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Fehlende Antragsbefugnis bei Kommunalisierung der Abfallwirtschaft in Form einer interkommunalen Kooperation (OLG Koblenz, Beschl. v. 14.03.2018, Verg 4/17)

EntscheidungTrotz einer unzulässigen interkommunalen Kooperation kann ein privater Entsorger keinen vergaberechtlichen Rechtsschutz erlangen, da ihm insoweit mangels Chance auf Beteiligung an einer Ausschreibung die Antragsbefugnis fehlt.

Wenn nach der politischen Beschlusslage eine Ausschreibung der kommunalisierten abfallwirtschaftlichen Dienstleistungen ausgeschlossen ist, kann sich ein privater Entsorger hiergegen nicht mittels Nachprüfungsverfahren gegen eine rechtswidrige interkommunalen Kooperation zur Wehr setzen.

§ 160 Abs. 2 GWB

Sachverhalt

Ein Landkreis in Rheinland-Pfalz hatte beschlossen, die bisher fremdvergebenen Leistungen zur Einsammlung des kommunalen Altpapiers künftig in Eigenregie zu erbringen. Hierzu hatte der Landkreis unter anderem entsprechende Abfallsammelfahrzeuge beschafft.

In Rheinland-Pfalz sind die Landkreise und kreisfreien Städte öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger und somit für die Abfalleinsammlung und -entsorgung zuständig. Im Rahmen der Leistungserbringung sollte der Bauhof einer kreisangehörigen Stadt in deren Stadtgebiet in die Leistungserbringung einbezogen werden. Hierzu war der Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages beabsichtigt. Gegen den Abschluss dieses Vertrages wandte sich ein privater Entsorger mit einem Nachprüfungsantrag, der bei der Vergabekammer auch Erfolg hatte.

Die Entscheidung

Das OLG Koblenz hat den Nachprüfungsantrag jetzt zurückgewiesen. Das OLG ist zwar wie die Vergabekammer zunächst der Auffassung, dass der beabsichtigte Vertragsschluss keine vergabefreie interkommunale Kooperation ist. Nach § 108 Abs. 6 Nr. 1 GWB fehle es nämlich an der Zielidentität. Eine Vereinbarung, die eine Stadt in die Leistungserbringung einbezieht, die ohne diesen Vertrag mit dieser Aufgabe gar nichts zu tun hätte, falle nicht unter § 108 Abs. 6 GWB.

Dennoch wies das OLG den Nachprüfungsantrag zurück, da es der Antragstellerin (ausnahmsweise) an der Antragsbefugnis fehle. Das OLG stellt zunächst fest, dass die Antragsbefugnis nicht schon deswegen entfalle, wenn die Vergabestelle bloß erklärt, kein neues Ausschreibungsverfahren mehr durchzuführen. Antragsbefugt könne aber nur ein Unternehmen sein, dass eine Chance auf den Zuschlag hat. Bei einer drohenden Direktvergabe sei diese Chance grundsätzlich gegeben, da das hinter dem Nachprüfungsantrag stehende Ziel des Unternehmens die Einleitung eines förmlichen Vergabeverfahrens ist, an dem es sich dann beteiligen kann.

Das OLG sah in den Besonderheiten des Falls aber Anlass von diesem Grundsatz abzuweichen. Da die politische Beschlusslage eine Ausschreibung der Leistungen derzeit nicht erlaube, gäbe es derzeit insoweit keinen Beschaffungsbedarf und somit sei auch eine Ausschreibung nicht möglich. Deshalb existiere auch keine Chance der Antragstellerin mehr, in einem Vergabeverfahren den Zuschlag zu erhalten. Damit drohe kein Schaden, der aber Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB ist.

Die Antragstellerin hatte dagegen eingewandt, dass der Kreistag jederzeit auch wieder Abstand von der Kommunalisierung nehmen könne und dann wieder eine Ausschreibung stattfinden würde. Diese Einwand ließ das OLG aber nicht gelten, da dies ein neuer Sachverhalt sei, der jetzt nicht Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens ist.

