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Das dynamisches Beschaffungssystem: Rundum flexibel!

Wie die elektronische Auktion (siehe [1]) fristet das dynamische Beschaffungssystem in der öffentlichen Beschaffung in Deutschland noch ein Schattendasein. Das mag unter anderem auch am etwas umständlichen Begriff selbst liegen: Was ist „ein dynamisches Beschaffungssystem“ eigentlich genau? Um das zu verstehen, muss man sich die einschlägigen Vorschriften schon etwas genauer anschauen. In Deutschland hat es bislang -soweit ersichtlich- erst ein öffentlicher Auftraggeber nicht beim Lesen belassen: die BWI GmbH, der IT-Dienstleister der Bundeswehr. Sie betreibt seit 2018 ein dynamisches Beschaffungssystem und macht damit sehr gute Erfahrungen. Der folgende Beitrag zeigt auf, dass das dynamische Beschaffungssystem ein hochflexibles Instrument ist, das für eine breite Palette von Leistungen geeignet ist.

Was ist ein dynamisches Beschaffungssystem?

Gegenstand eines dynamischen Beschaffungssystems sind „marktübliche Leistungen“ (s. § 120 Abs. 1 GWB). Das sind Leistungen, die von der Art her schon am Markt angeboten werden.  Wenn ein öffentlicher Auftraggeber einen wiederkehrenden Bedarf an solchen Leistungen hat, kann er ein dynamisches Beschaffungssystem einrichten: Er gibt bekannt, dass er für einen bestimmten Zeitraum Leistungen benötigt und lädt Unternehmen ein, sich als Mitglied eines Anbieterpools zu qualifizieren. Dabei kann er verschiedene Kategorien bilden. Kategorien entsprechen in etwa Losen.

Hierzu zwei Beispiele: Die BWI GmbH betreibt ein dynamisches Beschaffungssystem mit einer Laufzeit von fünf Jahren und fünf Kategorien: „Analyse, Planung und Konzeptionierung “, „Softwareanforderungs -und Testmanagement“, „Softwarerealisierung“ „Pflege, Wartung, Betrieb und Support von IT-Verfahren“ und „IT-Projektmanagement“. Eine zentrale Beschaffungsstelle (s. § 120 Abs. 4 GWB) in Portugal, die für 64 Krankenhäuser beschafft, betreibt ein dynamisches Beschaffungssystem für Telemedizin mit zehn Kategorien (u.a. „Konsultation“, „Monitoring“, „Rehabilitation“, „Radiologie“).

Interessierte Unternehmen können während der gesamten Laufzeit des Systems einen Antrag auf Teilnahme stellen. Wenn sie die Eignungskriterien erfüllen, werden sie zugelassen. Steht eine Einzelvergabe an, werden alle teilnehmenden Unternehmen (aus dieser Kategorie) zur Angebotsabgabe aufgefordert. Die Einzelvergabe selbst wird nach normalen Regeln durchgeführt. Ein dynamisches Beschaffungssystem muss elektronisch betrieben werden (§§ 22 Abs, 3 VgV, 17 Abs. 3 UVgO).

Rechtlicher Rahmen

Geregelt ist das dynamische Beschaffungssystem im Wesentlichen in §§ 22 – 24 VgV. Diese Vorschriften gelten für alle Verfahren oberhalb der Schwellenwerte, also auch für Bauvergaben (§§ 2 VgV, 4b EU Abs. 1 VOB/A). Für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen unterhalb der Schwellenwerte gilt § 17 UVgO, der in Teilen auf § 23 VgV verweist. Für Bauvergaben unterhalb der Schwellenwerte fehlt dagegen eine Regelung. Ein dynamisches Beschaffungssystem kann aber auch hier durchgeführt werden: Denn grundsätzlich ist alles, was das Vergaberecht für Verfahren oberhalb der Schwellenwerte erlaubt, unterhalb der Schwellenwerte erst recht zulässig.

