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Die Zukunft der Vergabe von Rettungsdienstleistungen – Einige Antworten nach dem EuGH-Urteil

Im ersten Teil dieses Beitrags wurde das Urteil des EuGH vom 21. März 2019 in der Rechtssache C-465/17 besprochen, in dem der Gerichtshof zur Vergabe von Rettungsdienstleistungen entschieden hat, dass grundsätzlich die Notfallrettung und wohl in aller Regel auch der qualifizierte Krankentransport von der Bereichsausnahme in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB erfasst sind. In diesem zweiten Teil soll der Frage nachgegangen werden, wie sich diese Entscheidung auf zukünftige Vergaben von Rettungsdienstleistungen auswirkt. Denn durch das EuGH-Urteil sind die sich in der Praxis stellenden Fragen eher mehr als weniger geworden: Ist die Durchführung eines wettbewerblichen und nichtdiskriminierenden Verfahrens wegen des EU-Primärrechts, aufgrund von Landesrettungsdienstgesetzen oder wegen beihilferechtlicher Anforderungen erforderlich? Können öffentliche Auftraggeber über die Anwendung von § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB frei disponieren? Wie soll gegebenenfalls eine Auswahl zwischen konkurrierenden gemeinnützigen Organisationen vonstattengehen? Diese und weitere Folgefragen werden in diesem Beitrag beleuchtet.

I. Wie sind Rettungsdienstleistungen zukünftig zu vergeben?

1. EU-Primärrecht ist zu beachten

Der EuGH hat in seinem Urteil ausschließlich Stellung zur Auslegung der Bereichsausnahme in Art. 10 lit. h der Richtlinie 2014/24/EU genommen. Er hat sich aber nicht dazu geäußert, ob bei Unanwendbarkeit der Richtlinie jedenfalls ein primärrechtliches Verfahren durchzuführen ist. Auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofes ist jedoch anzunehmen, dass bei Vorliegen eines grenzüberschreitenden Interesses ein solches wettbewerbliches Verfahren unter Einbindung sämtlicher interessierter Wirtschaftsteilnehmer durchgeführt werden muss. Der Gerichtshof hat nämlich in der Vergangenheit bei Unterschwellenvergaben, bei (damals nicht sekundärrechtlich geregelten) Dienstleistungskonzessionen sowie bei den früheren I-B Dienstleistungen entschieden, dass das Primärrecht die Durchführung eines wettbewerblichen und diskriminierungsfreien Verfahrens erfordert, wenn die Richtlinien nicht oder nicht vollständig anwendbar sind (EuGH, Urt. v. 10.3.2011, C-274/09 – Krankentransport Stadler, Rn. 49; EuGH, Urt. v. 11.12.2014, C-113/13 – Spezzino, Rn. 45; EuGH, Urt. v. 28.1.2016, C-50/14 – CASTA, Rn. 53). Dasselbe muss daher auch für Rettungsdienstleistungen gelten, die aufgrund von Art. 10 lit. h der Richtlinie 2014/24/EU nicht von dieser erfasst sind. Zwar wird teilweise argumentiert, die Bereichsausnahme stelle nicht nur eine Ausnahme von der Richtlinie, sondern auch vom AEUV dar. Eine derart weitreichende Vollharmonisierung durch eine sekundärrechtliche Vorschrift hat der EuGH bisher aber nur in Fällen anerkannt, in denen die Vorschrift einen Sachverhalt positiv umfassend und detailliert geregelt hat. Bei der Bereichsausnahme in Art. 10 lit. h ist genau das Gegenteil der Fall – sie trifft keinerlei positive Regelungen. Das Primärrecht wird also nicht verdrängt und dessen Anwendbarkeit ist vor jeder konkreten Vergabe vorab zu prüfen.

