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Kein automatischer Ausschluss von Konzernunternehmen (EuGH, Urt. v. 17.5.2018 – C-531/16 – Specializuotas transportas)

Entscheidung-EUWenn sich zwei oder mehrere konzernverbundene Unternehmen an einem Vergabeverfahren mit verschiedenen Angeboten beteiligen, kann der vergaberechtliche Geheimwettbewerb gefährdet sein. Öffentliche Auftraggeber sind daher häufig mit besonderen Vergabefragen konfrontiert.

Art. 18 Abs. 1 UA 1 RL 2014/24/EU; § 97 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GWB, § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB

Leitsatz

Miteinander verbundene Bieter, die in demselben Vergabeverfahren gesonderte Angebote einreichen, sind nicht verpflichtet, von sich aus dem öffentlichen Auftraggeber ihre Konzernverbindungen offenzulegen, wenn dies ausdrücklich weder speziell in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen noch allgemein normativ gefordert ist.

Sachverhalt

Ein litauisches Abfallbewirtschaftungszentrum veröffentlichte einen Auftrag zur Sammlung kommunaler Abfälle. Vier Unternehmen reichten ein Angebot ein. Zwei Bieter waren Tochtergesellschaften eines nicht am Vergabewettbewerb teilnehmenden Unternehmens. Die Leitungsorgane der beiden Bieter waren mit denselben natürlichen Personen besetzt. Die Vergabeunterlagen verpflichteten ebenso wie das litauische Vergaberecht – die Bieter nicht dazu, ihre Verbindungen mit anderen an demselben Vergabeverfahren teilnehmenden Unternehmen offenzulegen.

Ein Konkurrent der beiden Bieter rügte, dass diese als verbundene Unternehmen gelten und dadurch die vergaberechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz verletzt würden. Die Angebote der beiden Bieter wären deshalb auszuschließen.

Die Entscheidung

Die Luxemburger Richter erinnern daran, dass das EU-Vergaberecht miteinander verbundenen Unternehmen nicht generell verbietet, Angebote in einem Vergabeverfahren abzugeben. Denn es besteht ein unionsweites Interesse daran, dass die Beteiligung möglichst vieler Bieter an einer Ausschreibung sichergestellt wird. Ein systematischer Ausschluss miteinander verbundener Unternehmen würde dem zuwiderlaufen (Rdnr. 21).

Außerdem ist es nicht ausgeschlossen, dass abhängige Unternehmen bei der Teilnahme an Vergabeverfahren über eine gewisse Eigenständigkeit verfügen. So können miteinander verbundene Unternehmen z.B. die Unabhängigkeit und Vertraulichkeit bei der Ausarbeitung von Angeboten für dasselbe Vergabeverfahren vertraglich geregelt haben (Rdnr. 22).

Eine Offenlegungspflicht der Bieter über ihre Verbindung mit anderen Bietern besteht allerdings nicht per se. Für die Bieter wäre die genaue Tragweite einer nicht geregelten oder ausbedungenen Offenlegungsverpflichtung schwer zu erkennen, weil es wegen der Natur des Vergabeverfahrens nicht immer möglich wäre, die Identität aller Bieter ein und desselben Verfahrens vor dem Ende der Angebotsabgabefrist in Erfahrung zu bringen. Wegen der Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung bedarf eine Offenlegungspflicht daher entweder einer normativen Regelung oder einer eindeutigen Festlegung in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen (Rdnr. 24).

Besteht keine solche im Voraus eindeutig festgelegte Offenlegungsverpflichtung miteinander verbundener Unternehmen, sind die Angebote solcher Firmen in demselben Vergabeverfahren als vergaberechtskonform einzustufen, solange und soweit keine objektiven Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die von den miteinander verbundenen Bietern eingereichten Angebote abgesprochen oder abgestimmt sind, d.h. weder eigenständig noch unabhängig abgegeben wurden (Rdnr. 25).

Hat ein öffentlicher Auftraggeber objektive Anhaltspunkte erlangt, die an der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit eines Angebotes zweifeln lassen, so muss er aber alle relevanten Umstände prüfen, um Verstöße gegen die eigenständige und unabhängige Angebotsabgabe zu verhindern, aufzudecken und zu beheben. Gegebenenfalls muss der öffentliche Auftraggeber die betroffenen Bieter auffordern, bestimmte Informationen und Beweise vorzulegen (Rdnr. 33).

Ein Angebotsausschluss kommt dann in Betracht, wenn festzustellen ist, dass die Verbindung zwischen den Bietern den Inhalt der in demselben Vergabeverfahren eingereichten Angebote beeinflusst hat. Dagegen berechtigt die bloße Feststellung eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen den miteinander verbundenen Unternehmen aufgrund von Eigentum oder wegen der Anzahl der Stimmrechte, den öffentlichen Auftraggeber noch nicht dazu, diese Unternehmen automatisch auszuschließen, ohne zu prüfen, ob sich die Verbindung auf das Verhalten der Unternehmen in diesem Vergabeverfahren konkret ausgewirkt hat (Rdnr. 38).

Rechtliche Würdigung

Der EuGH hat seine Rechtsprechung (Urt. v. 19.5.2009 C-538/07 Assitur) bestätigt, dass die Beteiligung konzernverbundener Unternehmen an ein und demselben Vergabeverfahren zu keiner unwiderleglichen Vermutung dergestalt führt, dass die Angebote wegen der gesellschaftsrechtlichen, organisatorischen oder personellen Verflechtung stets voneinander beeinflusst werden (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.5.2011 VII-Verg 8/11). Erlangt der öffentliche Auftraggeber allerdings Kenntnis (bspw. aufgrund einer Verfahrensrüge) von der Konzernverbundenheit von Bietern, muss er aktiv werden und prüfen, ob die Angebote der betroffenen Unternehmen tatsächlich eigenständig und unabhängig eingereicht wurden (vgl. auch EuGH, Urt. v. 12.3.2015 C-538/13 eVigilio, Rdnr. 44).

Objektive Anhaltspunkte für eine solche Kenntnis kann sich der öffentliche Auftraggeber auch dadurch verschaffen, indem er schon in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen eindeutig festlegt, dass die Bieter ihre Kozernverbindungen offenzulegen haben. Fehlt eine solche Regelung hingegen, sind konzernverbundene Unternehmen nicht von sich aus verpflichtet, ihre Konzernverflechtung (z.B. bereits mit der Angebotsabgabe) zu offenbaren.

Praxistipp

Öffentliche Auftraggeber dürften gut beraten sein, möglichst frühzeitig Konzernverbindungen der Bieter in Erfahrung zu bringen. Hierzu dient die eindeutige Festlegung einer entsprechenden Offenbarungspflicht in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen. Konzernverbundenen Unternehmen obliegt es dann, die konkreten Umstände und Vorkehrungen (z.B. organisatorische, technische, räumliche, personelle Trennung, sog. chinese walls) darzulegen, die eine Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Angebotsabgabe nachweisen. Andernfalls droht der Angebotsausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB.

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Über Holger Schröder [1]

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner [2] in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss "Fachanwalt für Vergaberecht" der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.

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