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Umfassender Vorrang des Vergaberechts bei Direktvergaben nach VO 1370/2007 (BGH, Beschl. v. 12.11.2019 – XIII ZB 120/19)

EntscheidungDer in Art. 5 Abs. 1 S. 2 VO 1370/2007 angeordnete Vorrang des allgemeinen Vergaberechts erfasst auch Direktvergaben, die nicht durch den Abschluss eines Vertrags, sondern durch einen anderen rechtsverbindlichen Akt erfolgen. Maßgebliches Kriterium zur Beurteilung der Wirksamkeit einer In-House-Vergabe ist die Kontrolle des öffentlichen Auftraggebers über den Auftragnehmer wie über eine eigene Dienststelle. Eine beihilferechtliche Notifizierungspflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV wird durch Ausgleichsleistungen für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen beim Betrieb im ÖPNV mit Bussen nicht ausgelöst.

Art. 5 Abs. 1 und 2 Verordnung (EG) 1370/2007

Sachverhalt

Der Antragsgegner (AG) ist neben der Stadt A, der Städteregion A und dem Kreis D Mitglied in einem Verkehrsverbund. Der AG veröffentlichte europaweit eine Vorabinformation zur Vergabe von Leistungen im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) mit Bussen in seinem Kreisgebiet ohne Aufruf zum Wettbewerb. Hiergegen wandte sich der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin (AS). Die zuständige Vergabekammer (VK) erachtete die Direktvergabe zwar als zulässig, verpflichtete den AG jedoch dazu die Anforderungen an die Eigenerbringungsquote des Art. 5 Abs. 2 S. 1 und 2 Buchst. e) der VO (EG) 1370/2007 vertraglich sicherzustellen, da dieser auch für In-House-Vergaben gelten würde. Gegen die Entscheidung der VK legte die AS sofortige Beschwerde ein und beantragte u.a. eine Verlängerung der aufschiebenden Wirkung, die das OLG Düsseldorf gewährte. Der AG wiederum erhob Anschlussbeschwerde mit der er beantragt den Beschluss der VK aufzuheben, soweit ihm auferlegt wurde, die Direktvergabe unter Beachtung der Vorschriften des Art. 5 Abs. 2 S. 1 und 2 Buchst. e) durchzuführen.

Das OLG hat das Verfahren ausgesetzt und den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gefragt, ob Art. 5 Abs. 2 der VO 1370/2007 auf die Direktvergabe von Verträgen über den ÖPNV mit Bussen, die nicht die Form von Dienstleistungskonzessionen erfüllen, anwendbar ist. Dies verneinte der EuGH.

Die AS beantragt, dem AG zu untersagen, den Auftrag an die Beigeladene zu vergeben. Das OLG hat den Schiebebeschluss aufgehoben und die Angelegenheit dem BGH vorgelegt. Das OLG beabsichtigt, die sofortige Beschwerde der AS zurückzuweisen, sieht sich jedoch durch die Rechtsprechung des OLG Jena daran gehindert, welches bei einer Direktvergabe für Leistungen im ÖPNV durch Gesellschafterbeschluss das Vorliegen eines Dienstleistungsauftrags im vergaberechtlichen Sinn verneint und annimmt, der in Art. 5 Abs. 1 S. 2 VO 1370/2007 angeordnete Vorrang des allgemeinen Vergaberechts greife nicht ein. Dem widersprechend, nimmt das vorlegende OLG an, dass Art. 5 Abs. 2 VO 1370/2007 vorliegend nicht anwendbar, und allein die Voraussetzungen einer In-House-Vergabe zu prüfen seien. Der AG bezuschlagte die Beigeladene nach Aufhebung des Schiebebeschlusses durch gesellschaftliche Weisung, wogegen sich die AS zudem mit einem Fortsetzungsfeststellungsantrag, gerichtet auf die Feststellung einer Verletzung ihrer Rechte, wendet.

