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Rahmenvertrag über Postdienstleistungen erneut auf dem Prüfstand! (OLG Celle, Beschl. v. 19.03.2019 – 13 Verg 7/18)

EntscheidungDie Pflicht zu einer eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung endet an der Grenze des Mach- und Zumutbaren und bestimmt sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Verfügt der Auftraggeber nicht über alle Informationen der auszuführenden Leistung, muss er sich nicht aufwendig neue Daten besorgen, um die Grundlagen für die Kalkulation der Bieter zu optimieren. Die Gewichtung der Zuschlagskriterien ist rechtswidrig, wenn die Wertung eines Zuschlagskriteriums sowohl für sich genommen als auch in der Gesamtschau der Zuschlagskriterien dazu führt, dass im Wesentlichen nur ein Unternehmen realistische Aussichten auf den Zuschlag hat. Die Grenze zur Vergaberechtswidrigkeit ist dann überschritten, wenn bestimmten qualitativen Wertungskriterien ein Gewicht zugemessen wird, dass sachlich nicht zu rechtfertigen ist und deshalb die Annahme naheliegt, dass dadurch ein oder einzelne – wenige – Unternehmen bevorzugt werden sollen.

§§ 97 Abs. 2, 122, 124 GWB; 58 VgV

Sachverhalt

Die Antragstellerin begehrt die Feststellung verschiedener Vergaberechtsverstöße in einem Vergabeverfahren über die Neuausschreibung eines Rahmenvertrages über Postdienstleistungen, nachdem der Auftraggeber das gegenständliche Vergabeverfahren aufgehoben hat.

Der Antragsgegner hat mit Bekanntmachung vom 20.04.2018 im offenen Verfahren einen Rahmenvertrag über Postdienstleistungen insbesondere für die unmittelbaren Landesbehörden des Landes europaweit ausgeschrieben. In der Bekanntmachung wurde im Hinblick auf die Rügefristen / die Rügepräklusion nur allgemein auf die Vorschrift des § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB verwiesen. Der Zuschlag sollte auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt werden, das anhand der Zuschlagskriterien Preis (zu 30 %), Einheitliches Codiersystem (zu 20 %), Möglichkeit der E+1-Zustellung (zu 20 %) und Quote der garantierten E+1-Zustellung (zu 30 %) ermittelt werden sollte. Dabei war weiter vorgesehen, dass das Zuschlagskriterium Preis dergestalt gewertet werden sollte, dass das Angebot mit dem niedrigsten Preis 300 Punkte erhält und das Angebot mit dem Doppelten des niedrigsten Preises 0 Punkte. Für die Ermittlung der dazwischenliegenden Preise sollte linear interpoliert werden.

Die Antragstellerin rügte die Unzulässigkeit dieser Zuschlagskriterien sowohl für sich genommen als auch in ihrer Gewichtung, sowie verschiedene weitere vermeintliche Vergabefehler. Nach der Aufhebung des Vergabeverfahrens begehrt die Antragstellerin nunmehr im Beschwerdeverfahren unter Wiederholung und Vertiefung ihres bereits gegenüber der Vergabekammer gehaltenen Vorbringens die Feststellung verschiedener Vergaberechtsverletzungen insbesondere deshalb, weil aufgrund der beabsichtigten Neuausschreibung eine Wiederholungsgefahr bestehe.

Die Entscheidung

Die zulässige sofortige Beschwerde ist mit den gestellten Fortsetzungsfeststellungsanträgen (teilweise) begründet.

1. Präklusion wegen Verstoßes gegen die Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB auch bei unzureichender EU-Bekanntmachung möglich!

