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Die exakte Punktevergabe innerhalb einer Bewertungsstufe bei einem qualitativen Zuschlagskriterium ist alleinige Sache der Vergabestelle (VK Nordbayern, Beschl. v. 01.03.2019 – RMF-SG21-3194-4-3)

EntscheidungDie exakte Punktevergabe unterliegt einem Beurteilungsspielraum der Vergabestelle und beinhaltet notwendigerweise auch subjektive Bestandteile. Eine Vergabestelle muss nicht detailliert beschreiben, wie sie die Bewertung eines Qualitätskriteriums im Einzelnen durchführen wird. Es genügt wenn es für die Bieter klar ist, auf was es ihr ankommt. Es ist daher insbesondere nicht erforderlich, dass die genaue Punktevergabe rechnerisch nachvollzogen werden kann.

§ 17 VgV

Leitsatz

  1. Die Wertungsentscheidung muss den an sie zu stellenden vergaberechtlichen Anforderungen genügen. Dazu gehört, dass das vorgeschriebene Verfahren für die Bewertung eingehalten und der Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt wird sowie die von der Vergabestelle selbst aufgestellten Vorgaben beachtet und keine sachwidrigen und gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßenden Erwägungen angestellt werden.
  2. Eine Punktevergabe erfolgt auf der Grundlage einer wertenden Beurteilung des Entscheidungsträgers. Dass bei den Vorgaben subjektive Komponenten (im Sinne von Einschätzungen, nicht im Sinne von willkürlichen persönlichen Präferenzen) eine wesentliche Rolle spielen, ist offensichtlich.
  3. Die Vergabestelle hat die Pflicht, die für die Zuschlagserteilung maßgeblichen Erwägungen in allen Schritten so eingehend zu dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, welche konkreten qualitativen Eigenschaften der Angebote mit welchem Gewicht in die Benotung eingegangen sind. Wird die Auswahlentscheidung zur Vergabenachprüfung gestellt, untersucht die Nachprüfungsinstanz gerade auch die Benotung des Angebots des Antragstellers als solche und in Relation zu den übrigen Angeboten, insbesondere demjenigen des Zuschlagsprätendenden.
  4. Bei der Benotung der Angebote kommt es nicht darauf an, jeden Benotungswert rechnerisch herzuleiten. Die Vergabestelle hat keine Verpflichtung, einen Rechenweg der Gesamtpunktzahl genauestens darzustellen. Auch hat sie im Nachhinein keine Unterkriterien herauszuarbeiten bzw. diese mit genauen Punktzahlen zu bezeichnen. Es genügt, wenn die Vergabestelle dokumentiert, auf welche Aspekte sie die Bewertung im Einzelnen stützt. Sie hat dabei die Aspekte zu bezeichnen, denen sie positiv oder negativ besonderes Gewicht beimisst.

Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb in einem Verhandlungsverfahren Leistungen zur Tragwerksplanung aus.

Die Zuschlagskriterien legte die Vergabestelle wie folgt fest:

Maximal können 100 Punkte erreicht werden. Die Bewertung setzt sich wie folgt zusammen:
Preis max. 70 Punkte,
Personaleinsatzkonzept max. 30 Punkte“

Die Bewertung der einzureichenden Personaleinsatzkonzepte beschrieb die Vergabestelle wie folgt:

„Das Kriterium wird mit maximal 30 Punkten bewertet.

Der Bieter muss mit seinem Angebot ein Personaleinsatzkonzept einreichen. Dieses Konzept darf einen Umfang von 2 DIN A4 Seiten nicht überschreiten. Mit dem Personaleinsatzkonzept hat der Bieter für das konkrete Vorhaben darzulegen, mit welchen Personen er die geschuldete Leistung erbringen wird. Er hat darüber hinaus darzulegen, welche Vertretung er für den Fall von Urlaub oder Krankheit vorsieht und wie dies organisiert wird, insbesondere im Hinblick auf die Informationsweitergabe zwischen den auf Seiten des Bieters Projektbeteiligten Personen.

Dem Auftraggeber kommt es dabei insbesondere darauf an, dass der Bieter in seinem Konzept plausibel darlegt, wie auch im Falle eines geplanten (Urlaub) und eines ungeplanten (Krankheit) Ausfalls von Projektmitarbeitern stets eine Vertretungssituation mit fachlich qualifizierter Vertretung sichergestellt ist.

