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Kein Vertragsschluss bei Vorbehalten gegen geänderten Zuschlag (BGH, Urt. v. 03.07.2020 – VII ZR 144/19)

EntscheidungEs ist der Klassiker: Eine Bauvergabe verzögert sich so, dass schon vor Vertragsschluss die ursprünglich vorgesehenen Ausführungsfristen nicht mehr haltbar sind. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH kann der Auftraggeber drohende Mehrvergütungsansprüche vermeiden, indem er schon im Zuschlagsschreiben neue Ausführungsfristen verbindlich vorgibt. Doch was, wenn der Bieter dieses seinerseits nur zu einer höheren Vergütung annimmt? Auch solch einen Fall hat der BGH nun entschieden.

BGB §§ 133, § 150 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1, 3, §§ 282, 311 Abs. 2

Sachverhalt

Bei einer verzögerten Bauvergabe im offenen Verfahren vereinbarten Auftraggeber und Bestbieter zunächst einvernehmlich eine längere Bindefrist für das Angebot zu den ursprünglichen Konditionen. Im Zuschlagsschreiben teilte der Auftraggeber dem Bestbieter sodann neue Ausführungsfristen mit, die er um etwa einen Monat verschoben hatte. Der Auftraggeber bat in diesem Schreiben um unverzügliche Bestätigung der Termine sowie Annahme des Zuschlags. Das Zuschlagsschreiben enthielt auch bereits Vorgaben an die Bauabwicklung. Wenige Tage später lud die Vergabestelle den Bestbieter unter Bezugnahme auf das Zuschlagsschreiben zur Bauanlaufberatung ein und bat, dabei den Bauzeitenplan basierend auf den neu festgelegten Vertragsfristen zu übergeben.

Der Bestbieter bedankte sich daraufhin für den Zuschlag, erklärte aber zugleich, den gewünschten Realisierungszeitraum derzeit nicht bestätigen zu können. Nach Prüfung seiner Kapazitäten werde er in der Bauanlaufberatung die möglichen Termine mitteilen. Schon jetzt kündige er aber Mehrkosten infolge der verspäteten Vergabe und der geänderten Ausführungsfristen an. In der Bauanlaufberatung pflegte der Bestbieter die seitens der Vergabestelle vorgegebenen Termine dann zwar doch in den Bauzeitenplan ein, verlangte aber Mehrvergütung infolge zeitlicher Verzögerungen.

Daraufhin hob die Vergabestelle das Vergabeverfahren auf, da ihrer Meinung nach kein Vertrag zustande gekommen war, und beauftragte in einem anschließenden, neuen Vergabeverfahren mit modifizierten Ausführungsfristen ein Konkurrenzunternehmen.

Das akzeptierte der ehemalige Bestbieter nicht und verlangte Feststellung, dass zwischen dem Auftraggeber und ihm bereits ein wirksamer Vertrag zustande gekommen sei. Hilfsweise wollte er die Fortführung des ursprünglichen Vergabeverfahrens oder zumindest Schadensersatz erreichen.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Der BGH bestätigte, dass kein wirksamer Vertrag zustande gekommen sei.

– Modifizierter Zuschlag

Das Berufungsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass der Auftraggeber in seinem Zuschlagsschreiben die neuen Ausführungsfristen nicht nur unverbindlich vorschlagen, sondern vertraglich vereinbaren wollte, deswegen lag ein sog. modifizierter Zuschlag gemäß § 150 Abs. 2 BGB vor.  Auf diese Weise hatte der Auftraggeber das  vorliegende Angebot des Bestbieters abgelehnt und seinerseits ein neues Angebot zu geänderten (zeitlichen) Bedingungen unterbreitet.

Dies war insbesondere daran zu erkennen, dass die Vergabestelle nicht lediglich eine Empfangs- oder Auftragsbestätigung von dem Bieter verlangte,  sondern unter Bezugnahme auf § 18 Abs. 2 VOB/A ausdrücklich eine Annahmeerklärung forderte. Diese Vorschrift regelt den modifizierten Zuschlag. Unschädlich war, dass der Auftraggeber in diesem Schreiben bereits im Vorgriff auf den zu erwartenden Vertragsschluss Vorgaben zur Vertragsabwicklung in das Schreiben aufgenommen hatte.