Der Nachprüfungsantrag ist zunächst nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB teilweise unzulässig gewesen. Der Präklusion der ordnungsgemäß zurückgewiesenen Rügen steht nicht entgegen, dass der Antragsgegner unzureichend auf die maßgebliche Frist nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB in der EU-Bekanntmachung hingewiesen hätte. Zwar ist grundsätzlich bereits in der EU-Bekanntmachung auf diese Frist hinzuweisen. Dieser Hinweis hat durch eine konkrete Benennung der Frist zu erfolgen. Es genügt nicht nur allgemein auf die Vorschrift des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB hinzuweisen. Die Präklusionswirkung tritt vorliegend aber dennoch ein, weil der Antragsgegner insbesondere in dem die Rügen zurückweisenden Schreiben hinreichend deutlich auf diese Frist hingewiesen hat.

2. Eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung endet an der Grenze des Mach- und Zumutbaren; bei Rahmenvereinbarungen größerer Spielraum!

Grundsätzlich ist der Auftragsgegenstand nach § 121 GWB in der Leistungsbeschreibung so eindeutig und erschöpfend wie möglich zu beschreiben. Hiernach besteht insbesondere das Gebot, alle kalkulationsrelevanten Umstände so eindeutig und erschöpfend zu beschreiben, dass alle Bieter die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und miteinander vergleichbare Angebote zu erwarten sind. Dieses Gebot gilt dabei nicht uneingeschränkt. Es endet an der Grenze des Mach- und Zumutbaren und bestimmt sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Auftraggeber ist nicht gehalten, zusätzlich zu den ihm vorliegenden Erkenntnissen aufwendig neue Daten zu erheben, um die Grundlagen für die Kalkulation für die Bieter zu optimieren. Der Auftraggeber hat diejenigen Daten bekannt zu geben, über die er verfügt oder die er sich gemessen an den Grundsätzen der Zumutbarkeit mit der Ausschreibung adäquaten Mitteln, in der für das Vergabeverfahren zur Verfügung stehenden vergleichsweise kurzen Zeit und mit den dafür in der Regel nur begrenzt verfügbaren administrativen Ressourcen beschaffen kann.

Betreffend den hier infrage stehenden Abschluss einer Rahmenvereinbarung sind die Gebote der Bestimmtheit, Eindeutigkeit und Vollständigkeit der Leistungsbeschreibung noch weiter eingeschränkt. So bestimmt § 21 Abs. 1 Satz 2 VgV, dass das in Aussicht genommene Auftragsvolumen so genau wie möglich zu ermitteln und bekannt zu geben ist, aber nicht abschließend festgelegt zu werden braucht. Entsprechendes gilt auch für andere Leistungsbedingungen wie etwa die Leistungszeit. Auch hier ist der Auftraggeber aber verpflichtet, seinen voraussichtlichen Bedarf so sorgfältig zu ermitteln, wie dies möglich und zumutbar ist. Ist dies nicht möglich, reicht es aus, bisherige Erfahrungswerte zugänglich zu machen, die dem Bieter möglichst präzise mitzuteilen sind, damit sie selbst die in der Zukunft erfolgenden Einzelaufträge hinreichend sicher prognostizieren können.

3. Gewichtung der Zuschlagskriterien muss dem Diskriminierungsverbot gerecht werden!

Die vorliegend für die Vergabe vorgesehenen Zuschlagskriterien sind als solche nicht zu beanstanden.

Die Gewichtung der drei qualitativ geprägten Zuschlagskriterien verstößt im Verhältnis zur Gewichtung des Preiskriteriums unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalls allerdings gegen das Diskriminierungsverbot nach § 97 Abs. 2 GWB und ist daher unzulässig. In der Gesamtschau einerseits der Formulierung und Gewichtung der Zuschlagskriterien für sich genommen und andererseits der zu erwartenden Auswirkungen auf die Vergabeentscheidung unter Berücksichtigung der weiteren Zuschlagskriterien diskriminieren sie in vergaberechtlich unzulässiger Weise insbesondere die Antragstellerin sowie allgemein Wettbewerber der Deutsche Post AG, die sich nicht darauf beschränken wollen, Postsendungen bloß einzusammeln und zur weiteren Beförderung und Zustellung an die Deutsche Post AG zu übergeben.

