diese interdisziplinäre Kompetenz prägt das Borderstep Institut.

Mein Arbeitsschwerpunkt bei Borderstep liegt im Themenfeld Digitalisierung & Green-IT. Wir forschen bereits seit mehr als einem Jahrzehnt zum ressourceneffizienten Einsatz von digitalen Produkten und Diensten.

Vergabeblog: Es wird viel von Nachhaltigkeit in der IT-Beschaffung gesprochen. Dennoch gibt es wie so oft kein einheitliches Begriffsverständnis. Wenn Sie nachhaltige IT-Beschaffung – ohne Differenzierung zwischen den verschiedenen Leistungsarten – auf eine kurze prägnante Formel bringen sollten, wie würde diese lauten?

Dr. Hintemann: Aus meiner Sicht ist eine nachthaltige IT-Beschaffung durch zwei Aspekte gekennzeichnet. Zum einen wird über geeignete Prozesse und Kriterien sichergestellt, dass solche IT-Produkte beschafft werden, deren Herstellung, Betrieb und Entsorgung im Vergleich zu den aktuell marktüblichen Produkten deutlich weniger Energie- und Ressourcenbedarf verursacht. Zum anderen berücksichtigt eine nachhaltige IT-Beschaffung aber auch digitale Lösungen, durch deren Einsatz der Ressourcenbedarf insgesamt verringert werden kann. Dies kann z.B. eine Videokonferenzlösung sein, die Dienstreisen vermeidet, ein Online-Tool, das Behördengänge vermeidet oder auch die Ausstattung von Mitarbeitern mit IT-Systemen, die Heimarbeit unterstützen.

Vergabeblog: Mit Blick auf die Entwicklung der Rechenzentrumslandschaft in Deutschland sprechen Sie in Ihren Analysen von einem Trend, den wir wie folgt zusammenfassen: Es gibt zunehmend effizientere Rechenzentren, der Stromverbrauch steigt jedoch wegen der Digitalisierung weiterer Lebens- und Arbeitsbereiche und der verstärkten Nutzung digitaler Ressourcen an. Handelt es dabei um einen zwangsläufigen Trend, dass der Bedarf an Ressourcen immer schneller steigt als Effizienzgewinne produziert werden können? Also bei dieser Wachstumsgeschwindigkeit der Stromverbrauch immer stärker steigt als die Effizienzgewinne. Oder liegt viel „verschenktes“ Potential noch auf der Straße? Wie sieht es insbesondere in Deutschland aus?

Dr. Hintemann: Es gibt sicherlich einen gewissen Zusammenhang, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die deutlichen Leistungssteigerungen in der IT und speziell bei Rechenzentren zum einen zu einer erhöhten Effizienz der IT und zum anderen aber auch durch immer mehr Anwendungsmöglichkeiten der IT führen. In der Geschichte der IT hat dies bereits seit mehr als 50 Jahre dazu geführt, dass die Effizienzgewinne immer durch die Mehrnutzung in der Form ausgeglichen wurden, dass in Summe der Strom- und Ressourcenbedarf angestiegen ist. Für die nächsten Jahre ist auch nicht mit einer generellen Trendumkehr zu rechnen. Dennoch ist es gerade im Bereich der Rechenzentren so, dass noch deutliche Potenziale zur Senkung des Stromverbrauchs bestehen, wenn die aktuell bereits existierenden Effizienztechnologien eingesetzt werden. Einzelprojekte, bei denen der Energiebedarf eines vorhandenen Rechenzentrums durch konsequente Ausrichtung auf Energieeffizienz fast halbiert wird, sind keine Seltenheit.


Verpassen Sie nicht die Podiumsdiskussion auf dem 3. IT-Vergabetag  zum Thema:
Nachhaltige Beschaffung – Mehr als nur „Green IT“ – Was kann und sollte das öffentliche Beschaffungswesen jetzt leisten?

Wann: Am 26. April 2018

Wo: Tagungszentrum Katholische Akademie, Hotel Aquino, Hannoversche Straße 5b, 10115 Berlin-Mitte

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Hinweis: Es sind nur noch wenige freie Plätze verfügbar. Jetzt anmelden unter www.it-vergabetag.de [2]!


Vergabeblog: Immer größerer Stromverbrauch, immer mehr CO2-Emissionen. Dabei kann die Digitalisierung doch einen sinnvollen Beitrag leisten, zum Beispiel unnötigen Mobilitätsaufwand für den Gang zur Behörde wegen eines neuen Ausweises zu verringern. In vielen Ländern, beispielsweise dem Vereinigten Königreich, ist ein Ausweis mittlerweile problemlos online bestellbar. In Deutschland ist dies bekanntlich bisher nicht möglich. Viele andere Beispiele ließen sich nennen, die heute noch einen Gang zur Behörde erfordern, obwohl es auch sinnvolle Alternativen für Onlineprozesse geben würde. Sind andere Länder in dieser Hinsicht einfach innovativer, schneller und haben ein besseres Verständnis von Nachhaltigkeit?