– Kein Raum für Auslegung

Daran ändere auch das vergaberechtliche Nachverhandlungsverbot im offenen Verfahren nichts. Zwar sei grundsätzlich davon auszugehen, dass sich ein Auftraggeber vergaberechtskonform verhalten will. Dies gilt aber nur in Zweifelsfällen, die der Auslegung bedürfen und zugänglich sind, nicht aber bei einem eindeutig und klar geäußerten Willen. Der BGH machte deutlich, dass ein Auftraggeber auch unter Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften einen zivilrechtlich wirksamen Vertrag schließen kann.

– Kein Vertragsschluss ohne Annahme des Zuschlags

Dieses – durch das Zuschlagsschreiben neue – Angebot des Auftraggebers hatte der ehemalige Bestbieter wiederum nicht (unverändert) angenommen. Zwar hatte das Unternehmen in der Bauanlaufbesprechung schließlich doch die geänderten Termine akzeptiert, allerdings nur zu einer geänderten Vergütung, also gerade nicht zu den Konditionen, die der Auftraggeber vereinbart wissen wollte.

– Kein Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses

Auch einen auf das positive Interesse gerichteten Schadensersatzanspruch erkannte der BGH nicht zu, weil sich der Beschaffungsbedarf der neuen Ausschreibung wesentlich geändert habe und sie damit auf einen anderen Vertrag gerichtet war. Ob ein Aufhebungsgrund vorlag, konnte daher dahingestellt bleiben.

Rechtliche Würdigung

Die verzögerte Bauvergabe und ihre Folgen sind Gegenstand zahlreicher Entscheidungen. Der BGH hatte schon über viele verschiedene Konstellationen zu entschieden, darunter insbesondere auch über eine modifizierte Zuschlagserteilung (vgl. BGH, Urteil vom 06.09.2012, VII ZR 192/10). Im Gegensatz zum hier entschiedenen Fall hatte der damalige Bestbieter aber den geänderten Zuschlag angenommen, ohne Mehrkosten anzumelden. Deshalb schuldete er die Leistung dann auch zu dem ursprünglich angebotenen Preis. Diese Rechtsfolge vermied das ausgewählte Unternehmen im nunmehr entschiedenen Fall zwar, dafür ging es aber letztlich ohne Auftrag nach Hause, da sich die Parteien über einen wesentlichen Vertragsinhalt (nämlich die Vergütung) ganz offenbar nicht einig waren und ein wirksamer Vertragsschluss (mithin zutreffend) abgelehnt wurde.

Es ist allerdings richtig, dass der Vertragsschluss durch modifizierten Zuschlag grundsätzlich gegen das vergaberechtliche Verhandlungsverbot im offenen Verfahren verstößt. Zwar dürfte das Risiko eines Nachprüfungsverfahrens rein faktisch überschaubar sein, da ein wirksam erteilter Zuschlag gemäß § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB nicht aufgehoben werden kann und ein auf das positive Interesse gerichteter Schadensersatzanspruch konkurrierender Unternehmen meist an dem darzulegenden konkreten, kausalen Schaden scheitern dürfte. Zumindest im Hinblick auf etwaige Fördermittel oder die Gefahr eines möglichen EU- Vertragsverletzungsverfahren ist diese Vorgehensweise aber auch für Auftraggeber nicht uneingeschränkt empfehlenswert.

Auf vergaberechtskonforme Weise lassen sich Mehrvergütungsansprüche letztlich nur dadurch vermeiden, dass der Auftraggeber die Leistung nach Rückversetzung oder (als ultima ratio) nach Aufhebung des Verfahrens erneut in den europaweiten Wettbewerb gibt. Zumindest, wenn sich zugleich der Beschaffungsbedarf wesentlich ändert, ist auch das Schadensersatzrisiko zu vernachlässigen.

Praxistipp

Letztlich müssen Auftraggeber im Einzelfall die Risiken und Chancen verschiedener Strategien gegeneinander abwägen. Vorzugswürdig bleibt natürlich, Verzögerungen von vorn herein zu vermeiden oder aber zumindest stark einzugrenzen (vgl. dazu weiterführend bereits Kayser/Pfarr, NZBau 2011, 584 ff.) Für Bieter bleibt festzuhalten, dass Vorbehalte in der Zuschlagsbestätigung zwar Mehrkosten vermeiden, sie aber um den gesamten Auftrag bringen können.

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Über Dr. Valeska Pfarr, MLE [1]

Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte [2], Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.

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