- Vergabeblog - https://www.vergabeblog.de -

Open-House-Verträge viele Risiken, wenig Chancen oder doch das next big thing? (VK Bund, Beschl. v. 25.10.2018 – VK 2-92/18)

EntscheidungBei Open-House-Verfahren handelt es sich um reine (nicht exklusive) Zulassungsverfahren bei denen der öffentliche Auftraggeber jedem geeigneten Wirtschaftsteilnehmer während der Laufzeit des Vertrags ein Beitrittsrecht zur relevanten Rahmenvereinbarung einräumt und dabei keine Auswahlentscheidung trifft. Es liegt kein Open-House-Verfahren vor, wenn der Auftraggeber keine eindeutigen und klaren Regeln über den Vertragsschluss und den Vertragsbeitritt festlegt. Es liegt ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor, wenn der Auftraggeber einzelnen Unternehmen die Möglichkeit zu exklusiven Vertragsverhandlungen gibt und ihnen die von anderen Unternehmen eingereichten Vorschläge zur Optimierung der Leistung mitteilt.

§§ 103, 135 GWB; § 127 Abs. 5 SGB V

Sachverhalt

Die Streitigkeit betrifft den Abschluss mehrerer Verträge über die Lieferung von Hilfsmitteln i.S.d. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V gemäß dem Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 SGB V durch die Antragsgegnerin (Ag), eine gesetzliche Krankenkasse.

Bis zum 30.09.2018 erfolgte die Versorgung der Versicherten der Ag auf der Basis exklusiver Rahmenverträge durch acht verschiedene Leistungserbringer in 16 Regionallosen (je Losgebiet ein Lieferant, sog. Ein-Partner-Modell). Ein solcher Rahmenvertrag bestand auch mit der Antragstellerin (Ast).

Die Ag beabsichtigt zur Versorgung ihrer Versicherten ab dem 01.10.2018 einen neuen Versorgungsvertrag gem. § 127 Abs. 2 SGB V abzuschließen. Hierzu wurde bereits Ende 2017 / Anfang 2018 eine Markterkundung durchgeführt, bei der im Ergebnis festgestellt wurde, dass Anschlussverträge auf dem Preisniveau der Ausschreibungsverträge mit sogar besseren Leistungen als Verhandlungsverträge nach § 127 Abs. 2 SGB V möglich sind. Hierdurch sollten auch die Ziele des Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung umgesetzt werden und für die Versicherten eine spürbare Qualitätssteigerung in Form erweiterter Service-, Dienst- und Versorgungsleistungen einhergehen.

Die Ag veröffentlichte auf ihrer firmeneigenen Internetseite eine Bekanntmachung nach § 127 Abs. 2 Satz 3 SGB. In dieser Bekanntmachung heißt es u.a.:

Nach Abschluss der Verhandlungen bestand die Möglichkeit eines Vertragsbeitrittes nach § 127 Abs. 2a SGB V. Für interessierte Leistungserbringer standen die geschlossenen Verträge sukzessive im Vertragsmanager zur Verfügung. Im Anschluss wurde das Verfahren entsprechend umgesetzt und die Vertragsentwürfe mit den Interessenten präzisiert.

Der Ag ist der Ansicht, dass die beitrittsfähigen Verträge nicht der Ausschreibungspflicht unterliegen und folglich keine öffentlichen Aufträge im Sinne des Vergaberechts sind. Es finde keine exklusive Auswahlentscheidung zugunsten eines oder weniger Leistungserbringer statt. Vielmehr können alle geeigneten Leistungserbringer den Verträgen beitreten. Es handele sich daher um ein vergaberechtsfreies Zulassungsmodell. Die dennoch geltenden Grundsätze der Nichtdiskriminierung, Gleichbehandlung und Transparenz seien durch das von der Ag gewählte und durchgeführte Verfahren gewahrt.

Dagegen wendet sich die Ast. Sie vertritt die Ansicht, der Ag habe einen öffentlichen entgegen den vergaberechtlichen Vorschriften nicht ausgeschrieben, sondern unzulässige de-facto-Verträge in einem Verhandlungsverfahren geschlossen.

Die Entscheidung

Die VK Bund schließt sich dieser Sichtweise an. Ein dem Bund zuzurechnender öffentlicher gemischter Liefer- und Dienstleistungsauftrag im Anwendungsbereich des GWB liegt vor. Die verfahrensgegenständlichen Rahmenverträge sind gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB unwirksam.