Grundsätzlich ist dem Auftraggeber zwar ein weiter Beurteilungs- und Handlungsspielraum dafür eröffnet, anhand der Bestimmung und Gewichtung von Zuschlagskriterien festzulegen, welche Qualität die Leistung vorzugsweise haben soll, wie mithin das wirtschaftlich günstigste Angebot zu bestimmen ist. Dieser Beurteilungsspielraum ist gerichtlich nur eingeschränkt daraufhin zu kontrollieren, ob Verfahrensvorschriften und Begründungspflichten beachtet worden sind, der Sachverhalt richtig ermittelt wurde und kein offensichtlicher Beurteilungsfehler oder Ermessensmissbrauch vorliegt. Auch ist zu berücksichtigen, dass ein hoher Einfluss von Qualitätskriterien auf die Zuschlagsentscheidung zwar u. U. einzelnen Anbietern, namentlich dem ressourcenstarken früheren Inhaber eines Monopols, mehr als anderen Bietern entgegenkommt, was allerdings die Verwendung eines bestimmten Wertungsschemas für sich genommen noch nicht als vergaberechtswidrig erscheinen lässt. Die Grenze zur Vergaberechtswidrigkeit ist jedoch überschritten, wenn qualitativen Wertungskriterien einzeln oder in ihrer Gesamtheit ein Gewicht zugemessen würde, das sachlich nicht zu rechtfertigen ist und deshalb die Annahme nahelegt, dass die Kriterien so ausgestaltet wurden, dass nur ein oder einzelne Unternehmen realistische Aussichten auf den Zuschlag haben, während andere Anbieter trotz Vergabe im offenen Verfahren und objektiv gegebener Eignung von vornherein chancenlos wären.

Rechtliche Würdigung

Es ist erstaunlich mit welcher Regelmäßigkeit in den letzten 10 Jahren Verfahren über die Vergabe von Postdienstleistungen immer wieder die Vergabenachprüfungsinstanzen beschäftigen. Noch erstaunlicher ist allerdings, dass die Auftraggeber bei solchen Vergaben immer wieder ähnliche Fehler begehen, obgleich es mittlerweile hinreichend belastbare Rechtsprechung insbesondere zur Bildung und Gewichtung von Zuschlagskriterien gibt. Nicht zuletzt hat der BGH in seiner vielbeachteten Schulnotenentscheidung vom 04.04.2017 zum Az. X ZB 3/17 (Schustereit, Vergabeblog.de vom 28.05.2017, Nr. 31668 [1]) unter den Rn. 34 ff. eindeutig Position bezogen: Immer dann, wenn die Zuschlagskriterien als solche oder deren Gewichtung dazu führen (können), dass der Platzhirsch bzw. der (ehemalige) Monopolist in objektiv nicht zu rechtfertigender Art und Weise bessere Chancen im Vergabeverfahren hat, wird die Zulässigkeitsschranke überschritten. Die Freiheit zur Bildung und Gewichtung von Zuschlagskriterien ist also gerade nicht grenzenlos. Sie ist abhängig von dem betroffenen Markt und dessen Gegebenheiten. Gibt es wie vorliegend bei der Vergabe von Postdienstleistungen einen übermächtigen Marktteilnehmer muss der Auftraggeber bei der Bildung und Gewichtung der Zuschlagskriterien darauf besonders Rücksicht nehmen und die Grundlagen dafür schaffen, dass der Wettbewerb nicht nur sprichwörtlich auf dem Papier stattfindet. Ungeachtet dieses Aspekts lassen sich der Entscheidung weitere interessante Aspekte entnehmen, die für Vergaben aller Couleur von Interesse sind:

