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Vorrang der Öffentlichen Ausschreibung bei Vergaben nach der VOL/A ist zwingend zu beachten (VK Sachen-Anhalt, Beschl. v. 15.06.2018 – 3 VK LSA 32/18

EntscheidungKeine freie Wahl der Verfahrensart in der VOL/A.

§ 3 VOL/A, § 20 VOL/A

 

Leitsatz (sofern vorhanden)

  1. Die Öffentliche Ausschreibung hat nach § 3 Abs. 2 VOL/A generell Vorrang gegenüber den weiteren Verfahrensarten der VOL/A. Andere Verfahrensarten sind nur in Ausnahmefällen zulässig. Für die Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb sind diese Ausnahmefälle vorbehaltlich landesrechtlicher Besonderheiten – im § 3 Abs. 3 VOL/A normiert.*)
  2. Die Gründe für die Auswahl einer anderen Verfahrensart als der Öffentlichen Ausschreibung sind in der Vergabedokumentation so sorgfältig zu dokumentieren, dass eine spätere Nachprüfung der Richtigkeit der getroffenen Entscheidung möglich ist. *)

Sachverhalt

Der öffentliche Auftraggeber schreibt Leistungen des Bewachungs- und Sicherungs-, Schließ- und Streifendienstes sowie des Pforten-, Informations- und Telefondienstes mit einem Auftragswert unterhalb des maßgeblichen EU-Schwellenwertes national im Wege der Beschränkten Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb nach der VOL/A aus.

Nach Ablauf der Teilnahmefrist gehen Teilnahmeanträge von insgesamt acht Bewerbern ein. Nach erfolgter Wertung der Teilnahmeanträge wählt der Auftraggeber insgesamt fünf Bewerber aus, die er zur Abgabe eines Angebotes auffordert. Der Antragsteller befindet sich nicht unter diesen fünf zur Angebotsabgabe aufgeforderten Unternehmen. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seinem Nachprüfungsantrag.

Die Entscheidung

Das Vergabeverfahren wurde vergaberechtswidrig durchgeführt.

1. Der Auftraggeber habe es unterlassen, bei der zu vergebenden Dienstleistung die Verfahrensart der Öffentlichen Ausschreibung zu wählen. Dadurch habe er gegen § 3 Abs. 2 VOL/A verstoßen. Nach dieser Vorschrift habe die Öffentliche Ausschreibung generell Vorrang gegenüber den weiteren Verfahrensarten der VOL/A. Die weiteren Verfahrensarten  – Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb und Freihändige Vergabe – können nur in Ausnahmefällen gewählt werden.

Die Ausnahmefälle für den Rückgriff auf die Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb seien – vorbehaltlich landesrechtlicher Besonderheiten – in § 3 Abs. 3 VOL/A geregelt. Ob einer der dort geregelten Ausnahmefälle eingreife, sei vom Auftraggeber zu beweisen. Im vorliegenden seien keine Gründe für einen Ausnahmefall ersichtlich.

Die hiesigen Leistungen können nach ihrer Eigenart nicht nur von einem beschränkten Kreis von Unternehmen nach § 3 Abs. 3 lit. a) VOL/A ausgeführt werden. Dieser Ausnahmetatbestand betreffe nur ganz spezielle Leistungen, die objektiv aus der Sicht eines neutralen Dritten nur von einem oder zumindest sehr wenigen spezialisierten Unternehmen erbracht werden können. Erforderlich sei, dass aufgrund der Eigenart der Leistung nur einem auf diese Eigenart spezialisierten und daher besonders geeigneten Unternehmen die sachgerechte Ausführung der Leistung möglich sei. Der Ausnahmetatbestand sei dabei eng auszulegen. Im vorliegenden Fall hätten sich bereits im Teilnahmewettbewerb acht Unternehmen beworben, denen der Auftraggeber einen hochwertigen und qualitativen Teilnahmeantrag bescheinigt und somit die notwendige Eignung bei allen acht Bewerbern grundsätzlich festgestellt habe. Von einem beschränkten Kreis von Unternehmen könne daher nicht gesprochen werden.

