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TVgG NRW – Weniger ist mehr!?

Das Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen ist, nachdem es 2012 eingeführt und Anfang 2017 novelliert wurde, erneut mit Wirkung vom 30. März reformiert worden (siehe: Vergabeblog.de vom 05/04/2018, Nr. 36726 [1]).

Stoßrichtung der Reform ist das Gesetz zu vereinfachen und zu entbürokratisieren. Dieses Ziel wurde verfolgt, indem die 18 Paragraphen des ursprünglichen Gesetzes sowie 14 Paragraphen der dazugehörigen Rechtsverordnung auf nunmehr lediglich vier (!) Gesetzesparagraphen reduziert wurden (Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen – TVgG NRW [2]).

Inhaltlich regelt das Gesetz weiterhin wie seine Vorgänger die Gewährung von tarifvertraglichen Mindestarbeitsbedingungen und die Zahlung eines Mindestentgelts bei öffentlichen Aufträgen (§ 2 und § 3 TVgG NRW).

Eine Folge des Wegfalls zahlreicher Regelungen des Vorgängergesetzes ist indes, dass die im vorhergehenden Gesetz enthaltenen sogenannten strategischen Ziele nicht mehr zwingend vorgegeben sind. Die sozial- und umweltpolitischen Vorgaben, die namentlich die Einhaltung der ILO Kernarbeitsnormen, die Förderung von Frauen sowie spezifische Maßnahmen zur umweltfreundlichen und energieeffizienten Beschaffung vorgesehen haben, entfallen nunmehr, sofern sie nicht ohnehin im GWB oder der VgV vorgeschrieben sind oder durch den Auftraggeber im Einzelfall gefordert werden.

Damit wird die Erreichung der vorgenannten strategischen Ziele nicht mehr durch das Landesvergaberecht vorgegeben und im Unterschwellenrecht der Ausgestaltung durch die nordrhein-westfälischen öffentlichen Auftraggeber überlassen, die für jedes Verfahren entscheiden können, entsprechende Voraussetzungen an die Leistung oder an die Unternehmen festzulegen. Auch im Oberschwellenrecht führt die Novelle zu einer Deregulierung, wobei einzelne strategische Ziele hier durch bundesgesetzliche Regelungen vorgegeben werden (siehe etwa § 67 VgV; § 68 VgV; § 121 Abs. 2 GWB). Zentrale Punkte des Vorgängergesetzes zur Erleichterung der Nachweisführung, wie die Einführung eines Siegelsystems und des Bestbieterprinzips (wonach nur der obsiegende Bieter geforderte Nachweise vorlegen muss und nicht alle Bieter bereits bei Angebotsabgabe), entfallen.

Ebenso entfällt die im Vorgängergesetz vorgesehene Einrichtung einer Prüfbehörde für die Einhaltung der Tariftreue. Stattdessen wird die Kontrollmöglichkeit nunmehr auf die öffentlichen Auftraggeber verlagert (§ 2 Absatz 5 TVgG NRW).

Eine weitere praxisrelevante Neuerung der Novelle betrifft den Anwendungsbereich: das Gesetz gilt nunmehr einheitlich ab einem geschätzten Auftragswert von 25.000 € netto (§ 1 Absatz 5 TVgG NRW).

Im Ergebnis enthält das neue Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen folglich deutlich weniger Vorgaben als sein Vorgänger und soll damit – unter Inkaufnahme des Wegfalls von Vorgaben zu strategischen Zielen – zu einem niedrigeren Erfüllungsaufwand im Vergabeverfahren sowohl für die Bieter als auch für die Vergabestellen führen. Die Vergabestellen können praktisch nun auf die Einreichung von vorher zwingend vorgegebenen Formularen zu einzelnen strategischen Zielen verzichten und die Bieter müssen bei ihren Angeboten dementsprechend weniger ausfüllen. Ob der Wegfall dieser Vorgaben die Beschaffung insgesamt tatsächlich erleichtert, oder ob dieser Vorteil – wie Kritiker einwenden (Vergabeblog.de vom 27/03/2018, Nr. 36511 [3]) – aufgewogen wird, indem die öffentlichen Auftraggeber nunmehr für ihre Vergabestellen bei der Berücksichtigung von strategischen Zielen mangels gesetzlicher Vorgaben mit aufwändigeren individuellen Verfahrenslösungen werden rechnen müssen, wird die Praxis zeigen.

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Über Dr. Piotr Wittmann [4]

Der Autor Dr. Piotr Wittmann ist derzeit Referent in der Vergabestelle des Ministeriums für Verkehr des Landes NRW [5]. Dort führt er in dieser Funktion seit 2015 unterschiedliche Vergabeverfahren für das Ministerium aus der Perspektive der öffentlichen Auftraggeber durch. Seine Beschäftigung mit dem Vergaberecht begann während des Referendariats an der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Die Beiträge spiegeln seine private Meinung wider und erfolgen nicht in amtlicher Tätigkeit.

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