Technische Voraussetzungen

Zur Durchführung eines dynamischen Beschaffungssystems bedarf es einer entsprechenden Software. Von den derzeit am deutschen Markt operierenden Anbietern von E-Vergabe-Lösungen und Vergabemanagementsoftware bieten die Administration Intelligence AG, die Healy Hudson GmbH und die Vortal GmbH. ein entsprechendes Modul an. Die Cosinex GmbH arbeitet derzeit an einer Lösung.

Flexibilität

Was das dynamische Beschaffungssystem auszeichnet, ist seine Flexibilität. Das soll im Folgenden näher beschrieben werden.

Der öffentliche Auftraggeber hat einen großen Spielraum, wie konkret er den Gegenstand des dynamischen Beschaffungssystems beschreiben will. Er kann relativ allgemein bleiben und die Beschreibung im Wesentlichen dazu nutzen, geeignete Unternehmen zu interessieren und ggf. in die richtigen Kategorien einzuordnen. Die konkrete Beschreibung der benötigten Leistung im Einzelfall erfolgt dann in den Einzelvergaben. So hat die BWI GmbH ihre fünf Kategorien nur relativ knapp näher umschrieben, um zunächst einen möglichst großen Bieterkreis anzusprechen. Im Rahmen einer Einzelvergabe erstellt sie dann eine detaillierte Leistungsbeschreibung, anhand derer die Teilnehmer entscheiden können, ob sie ein Angebot abgeben wollen oder nicht.

Der öffentliche Auftraggeber kann aber auch beliebig konkreter werden. Je genauer er bei der Einrichtung des Systems bereits weiß, welche Art von Leistungen er benötigt, desto genauer kann er diese schon bei der Einrichtung beschreiben. Hierzu ein Beispiel: Für Instandhaltungsarbeiten am Kanalisationsnetz lässt sich erfahrungsgemäß der Großteil der im konkreten Einzelfall benötigten Teilleistungen standardisiert beschreiben. Diese standardisiert beschreibbaren Teilleistungen können dann bei der Einrichtung des Systems vorgegeben werden. Im Rahmen der Einzelvergabe kann hierauf Bezug genommen werden. Individuell beschrieben müssen dann -soweit benötigt- nur die Bestandsteile der Leistung, die nicht von den Standardbeschreibungen abgedeckt sind.

Der Auftraggeber kann bei Einrichtung des Systems sogar die gesamte Leistungsbeschreibung vorgeben. Dann funktioniert das System wie eine klassische Rahmenvereinbarung mit mehreren Auftragnehmern: Im Rahmen der Einzelvergaben können die Teilnehmer dann in der Regel über einen unkomplizierten und schnellen Preiswettbewerb bestimmt werden.

Je konkreter der öffentliche Auftraggeber die benötigten Leistungen bereits bei der Einrichtung des dynamischen Beschaffungssystems beschreibt, desto einfacher wird die Einzelvergabe. Der Aufwand für die Erstellung der Leistungsbeschreibungen sinkt und entfällt sogar ganz, die Einzelvergabe wird beschleunigt. Nachteilig ist im Gegenzug, dass er sich dann festlegt und an Flexibilität einbüßt. Gerade in innovativen Märkten empfiehlt es sich daher, die benötigte Leistung eher allgemein zu beschreiben, um während der gesamten Laufzeit des Systems von Neu- und Weiterentwicklungen zu profitieren. Das ist ein entscheidender Vorteil gegenüber der Rahmenvereinbarung, bei der eine Anpassung des Leistungsprofils an die Marktentwicklung nur sehr eingeschränkt möglich ist (s. § 21 Abs. 2 S. 3 VgV, 15 Abs. 3 S. 3 UVgO).

Interessierte Unternehmen können während der gesamten Laufzeit des Systems einen Antrag auf Teilnahme stellen. Damit kann der Auftraggeber insbesondere neue Marktteilnehmer einbinden, was gerade in innovativen Märkten ein großer Vorteil ist. Bei der Rahmenvereinbarung ist dies dagegen nicht möglich. Hier stehen die Auftragnehmer als Vertragspartner mit Beginn der Laufzeit der Rahmenvereinbarung fest (§§ 21 Abs. 2 S. 2 VgV, 15 Abs. 3 S. 2 UVgO).