Zudem ist es für den Auftraggeber von entscheidender Bedeutung, dass auch die Vertretung über alle notwendigen Projektinformationen verfügt. Dabei spielen die Plausibilität sowie die Nachvollziehbarkeit dieser Informationen im Rahmen des Konzepts für den Auftraggeber eine entscheidende Rolle.

Darüber hinaus kommt es dem Auftraggeber darauf an, dass aus dem Personaleinsatzkonzept eine klare Zuordnung der jeweiligen Aufgaben zu den beteiligten Personen innerhalb des Projektteams des Auftraggebers zu erkennen ist, sodass nachvollziehbar dargelegt wird, wie die interne Aufgabenverteilung erfolgt. (…)

Bewertung:
sehr gute Lösung: 23-30 Punkte
gute Lösung: 15-22 Punkte
ausreichende Lösung: 7-14 Punkte
schlechte Lösung: 0-6 Punkte.“

Die spätere Antragstellerin nahm in der Wertung den dritten Patz ein und erhielt für ihr Personaleinsatzkonzept 30 Punkte. Die beiden vor ihr liegenden Angebote erhielten ebenfalls 30 Punkte. Andere Angebote erhielten auch weniger als 30 Punkte.

Im dem Vorabinformationsschreiben teilte die Vergabestelle der späteren Antragstellerin im Hinblick auf die Merkmale des wirtschaftlichsten Angebots mit:

Der für den Zuschlag vorgesehene Bieter konnte bei der Angebotswertung in den folgenden Wertungskriterien ein besseres Ergebnis erzielen als ihr Unternehmen: Preis“

Eine gegen diese Vergabeabsicht erhobene Rüge wies die Vergabestelle zurück. In der Rüge trug die spätere Antragstellerin vor, dass das Wertungsergebnis, bei dem drei Bieter bei der Bewertung der Personaleinsatzkonzepte die volle Punktzahl erreichten, Ermessenfehler enthalte. Das betroffene Zuschlagskriterium werde somit ausgehöhlt, was einen Verstoß gegen den Wettbewerbs- und Transparenzgrundsatz bedeute.

Die Entscheidung

Den zulässigen Nachprüfungsantrag wies die Vergabekammer im Ergebnis zurück, weil die Vergabestelle ihren Beurteilungsspielraum eingehalten und die Bewertungsentscheidung hinreichend begründet und dokumentiert habe.

Die Vergabekammer leitet ihre Begründung mit dem Hinweis ein, dass sie nur zu prüfen habe, ob die Vergabestelle bei der Bewertung ihren Beurteilungsspielraum eingehalten hat.

Die sei vorliegend der Fall gewesen, weil die Vergabestelle,

Das sei insbesondere deshalb der Fall gewesen, weil die Vergabestelle kommuniziert habe, welche Angaben die Bieter genau machen müssen und worauf es ihr jeweils ankommt.

Aufgrund der Vergabedokumentation, in der die Vergabestelle im Einzelnen festgehalten hat, welche einzelnen Aspekte sie positiv bewertet hat, konnte die Vergabekammer keine Rechtsverletzungen erkennen. Dass bei allen drei Erstplatzierten die Konzepte der Bieter „vollumfänglich, plausibel und nachvollziehbar und ohne Kritikpunkte“ bewertet wurden, sei nicht zu beanstanden.

Auch die von der Vergabestelle bekannt gemachte Bewertungsmethode sei nicht zu beanstanden. Daran ändere sich insbesondere deshalb nichts, dass in den einzelnen Bewertungsstufen eine Punktespanne enthalten war und weitere Angaben zur Einordnung innerhalb der Bewertungsstufen fehlten. Es genüge, wenn die Vergabestelle nachvollziehbar, also transparent dokumentiert, welche Aspekte von ihr positiv oder negativ bewertet wurden. Das sein hier der Falle gewesen.

Darüber hinaus sieht die Vergabekammer keine Verpflichtung, Unterkriterien zu bilden und detaillierter darzulegen, wie die Punktevergabe genau erfolgt. Vorliegend sei es nachvollziehbar, dass die Konzepte von Antragstellerin und Beigeladenen jeweils eine hohe Punktzahl erhalten haben. Dies genügt der Vergabekammer. Sie ist der Auffassung, dass die genaue Punktevergabe innerhalb einer Bewertungsstufe alleinige Entscheidungshoheit der Vergabestelle ist.

