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Kein Interesse mehr am Auftrag – sofortige Beschwerde wird unzulässig (OLG Koblenz, Beschl. v. 16.05.2018 – Verg 2/18)

Entscheidung Verliert ein Bieter sein Interesse am Auftrag, wird seine sofortige Beschwerde unzulässig und bleibt daher ohne Erfolg. Teilt ein Beschwerdeführer während des Beschwerdeverfahrens mit, dass er kein Interesse mehr am Auftrag habe und verlängert er deswegen die Bindefrist nicht (mehr), so fällt seine Antragsbefugnis weg.

§ 160 Abs. 2 Satz 1 GWB, §§ 168 Abs. 2 Satz 2, 178 Satz 3,4 GWB

Sachverhalt

Die Parteien streiten im Beschwerdeverfahren darüber, ob der Antragsgegner das Angebot des Antragstellers zur Recht ausgeschlossen hatte. Vorausgegangen war eine Entscheidung der Vergabekammer Rheinland-Pfalz, die dem Antragsgegner recht gegeben hatte. Die Entscheidung der Vergabekammer hat der Unterzeichner hier besprochen. Vergabeblog.de vom 22/04/2018, Nr. 36844 [1]

Was war passiert?

Der Antragsgegner schrieb die Übernahme und Verwertung der Abfallfraktion Papier, Pappe und Kartonagen (PPK) europaweit aus. Die Antragstellerin lag mit ihrem Angebot nach der Auswertung durch ein beauftragtes Büro auf dem ersten Platz und war daher zunächst für den Zuschlag vorgesehen. Nach Übermittlung der Vorabinformation erhob der zweitplatzierte Bieter eine Rüge, mit der er die Zuverlässigkeit der Antragstellerin in Zweifel zog.

Der Antragsgegner holte daraufhin anwaltlichen Rat ein und schloss das Angebot der Antragstellerin wegen von ihr vorgenommenen Änderungen an den Vergabeunterlagen aus. Die Antragstellerin hatte ihrem Angebot nämlich ein Begleitschreiben auf ihrem Standardbriefpapier beigefügt. Dieses Übersendungsschreiben enthielt in der Fußzeile unter anderem folgende Formulierung: Gerichtsstand ist H. Die Vergabeunterlagen sahen als Gerichtsstand die Stadt P. vor.

Die Vergabekammer gab dem Antragsgegner recht. Sie stellte in ihrer Entscheidung maßgeblich auf einen Vergleich des Angebotsinhalts mit den Vergabeunterlagen ab. Da insoweit der Gerichtsstand nicht übereinstimmte, war ein Ausschluss nach Ansicht der Vergabekammer zwingend, da somit die Vorgaben der Vergabeunterlagen geändert worden seien.

Der Zusatz auf dem Briefpapier sei auch Angebotsinhalt geworden. Eine Vergabestelle treffe die uneingeschränkte Pflicht, sämtliche Erklärungen eines Bieters in seinem Angebot gleichermaßen zu seinen Gunsten oder zu seinen Ungunsten zu würdigen.

Die VK sichert ihre Entscheidung durch eine Alternativüberlegung ab: Selbst wenn man mit einer Mindermeinung von einer Änderung der Vergabeunterlagen nur sprechen mag, wenn an den Unterlagen selbst durch Streichungen oder Hinzufügungen etwas geändert worden ist, so führt das zur Annahme eines Nebenangebotes. Da solche hier nicht zugelassen waren, wäre das Angebot daher auch dann auszuschließen gewesen, wenn man dieser Mindermeinung folgt.

Schließlich fand auch das Argument der Antragstellerin kein Gehör, wonach die ursprüngliche Einschätzung des Beratungsbüros ihr den Zuschlag sichere, kein Gehör. Die VK weist darauf hin, dass alle Entscheidungen im Vergabeverfahren von der Vergabestelle getroffen werden und nicht durch ihre Berater. Der Antragsgegner sei daher in jedem Stadium des Vergabeverfahrens befugt gewesen, die Fehleinschätzung des ursprünglich beauftragten Beratungsbüros entsprechend zu korrigieren.

Gegen diese Entscheidung legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde ein. Zu diesem Zeitpunkt war die Bindefrist bereits abgelaufen. Einer später ausdrücklich verlangten Verlängerung stimmte die Beschwerdeführerin nicht zu.