Auch eine Hinzunahme weiterer Auftraggeber ist möglich. Dies ist bei Rahmenvereinbarungen gemäß §§ 21 Abs. 2 S. 2 VgV, 15 Abs. 3 S. 2 UVgO ausgeschlossen. Das ist insbesondere für Einkaufsgemeinschaften interessant, die neue Kunden in ein laufendes System einbinden können (näher hierzu: Einmahl/Siedenberg, Vergabeblog.de vom 28/03/2017, Nr. 29726 [2].).

Das dynamische Beschaffungssystem muss zeitlich befristet werden (§§ 120 Abs. 1 GWB, 17 Abs. 6 UVgO i.V.m. § 23 Abs. 1 VgV). Eine maximale Laufzeit nennt das Gesetz nicht, auch hier existiert also mehr Flexibilität als bei der Rahmenvereinbarung (s. §§ 21 Abs. 6, 15 Abs. 4 UVgO). Das System kann auch verlängert werden (-Das wird im Gesetz zwar nicht explizit erwähnt. § 23 Abs. 2 Nr. 1 VgV lässt es aber zu, dass die „Geltungsdauer ohne die Einstellung des dynamischen Beschaffungssystems geändert“ wird. Änderung kann Verkürzung oder Verlängerung bedeuten-).

Einrichtung des Systems

§§ 22 Abs. 2 VgV, 17 Abs. 2 UVgO bestimmen, dass die Auftragsvergabe beim dynamischen Beschaffungssystem nach den Vorschriften über das nichtoffene Verfahren bzw. die beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb zu erfolgen hat. Das bedeutet, dass der Auftraggeber zunächst die Einrichtung des Systems bekanntgeben muss (s. § 23 Abs. 1 VgV). Dies entspricht der Bekanntgabe des Teilnahmewettbewerbs beim nichtoffenen Verfahren bzw. der beschränkten Ausschreibung. Im Zuge der Einrichtung legt er die Eignungskriterien fest. Hat der Auftraggeber Kategorien gebildet, legt er die Eignungskriterien für jede Kategorie gesondert fest (§§ 23 Abs. 5 VgV, 17 Abs. 6 UVgO). Das geschätzte Volumen ist bekanntzugeben (§§ 23 Abs. 3 VgV, 17 Abs. 6 UVgO).

Teilnahme

Ein Antrag auf Teilnahme ist zu jedem Zeitpunkt möglich. Er entspricht dem Teilnahmewettbewerb beim nichtoffenen Verfahren bzw. der beschränkten Ausschreibung. Die Frist zur Prüfung eines Antrags anhand der Eignungskriterien beträgt oberhalb der Schwellenwerte in der Regel 10 Arbeitstage (§ 24 Abs. 3 S. 1 VgV). Eine Teilnehmerbegrenzung ist nicht möglich (§§ 22 Abs. 4 S. 2 VgV, 17 Abs. 4 S. 2 UVgO). Die Teilnahme muss kostenlos sein (§§ 22 Abs. 5 VgV, 17 Abs. 5 UVgO).

Es empfiehlt sich, nach Bekanntgabe eine erste Antragsrunde durchzuführen, die Teilnahme an der ersten Runde von der Einhaltung einer Frist abhängig zu machen und den erfolgreichen Teilnehmern der ersten Runde die Möglichkeit der Angebotsabgabe bei der ersten Einzelvergabe zuzusichern. So wird Transparenz und Gleichbehandlung gewährleistet. Die Mindestfrist für den Eingang der Teilnahmeanträge für die erste Runde beträgt oberhalb der Schwellenwerte 30 Tage (§ 24 Abs. 2 S. 1 VgV). Teilnehmer, die ihren Antrag in der Folgezeit einreichen, können an der ersten bzw. nächsten Einzelvergabe nur teilnehmen, wenn diese dadurch allenfalls unwesentlich verzögert wird.