2. Grenzüberschreitendes Interesse

Der Anspruch von Wirtschaftsteilnehmern auf die Durchführung eines primärrechtlichen Auswahlverfahrens folgt aus ihrer Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49, 56 AEUV. Diese Grundfreiheiten kommen jedoch nur dann zum Tragen, wenn die zu vergebenden Rettungsdienstleistungen Binnenmarktrelevanz aufweisen. Nach der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofes (EuGH, Urt. v. 23.11.2017, C-486/17 – Olympus Italia; EuGH, Urt. v. 16.10.2016, C-318/15 – Tecnoedi Costruzioni) müssen Auftraggeber positiv feststellen, ob an einem zu vergebenden Auftrag ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht. Hierbei handelt es sich um eine prognostische Einzelfallprüfung, die vor der Auftragsvergabe durchzuführen ist. Als Anknüpfungspunkte anerkannt sind dabei die technischen Merkmale beziehungsweise Besonderheiten der Leistungen oder nachweislich ernsthafte Beschwerden von Unternehmen anderer Mitgliedstaaten (EuGH, Urt. v. 15.5.2008, C-147/06 und C-148/06 – SECAP). Ein weiteres wichtiges Indiz für das grenzüberschreitende Interesse ist die Erbringung der Leistung in Grenznähe. Oftmals wird aber der Umfang des Auftrags ausschlaggebend sein. Denn wenn das Auftragsvolumen die Schwellenwerte für die Anwendbarkeit des GWB-Vergaberechts überschreitet, liegt ein grenzüberschreitendes Interesse nahe. Dies gilt auch dann, wenn die geographische Lage des Leistungsortes in der Mitte eines Mitgliedstaates diesen für ausländischer Anbieter grundsätzlich weniger attraktiv macht (vgl. VG Kassel, Urt. v. 6.10.2017, 5 K 939/13.KS).

3. Rechtfertigung für Eingriff in Grundfreiheiten?

Die Direktvergabe von Rettungsdienstleistungen ohne wettbewerbliches Verfahren stellt bei Vorliegen eines grenzüberschreitenden Interesses einen Eingriff in Art. 49, 56 AEUV dar. Dieser kann zwar unter Umständen gerechtfertigt sein, die Anforderungen an eine solche Rechtsfertigung sind aber streng. Es muss ein zwingender Grund des Allgemeininteresses vorliegen. Es darf auch keine weniger strenge Maßnahme zur Verfügung stehen, um das Allgemeininteresse zu schützen. Der Gerichtshof hat eine solche Rechtfertigung in zwei italienischen Fällen angenommen, in denen die mit Krankentransporten beauftragten Organisationen mit ihrer Auftragstätigkeit keinen Gewinn erwirtschafteten und sich hauptamtlicher Mitarbeiter nur insoweit bedienten, wie es für die Aufrechterhaltung eines geregelten Betriebs erforderlich ist (EuGH, Urt. v. 11.12.2014, C-113/13 – Spezzino; EuGH, Urt. v. 28.1.2016, C-50/14 – CASTA). Diese Voraussetzungen werden allerdings im deutschen Rettungsdienstwesen nicht erfüllt, da die Anbieter von Notfallrettung und qualifiziertem Krankentransport aufgrund der hohen Qualitätsanforderungen an das Personal im Wesentlichen hauptamtliche Mitarbeiter einsetzen und nur in geringem Umfang Freiwilligenhelfer. Darüber hinaus erzielen sie mit Rettungsdienstleistungen ganz überwiegend Gewinne.

Im Übrigen kann in Deutschland der mit der Bereichsausnahme angeblich verfolgte Zweck, nämlich die Sicherstellung der Aufwuchsfähigkeit der Hilfsorganisationen im Zivil- und Katastrophenschutz, auch im Rahmen von wettbewerblichen Rettungsdienstvergaben sichergestellt werden. So haben Träger bei Ausschreibungen nach dem GWB-Vergaberecht beispielsweise die Zusammenarbeit mit dem Katastrophenschutz und ehrenamtlichen Strukturen als qualitatives Zuschlagskriterium gewertet und so die Belange des Zivil- und Katastrophenschutzes berücksichtigt (vgl. etwa TED-Bekanntmachung der Region Hannover über vergebene Aufträge Nr. 2018/S 147-336835 v. 2.8.2018 [2]).

Dass aus deutscher Sicht jedenfalls kein Rechtfertigungsgrund für einen Verzicht auf ein primärrechtliches Verfahren vorliegen dürfte, zeigt die EuGH-Entscheidung Privater Rettungsdienst und Kranktransport Stadler (EuGH, Urt. v. 10.3.2011, C-247/09). Der Gerichtshof zieht in dieser Entscheidung die Möglichkeit einer primärrechtlichen Rechtfertigung von Direktvergaben an Hilfsorganisationen im deutschen Rettungsdienstwesen nicht einmal in Betracht. Auch die Europäische Kommission hat in der mündlichen Verhandlung zum Verfahren C-465/17 die Auffassung vertreten, dass die Bereichsausnahme keinen Einfluss auf die Anwendbarkeit des Primärrechts auf Rettungsdienstausschreibungen hat.

