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Neues TVgG NRW: Weniger bürokratisch – weniger nachhaltig?

Das neugefasste TVgG NRW tritt voraussichtlich Anfang April 2018 in Kraft. Der Gesetzentwurf ist Bestandteil des so genannten  “Entfesselungspakets I” und soll das Vergaberecht in NRW vereinfachen. Es ist die zweite Novelle innerhalb kurzer Zeit. Erst Anfang 2017 war das TVgG NRW erneuert worden (Vergabeblog berichtete, siehe hier). Schon vor dem Inkrafttreten hagelt es jedoch bereits Kritik an der Neu-Neufassung.

Damit soll das Landesvergaberecht weiter vereinfacht und entbürokratisiert werden, gleichzeitig sollen der Mindestlohn und die Tariftreue gestärkt werden. “Im Zusammenspiel mit den Regelungen des allgemeinen Vergaberechts” sollen künftig die gesetzlich festgelegten Qualitätsstandards beachtet und nachhaltige Aspekte durch die Vergabestellen berücksichtigt werden, schreibt die Servicestelle TVgG NRW auf ihrer Webseite. Auch ökologische und soziale Standards sowie nachhaltige  Arbeits- und Lebensbedingungen ließen sich über das allgemeine Vergaberecht vollumfänglich “in jedem Einzelfall festlegen”. Das klingt a prima vista erstmal gut, verschleiere in der Sache aber den massiven Abbau bestehender Rechte und Pflichten, bemängeln die Kritiker des nun entfesselten Pakets.

Bonner Grüne kritisieren Abbau von Nachhaltigkeitsstandards

So kritisieren etwa die Bonner GRÜNEN die geplanten Änderungen des Tariftreue- und Vergabegesetzes NRW (TVgG-NRW). Die Neufassung drohe die nachhaltige und faire Beschaffung in Bonn zu erschweren. In einem offenen Brief auf fordern sie Ministerpräsident Armin Laschet auf, nicht hinter die bisherigen  gesetzlichen Vorgaben und Mindeststandards bei öffentlichen Beschaffungen zurückzufallen.

So heißt es darin:

“Die neue Landesregierung plant im Zuge des ersten Entfesselungspaketes starke Beschränkungen des von SPD und GRÜNEN 2012 beschlossenen und 2017 novellierten Tariftreue- und Vergabegesetzes NRW (TVgG NRW). Die geplanten Neuerungen lösen die Verpflichtungen der Kommunen auf, zwingend soziale Nachhaltigkeit entlang der Lieferketten der eingekauften Produkte zu beachten. Rein rechtlich haben zwar alle öffentlichen Einkäufer weiterhin die Möglichkeit soziale und ökologische Kriterien in ihre Ausschreibungen zu integrieren, jedoch hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass die praktische Umsetzung in der Gestaltung öffentlicher Vergaben noch keinesfalls den Normalfall darstellt und Kommunen sowie andere öffentliche Auftraggeber weiterhin Unterstützung bei der Umsetzung von sozialen und ökologischen Kriterien in der Vergabe benötigen.”

Ohne verbindliche Vorgaben erscheine eine flächendeckende Umsetzung nachhaltiger Beschaffung nur schwer vorstellbar. Wichtiger noch als diese Vorgaben sei aber die Unterstützung der Kommunen in ihren Bemühungen ihrer Verantwortung für ein nachhaltiges Wirtschaften nachzukommen. Die Bonner GRÜNEN “regen” daher “an”, dass Tariftreue- und Vergabegesetz NRW insoweit nicht zu ändern und fordern mehr Unterstützung der Kommunen durch das Land NRW.

Menschenrechte aus dem Vergaberecht gestrichen?

Noch weiter geht die Kritik der Christliche Initiative Romero (CIR). Diese befürchtet eine Abschaffung von Menschenrechten durch das neue TVgG. Die NRW-Regierung habe mit der Betonung der Freiwilligkeit von Nachhaltigkeitskriterien und Umweltstandards bei der öffentlichen Auftragsvergabe  “Menschenrechte aus dem Vergaberecht gestrichen”.