Einzelvergaben

Im Zuge der Einzelvergabe ist die benötigte Leistung -soweit erforderlich- durch eine Leistungsbeschreibung zu konkretisieren. Alle zugelassenen Teilnehmer sind zur Angebotsabgabe aufzufordern (§§ 23 Abs. 6 S. 1 VgV, 17 Abs. 6 UVgO). Wurden Kategorien gebildet, sind nur die für die einschlägige Kategorie zugelassenen Teilnehmer zur Angebotsabgabe aufzufordern (§§ 23 Abs. 6 S. 2 VgV, 17 Abs. 6 UVgO).

Hierzu ein Beispiel: Unternehmen A ist von Anfang an für sämtliche Kategorien zugelassen, Unternehmen B von Anfang an nur für die Kategorie „IT-Projektmanagement“, Unternehmen C seit kurzem für „Analyse, Planung und Konzeptionierung“. Steht ein Beschaffungsvorhaben aus der Kategorie „Analyse, Planung und Konzeptionierung“ an, werden A und C zur Angebotsabgabe aufgefordert.

Nicht geregelt ist die Frage, ob im Rahmen einer Einzelvergabe konkrete, auf den Einzelauftrag zugeschnittene Eignungskriterien aufgestellt werden können. Nach Auffassung des Autors dürfte dies aber zulässig sein.

Die festzusetzende Angebotsfrist muss oberhalb der Schwellenwerte mindestens zehn Tage betragen (§ 24 Abs. 4 S. 1 VgV). Eine längere Frist kann rechtlich geboten sein, z.B. wenn die Konkretisierung der gewünschten Leistung besonders detailliert ist oder wenn zusätzliche Eignungsanforderungen aufgestellt werden.

Einsatzmöglichkeiten in der Praxis

Das dynamische Beschaffungssystem ist für die Beschaffung einer großen Bandbreite von Leistungen denkbar. Hierunter fallen zunächst alle Leistungen, die auch über eine Rahmenvereinbarung mit mehreren Teilnehmern beschafft werden können. Darüber hinaus kommen alle Leistungen in Betracht, die zumindest grob der Art nach beschrieben werden können (s. §§ 23 Abs. 3 VgV, 17 Abs. 6 UVgO) und für die ein wiederkehrender Bedarf existiert. Nur für Leistungen mit hohem Individualisierungsgrad (z.B. Neubau) eignet sich dieses Instrument nicht. Ein Blick in die europäische Datenbank TED offenbart, dass das dynamische Beschaffungssystem in anderen EU-Mitgliedsstaaten für u.a. so unterschiedliche Leistungen wie Kraftfahrzeuge, IT-Hardware und Software, Möbel, Lebensmittel, Energie, Gebäudereinigung, Forstdienstleistungen, Personenbeförderung, Personalgewinnung, Bildungsangebote für Erwachsene, Beratung, Gebäudeinstandhaltung und Architekten- und Ingenieurleistungen eingesetzt wird.

Fazit

Das dynamische Beschaffungssystem ist ein innovatives Instrument, das für eine Reihe von Produkten einen echten Mehrwert bieten kann. Die BWI GmbH hat in dem von ihr betriebenen System bislang ca. 500 Einzelvergaben durchgeführt. Sie denkt derzeit über die Einrichtung neuer Systeme nach. Das gute Beispiel der BWI GmbH sollte Schule machen. Dies gilt insbesondere für öffentliche Auftraggeber, die bereits jetzt die Vergabemanagementsoftware eines der Unternehmen nutzen, die auch ein Modul für dynamische Beschaffungssysteme anbieten.

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Über Prof. Dr. Matthias Einmahl [3]

Prof. Dr. Matthias Einmahl ist seit 2005 Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW in Köln. Er lehrt dort Zivilrecht, öffentliche Beschaffung/Vergaberecht und juristische Methodik. Prof. Dr. Matthias Einmahl hat zudem einen Lehrauftrag im Masterstudiengang New Public Management der FH Dortmund für das Modul öffentliche Beschaffung/Vergaberecht. Er war zwischen 1996 und 2004 Richter und kurzzeitig Staatsanwalt in Halle/Saale. Prof. Dr. Matthias Einmahl forscht und publiziert auf den Gebieten der öffentlichen Beschaffung und der Korruptionsprävention. Zu diesen Themen führt er auch Fortbildungen durch und berät Kommunen.

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