4. Kein Widerspruch von Primär- und Sekundärrecht

Zunächst ist also festzuhalten, dass die Vergabe von Notfallrettung und qualifiziertem Krankentransport wegen der Bereichsausnahme unter gewissen Umständen nicht nach den §§ 97 ff. GWB durchgeführt werden muss, bei Vorliegen eines grenzüberschreitenden Interesses jedoch das Primärvergaberecht zu beachten ist. Denkt man die Anwendung des Primärvergaberechts konsequent zu Ende, kann als Ergebnis eines primärvergaberechtlichen Verfahrens auch ein Anbieter den Auftrag erhalten, der keine gemeinnützige Organisation im Sinne der Bereichsausnahme ist. Daher stellt sich die Frage, ob hier nicht ein Widerspruch zwischen der Richtlinie und dem AEUV besteht. Dieser könnte darin gesehen werden, dass nach dem Wortlaut des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB die betroffene Dienstleistung von gemeinnützigen Organisationen „erbracht“ werden muss, damit die Bereichsausnahme einschlägig ist. Das wäre aber gerade nicht der Fall, wenn in einem primärrechtlichen Verfahren ein anderer Anbieter als eine gemeinnützige Organisation den Zuschlag erhält.

Ob tatsächlich ein Widerspruch von Richtlinie und AEUV besteht, hängt damit entscheidend davon ab, wie man die Voraussetzung versteht, dass die Rettungsdienstleistungen von gemeinnützigen Organisationen „erbracht“ werden müssen. Versteht man das „Erbringen“ konkret – das heißt, der mit der Dienstleistung in einem speziellen Fall ausgewählte Auftragnehmer muss eine gemeinnützige Organisation sein –, muss man tatsächlich einen Widerspruch von Richtlinie und AEUV feststellen. Dieser Widerspruch lässt sich aber im Sinne der Einheit der Rechtsordnung auflösen, wenn das „Erbringen“ der Rettungsdienstleistungen durch gemeinnützige Organisationen nicht konkret, sondern abstrakt verstanden wird. Nach dieser Lesart ist die Bereichsausnahme dann anwendbar, wenn der zu vergebende Auftrag „typischerweise“ von gemeinnützigen Organisationen erbracht wird. Bei diesem Verständnis besteht dann kein Widerspruch zwischen einer konkreten Vergabe an einen kommerziellen Anbieter in einem primärrechtlichen Verfahren und der Bereichsausnahme, da die betroffenen Leistungen weiterhin typischerweise auch von gemeinnützigen Organisationen erbracht werden.

Selbst wenn man das „Erbringen“ konkret versteht und in der Folge ein Widerspruch zwischen Primär- und Sekundärrecht entsteht, muss dieser Konflikt zwingend zugunsten des normenhierarchisch höheren Primärrechts aufgelöst werden. Mit anderen Worten ist in jedem Fall ein primärrechtliches Verfahren durchzuführen, sobald ein grenzüberschreitendes Interesse vorliegt.

II. Landesrettungsdienstgesetze

Das Recht des Rettungsdienstes ist in Deutschland auf Landesebene geregelt. Die maßgeblichen Vorgaben für die am Rettungsdienst Beteiligten finden sich daher in den Landesrettungsdienstgesetzen. Diese sehen in unterschiedlicher Ausgestaltung vor, dass die Durchführung des Rettungsdienstes von den Trägern auf Dritte übertragen werden kann. Dabei unterscheiden sich die Landesrettungsdienstgesetze allerdings hinsichtlich ihrer Regelungsdichte bei der Ausgestaltung der Auswahl des Dritten, auf den der Rettungsdienst übertragen werden soll. Während die Mehrzahl der Länder keine Regelungen dazu erlassen hat, ob überhaupt ein Auswahlverfahren durchzuführen ist, ist ein solches in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen zumindest inzident vorgesehen. Die Landesrettungsdienstgesetze von Sachsen (§ 31 SächsBRKG), Bayern (Art. 13 BayRDG) und Sachsen-Anhalt (§ 13 RettDG LSA) machen hingegen genauere Vorgaben zur Ausgestaltung des Auswahlverfahrens. Bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungen sind daher in diesen Ländern wettbewerbliche Auswahlverfahren durchzuführen. Dabei ist insbesondere der Kreis der an dem Verfahren zu beteiligenden Anbieter zu beachten. Während in Bayern und Sachsen keine diesbezügliche Einschränkung besteht, verweist das RettDG LSA auf die im Katastrophenschutz anerkannten Organisationen. Diese Beschränkung ist – wie der EuGH in seinem Urteil klargestellt – nicht zulässig. Es sind vielmehr sämtliche gemeinnützigen Organisationen an dem wettbewerblichen Verfahren zu beteiligten. Unabhängig von der jeweiligen Regelung in den Landesrettungsdienstgesetzen ist aber vorrangig das EU-Primärrecht zu beachten, da dieses dem Recht der Mitgliedstaaten normenhierarchisch in jedem Fall vorgeht.