Die Entscheidung

Nachdem das OLG in einem Hinweisbeschluss Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Ausschlusses geäußert hatte, stellte die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung den Antrag, das Verfahren für erledigt zu erklären, da sie kein Interesse mehr an dem Auftrag habe. Hilfsweise hielt sie an ihrem ursprünglichen Antrag, der die Berücksichtigung ihres Angebots zum Ziel hatte, fest.

Die Zweifel des OLG begründeten sich dadurch, dass in den Vergabeunterlagen an anderer Stelle durch eine entsprechenden Eigenerklärung eine Akzeptanz der Vertragsbedingungen durch die Bieter erklärt wurde. Das OLG warf aufgrund dessen die Frage auf, ob daher das Angebot nicht vorrangig hätte ausgelegt oder aufgeklärt werden müssen. Zu dieser spannenden Frage ist dann in der Sache leider keine Entscheidung mehr ergangen.

Der Antragsgegner schloss sich der Erledigungserklärung nicht an.

Das OLG Koblenz sieht in der Erklärung, kein Interesse mehr am Auftrag zu haben, einen Wegfall der Antragsbefugnis. Folglich verneint es die Sachentscheidungsvoraussetzung, die in jeder Lage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung von Amts wegen zu berücksichtigen sei.

Es sein auch kein Raum für einen hilfsweisen Antrag. Es geben kein „hilfsweises Interesse“. Entweder habe die Antragstellerin Interesse am Auftrag oder eben nicht.

Das OLG hat die sofortige Beschwerde daher als unbegründet verworfen mit der Maßgabe, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig (geworden) ist.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des OLG ist zutreffend und erfreulich kurz und klar begründet. Will ein Bieter seinem Angebot mit einem Nachprüfungsverfahren zum Erfolg verhelfen und verliert er später das Interesse an dem Auftrag, dann gibt es keinen Grund für eine Sachentscheidung. Das Nachprüfungsverfahren dient dem Schutz individueller Bieterrechte. Dieses Schutzbedürfnis fällt weg, wenn der Bieter kein Angebot mehr im Rennen hat.

Hier hat er es selbst aus dem Rennen genommen, indem er die Bindefrist nicht mehr verlängerte. Für alle Beteiligten einfacher gewesen wäre es, wenn der Beschwerdeführer seinen Nachprüfungsantrag zurückgenommen hätte. Dies tat er offenbar nicht, weil er auf einen möglichen Schadensersatz schielte.

Praxistipp

Die hier allein prozessualen Fragen sind für die Vergabepraxis weniger interessant. Interessanter ist die nicht entschiedene Frage, wann ein Angebot ohne Aufklärung ausgeschlossen werden kann. Hier lässt sich die grundsätzlich erfreulicher Tendenz erkennen, Angebote eher auszulegen bzw. aufzuklären, bevor man sie ausschließt. Das OLG stellte hier konkret die Frage in den Raum, ob denn tatsächlich eine Änderung der Vergabeunterlagen oder ein unzulässiges Nebenangebot vorlag, oder ob nicht vielleicht vielmehr „nur“ von einer Widersprüchlichkeit des Angebots auszugehen war.

Indes scheint die Grenze zwischen möglicher Auslegung oder Aufklärung und Ausschluss dogmatisch noch nicht durchdrungen. Es bleibt daher spannend, wie sich die Rechtsprechung zu dieser Frage weiter entwickelt. Um sich eine mögliche Auslegung oder Aufklärung offen zu halten, scheint es ratsam, eine allgemeine Klausel in die Vergabeunterlagen aufzunehmen, mit der sich der Bieter allen Ausschreibungsbedingungen unterwirft.

Der Verfasser hat in diesem Nachprüfungsverfahren den Antragsgegner vertreten.

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Über Martin Adams, Mag. rer. publ. [2]

Herr Martin Adams, Mag. rer. publ. ist Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei _teamiur_Rechtsanwälte [3], Mannheim. Herr Adams berät bundesweit öffentliche Auftraggeber bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, insbesondere im Bereich der Abfallwirtschaft. Darüber hinaus veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in entsprechenden Fachmedien und tritt als Referent in Fachseminaren auf.

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