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Öffentliche Auftraggeber müssen abfallrechtliche Vorgaben bei der Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts beachten (OLG München, Beschl. v. 09.03.2018 – Verg 10/17)

Das OLG München hat in einer aktuellen Entscheidung dem Nachprüfungsantrag eines Entsorgungsunternehmens gegen die bindende Vorgabe der “thermischen Verwertung” in Ausschreibungen der Bayerischen Straßenbauämter zur Entsorgung von teer-/pechhaltigem Straßenaufbruch stattgegeben.

Leitsatz des Bearbeiters

Öffentliche Auftraggeber haben abfallrechtliche Vorgaben wie die Abfallhierarchie bei der Ausübung ihres Leistungsbestimmungsrechts zu berücksichtigen und müssen, wenn sie eine bestimmte Entsorgungsoption vorgeben wollen, im Hinblick auf die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt einen Vergleich mit anderen, nicht offensichtlich minderwertigeren Entsorgungsoptionen anstellen und dokumentieren.

§ 6 KrWG

Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts hat mit Beschluss vom 09.03.2018 (Az.  Verg 10/17) in einem von der REMEX Mineralstoff GmbH gegen den Freistaat Bayern geführten Nachprüfungsverfahren in Bezug auf die Entsorgung von teer- und pechhaltigem Straßenaufbruch aus den Bezirken der Staatlichen Bauämter Aschaffenburg, Schweinfurt und Würzburg zu Gunsten des Entsorgers entschieden und klargestellt, dass dem grundsätzlich weiten vergaberechtlichen Leistungsbestimmungsrecht öffentlicher Auftraggeber durch das Kreislaufwirtschaftsgesetz und die dort in § 6 normierte Abfallhierarchie Grenzen gesetzt sind.

Sachverhalt

Das Staatliche Bauamt Würzburg als Vergabestelle hatte in der Leistungsbeschreibung der Ausschreibung vorgegeben, dass der teer-/pechhaltige Straßenaufbruch „thermisch zu verwerten“ sei. Gegen diese Vorgabe richtete sich der Nachprüfungsantrag von REMEX, nach deren Auffassung auch andere Verwertungsoptionen, wie die Verwertung des Straßenaufbruchs als Ersatzbaustoff im Deponiebau, zugelassen werden müssten.

Die Vergabestelle sah die verbindliche Vorgabe der „thermischen Verwertung“ des Straßenaufbruchs als von ihrem vergaberechtlichen Leistungsbestimmungsrecht gedeckt an und hat die Vorgabe damit begründet, dass die in dem teer-/pechhaltigen Straßenaufbruch enthaltenen Schadstoffe, namentlich die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK), endgültig aus dem Stoffkreislauf ausgeschleust werden sollten. Dabei berief sie sich auf das Merkblatt 3.4/1 des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU), in dem die „thermische Verwertung“ von teer-/pechhaltigem Straßenaufbruch als vorzugswürdig beschrieben wird, obwohl die Verwertung im Deponiebau und sogar die Beseitigung auf Deponien auch für weiterhin möglich erklärt werden.