III. Sonderfälle Bayern und Niedersachsen?

Eine landesspezifische Rechtsprechung, die mit der eben erörterten Frage des „Erbringens“ der Dienstleistungen durch gemeinnützige Organisationen eng zusammenhängt, existiert in Bayern. Dort haben sowohl die VK Südbayern (Beschl. v. 16.03.2017 – Z 3-3-3194-1-54-12/16) als auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Beschl. v. 28.4.2019 – 12 V 19.621/620) entschieden, dass die Bereichsausnahme in Bayern nicht anwendbar ist. Hintergrund dieser Entscheidungen ist, dass der Bayerische Verfassungsgerichtshof im Jahr 2012 die früher im bayerischen Landesrettungsdienstgesetz enthaltene Bevorzugung von Hilfsorganisationen bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungen für unvereinbar mit der Bayerischen Verfassung (Berufsfreiheit) erklärt hat. Die daraus folgende Verpflichtung bayerischer Rettungsdienstträger, gemäß Art. 13 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BayRDG wettbewerbliche Auswahlverfahren unter Beteiligung auch von anderen Bietern als Hilfsorganisationen durchzuführen, führt nach Auffassung der bayerischen Spruchkörper zur Unanwendbarkeit der Bereichsausnahme in Bayern. Vergabekammer und Verwaltungsgerichtshof folgen dabei der Auffassung, dass das „Erbringen“ der Dienstleistungen durch gemeinnützige Organisationen konkret zu verstehen ist und daher die gemäß Art. 13 BayRDG zwingend durchzuführenden, wettbewerblichen Verfahren, die zu einer Beauftragung eines kommerziellen Anbieters führen können, der Anwendbarkeit der Bereichsausnahme entgegenstehen. Die Bereichsausnahme kann daher in Bayern nicht angewandt werden. Diese auf der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes von 2012 beruhende Rechtsprechung stellte bisher einen Sonderfall in der föderalistischen Regelungslandschaft des Rettungsdienstwesens dar.

Unter Bezugnahme auf die Beschlüsse des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs und der VK Südbayern hat das OVG Lüneburg (Beschluss vom 12.6.2019 – 13 ME 164/19) die Anwendbarkeit des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB auf Ausschreibungen von Leistungen des Rettungsdienstes auch nach niedersächsischer Rechtslage ausgeschlossen. Nach dem niedersächsischen Rettungsdienstgesetz können „Dritte“ mit der Durchführung von Rettungsdienstleistungen beauftragt werden, ohne dass konkretisiert wird, ob es sich um gemeinnützige oder gewerbliche Anbieter handeln soll (§ 5 Abs. 1 NRettDG). Ausreichend für die Nicht-Anwendbarkeit des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB ist nach dem OVG diese Gleichrangigkeit gemeinnütziger und gewerblicher Anbieter. Es könne nicht von der Zufälligkeit der Auftragserteilung an einen bestimmten Anbieter abhängen, ob die Bereichsausnahme anzuwenden ist oder nicht. Auch nach dem OVG Lüneburg kommt es für die Anwendbarkeit der Bereichsausnahme damit auf die konkrete „Erbringung“ der Leistung an. Diese Entscheidung ist schließlich vom OLG Celle bestätigt worden (OLG Celle, Beschl. v. 25.6.2019, 13 Verg 4/19). Das Gericht kam ebenfalls zu dem Schluss, dass die Bereichsausnahme nicht anwendbar sei, wenn sich sowohl gemeinnützige als auch gewerbliche Anbieter an einem Vergabeverfahren beteiligen könnten. Da zahlreiche andere Landesrettungsdienstgesetze eine Gleichrangigkeit der verschiedenen Rettungsdienstanbieter vorsehen, dürfte der Gedanke dort ebenfalls gelten. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die oben angesprochenen Fragen des EU-Primärrechts von den Gerichten bislang nicht thematisiert werden mussten, da sie im Ergebnis von einer Anwendbarkeit des GWB-Vergaberechts und damit des EU-Sekundärrechts ausgingen.