Vergabekammern- und -senate seien keine Aufsichtsbehörden, die objektive Rechtsverstöße feststellen, sondern individuellen Primärrechtsschutz gewährleisten. Rechtswidriges Verhalten der Kommunen als solches falle daher in den alleinigen Zuständigkeitsbereich der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD).

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung ist zwar letztlich für beide Seiten unbefriedigend, aber trotzdem zutreffend.

Dem OLG Koblenz ist zuzustimmen, dass die beabsichtigte Kooperation zwischen Landkreis und Stadt nicht vom Vergaberecht freigestellt ist. Blickt man in die vergaberechtliche Judikatur, insbesondere die des EuGH aber auch des OLG Koblenz selbst, so wurde für eine vergabefreie interkommunale Kooperation immer gefordert, dass es dabei um eine allen Kooperationsbeteiligten obliegende Aufgabe gehen muss. Vgl. EuGH, Urt. v. 19.12.2012 – C-159/11 „Lecce“. Ist nur einer der Kooperationspartner zuständig, liegt daher keine vergabefreie Kooperation vor.

Dass der Nachprüfungsantrag mangels Antragsbefugnis dennoch ohne Erfolg blieb ist daher für die Antragstellerin ärgerlich, aber auch für Stadt und Landkreis kein Erfolg, weil das OLG Koblenz materiell dennoch die Unzulässigkeit der Kooperation festgestellt hat. Deshalb haben sowohl die Stadt als auch der Landkreis in der mündlichen Verhandlung erklärt, von der beabsichtigten Kooperation abzusehen.

Das OLG hat die Antragsbefugnis auch zur Recht verneint. Wenn ein Ausschreibungsverfahren für die Leistung, um die es geht, jedenfalls kurz oder mittelfristig ausgeschlossen ist, kann einem Unternehmen kein Schaden drohen. Dies ist aber nun einmal Voraussetzung für die Antragsbefugnis. Zuzustimmen ist dem OLG auch darin, dass die bloße Behauptung, kein Ausschreibungsverfahren mehr durchführen zu wollen, in der Regel die Antragsbefugnis nicht entfallen lässt.

Praxistipp

Nachdem die Voraussetzungen einer vergabefreien interkommunalen Kooperation in § 108 Abs. 6 GWB seit der Vergaberechtsnovelle erstmals positiv geregelt sind, hat sich an den Voraussetzungen für diese nach Auffassung des OLG Koblenz nichts geändert. Es muss immer eine „Zielidentität“ im Sinne einer Zuständigkeit der Kooperationspartner für die Aufgabe vorliegen. Liegt eine solche nicht vor, wird eine vertragliche interkommunale Kooperation in aller Regel nicht möglich sein. Alternative ist dann nur noch die Institutionalisierung der Kooperation durch Gründung eines gemeinsamen Rechtsträgers (Mehrträger-AöR, Zweckverband, GmbH). Es sei denn, man fordert auch insoweit eine Zielidentität, was man in Rheinland-Pfalz durchaus aus § 1 Abs. 1 Satz 1 des Landesgesetz über die kommunale Zusammenarbeit (KomZG) durchaus ableiten könnte.

Für die Praxis bedingt das Urteil daher eine sorgfältige Prüfung beabsichtigter interkommunalen Kooperationen auf die gemeinsame Zuständigkeit hin.

Anm. d. Red.: Der Autor hat in dem Nachprüfungsverfahren den Antragsgegner vertreten.

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Über Martin Adams, Mag. rer. publ. [1]

Herr Martin Adams, Mag. rer. publ. ist Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei _teamiur_Rechtsanwälte [2], Mannheim. Herr Adams berät bundesweit öffentliche Auftraggeber bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, insbesondere im Bereich der Abfallwirtschaft. Darüber hinaus veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in entsprechenden Fachmedien und tritt als Referent in Fachseminaren auf.

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