Auch der Ausnahmefall der Unzweckmäßigkeit der Öffentlichen Ausschreibung aufgrund besonderer Dringlichkeit nach § 3 Abs. 3 lit. b) VOL/A liege nicht vor. Voraussetzung hierfür sei es, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung der Vergabestelle nach objektiven Gesichtspunkten eine Eilbedürftigkeit des Beschaffungsvorhabens bestehe. Dies liege nicht vor, insbesondere habe der Auftraggeber Kenntnis vom bevorstehenden Vertragsende des bereits bestehenden Vertrages gehabt, sodass er Planungssicherheit für künftig durchzuführende Vergabeverfahren hatte. Besondere Eilbedürftigkeit bestehe nicht. Ein weiterer Grund für eine Unzweckmäßigkeit nach § 3 Abs. 3 lit. b) VOL/A der Öffentlichen Ausschreibung liege ebenfalls nicht vor.

2. Der Auftraggeber habe nicht nur durch die Wahl der der falschen Verfahrensart gegen das Vergaberecht verstoßen, sondern auch durch das Unterlassen einer zwingend erforderlichen Dokumentation seiner Entscheidung für die konkrete Verfahrensart. Insbesondere seien die Gründe für ein Abweichen vom Grundsatz der Öffentlichen Ausschreibung so sorgfältig zu dokumentieren, dass eine spätere Nachprüfung der Richtigkeit der getroffenen Entscheidung möglich sei. Dies sei im vorliegenden Fall nicht erfolgt. In den Vergabeunterlagen mangele es vielmehr an jeglicher Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 VOL/A. Dadurch habe der Auftraggeber gegen § 20 VOL/A verstoßen. Die ordnungsgemäße Dokumentation des Vergabeverfahrens nach § 20 VOL/A sei im Sinne des Transparenzgebotes zwingende Voraussetzung für ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung ist in ihrer Betonung des Vorrangs der öffentlichen Ausschreibung und der Bedeutung der Dokumentation eindeutig.

Mit dem § 8 Abs. 2 UVgO wird mit der flächendeckenden Einführung der UVgO in allen Bundesländern künftig der Vorrang der Öffentlichen Ausschreibung wegfallen. Doch obwohl die UVgO dem Auftraggeber künftig ein Wahlrecht zwischen der Öffentlichen Ausschreibung und der Beschränkten Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb einräumt, können die anderen Verfahrensarten der UVgO (Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb und Verhandlungsvergabe mit oder ohne Teilnahmewettbewerb) nur unter den im § 8 Abs. 3 und Abs. 4 UVgO geregelten Ausnahmetatbeständen gewählt werden. Der Mechanismus bleibt damit auch in der UVgO unverändert, sodass die Rechtsanwender auch künftig zweistufig prüfen müssen: (1.) welche Verfahrensart Vorrang hat und (2.) ob die Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestands erfüllt sind.

Praxistipp

Öffentlichen Auftraggebern ist daher zwingend zu empfehlen, die vorrangig zu verwendende Verfahrensart zu beachten und Ausnahmen nach den jeweiligen Ausnahmetatbeständen kritisch zu prüfen. Grundsätzlich ist dabei zu beachten, dass die Ausnahmetatbestände, aufgrund eben dieses Ausnahmecharakters, restriktiv auszulegen sind.

Die kritische Prüfung der Ausnahmetatbestände und eine auf ihr beruhende Entscheidung für eine andere Verfahrensart als der jeweils vorrangigen, kann aber nur Bestand haben, wenn die Gründe für eine andere Verfahrensart in der Vergabedokumentation dokumentiert sind. Hier sind keine Besinnungsaufsätze über die Vor- und Nachteile der jeweiligen Verfahrensarten zu verfassen. Erforderlich sind vielmehr knappe und fundierte Ausführungen zu den Gründen, die die Anwendung des jeweils gewählten Ausnahmetatbestands erlauben. Der Rückgriff auf die maßgeblichen von der Literatur und Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zu den jeweiligen Ausnahmetatbeständen ist dabei zu empfehlen. Dies gilt auch für Unterschwellenvergaben nach der UVgO, denn § 6 UVgO entspricht weitgehend den § 20 VOL/A.

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Über Anes Kafedzic [1]

Anes Kafedžić ist Rechtsanwalt bei LANGWIESER RECHTSANWÄLTE Partnerschaft mbB [2]. Das Tätigkeitsspektrum von Herrn Kafedžić umfasst die gesamte Bandbreite des Vergaberechts. Im Rahmen dessen berät er seine Mandanten bei der Vorbereitung und Durchführung von Ausschreibungen sowie bei der Erstellung von Angeboten. Darüber hinaus übernimmt er die Vertretung seiner Mandanten in vergaberechtlichen Rechtschutzverfahren sowie bei der Durchsetzung und Abwehr von Ansprüchen vergaberechtlichen Ursprungs, z.B. Schadensersatz- und Akteneinsichtsansprüche.

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