IV. Kommunales Haushaltsrecht

Die Pflicht zur Durchführung eines wettbewerblichen Auswahlverfahrens, zumindest unter sämtlichen interessierten gemeinnützigen Organisationen, kann auch aus den Landesregelungen zum kommunalen Haushaltsrecht folgen. Diese sehen in aller Regel vor, dass einer Auftragsvergabe eine öffentliche Ausschreibung oder eine beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb vorausgeht (vgl. z.B. § 30 Abs. 1 Kommunale Haushalts- und Kassenverordnung Brandenburg).

Dementsprechend hat auch kürzlich die Stadt Duisburg auf Grundlage von § 26 der Kommunalhaushaltsverordnung Nordrhein-Westfalen unter Anwendung der Bereichsausnahme eine Ausschreibung unter allen interessierten gemeinnützigen Organisationen bekanntgemacht.

V. Beihilferechtliche Pflicht zu wettbewerblichen Verfahren

Wenig Beachtung hat bisher die Frage nach der beihilferechtlichen Relevanz von Direktvergaben gefunden. Dabei liegt eine solche gerade wegen des oftmals nicht vom Wettbewerb beeinflussten Preis-Leistungs-Verhältnisses nahe. Bei Rettungsdienstleistungen wird es sich überwiegend um Leistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DAWI) handeln. Diese sind vom grundsätzlichen Verbot staatlicher, den Wettbewerb im Binnenmarkt beeinträchtigender Beihilfe umfasst, Art. 107 ff. AEUV. Daraus folgt, dass Ausgleichsleistungen für die Erbringung von DAWI so ausgestaltet werden müssen, dass der Dienstleister daraus keinen finanziellen Vorteil (Überkompensation) erlangt. Dies kann zum einen dadurch erreicht werden, dass der Auftraggeber vorab eine Untersuchung der Kosten durchführt, die einem durchschnittlichen, gut geführten Unternehmen, das so angemessen mit Sachmitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten Anforderungen für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtung entstünden (vgl. EuGH, Urt. v. 24.7.2003, C-280/00 – Altmark Trans), sog. „Benchmark Company Test“. Zum anderen kann der Auftraggeber einer Überkompensation und damit unzulässigen Beihilfe dadurch entgegenwirken, dass er die Parameter, anhand deren der Ausgleich berechnet wird, zuvor objektiv und transparent aufstellt (vgl. EuGH, Urt. v. 24.7.2003, C-280/00 – Altmark Trans). Welche Voraussetzungen ein „durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen“ erfüllen muss, ist bisher auf europäischer Ebene ungeklärt (vgl. Arhold, in: MüKoBeihilferecht, 2. Aufl. 2018, Art. 107, Rn. 348). Die Durchführung des „Benchmark-Company-Tests“ wird häufig daran scheitern, dass keine geeigneten Vergleichsunternehmen zu bestimmen sind. Um die Annahme einer rechtswidrigen Beihilfe zu verhindern, müssen daher die Parameter zur Berechnung der Vergütung „objektiv und transparent“ aufgestellt werden. Dies wird dadurch erreicht, dass ein transparentes und nichtdiskriminierendes Vergabeverfahren durchgeführt wird. Denn nur so können Auftraggeber die für die Dienstleistung geringsten Kosten ermitteln und eine Überkompensation verhindern.