(1) Ein Verstoß gegen die Bestimmung, auf die Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB bereits in der Bekanntmachung hinzuweisen, kann nach Auffassung des Vergabesenats durch einen späteren Hinweis in der Rügezurückweisung mit der Folge geheilt werden, dass die Präklusionsvorschrift des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB Anwendung findet. Der vor allem in der Literatur vertretenen Gegenauffassung hat der Senat damit zu Recht eine deutliche Absage erteilt. Denn wie der Senat zutreffend ausführt dem Schutzzweck der Bestimmung, die als Rechtsbehelfsfrist einzuordnende Frist bereits in der Vergabebekanntmachung zu bezeichnen, wird für den jeweiligen Bieter durch einen solchen hinreichend transparenten Hinweis in der Rügezurückweisung in mindestens gleicher Weise genügt. Ein möglicher Irrtum über die Obliegenheit, fristgemäß einen Nachprüfungsantrag zu stellen, wird hierdurch ausreichend korrigiert, sodass eine mögliche Fristversäumung jedenfalls nicht mehr zurechenbar auf der insoweit unzureichenden Bekanntmachung beruht. Es besteht deshalb keine Rechtfertigung, in diesen Fällen die Präklusionswirkung auszuschließen.

(2) Ausschreibungsreife setzt u.a. neben einen hinreichend belastbaren Kostenschätzung voraus, dass die nachgefragte Leistung hinreichend eindeutig und erschöpfend beschrieben wird. Die Betonung liegt hierbei auf hinreichend. Denn regelmäßig gehen die Vorstellungen von Bietern und Auftraggeber diesbezüglich (weit) auseinander. Der Vergabesenat hat die Grenzziehung vorliegend zutreffend herausgearbeitet: diejenigen Daten sind bekannt zu geben, über die der Auftraggeber verfügt oder die er sich gemessen an den Grundsätzen der Zumutbarkeit ohne weiteres beschaffen kann. Er ist dagegen nicht gehalten, aufwendig neue Daten zu erheben, um die Grundlagen für die Kalkulation für die Bieter zu optimieren.

Praxistipp

Auftraggeber sind gehalten bei der Vergabe von Postdienstleistungen und ähnlichen Leistungen mit einem sehr markmächtigen Unternehmen sowohl bei der Festlegung, als auch bei der Gewichtung der Zuschlagskriterien etwaige Wettbewerbsvorteile zu Gunsten des einen Unternehmens möglichst zu eliminieren. In jedem Fall ist ein halbwegs fairer Wettbewerb um die Leistung zwischen den geeigneten Unternehmen zu ermöglichen. Anhaltspunkte für die rechtlich zu beachtenden Maßstäben können diesem Beschluss sowie den Entscheidungen des BGH vom 04.04.2017 (Az. X ZB 3/17) und des OLG Düsseldorf vom 07.06.2017 (Az. VII-Verg 53/16 zur Beschaffung von zwei PET-MRT-Geräten) entnommen werden. Darüber hinaus und unabhängig davon ist darauf zu achten, eine Leistungsbeschreibung zu veröffentlichen, die allen potentiellen Bietern hinreichende Kenntnisse über den Vergabegegenstand verschafft. Dabei können auch bisherige Erfahrungswerte Berücksichtigung finden. Die Kombination aus einer hinreichend aussagekräftigen Leistungsbeschreibung und objektiv nachvollziehbaren und damit diskriminierungsfreien Zuschlagskriterien (mit entsprechender Gewichtung) erhöht unweigerlich die Rechtssicherheit des Verfahrens und zwar sowohl im Falle eines Nachprüfungsverfahrens, als auch bei Bestehen eines Zuwendungsverhältnisses mit Vergabeklausel im Zeitpunkt der Verwendungsnachweisprüfung.

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Über Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG [2]

Der Autor Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG, ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte [3] in Berlin. Er berät seit über 20 Jahren öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe-, zuwendungs-, haushalts- und preisrechtlichen Fragestellungen. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

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