Die Entscheidung

Der BGH hilft der Anschlussbeschwerde des AG ab! Die Vorlage durch das OLG sei gemäß § 124 Abs. 2 S. 1 GWB aF zulässig, aber unbegründet. Gegen die Vergabe der Leistungen im ÖPNV mit Bussen an die Beigeladene bestünden keine Bedenken. Es gebe keine Verpflichtung des AG die Leistung im ÖPNV mit Bussen unter vertraglicher Fixierung der Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 S. 1 und 2 Buchst. e) der VO (EG) 1370/2007 zu vergeben. Der AG sei mit Aufhebung der aufschiebenden Wirkung durch das OLG zur Zuschlagserteilung an die Beigeladene berechtigt gewesen. Ein Verstoß gegen die Vorschriften der VO 1370/2007 sei nicht erkennbar.

Nach Auffassung des EuGH sei Art. 5 Abs. 2 S. 1 und 2 Buchst. e) VO 1370/2007 nicht auf die Direktvergabe von Verträgen im ÖPNV, die nicht in Form von Dienstleistungskonzessionen vergeben werden, anwendbar. Eine solche Vergabe liege hier vor. Direktvergaben über Leistungen im ÖPNV mit Bussen handele es sich um öffentliche Dienstleistungsaufträge, für die Art. 5 Abs. 2 S. 1 und 2 Buchst. e) gelte. Entgegen der Ansicht des OLG Jena umfasse der in dieser Bestimmung angeordnete Vorrang des allgemeinen Vergaberechts auch Direktvergaben, die nicht durch Vertragsschluss, sondern durch einen anderen rechtsverbindlichen Akt, wie bspw. gesellschaftliche Weisung, erfolgen. Eine Nichtigkeit des Vertrages ergebe sich auch nicht wegen Verstoßes gegen das für notifzierungspflichtige Beihilfen geltende Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 AEUV, denn anders als die Antragstellerin meint, sind Direktvergaben von Verkehrsdienstleistungen mit Bussen, die dem Betreiber Ausgleichsleistungen gemäß der VO 1370/2007 gewähren, notifizierungsfrei. Laut EuGH seien nur Art. 5 Abs. 2 bis 6 der VO 1370/2007 nicht auf Aufträge über Leistungen im ÖPNV anzuwenden; die übrigen Vorschriften blieben anwendbar. Eine Notifizierungspflicht entstehe auch nicht durch die Gewährung von Ausgleichszahlungen und ausschließlichen Rechten des AG gegenüber der Beigeladenen. Soweit zwischen den Beteiligten Gewinnabführungsverträge geschlossen worden seien, handele es sich um vor der Direktvergabe begründete, gesonderte Rechtsverhältnisse, die die Wirksamkeit der davon rechtlich unabhängigen Vergabe nicht beträfen. Verstöße gegen beihilferechtliche Vorschriften seien zudem nicht im Nachprüfungsverfahren geltend zu machen. Aufgrund der Rechtmäßigkeit der Direktvergabe, sei auch der Fortsetzungsfeststellungsantrag unbegründet.

Unerheblich sei hier, dass der AG die Vergabe in der Ausschreibung als eine Direktvergabe gemäß Art. 5 Abs. 2 VO 1370/2007 bezeichnete, da die Falschbezeichnung als solche im vorliegenden Fall nicht zu einer Rechtsverletzung führen würde.

Im Übrigen lägen die Voraussetzungen einer wirksamen In-House-Vergabe, insbesondere die Kontrolle über die Beigeladene wie über eine eigene Dienststelle, vor. Maßgeblich zur Beurteilung des Kontrollkriteriums seien die in der Satzung oder im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Leitbefugnisse. Der AG sei mit 50,25 % an der K beteiligt, während die Mitgesellschafter kraft Satzung an die Vorgabe des Gesellschafters K in allen Angelegenheiten weisungsgebunden sind. Entscheidende Bedeutung habe hier die Stimmbindung an die mehrheitlich durch den AG kontrollierte Vorgaben des Gesellschafters K.

Rechtliche Würdigung

Ebenso wie schon im Beschluss der VK Westfalen vom 02.07.2019, Az. VK 1- 17/19, war auch hier das EuGH Urteil vom 21.03.2019, Rs. C-266/17, C-267/17, grundlegend für den Ausgang der Entscheidung. Während die VK Westfalen mangels des Vorliegens der Voraussetzungen einer wirksamen In-House-Vergabe nach § 108 GWB die Direktvergabe für vergaberechtswidrig erklärte, obsiegte vorliegend der öffentliche Auftraggeber. Streitentscheidend wird die nach Auffassung des BGH durch Stimmbindung gewährleistete Kontrolle des AG über die den Vertrag ausführende Beigeladene gewesen sein. An eben diesem Kriterium scheiterte die Wirksamkeit der Direktvergabe im Fall der VK Westfalen.