VI. Freiwilliger Verzicht auf Bereichsausnahme?

Das Urteil des EuGH befreit die Träger des Rettungsdienstes damit nicht von einer Ausschreibung des Rettungsdienstes im Wettbewerb. Die Pflicht zu einem wettbewerblichen Verfahren kann aus Primärrecht, Landesrettungsdienstgesetzen, dem Landesverfassungsrecht, dem kommunalen Haushaltsrecht oder dem Beihilferecht folgen. Abhängig vom jeweiligen Rechtsgrund unterscheiden sich lediglich die an der Ausschreibung zu beteiligenden Dienstleister. Wenn die Träger aber ein wettbewerbliches Verfahren durchführen müssen, stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoller (und rechtssicherer) wäre, auf die Anwendung der Bereichsausnahme vollständig zu verzichten. Denn der verfahrenstechnische Aufwand ist bei einer Beteiligung von kommerziellen Anbietern nicht erhöht. Die Träger müssen vielmehr auch bei einer Ausschreibung zwischen gemeinnützigen Organisationen den zu beschaffenden Bedarf an Leistungen festlegen, das entsprechende Vertragswerk sowie Auswahlkriterien entwerfen, die Angebote anhand dieser Kriterien prüfen und eine Zuschlagsentscheidung treffen. Zudem müssen sie rechtssicher dokumentieren, weshalb sie auf eine Beteiligung privater Anbieter verzichten. Vor diesem Hintergrund befreit die Bereichsausnahme die Träger des Rettungsdienstes nicht von dem Aufwand, den wettbewerbliche Verfahren üblicherweise mit sich bringen. Eine Beteiligung privater Rettungsdienstanbieter erhöht diesen Aufwand nicht und stärkt zeitgleich den Wettbewerb und damit auch die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung.

Ein solcher Verzicht ist in jedem Fall rechtlich zulässig, sofern keine landesrechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Streitig ist insoweit lediglich, welcher Spruchkörper für die Überprüfung dieser Vergabeverfahren zuständig ist. Nach einer Entscheidung der VK Westfalen fällt die Vergabe des Auftrags bei einem Verzicht auf die Bereichsausnahme weiterhin in den Bereich der §§ 97 ff. GWB und die Vergabekammern sind für Nachprüfungsverfahren zuständig (VK Westfalen, Beschl. v. 3.12.2018, VK 1-37/18). Der von der VK Lüneburg vertretenen Auffassung, die Frage der zuständigen Nachprüfungsinstanz knüpfe daran an, ob der Verzicht auf die Bereichsausnahme „freiwillig“ gewesen sei, haben sowohl das OLG Celle als auch das OVG Lüneburg eine Absage erteilt (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 25.6.2019, 13 Verg 4/19; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.6.2019 – 13 ME 164/19: Die Motivation des Auftraggebers ist „ohne Belang“). Es ist also davon auszugehen, dass die Vergabekammern in allen Fällen eines Verzichts zuständig sind. Verzichtet der Auftraggeber hingegen nicht auf die Anwendung der Bereichsausnahme, sondern führt ein wettbewerbliches Verfahren nach Maßgabe des EU-Primärrechts durch, kommen auch die Verwaltungsgerichte als zuständige Spruchkörper für die Überprüfung dieser Verfahren in Betracht.

VII. „Planungsmodell“ ist keine Lösung

In der Diskussion um die zukünftige Beauftragung von Dritten mit Leistungen des Rettungsdienstes ist vorgeschlagen worden, den Leistungserbringer nicht anhand einer wettbewerblichen Auswahl zu treffen, sondern ein sog. Planungsmodell einzuführen (dazu Kieselmann, Vergabeblog.de vom 18/02/2019, Nr. 39856 [3]). Begründet wird das damit, dass in einem wettbewerblichen Verfahren der aktuelle Fachkräftemangel nicht hinreichend berücksichtigt und das Kostenrisiko auf gemeinnützige Rettungsdienstleister abgewälzt werde. Durch das Planungsmodell solle das Ziel verfolgt werden, dem „Preisfokus“ von Ausschreibungen zu entgehen und den ehrenamtlichen Fokus gemeinnütziger Organisationen zu stärken. Daher solle auf einen Preiswettbewerb verzichtet werden und die Auswahl stattdessen auf Grundlage von Kriterien getroffen werden, die im Vergaberecht wohl als qualitative Kriterien anzusehen wären.

Dieses Planungsmodell erweist sich bei genauerem Hinsehen aber nicht als gangbare Lösung. Das liegt zum einen daran, dass in dem Planungsmodell kein Preiswettbewerb mehr stattfinden soll, was bereits kaum mit dem sozialrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebot vereinbar ist, das z.B. in § 2a Rettungsgesetz NRW ausdrücklich verankert ist. Zum anderen soll eine Auswahl des Dienstleisters anhand von Kriterien wie die personelle und sachliche Ausstattung oder ehrenamtliche Strukturen vorgenommen werden. Dabei soll gelten: je mehr desto besser. Das würde aber dazu führen, dass sich diejenigen Organisationen in einem bestimmten Rettungsdienstbereich dauerhaft als Platzhirsch etablieren, die vor Ort über die größten personellen und sachlichen Kapazitäten verfügen. Diese Stellung könnten sie nur über einen weiteren Ausbau von Kapazitäten wahren, unabhängig davon, ob diese aus Sicht des Trägers wirtschaftlich sind oder dem tatsächlichen Bedarf entsprechen.

