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Outgesourcte Angebotsöffnung nur bei konkretem Manipulationsverdacht unzulässig? (VK Lüneburg, Beschl. v. 08.05.2018 – VgK-10/2018)

EntscheidungDie Vergabekammer Südbayern hat Anfang dieses Jahres entschieden, dass gemäß § 55 Abs. 2 VgV die Angebotsöffnung nur durch zwei Mitarbeiter des Auftraggebers durchgeführt werden dürfe (vgl. dazu den Beitrag der Verfasserin: Vergabeblog.de vom 08/03/2018, Nr. 36133). Auftraggeber dürften demnach Beratern, die das Vergabeverfahren begleiten, nicht die Angebotsöffnung übertragen. Die Vergabekammer Lüneburg sieht dies etwas anders.

§ 55 Abs. 2 Satz 1 VgV

Leitsatz

Anders als die Vergabekammer Südbayern geht die Vergabekammer von einer Verletzung des § 55 Abs. 2 VgV nur dann aus, wenn zumindest die konkrete Möglichkeit besteht, dass einer der bei der Submission anwesenden Vertreter mit einem der Anbieter zusammengearbeitet haben könnte. Liegt dies nicht vor, so handelt es sich nur um einen Dokumentationsmangel gemäß § 8 VgV, der grundsätzlich im Vergabenachprüfungsverfahren geheilt werden kann.

Sachverhalt

Infolge einer europaweiten Ausschreibung nach den Bestimmungen der VgV griff ein unterlegener Bieter die Auswahlentscheidung mit einem Nachprüfungsverfahren an. Nach Akteneinsicht machte er auch einen Verstoß gegen § 55 Abs. 2 VgV geltend, da laut Niederschrift über die Angebotsöffnung nicht zwei Mitarbeiter des Auftraggebers die Angebotsöffnung durchgeführt hätten, sondern zwei Mitarbeiter eines beauftragten Ingenieurbüros. Der Auftraggeber trug daraufhin vor, dass die zweite Seite der Niederschrift fehle. Aus dieser ergebe sich, dass zwei seiner Bediensteten die Öffnung der Angebote durchgeführt hätten. Das beauftragte Ingenieurbüro habe lediglich die nachgerechneten Angebotsendsummen in die Zusammenstellung übertragen und dies entsprechend in der Niederschrift vermerkt.

Die Entscheidung

Im Ergebnis bleibt der Nachprüfungsantrag zwar ohne Erfolg.

Allerdings äußert die Vergabekammer Lüneburg Verständnis für die Auffassung der Vergabekammer Südbayern und ergänzt, sie habe selbst bereits über einen Fall zu befinden gehabt, in dem ein beauftragtes Ingenieurbüro mit einem Anbieter kollusiv zusammengearbeitet habe.

Sie vertritt daher ebenfalls eine vom Wortlaut der Norm losgelöste Ansicht und lehnt einen Verstoß gegen § 55 Abs. 2 VgV nur im konkreten Fall ab, da es keine Anhaltspunkte für eine Kollusion gebe. Zur Begründung führt sie aus, bei der Vorschrift handele es sich nicht um ein abstraktes sondern um ein konkretes Gefährdungsdelikt. Eine Zurückversetzung sei nur notwendig, wenn wenigstens die konkrete Möglichkeit bestehe, dass einer der Vertreter mit einem der Anbieter zusammen gearbeitet haben könnte. Anderenfalls handele es sich nur um einen Dokumentationsmangel gemäß § 8 VgV, der im Nachprüfungsverfahren grundsätzlich geheilt werden könne.

Rechtliche Würdigung

Es ist zwar erfreulich, dass die Vergabekammer Niedersachsen der sehr weitgehenden Entscheidung der Vergabekammer Südbayern nicht (vollständig) folgt.

Im Übrigen ist aber auch diese Entscheidung rechtlich nicht nachvollziehbar.

Der Wortlaut des § 55 Abs. 2 Satz 1 VgV ist sehr klar:

Die Öffnung der Angebote wird von mindestens zwei Vertretern des öffentlichen Auftraggebers gemeinsam an einem Termin unverzüglich nach Ablauf der Angebotsfrist durchgeführt.

Wenn also zwei Mitarbeiter eines beauftragten Ingenieurbüros als Vertreter des Auftraggebers die Angebote öffnen, entspricht dies den vergaberechtlichen Vorgaben. Insbesondere steht dies mit dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck des § 55 Abs. 2 Satz 1 VgV im Einklang (vgl. hierzu schon den Beitrag der Verfasserin zur Entscheidung der VK Südbayern: Vergabeblog.de vom 08/03/2018, Nr. 36133). Die Norm regelt kein strafrechtliches Delikt (weder abstrakt noch konkret), sondern bestimmt schlicht als vergaberechtliche Verfahrensvorschrift den Ablauf der Angebotsöffnung.

Wenn in einem konkreten Fall wirklich Anhaltspunkte für ein kollusives Zusammenwirken vorliegen, dürfte es im Übrigen auch kaum ausreichen, die tatsächlichen Vorgänge ungeklärt zu lassen und einfach die Angebotsöffnung zu wiederholen. Vielmehr wäre wohl u.a. je nach Sachverhalt ein Ausschluss des betreffenden Unternehmens, etwa gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3, 5 oder 9 GWB, zu prüfen. Zudem wäre ein etwaiger Vertragsschluss im Falle der Kollusion (grds. auch nach Ablauf der sechs-Monatsfrist) gemäß §138 BGB angreifbar, mit dem Risiko eines möglichen vollständigen Verlusts aller wechselseitigen Ansprüche im Falle einer anschließenden Rückabwicklung. Des Weiteren drohen den Beteiligten selbstverständlich auch strafrechtliche Konsequenzen.

Praxistipp

Eine Klärung der Rechtsfrage in wortlautgetreuer Anwendung des § 55 Abs. 2 VgV wäre aus Sicht der Praxis wünschenswert. Bis dahin ist öffentlichen Auftraggebern aber weiterhin zu empfehlen, die Angebotsöffnung sicherheitshalber durch eigene Mitarbeiter oder zumindest in Ihrem Beisein durchführen zu lassen und dies auch entsprechend zu dokumentieren.

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Über Dr. Valeska Pfarr, MLE

Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.

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