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Gegen eine rechtswidrige Vergabesperre steht Unternehmen ein Unterlassungsanspruch zu (BGH, Urt. v. 03.06.2020 – XIII ZR 22/19)

EntscheidungUnternehmen können einen Unterlassungsanspruch gegen rechtswidrige Vergabesperren auch außerhalb eines Vergabeverfahrens vor den Zivilgerichten durchsetzen. Eine rechtswidrige Vergabesperre stellt einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eines Unternehmens dar. Gegen einen solchen Eingriff stehen Unternehmen zivilrechtliche Unterlassungsansprüche zu. Diese Ansprüche können nicht nur im Rahmen einer konkreten Ausschreibung, sondern auch außerhalb eines Vergabeverfahrens vor den Zivilgerichten durchgesetzt werden.

§§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB; § 124 Abs. 1 Nr. 5 GWB

Leitsatz

Schließt ein öffentlicher Auftraggeber ein Unternehmen ohne hinreichenden sachlichen Grund generell von der Vergabe von Aufträgen oder der Teilnahme an Vergabeverfahren aus, steht dem ausgeschlossenen Unternehmen gegen die Umsetzung einer solchen rechtswidrigen Vergabesperre ein Unterlassungsanspruch zu.

Sachverhalt

Der Kläger ist ein Verein, der wissenschaftliche Studien und Gutachten erstellt. Das beklagte Land vergab über die Senatsverwaltung regelmäßig Aufträge für Forschungsvorhaben und Gutachten an den Kläger. Ein Mitarbeiter des Klägers ist mit der Senatorin verheiratet. Im Januar 2017 teilte der Staatssekretär der Senatsverwaltung den Abteilungleistern per E-Mail mit, zur Vermeidung eines Interessenkonflikts sei eine Beauftragung des Klägers nicht mehr möglich. Angebote des Klägers müssten in Zukunft als ungeeignet ausgeschlossen werden. Der Kläger erfuhr von der Anweisung und forderte die Senatsverwaltung auf, die Anweisung aufzuheben. Diese hielt jedoch an der Anweisung fest. Die Anweisung sei nötig, um den bösen Schein eines Interessenkonflikts zu vermeiden.

Daraufhin ging der Kläger gerichtlich gegen die Anweisung vor. Er verlangt, die per E-Mail verhängte Vergabesperre aufzuheben und ihn bei zukünftigen Auftragsvergaben nach denselben Grundsätzen wie jeden anderen Bieter zu berücksichtigen. Das Landgericht gab der Klage statt.  Auf die Berufung des Beklagten änderte das Berufungsgericht das Urteil und wies die Klage ab. Zwar war die  Anweisung des Staatssekretärs aus Sicht des Berufungsgerichts rechswidrig. Dem Kläger stehe jedoch kein zivilrechtlicher Abwehranspruch zu. Die Verfasserin hat den Kläger vor dem Land- und dem Berufungsgericht vertreten.

Die Entscheidung

Der BGH hob die Entscheidung des Berufungsgerichts auf und wies die Berufung zurück. Nach Ansicht des BGH liegt ein rechtswidriger Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Klägers vor. Dem Kläger steht daher ein  Unterlassungsanspruch zu.

Die Weisung des Staatssekretärs verletzt das Recht des Klägers am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Zwar stellt die Weisung nur einen innerbehördlichen Vorgang dar. Ihre Umsetzung verhindert aber jede Geschäftstätigkeit des Klägers mit der Senatsverwaltung und greift dadurch in die Geschäftstätigkeit des Kläger unmittelbar ein. Der Eingriff ist auch rechtswidrig. Inhalt und Grenzen des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gwerbebetrieb ergeben sich aus einer Interessen- und Güterabwägung. Eine Behindung der Erwerbstätigkeit ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürden Interesssen der anderen Seite überwiegt. Auf Seiten des Beklagten war hier das Interesse der Senatorin zu berücksichtigen, durch die Vergabesperre jeglichen „bösen Schein“ einer Interessenkonflikts zu vermeiden. Da die Vergabesperre rechtswidrig ist, überwog das Interesse des Klägers gegenüber den Interessen des Beklagten. Die Vergabesperre konnte eindeutig nicht auf § 124 Abs. 1 Nr. 5 GWB gestützt werden. Nach § 124 Abs. 1 Nr. 5 GWB kann ein Bieter ausgeschlossen werden, wenn ein Interessenkonflikt besteht, der durch andere weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam beseitigt werden kann. Der Ausschluss ist also nur als ultima ration zulässig. Im vorliegenden Fall konnte der Interessenkonflikt schon dadurch beseitig werden, dass die Senatorin an den Vergabeverfahren, an denen sich der Kläger beteiligt, nicht mitwirkt.

Rechtliche Würdigung

Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist ein Auffangtatbestand, der nur dann zur Anwendung kommt, wenn eine Schutzlücke besteht. Eine solche Schutzlücke hat der BGH zu Recht angenommen. Wird ein Unternehmen in einem Vergabevefahren oberhalb der Schwellenwerte von der Teilnahme ausgeschlossen, dann kann es sich gegen den Ausschluss in einem Nachprüfungsverfahren wehren; bei einem Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte kann das Unternehmen eine einstweilige Verfügung beantragen. Bei allen Vergabeverfahren ohne öffenliche Bekanntmachung bestehen diese Möglichkeiten jedoch nicht.  Im Zweifel wird das Unternehmen von dem Vergabeverfahren gar nicht erfahren. Selbst wenn es davon Kenntnis erlangt, hat es keinen Anspruch darauf, an dem konkreten Verfahren beteiligt zu werden. Könnte ein Unternehmen die Rechtmäßigkeit der Vergabesperre nicht unabhängig von einem Vergabeverfahren gerichlich klären lassen, dann bliebe ihm, wie der BGH festellt, jeglicher Rechtsschutz versagt.

Praxistipp

Bieter, die von einer rechtswidrigen Vergabesperre betroffen sind, können nun auch außerhalb eines Vergabeverfahrens Rechtschutz vor den Zivilgerichten suchen. Ein solcher Rechtsstreit dauert allerdings erfahrungsgemäß lange. Deswegen ist zu überlegen, ob die Vergabesperre mit einer einstweiligen Verfügung angegriffen werden kann. Hier ist die Rechtsprechung allerdings zurückhaltend. So soll der Verfügungsgrund fehlen, wenn der Bieter mit seinem Antrag  länger als einen Monat abwartet. Außerdem wird der Verfügungsgrund in der Rechtsprechung teilweise abgelehnt, wenn kein konkretes Vergabeverfahren bevorsteht.

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Über Christina Meincke [1]

Frau Christina Meincke ist Partnerin der Kanzlei Meincke Bienmüller [2] und Fachanwältin für Vergabrecht. Sie unterstützt öffentliche Auftraggeber bei der Konzeption von Ausschreibungen, berät Bieter in rechtlichen und taktischen Fragen während eines Vergabeverfahrens und vertritt Auftraggeber und Bieter in Nachprüfungsverfahren. Inhaltlich liegt der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit bei der Beschaffung von Liefer- und Dienstleistungen, insbesondere IT-Leistungen und freiberuflichen Leistungen (z. B. von Architekten, Fachplanern, Projektsteuerern, Ausstellungsgestaltern). Frau Meincke veröffentlicht regelmäßig Kommentare zur vergaberechtlichen Rechtsprechung und hält Vorträge bei Fachtagungen, insbesondere zum Thema nachhaltige Beschaffung.

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