Zwar sei der Abbau von zu viel Bürokratie durchaus zu begrüßen, der künftig fakultative (statt verpflichtende) Nachweis der Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards entlang der Lieferkette bei der öffentlichen Auftragsvergabe sei jedoch kritisch zu sehen. Das Land NRW verliere damit seine bisherige Vorreiterrolle hinsichtlich einer modernen, an Nachhaltigkeit orientierten öffentlichen Vergabe in Deutschland.

Keine ausreichende Rechtfertigung für den Rechteabbau sei, dass mit der Ratifizierung der ILO-Kernarbeitsnormen Deutschlands und durch die EU-Richtlinien sowie dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) auf Bundesebene sichergestellt sei, dass in der öffentlichen Beschaffung soziale-ökologische Standards eingehalten werden. „Durch die Gesetzesänderung muss nun die Einhaltung grundlegender Arbeitsrechte nicht mehr kontrolliert werden,“ so Marie-Luise Lämmle von FEMNET, „zudem betrifft die Ratifizierung der ILO-Kernarbeitsnormen Deutschlands nur die Arbeitsbedingungen hier – aber eben nicht in den Ländern in denen z.B. ein Großteil der Arbeitskleidung und IT Hardware produziert wird.“

Die Neuregelung benachteilige solche Unternehmen, die in die Beachtung internationaler Arbeits- und Menschenrechte investieren würden und dies durch unabhängige Siegel- und Monitoringorganisationen nachweisen und kontrollieren ließen.

Hoher Beratungsbedarf bei den Beschaffungsstellen

Auch wenn die Landesregierung betone, dass ihr eine sozialverantwortliche und ökologische Beschaffung wichtig sei, so lasse das neue NRW-Vergabegesetz nicht erkennen, wie dieses Ziel verantwortungsvoll und glaubwürdig umgesetzt werden soll. Zudem klagten mehr als die Hälfte der Mitarbeiter/innen in öffentlichen Beschaffungsstellen über eine „…fehlende Bereitstellung von externen Informationen und/oder Unterstützung zum TVgG-NRW“. Durch das geänderte Vergabegesetz, das Menschen- und Arbeitsrechte zur freiwilligen Sache erklärt, wird dieses Unterstützungsdefizit noch vergrößert.

Die  vollständige Stellungnahme des Bündnisses können Sie in dieser Pressemitteilung nachlesen.

Auftragsvergabe sogar schwieriger durch neue Vergabekriterien?

Wolfgang Rau vom Remscheider “Waterbölles”-Forum für Kommunalpolitik befürchtet schließlich in einem Blogbeitrag, dass die Neuregelung Bieter und Kommunen eher vor neue Probleme stellen werde. Jede Kommune müsse jetzt für sich neue Kriterien für die Vergabe entwickeln und in den Gremien verabschieden, da die landesweiten verbindlichen Vorgaben entfallen. Bieter wiederum fänden künftig für Kommunen völlig unterschiedliche Ausschreibungskriterien und Formulare vor, die erhöhten Aufwand erfordern. Vollkommen unnötig sei hier “das Kind mit dem Bade ausgeschüttet” worden, zumal die Ausschreibungs- und Vergabeverfahren nach dem TVgG auf der Arbeitsebene in den Verwaltungen schon weitgehend eingespielte Routine gewesen seien.

Quellen: Servicestelle zum Tariftreue- und Vergabegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen, Grüne Bonn, Christliche Initiative Romero, waterboelles.de

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2 Kommentare

  1. Wolfgang Sagemerten

    Die Kritik spricht für sich!
    Es geht nicht um das Vergaberecht sondern um „Weltverbesserung“; auch wenn Bürokratiemonster dabei herauskommen.

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  2. Michael Marwede

    Schade, dass die Weltgemeinschaft den Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Unternehmen stärken will. Sicherlich nicht, weil es freiwillig optimal läuft. Der Rückschritt, diese Fragestellungen von einem „muss“ zu einem „guck mal weg“ zu entwickeln, wird diesen Zusammenhang an keiner Stelle ausbauen. Vertrauen, auch auf die deutschen Unternehmen, ist sicherlich ein hohes Gut. Aber auf deren Ziele und die der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung mit ihren globalen Lieferbeziehungen sollten im Hinblick auf Menschenrechte und ILO-Kernarbeitsnormen auch Produzentinnen und Produzenten in der Welt vertrauen dürfen. Sie benötigen Unterstützung!

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