Deshalb sei auch nicht ersichtlich, dass das Zuschlagskriterium Personaleinsatzkonzept leer gelaufen sei. Wenn auch in einem etwas anderen Zusammenhang stellt die Vergabekammer klar, dass „bei jeder Wertung, subjektive Komponenten (im Sinne von Einschätzungen, nicht im Sinne von willkürlichen persönlichen Präferenzen) eine wesentliche Rolle spielen…“. Gerade deshalb gebe es für die Vergabestellen einen nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum für die exakte Vergabe der Bewertungspunkte.

Rechtliche Würdigung

Ich habe mich nach der Lektüre des Sachverhalts vor dem Weiterlesen bewusst gefragt, wie ich diesen Fall entschieden hätte. Ich kam zu dem Ergebnis, dass für die Prognose die vorliegenden Information nicht reichen, weil insbesondere die Vergabedokumentation der Bewertung der Personaleinsatzkonzepte nicht bekannt ist. Ich dachte nur: Ob das wohl gut geht…

Nach Lektüre der Entscheidungsgründe kann ich nur sagen: Hochachtung für den durch die Entscheidung der Vergabekammer gezollten Respekt an die Vergabestellen, die sich auf das unsichere Terrain der qualitativen Angebotswertung wagen. Deshalb kann ich die Entscheidung nur begrüßen. Sie weist erfrischend offen darauf hin, dass die Bewertung von Konzepten immer einen subjektiven Einschlag haben muss. In Verbindung mit dem Hinweis auf einen nicht überprüfbaren Bewertungsspielraum wird ein Schuh daraus.

Gleichwohl hätte ich im Vorfeld als anwaltlicher Berater sicherlich auf die Risiken einer möglicherweise mangelhaften Transparenz hingewiesen. Man kann den vorliegenden Sachverhalt nämlich sicher mit guten Gründe auch anders sehen.

Praxistipp

Die Entscheidung macht Mut und bestätigt zunächst die für mich schon lange feststehende Erkenntnis, dass einer sorgfältigen Vergabedokumentation gar nicht genug Bedeutung beigemessen werden kann. Deshalb bitte weiterhin die notwendige Mühe und Sorgfalt in die Vergabedokumentation einfließen lassen!

Sie macht Mut, weil sie einige andere Entscheidungen aus jüngerer Vergangenheit, die in meinen Augen überzogene Anforderungen an die Beschreibung von Wertungskonzepten stellten, relativieren. Die Entscheidung eröffnet so den Vergabestellen (wieder) einen gewissen Freiraum bei der exakten Punktevergabe.

Gleichwohl bleibe ich bei meiner These, dass die Aufstellung von Wertungskonzepten, bei denen auch qualitative Kriterien eine Rolle spielen sollen, vergaberechtlich zur Königsdisziplin gehört. Deshalb auch hier bitte möglichst exakt und genau arbeiten und genauestens kommunizieren, auf was die Vergabestelle jeweils Wert legt.

Abschließend gibt die Entscheidung noch Anlass, auf folgenden Aspekt einzugehen: Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Qualitätskriterium bei den drei erstplatzierten Bietern letztlich keine Rolle gespielt hat und daher nur der Preis entscheidend war. Deshalb muss man im Rahmen der Aufstellung eines Wertungskonzepts sehr genau überlegen, ob dieses auch geeignet ist, eine wirkliche Qualitätsabstufung unter mehreren Angeboten vornehmen zu können. Sonst hielte ich die Alternative für fairer und letztlich transparenter, die Angebotsqualität im Rahmen der Eignung zu prüfen. Ich sehe nämlich in der Praxis viele Wertungskonzepte, bei denen mehr oder wenig klar ist, dass eine ganze Reihe von Bietern die höchste Punktzahl erreichen werden. In diesen Fällen kann man meines Erachtens auch von einem Scheinkriterium sprechen.

Fazit: Es wird leichter, bleibt aber schwierig…

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Über Martin Adams, Mag. rer. publ. [1]

Herr Martin Adams, Mag. rer. publ. ist Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei _teamiur_Rechtsanwälte [2], Mannheim. Herr Adams berät bundesweit öffentliche Auftraggeber bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, insbesondere im Bereich der Abfallwirtschaft. Darüber hinaus veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in entsprechenden Fachmedien und tritt als Referent in Fachseminaren auf.

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