Zusätzlich lag dem Ganzen hier eine Beauftragung der Beigeladenen durch gesellschaftliche Weisung und nicht durch Finanzierungsbescheid zu Grunde. Klar und deutlich stellt sich der BGH auf den Standpunkt, dass ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag auch durch die Entscheidung einer Behörde im Wege einer gesellschaftlichen Weisung bestehen kann. Die Rechtsauffassung des BGH ist zu begrüßen. Damit widerspricht der BGH unter Zugrundelegung des EuGH-Urteils vom 21.03.2019 der Auffassung des OLG Jena, das die gegenteilige Ansicht noch mit Urteil vom 12.06.2019, Az. 2 Verg 1/18 also nach Urteilsverkündung durch den EuGH vertreten hatte. Dabei nahm das OLG Jena an, dass es sich bei dem in Rede stehenden Auftrags, der Bus- und Straßenbahnleistungen betraf, nicht um einen Vertrag im Sinne des § 103 Abs. 1 GWB handele, der dem Vergaberecht unterfalle und der Vorrang des allgemeinen Vergaberechts demnach nicht eingreife (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 12.06.2019, Az. 2 Verg 1/18, Rn. 27.). Daher waren bei dieser Vergabe nach Ansicht des OLG Jena die Bestimmungen des Art. 5 Abs. 2 VO 1370/2007 maßgeblich. Insofern hat der BGH, zumindest den spezifischen Sachverhalt betreffend, Rechtsklarheit geschaffen.

Im Übrigen hat er sehr schön lehrbuchhaft geprüft, welche Voraussetzungen an eine Vorlage durch ein OLG an ebendiesen und an die Begründetheit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags zu stellen sind.

Praxistipp

Ungeachtet der zu begrüßenden Entscheidung des BGH ist davon auszugehen, dass Direktvergaben auch weiterhin auf dem nachprüfungsinstanzlichen Prüfstand stehen werden. Dabei sind öffentliche Auftraggeber gehalten, die von der Rechtsprechung präzisierten Voraussetzungen zur In-House-Vergabe selbstkritisch im Beschaffungsvorgang zu überprüfen. Maßgebliche Fragen können dabei sein, ob der Auftraggeber über die fragliche Einrichtung tatsächlich eine ähnliche Kontrolle wie über seine eigene Dienststelle ausübt und wie und wodurch diese Kontrolle gewährleistet wird. Entscheidungserheblich ist laut BGH hierbei, ob beispielsweise die Satzung oder der Gesellschaftsvertrag Leitungsbefugnisse vorsehen. Zudem muss die fragliche Einrichtung im Wesentlichen für den Auftraggeber tätig sein.

Gerade bei (Direkt-)Vergaben im Bereich des ÖPNV kann jedoch nicht verallgemeinert werden. Allen Beschlüssen und Urteilen liegen differenzierte Einzelfallbetrachtungen zu Grunde. Teils werden die Aufträge durch Finanzierungsbescheid, teils durch gesellschaftliche Weisung, teils durch Vertrag bzw. Kreistags- oder Gesellschafterbeschluss ausgeführt. Ob die konkrete Konstellation daher eine vergaberechtskonforme Direktvergabe ermöglicht, kann pauschal nicht beantwortet werden. Aufraggebern ist dringend zu empfehlen, die in Rede stehende Konstellation frühzeitig einer rechtlichen Prüfung unterziehen zu lassen. Das Urteil des BGH hat zumindest eine Möglichkeit aufgezeigt, wie eine In-House-Vergabe bei Leistungen im ÖPNV mit Bussen vergaberechtskonform wirksam erfolgen kann.

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Über Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG [1]

Der Autor Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG, ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte [2] in Berlin. Er berät seit über 20 Jahren öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe-, zuwendungs-, haushalts- und preisrechtlichen Fragestellungen. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

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