Dr. Hintemann: Deutschland gehört definitiv nicht zu den Vorreitern, was E-Government betrifft. Dafür gibt es sicher vielfältige Gründe, wie z.B. die wenig ausgebauten digitalen Infrastrukturen in Deutschland allgemein und in der Verwaltung im speziellen oder vorhandene Ängste vorm „gläsernen Bürger“, die insbesondere in Deutschland weit verbreitet sind.

Einen direkten Zusammenhang mit einem besseren oder schlechteren Nachhaltigkeitsverständnis sehe ich weniger. Die Nachhaltigkeitspotenziale der Digitalisierung werden leider – auch in anderen Ländern – meist nur am Rande betrachtet. Dabei böte sich hier eine Chance, die zwei essentiellen Zukunftsthemen integrativ und gemeinsam anzugehen: Die Schaffung einer „Green Economy“ und die Bewältigung der Herausforderungen der Digitalisierung.

Vergabeblog: Die deutsche E-Government-Landkarte ist sehr heterogen. Gleichwohl haben viele Bundesländer, Städte und Kommunen teilweise gute Bürgerservices implementiert. Leider handelt es dabei nicht selten um Insellösungen und die Akzeptanz der Onlineservices insgesamt, liegt deutlich hinter anderen Ländern zurück, wie jüngste Untersuchungen wieder belegen (vgl. eGovernment MONITOR 2017 –http://www.egovernmentmonitor.de/fileadmin/uploads/Studien/eGovMon2017_RZ_FINAL_WEB_NEW.pdf [3]). Notwenige Synergien lassen sich so schwer herstellen – auch im Hinblick auf den Ressourcenverbrauch. Was sollte aus Ihrer Sicht getan werden, um diese unbefriedigende Situation zu verbessern?

Dr. Hintemann: Leider bin ich zu wenig Verwaltungsexperte, um eine solche Frage sachgerecht beantworten zu können.

Vergabeblog: Jeder weiß, dass die Produktion neuer Hardware eine große Belastung für die Umwelt ist. Die Lebenszyklen der Hardware haben sich in den letzten Jahren nicht verlängert, sondern eher verkürzt. Welchen Beitrag zur Verbesserung dieser – vielleicht unumkehrbaren – Entwicklung könnten Öffentliche Auftraggeber im Sinne einer nachhaltigeren Beschaffungsstrategie leisten, ohne dabei ins technologische Hintertreffen zu geraten?

Dr. Hintemann: In der Tat ist die Frage der optimalen Nutzungsdauer von Geräten oft nur sehr schwer zu beantworten. Der rasante technische Fortschritt im IT-Bereich hat in der Vergangenheit oft dazu geführt, dass Geräte immer schneller veralten. Unter anderem durch die zunehmende Miniaturisierung werden viele Geräte auch immer reparaturunfreundlicher, so dass sie oft schon bei einem kleinen Schaden komplett ausgetauscht werden müssen. Aus ökologischer Sicht ist diese Entwicklung wenig erfreulich. Die Herausforderung in Zukunft wird sein, die Nutzungsdauer von IT-Produkten möglichst wieder zu verlängern, ohne dass die Anwender mit veralteter Technik arbeiten müssen.

Das wird nicht einfach umzusetzen sein. Allerdings wurden in der Vergangenheit schon erste Erfolge erzielt. So ist es heute nicht mehr bei jeder neuen Betriebssystem-Version zwingend notwendig, auch gleich den PC oder das Notebook zu erneuern. Je mehr die Anwendungen und Prozesse zentral in Rechenzentren ablaufen, desto weniger entscheidend ist die Leistungsfähigkeit des Endgeräts – die Geräte am Arbeitsplatz können also länger genutzt werden.

Die öffentliche Beschaffung kann den Prozess zu wieder ansteigenden Nutzungsdauern von Geräten unterstützen, z.B. indem Anforderungen an die Reparaturfähigkeit und Aufrüstbarkeit der Geräte gestellt werden. Auch die verstärkte Nutzung von Systemen, die auf schlanke Endgeräte wie Thin Clients setzen und die notwendige Rechen- und Speicherleistung ins Rechenzentrum verlagern, können zu einer deutlichen Verlängerung der Nutzungsdauern der Endgeräte führen. Was auch wichtig ist: Wenn das Ende der Nutzungsdauer erreicht wird, sollten die Geräte möglichst vollständig weiterverwendet oder –verwertet werden. Auch dies kann schon bei der Beschaffung ein wesentliches Kriterium darstellen.

Vergabeblog:

Lieber Herr Dr. Hintemann, vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen und bis zum 26. April auf dem 3. IT-Vergabetag.

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