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„Schlechte Erfahrungen“ führen nicht automatisch zu einem Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB (VK Bund, Beschl. v. 29.12.2017 – VK 1-145/17)

EntscheidungWird ein Vertrag zwischen einem Unternehmen und einem öffentlichen Auftraggeber vorzeitig beendet, da sich die Parteien über die Frage eines Mangels erheblich zerstritten haben, so führt dies nicht automatisch dazu, dass das Unternehmen in einer Folgeausschreibung ausgeschlossen werden kann. Eine Voraussetzung für den rechtmäßigen Ausschluss ist, dass der Auftraggeber sein Ermessen fehlerfrei ausübt, d.h. wenn der Auftraggeber vertretbar die Prognoseentscheidung getroffen hat, dass von dem Unternehmen aufgrund der festgestellten früheren Schlechtleistung zukünftig nicht zu erwarten ist, dass dieses den nunmehr zu vergebenden Auftrag gesetzestreu, ordnungsgemäß und sorgfältig ausführen wird.

§ 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB

Schwerpunkte

1. Ein Automatismus, dass die mangelhafte Schlechterfüllung und vorzeitige Beendigung eines früheren öffentlichen Auftrags zu einem Ausschluss in einem späteren Vergabeverfahren führt, existiert nicht.

2. Die Vergabeklammer überprüft, ob die vom Auftraggeber vorzunehmende Ermessensentscheidung im Rahmen des § 124 GWB ermessensfehlerfrei erfolgt ist.

3. (Schlechte) Erfahrungen aus einem Bauauftrag können auf einen Liefer-/Dienstauftrag übertragen werden, wenn die verschiedenen Leistungsgegenstände inhaltlich, örtlich und zeitlich in einem engen Zusammenhang stehen.

Sachverhalt

Die Antragstellerin (ASt) ist Vorauftragnehmerin der Antragsgegnerin.

Sie wurde von der AG mit der Ausführung mehrerer, zeitlich aufeinander abgestimmten Gewerken im Rahmen einer größeren Baumaßnahme beauftragt. Die säumige ASt reagierte jedoch nicht auf Nachfristsetzungen, erschien nicht zu Baubesprechungen und war telefonisch für die AG zeitweise gar nicht zu erreichen, sodass die AG den Bauvertrag mit der ASt schließlich aufgrund der Überschreitung von vereinbarten Ausführungsfristen fristlos gekündigt hatte.

Ebenfalls fristlos wurden im Anschluss sämtliche bestehende Instandhaltungsverträge mit der ASt (bauwerkübergreifend) gekündigt, sodass die AG nunmehr die standortübergreifende Instandhaltung erneut EU-weit ausschreibt.

An der Ausschreibung beteiligte sich die ASt sowie die Beigeladene. Das Angebot der ASt liegt auf Platz 1.

Die AG informierte die ASt, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne, weil sie bei der Baumaßnahme schlecht geleistet habe und sie daher von dem Vergabeverfahren auszuschließen sei.

Gegen den Ausschluss wendet sich die ASt mit ihrem Nachprüfungsantrag.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Der Ausschluss nach § 127 Abs. 1 Nr. 7 GWB sei vergaberechtlich nicht zu beanstanden.

Die Vergabekammer untersucht hierzu die Vergaberechtskonformität des Ausschlusses im Wege einer dreistufigen Prüfung anhand der Tatbestandsmerkmale des § 127 Abs. 1 Nr. 7 GWB:

a) Hat die ASt wesentliche Anforderungen bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich und fortdauernd mangelhaft erfüllt?

b) Führte dies zu einer vorzeitigen Beendigung dieses Auftrags?

c) Basiert der Ausschluss auf einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung?

a) Die Vergabekammer stellt aufgrund von unstreitigem Sachverhalt die folgenden, als erheblich qualifizierten Pflichtverletzungen der ASt fest:

Die ASt hat

· mehrere Leistungen nicht fristgerecht erbracht, sodass der vertraglich vereinbarte Fertigstellungstermin nicht eingehalten werden konnte;

· auf mehrere Fristsetzungen der AG nicht reagiert und ist auf mehrere, zur Klärung vorgesehene Gesprächsvorschläge oder Nachfragen der AG nicht eingegangen., was eine fortdauernde Verletzung der Kooperationspflicht darstelle;

· Nachunternehmer eingesetzt, ohne dies vorher der AG anzuzeigen.

b) Eine fristlose Kündigung wurde durch die AG ausgesprochen.