REMEX hat sich im Nachprüfungsantrag gegen die verbindliche Vorgabe der „thermischen Verwertung“ mit dem Argument gewehrt, dass die „thermische Verwertung“ aufgrund der weiten Transportwege zur derzeit einzig in Betracht kommenden Anlage in den Niederlanden nicht die umweltschonendste Behandlungsoption darstellt; da nach der Abfallhierarchie und den Vorgaben der §§ 7, 8 KrWG die Abfallbesitzer – und damit die den Straßenaufbruch übernehmenden Entsorgungsunternehmen – dazu verpflichtet sind, die umweltschonendste Entsorgungsoption zu wählen, sah REMEX in der Vorgabe der „thermischen Verwertung“ eine Vorgabe zu rechtswidrigem Verhalten. Dabei hat REMEX auf zwei umfangreiche Ökobilanz-Studien zur Entsorgung von teer-/pechhaltigem Straßenaufbruch verweisen können, eine Studie der Sonderabfall-Management-Gesellschaft Rheinland-Pfalz mbH aus dem Jahr 2007 und eine Studie des IFEU-Instituts aus dem Jahr 2016. Beide kommen zu dem Ergebnis, dass die „thermische Verwertung“ von teer-/pechhaltigem Straßenaufbruch in Anlagen in den Niederlanden nicht die umweltschonendste und ökoeffizienteste Entsorgungsmethode ist, sondern die Verwertung im Deponiebau vorzugswürdig ist. REMEX vertrat des Weiteren die Auffassung, dass eine Vergabestelle bei der Ausschreibung von Entsorgungsleistungen eine bestimmte Entsorgungsart nur auf Grundlage einer vorherigen Abwägung der in Betracht kommenden Entsorgungsoptionen und ihrer Auswirkungen auf Mensch und Umwelt vorgeben darf; wenn die Vergabestelle sich mit ihrer Vorgabe zu vorliegenden Ökobilanzierungen in Widerspruch setzt, muss sie ggfs. selbst eine Ökobilanzierung der von ihr gewünschten und der anderen in Betracht kommenden Entsorgungsoptionen vornehmen und damit nachweisen, dass die von ihr gewollte Entsorgungsoption im konkreten Fall auch tatsächlich die umweltschonendste ist. Bei mehreren in Betracht kommenden gleichwertigen Entsorgungsmethoden müsste die Vergabestelle auch Alternativen zulassen.

Die Entscheidung

Nachdem die Vergabekammer Nordbayern zunächst der Vergabestelle Recht gegeben und den Nachprüfungsantrag abgelehnt hatte, hat das OLG München im Beschwerdeverfahren den Beschluss der Vergabekammer aufgehoben und ist dabei der Argumentation von REMEX weitestgehend gefolgt.

Das OLG sieht zwar keine Verpflichtung einer Vergabestelle, eine umfassende Ökobilanzierung im Umfang etwa der IFEU-Studie zu erstellen, wenn sie bei der Vergabe von Entsorgungsleistungen eine bestimmte Verwertungsmaßnahme vorgeben will. Aber die Vergabestelle muss dem OLG zu Folge, wenn sie einen ganz bestimmten Umgang mit dem Abfall vorschreiben und alle sonstigen nicht von vorneherein offensichtlich nachrangigen Verwertungs- bzw. Entsorgungsoptionen ausschließen will, jedenfalls die zentralen Aspekte, die für oder gegen die beabsichtigte Festlegung sprechen, gegenüberstellen und unter Berücksichtigung der grundlegenden Konzeption des KrWG bewerten.

Dass dies im vorliegenden Fall geschehen wäre, konnte das OLG aus den Vergabeunterlagen des Staatlichen Bauamtes Würzburg nicht erkennen. Das Staatliche Bauamt hat sich nach Auffassung des OLG nur an den umwelt- und gesundheitspolitischen Zielsetzungen auf Landes- und Bundesebene orientiert, wie sie im LfU-Merkblatt zum Ausdruck kommen. Es hat nicht die Verwertung im Deponiebau als andere zulässige Verwertungsoption in seine Überlegungen mit einbezogen und keine nach dem KrWG gebotene vergleichende Wertung vorgenommen. Genau das erachtet das OLG jedoch für erforderlich.