Das Planungsmodell führt damit zu genau den wirtschaftlichen Ineffizienzen, die durch ein wettbewerbliches Auswahlverfahren unter (jedenfalls teilweiser) Beachtung des Preises verhindert werden sollen. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch einmal erwähnt, dass der EuGH in den Rechtssachen Spezzino und CASTA entschieden hat, dass eine Ausnahme vom Primärrecht nur dann gerechtfertigt ist, wenn die beauftragte Organisation tatsächlich zu dem Ziel der Haushaltseffizienz beiträgt. Wendet man das sog. Planungsmodell an, ist genau das Gegenteil der Fall.

Im Übrigen wäre der Aufwand für den Auftraggeber bei Anwendung des Planungsmodells auch nicht geringer als bei der Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens unter Beteiligung privater Anbieter. Denn auch hier müssen – wie in einem wettbewerblichen Verfahren – die Leistung beschrieben, die Auswahlkriterien aufgestellt und diese auf die Angebote der beteiligten Anbieter angewendet werden.

VIII. Praxistipp

Das Urteil des EuGH in der Rechtssache 465/17 hat nicht dazu geführt, dass Rettungsdienstleistungen zukünftig einfach frei an eine präferierte gemeinnützige Organisationen vergeben werden dürfen. Insbesondere das EU-Primärrecht und zahlreiche Landesrettungsdienstgesetze stehen dem entgegen und verlangen weiterhin eine Beteiligung privater Dritter. Auch das kommunale Haushaltsrecht und das Beihilferecht müssen insofern Beachtung finden. Das ist aber auch nicht weiter problematisch, da die Belange des Katastrophenschutzes auch in wettbewerblichen Verfahren berücksichtigt werden können. Wettbewerbliche Verfahren ermöglichen es, leistungsstarke Anbieter unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots in den Rettungsdienst einzubinden und gleichzeitig den Bedürfnissen an einen starken Katastrophenschutz gerecht zu werden. Das sog. „Planungsmodell“ hingegen, hat demgegenüber – neben Zweifeln an seiner Rechtmäßigkeit – keine Vorteile. Insbesondere würde es erhebliche Überkapazitäten erzeugen und damit die Kostenträger in unwirtschaftlicher Weise belasten. Eine Entlastung der Träger ginge damit nicht einher, sodass ein wettbewerbliches Verfahren, das eine wirtschaftliche Erbringung des Rettungsdienstes gewährleistet, auch mit Blick auf das sozialrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot zu bevorzugen ist.

Kontribution
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Rechtsanwalt Dr. Florian Wolf verfasst.

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Über Dr. Florian Wolf [4]

Florian Wolf ist Rechtsanwalt in der Kanzlei BLOMSTEIN [5] in Berlin. Er ist auf deutsches und europäisches Vergabe- und Außenwirtschaftsrecht spezialisiert. Er berät öffentliche Auftraggeber sowie nationale und internationale Auftragnehmer zu vergaberechtlichen Fragestellungen und vertritt sie in Nachprüfungsverfahren vor den Vergabenachprüfungsinstanzen

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Über Dr. Pascal Friton, LL.M. [7]

Pascal Friton ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht. Er ist Partner der Kanzlei BLOMSTEIN [5] in Berlin. Er berät seit über 10 Jahren sowohl öffentliche Auftraggeber als auch Bieter in verschiedenen Wirtschaftssektoren. Who’s Who Legal führt ihn seit 2016 als einen der führenden Vergaberechtler weltweit. Er veröffentlicht regelmäßig in nationalen und internationalen Fachzeitschriften und hält Vorträge zu vergaberechtlichen Themen auf Konferenzen und Seminaren in Deutschland, Europa und den USA. Er wirkt darüber hinaus als Autor und Referent am Fernlehrgang “Public Procurement Regulation in the EU and in its Global Context” am King’s College London mit.

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