Die fristlose Kündigung sei eine in § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB geforderte Rechtsfolge. Zudem sei die Kündigung auch rechtmäßig, wobei die VK offenlässt, ob stets eine umfangreichere Aufklärung der Sach- und Rechtslage durch die Vergabekammer geboten sei, insbesondere im Hinblick auf eine zivilrechtliche Würdigung. Die Vergabekammer merkt hierzu lediglich an, dass eine vertiefte (zivilrechtliche) Prüfung wohl dem Beschleunigungsgebot nach 167 Abs. 1 GWB entgegenstünde.

c) Die AG hat das ihr zukommende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt

Die Vergabekammer stellt hierzu zunächst klar, dass es keinen Automatismus gäbe, wonach allein die mangelhafte Schlechterfüllung und vorzeitige Beendigung eines früheren öffentlichen Auftrags automatisch zu einem Angebotsausschluss des betreffenden Unternehmens in einem späteren Vergabeverfahren führt. Ermessenfehler seien jedoch nicht festzustellen, da die AG auf das vertragliche Fehlverhalten der ASt im Rahmen eines Bauauftrags abstellen durfte, auch wenn der Folgeauftrag „nur“ Dienst- oder Werkleistungen umfasst. Beide Verträge stünden inhaltlich, örtlich und zeitlich in einem engen Zusammenhang. Hinzu käme, dass die ASt beim Bauvertrag ihre Pflicht, mit dem Auftraggeber zusammenzuarbeiten und etwaige Meinungsverschiedenheiten einvernehmlich und zügig beizulegen (Kooperationspflicht), wiederholt verletzt hat.

Nach alledem sei der Ausschluss rechtmäßig erfolgt.

Rechtliche Würdigung

Der Entscheidung der Vergabekammer ist zuzustimmen.

Sofern der Entscheidung jedoch zu entnehmen ist, dass ein Ausschluss wegen schlechter Erfahrungen nur bei vergleichbaren Aufträgen in Betracht kommt, dürfte diese Auffassung zu streng sein. Wenn sich, wie im vorliegenden Fall, die schlechten Erfahrungen gerade an der Nichtausführung des Auftrages festmachen lassen, muss für die in §§ 123, 124 GWB aufgegangene Zuverlässigkeit des Bieters unerheblich sein, ob es sich nun um einen vergleichbaren Auftrag handelt oder nicht. Dem Kunstgriff der Vergabekammer, die Verletzung einer Kooperationspflicht festzustellen, hätte es dann auch nicht bedurft.

Stet nämlich fest, dass der Auftragnehmer erheblich oder fortdauernd wesentliche Anforderungen bei der Ausführung eines öffentlichen Auftrages mangelhaft erfüllt hat und hat dies zu einer vorzeitigen Beendigung geführt, dann muss dieser Befund grundsätzlich auch bei unveränderter Sachlage ausreichen, um ein Folgeangebot des betreffenden Unternehmens aus einem nachfolgendem Vergabeverfahren auszuschließen.