Grundsätzlich sind Verträge durch gesetzliche Krankenkassen, in deren Eigenschaft als öffentliche Auftraggeber, nach den für öffentliche Aufträge geltenden Vorschriften zu vergeben. Als Ausnahme von diesem Grundsatz ist anerkannt, dass es reine (nicht exklusiv oder selektiv wirkende) Zulassungsverfahren geben kann, die einem Beschaffungsvorgang den Charakter eines öffentlichen Auftrages nehmen. Sie können folglich ohne Anwendung des Vergaberechts durchgeführt werden. Zentrales Merkmal für ein vergaberechtsfreies Zulassungsverfahren ist das Fehlen einer Auswahlentscheidung des öffentlichen Auftraggebers zwischen mehreren Angeboten, verbunden mit der Möglichkeit aller Wirtschaftsteilnehmer, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, sich hieran zu beteiligen. Nach der Rechtsprechung setzt dies voraus, dass für alle geeigneten Marktteilnehmer ein offener Zugang zu gleichen Bedingungen unter Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und des Transparenzgebotes gewährleistet sein muss (z.B. EuGH, Urteil vom 1. März 2018, C-9/17 – Tirkkonen). Im Ergebnis liegt eine Auswahlentscheidung als Merkmal eines öffentlichen Auftrags nur dann nicht vor, wenn eine Diskriminierung und Ungleichbehandlung von Wirtschaftsteilnehmern in materieller und verfahrensbezogener Hinsicht ausgeschlossen sind.

Diesen Anforderungen hat das streitgegenständliche Beschaffungsverfahren des Ag in mehrfacher Hinsicht nicht genügt. Dabei kann nach Ansicht der Vergabekammer zunächst dahinstehen, ob die Bekanntmachung auf der firmeneigenen Internetseite den Anforderungen genügte oder vielmehr eine vorherige europaweite Bekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der EU erforderlich gewesen wäre.

Rechtliche Würdigung

Bei einem Open-House-Modell handelt es sich um ein nicht exklusives Zulassungsverfahren, bei dem der öffentliche Auftraggeber jedem geeigneten Wirtschaftsteilnehmer während der Laufzeit ein Beitrittsrecht zur relevanten Rahmenvereinbarung einräumt und dabei keine Auswahlentscheidung zwischen den Angeboten trifft. Ein solches Zulassungsverfahren, bei dem eine Gefahr der exklusiven oder selektiven Bevorzugung von vorneherein ausgeschlossen ist, liegt außerhalb des Schutzbereichs des Vergaberechts.

Die VK Bund stellt anhand der in Rede stehenden Hilfsmittelbeschaffung deutlich und völlig zutreffend heraus, dass (jedenfalls) zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen für die Annahme eines reinen, vergaberechtsfreien Zulassungsverfahrens in Gestalt eines Open-House-Modells.

Diese Voraussetzungen lagen im zu entscheidenden Sachverhalt ersichtlich nicht vor. Anders lag der Sachverhalt noch in der Kontrastmittelentscheidung der VK Bund vom 07.05.2018 Az. VK 1 31/18 (vgl. hierzu Fritz, Vergabeblog.de vom 03/09/2018, Nr. 37706 [1]). Dieser Fall betraf die Beschaffung von Kontrastmittelwirkstoffen durch eine Krankenkasse. Die Auswahlentscheidung hatte dort nicht der Auftraggeber (die Krankenkasse) zu treffen, sondern die Ärzte in den Vertragsarztpraxen. Die Ärzte konnten also zwischen den Produkten der verschiedenen Anbieter, die sich erfolgreich an dem Open-House-Verfahren beteiligt hatten, frei auswählen.

Praxistipp

Zum einen sind Open-House-Verträge bei Vergaben im Sozialwesen durch die gesetzlichen Krankenkassen mittlerweile weit verbreitet und anerkannt. Eine Suche nach aktuellen Bekanntmachungen in Deutschland auf der TED-Seite hat am 19.12.2018 zu den Stichworten Open-House und Arzneimittel ein Suchergebnis von 1.070 aktuellen (!) Bekanntmachungen ergeben. Gegen diese Entwicklung ist grundsätzlich nichts einzuwenden, sofern die Auftraggeber dabei die Spielregeln einhalten. Dies setzt voraus, dass man sich die Voraussetzungen für Open-House-Verfahren sehr genau vor Augen führt und diese im Vorfeld bejaht. Hier ist eine Prüfung des konkreten Einzelfalls unumgänglich.

Zum anderen gibt es die Tendenz, Open-House-Verträge auch in anderen Bereichen anwenden zu wollen, beispielweise beim Abschluss von Rahmenverträgen zur Personalüberlassung. Grund hierfür ist häufig das Bestreben zum Abschluss einer flexiblen, weil offenen, Rahmenvereinbarung (entgegen § 21 Abs. 2 Satz 2 VgV). In aller Regeln wird dies aber nicht zulässig sein, weil die oben skizzierten Voraussetzungen nicht vorliegen werden. Sofern man tatsächlich eine offenen Rahmenvereinbarung abschließen möchte, bietet sich vielmehr der Betrieb eines dynamischen Beschaffungssystems im Sinne der §§ 22 ff. VgV an. Hier muss dann lediglich die Hürde der Marktüblichkeit der Leistungen genommen werden.

Avatar-Foto

Über Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG [2]

Der Autor Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG, ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte [3] in Berlin. Er berät seit über 20 Jahren öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe-, zuwendungs-, haushalts- und preisrechtlichen Fragestellungen. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

Teilen
[5] [6] [7] [8] [9]