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EuGH-Urteil zur HOAI – Ein Interview mit der Präsidentin der Bundesarchitektenkammer

Am vergangenen Donnerstag hat der EuGH die Mindest- und Höchstsätze der HOAI für europarechtswidrig erklärt (EuGH, Urt. v. 04.07.2019 – Rs. C-377/17, [1] und [2]). Frau Dipl.-Ing. Ettinger-Brinckmann ist Präsidentin der Bundesarchitektenkammer (BAK) und hat in einem Interview mit dem Vergabeblog hierzu Stellung bezogen.

Vergabeblog: Sehr geehrte Frau Ettinger-Brinckmann, wie bewerten Sie das Urteil des EuGH?

Barbara Ettinger-Brinckmann: Mit sehr gemischten Gefühlen. Einerseits ist klar, dass wir die Verbindlichkeit der Mindest- und Höchstsätze verloren haben. Andererseits aber: Die HOAI als solche mit ihren Leistungsbildern und Vergütungssätzen ist nicht beanstandet worden! Oft zu lesende Headlines wie „EuGH kippt die HOAI“ sind also schlicht falsch, zumindest zu pauschal. Noch wichtiger aber ist die Begründung des EuGH für seine Entscheidung. Bei den Höchstsätzen ist er zwar letztlich der Kommission gefolgt und hält eine Preisorientierung für ausreichend, um den Verbraucherschutz sicherzustellen. Hinsichtlich der Verbindlichkeit der Mindestsätze aber hat das Gericht hingegen klar zum Ausdruck gebracht, dass diese durchaus geeignet sein können, in Deutschland die Qualität von Planungsleistungen und damit auch den Verbraucherschutz zu sichern. Damit ist der EuGH der Auffassung der Kommission und auch der des Generalanwalts Szpunar fundamental entgegen getreten.

Vergabeblog: Woran hat es gelegen, dass die Argumente der deutschen Seite letztlich nicht überzeugen konnten?

Barbara Ettinger-Brinckmann: Die Argumente der Bundesregierung und die dafür vorgelegten Gutachten und Studien haben den EuGH offenbar schon überzeugt. Und er hat der Kommission und dem Generalanwalt ins Stammbuch geschrieben, dass Beschränkungen des Preiswettbewerbs durchaus mit dem Grundsatz eines funktionierenden Binnenmarktes vereinbar sein können. Dass wir die verbindlichen Mindestsätze dennoch nicht erhalten konnten, liegt ironischerweise daran, dass wir bei Planungsleistungen nicht zu viel, sondern im Gegenteil zu wenig Regulierung haben. Der EuGH hat nämlich als einzigen Grund für seine Entscheidung die sogenannte „Inkohärenz“ der deutschen Regelung angegeben. Auf Deutsch: Planungsleistungen sind in Deutschland nicht bestimmten Berufsständen vorbehalten, die einer zwingenden berufs- oder kammerrechtlichen Aufsicht in Bezug auf ihre Qualifikation unterliegen, sondern neben Architekten und Ingenieuren können diese Leistungen auch von anderen, nicht reglementierten Dienstleistern erbracht werden. Da also die Erbringer der Leistungen, die den Mindestsätzen der HOAI unterliegen, nicht selbst Mindestgarantien erfüllen müssen, die ihre Qualifikation gewährleisten – sprich: einen gesetzlich geforderten Nachweis ihrer fachlichen Eignung – dann nützen Mindestsätze allein zur Sicherung der Qualität auch nicht viel. Es handelt sich also um eine Art Systemfehler. Wären die in der HOAI erbrachten Leistungen also sogenannte Vorbehaltsaufgaben von verkammerten Architekten und Ingenieuren, hätte der EuGH also vermutlich die verbindlichen Mindestsätze für mit EU-Recht vereinbar erklärt. Ich muss zugeben: Ich kann diese Überlegungen sogar nachvollziehen, zumal ich mich seit Jahren dafür einsetze, den Qualitäts- und Qualifikationsgedanken in allen Bereichen stärker ins Bewusstsein zu heben. Jedenfalls lohnt es sich, über diese Frage weiter nachzudenken.

Vergabeblog: Mit welchen Konsequenzen ist für den deutschen Markt, insbesondere das öffentliche Auftragswesen, nun zu rechnen?

Barbara Ettinger-Brinckmann: Das hängt ganz wesentlich davon ab, ob Auftraggeber wie Architekten und Ingenieure nicht nur das Ergebnis des EuGH-Urteils zur Kenntnis nehmen, sondern vor allem auch die Kernaussagen in der Begründung. Diese zielen darauf, den Qualitätsgedanken hoch zu halten und eben nicht den Preiskampf zum obersten Prinzip zu erklären. Der EuGH hat festgestellt, dass Deutschland hinreichend dargelegt habe, dass die Erbringer von Planungsleistungen in einem Konkurrenzkampf stehen, der zu Billigangeboten und durch „adverse Selektion“ sogar zur Ausschaltung von Qualitätsleistungen anbietenden Wirtschaftsteilnehmern führen könnte. Und lassen Sie mich jetzt aus der Urteilsbegründung zitieren: „In diesem Zusammenhang kann die Festsetzung von Mindestpreisen dazu beitragen, diese Gefahr zu begrenzen, indem verhindert wird, dass Leistungen zu Preisen angeboten werden, die langfristig nicht die Qualität dieser Leistungen gewährleisten können.“ Dies bedeutet: Jedem, der meint, dass er mit einem Absenken der Planerhonorare für sich einen kurzfristigen Vorteil herausschlagen kann, sollte bewusst sein, dass er auf die Dauer nicht nur der Allgemeinheit schadet, sondern auch sich selbst. Insbesondere öffentliche Auftraggeber und Rechnungshöfe würden mittelfristig dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit zuwiderhandeln, wenn sie auf niedrigere Planerhonorare setzten. Auf Dauer würde es für alle teurer. Und eins ist auch klar: das Vergaberecht sieht für die Vergabe von Planerleistungen weiterhin den Vorrang des Leistungswettbewerbs vor. Und dieser Grundsatz könnte und sollte meines Erachtens durch die Möglichkeit der Festpreis- oder Festkostenvergabe aktiv begleitet und unterstützt werden.

Vergabeblog: Ein Blick in die Zukunft. Welche Bedeutung messen sie der HOAI für die Zukunft bei? Wer sollte sich künftig um deren Fortschreibung und -entwicklung kümmern?

Barbara Ettinger-Brinckmann: Für uns ist ganz klar: Die HOAI muss bleiben und ich gehe auch davon aus, dass sie bleiben wird, und zwar wie bisher als Rechtsverordnung. Natürlich muss die HOAI mit Blick auf die bislang verbindlichen Mindest- und Höchstsätze angepasst werden. Als staatliche Richtpreisvorgabe hätte die HOAI aber weiterhin eine große Bedeutung. Im Übrigen werden wir mit dem zuständigen Bundeswirtschaftsministerium über die Einzelheiten sprechen. Dem möchte ich an dieser Stelle nicht vorgreifen.

Vergabeblog: Sehr geehrte Frau Ettinger-Brinckmann, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Interview führte Jan Buchholz vom DVNW.

Anmerkung der Redaktion

Die Auswirkungen des EuGH-Urteils werden auch im Fachforum: „Freiberufliche Leistungen“, des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) diskutiert, hier [3]. Noch kein Mitglied? Zur kostenlosen Mitgliedschaft geht es hier [4].

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