Im Hinblick auf die Entsorgung von teer-/pechhaltigem Straßenaufbruch sieht das OLG zwar die beiden Alternativen „thermische Verwertung“ und Verwertung im Deponiebau grundsätzlich als eng beieinanderliegend an. Für die „thermische Verwertung“ spricht dem OLG zu Folge zwar der Vorteil einer zeitnahen, endgültigen Beseitigung potentiell gefährlicher Schadstoffe. Dagegen spricht aus Sicht des OLG jedoch, dass die „thermische Verwertung“ derzeit nur in den Niederlanden möglich ist und den Transport des Abfalls in die Niederlande erfordert, was mit entsprechenden Umweltbelastungen verbunden ist. Die Vergabestelle hätte nach Ansicht des OLG die transportbedingten Umweltbelastungen sowie den Umstand, dass die thermische Verwertung in den Niederlanden zu Emissionen führt, prüfen und berücksichtigen müssen. Sie hätte zudem prüfen und berücksichtigen müssen, welcher Energieeinsatz nötig ist und in welcher Größenordnung überhaupt wiederverwendbares Material aus der „thermischen Verwertung“ gewonnen wird. Die Absicht bzw. Motivation, die gefährlichen PAK zu zerstören, genügt dem OLG als Begründung für die Vorgabe der „thermischen Verwertung“ jedenfalls nicht. Außerdem hätte die Vergabestelle auch die tatsächlichen Risiken für Mensch und Umwelt bei der alternativen Verwertung im Deponiebau prüfen und bewerten müssen. Dabei hat das OLG ausdrücklich auf den Widerspruch hingewiesen, dass die Oberste Bayerische Baubehörde in einem Schreiben vom 29.11.2017 den Wiedereinbau von aufbereiteten teer-/pechhaltigen Straßenausbaustoffen in Staatsstraßen für zulässig erklärt hat, die Vergabestelle dagegen die Verwertung auf einer Deponie wegen etwaiger Restrisiken für Umwelt und menschliche Gesundheit für nicht akzeptabel hält.

Das Staatliche Bauamt Würzburg als Vergabestelle muss nun das Vergabeverfahren in das Stadium vor der Bekanntmachung zurückzuversetzen und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Vorgaben für die Entsorgung des teer-/pechhaltigen Straßenaufbruchs entscheiden.

Rechtliche Würdigung

Das OLG München hat nun erstmals konkrete Anforderungen formuliert, die öffentliche Auftraggeber bei der Ausübung ihres vergaberechtlichen Leistungsbestimmungsrechts zu berücksichtigen haben, wenn sie bei der Ausschreibung von Entsorgungsleistungen eine bestimmte Entsorgungsoption vorgeben möchten. Damit hat das OLG München die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf fortentwickelt. Bereits 2012 hatte das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 01.08.2012 – VII-Verg 105/11) festgestellt, dass das KrWG und die Abfallhierarchie das Leistungsbestimmungsrecht der öffentlichen Auftraggeber beeinflussen können und die Einhaltung der abfallrechtlichen Vorgaben durch die Auftraggeber im Rahmen eines Vergabenachprüfungsverfahrens inzident mit zu prüfen sind. Zudem hat das OLG München klargestellt, dass die „thermische Verwertung“ von teer-/pechhaltigem Straßenaufbruch entgegen einer derzeit festzustellenden Praxis bei den Straßenbauämtern nicht ohne Weiteres als die vorzugswürdige Entsorgungsoption betrachtet werden kann.

Praxistipp

Öffentliche Auftraggeber dürfen abfallrechtliche Vorgaben wie die “Abfallhierarchie” bei der Ausübung des Leistungsbestimmungsrecht nicht außer Acht lassen. Soll eine bestimmte Entsorgungsoption vorgeben werden, muss – im Hinblick auf die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt ein Vergleich mit anderen, nicht offensichtlich minderwertigeren Entsorgungsoptionen durchgeführt und dokumentiert werden. Dem weiten vergaberechtlichen Leistungsbestimmungsrecht öffentlicher Auftraggeber sind wie die Entscheidung des OLG München veranschaulicht, durch abfallrechtliche Vorschriften wie § 6 Kreislaufwirtschaftsgesetz und die dort normierte Abfallhierarchie Grenzen gesetzt.


Hinweis der Redaktion:
Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Kanzlei LLR Legerlotz Laschet und Partner Rechtsanwälte [1]. Vielen Dank an die Einsender, die Herren Rechtsanwälte Dr. Olaf Konzak und Bastian Gierling [2].

 

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