Die ausdrückliche Wiederholung des bereits in § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in § 124 Abs. 1 GWB soll Unternehmen vor Willkür des Auftraggebers schützen. Die Reichweite des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB darf nicht ausufern. Nicht jede Leistungsstörung, die zu einer Kündigung des Vertrages oder zu Ausübung von Sekundärrechten führt, kann einen Angebotsausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB tragen. Dies verbietet bereits das Erfordernis einer „erheblich oder fortdauernden“ Schlechtleistung. Vielmehr muss für einen Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB für öffentliche Auftraggeber genügen, dass sie zu der Überzeugung gelangen, dass die Vorfälle des Vorauftrages eine beanstandungsfreie Ausführung des künftigen Auftrages nicht gewährleisten. Die Vergabekammer spricht hierzu von einer „negativen Prognoseentscheidung“. Der Vergleichbarkeit der Auftragsgegenstände dürfte hierzu nur eine nachrangige Bedeutung zukommen.

Damit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch Auftraggeber hinreichend Rechnung getragen wird, ist vielmehr erforderlich, dass dem betreffenden Unternehmen die Möglichkeit zur Stellungnahme vor Angebotsausschluss eingeräumt wird. Auf die Stellungnahme ist dann vom Auftraggeber zu untersuchen, ob das Verhalten des Auftragnehmers, welches die schlechten Erfahrungen begründet, abgestellt wurde. Dem Auftraggeber ist hierzu ein Beurteilungsspielraum einzuräumen, der von den Vergabekammern nur eingeschränkt auf Einhaltung der Grenzen des Beurteilungsspielraums überprüft werden soll, insbesondere darauf, ob von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen worden ist, allgemeine Wertungsgrundsätze beachtet worden und keine sachwidrige Erwägungen in die Wertung eingeflossen sind (so noch zur Zuverlässigkeit: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Februar 2016, Az. VII-Verg 41/15).

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Auswirkungen auf die Praxis

Die Entscheidung zeigt, dass § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB kein stumpfes Schwert ist.

Die Vergabekammer hat nachvollziehbar aufgezeigt, dass öffentliche Auftraggeber keinesfalls dazu verpflichtet sind mit Unternehmen zusammenarbeiten zu müssen, die Aufträge schlecht oder gar nicht erbringen.

In diesem Zusammenhang sollte die Entscheidung der VK Bund, Beschl. v. 27.12.2017, Az. VK 1 – 137/17, nicht unberücksichtigt bleiben. Dort erfolgte ebenfalls ein Ausschluss des Bieters nach § 127 Abs. 1 Nr. 7 GWB, wobei der Bieter dort der Kündigung widersprach und derzeit ein Beweissicherungsverfahren bei den ordentlichen Gerichten anhängig ist. Im dortigen Fall genügte der Vergabekammer jedoch eine „Verlässlichkeit“ aus bereits vorgelegten gutachterlichen Stellungnahmen, dass der ASt auch Ausführungsmängel zur Last fallen. Einer eindeutigen und somit rechtskräftig entschiedenen Kündigungslage bedarf es für einen Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB mithin nicht. Öffentliche Auftraggeber sollten ihre Entscheidung in der Vergabeakte hinreichend dokumentieren und nach Anhörung des Bieters verschriftlichen, dass die Erfahrungen aus früheren öffentlichen Aufträgen zu einer negativen Prognoseentscheidung führen.

Bietern ist an dieser Stelle ein Studium des § 125 GWB nahezulegen. Können Bieter einem Ausschluss entgegentreten und darlegen, dass sie Maßnahmen ergriffen haben, die geeignet sind, ein weiteres Fehlverhalten zu vermeiden, muss dies der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seiner Ermessensentscheidung berücksichtigen. Bieter können auf diesem Wege eine negative Prognoseentscheidung des öffentlichen Auftraggebers möglicherweise widerlegen.

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Über Roman P. Willweber, LL.M. [2]

Roman P. Willweber ist Referent für das Vergabewesen beim Bundesamt für Güterverkehr. Zuvor war er als Rechtsanwalt in der Sozietät BHO Legal [3] in Köln und München tätig. Er ist spezialisiert auf das Vergaberecht. Dem DVNW und dem Vergabeblog [4] steht er als fachlicher Ansprechpartner zur Verfügung. Ein besonderer Interessensschwerpunkt liegt im internationalen Vergaberecht und dem GPA.

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