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Gerechtfertigter Ausschluss wegen Vergabesperre? (VK Bund, Beschl. v. 19.08.2020 – VK 2-59/20)

EntscheidungIst bei einer Vergabesperre immer ein Ausschluss wegen schwerer Verfehlung gerechtfertigt? In welchem Rahmen ist ein Unternehmen für sein Personal oder seine Nachunternehmer verantwortlich? Mit diesen Fragen hat sich die VK Bund in ihrer aktuellen Entscheidung auseinandergesetzt und festgestellt: Eine Vergabesperre begründet dann einen Ausschluss wegen schwerer Verfehlung, wenn das Fehlverhalten einer Person dem Unternehmen infolge ihrer Leitungsverantwortung zuzuordnen ist. Dagegen ist ein Ausschluss wegen Schlechtleistung bereits dann gerechtfertigt, wenn der Verstoß dem Unternehmen objektiv im Rahmen seiner Organisationsverantwortung zuzurechnen ist.

§§ 124 Abs. 1 Nr. 3, 124 Abs. 1 Nr. 7, 126 Abs. 2, 142 GWB

Sachverhalt

Im Jahr 2020 schrieb eine Auftraggeberin im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb den Abschluss einer Rahmenvereinbarung für Instandsetzungsleistungen nach den Vorschriften der Sektorenverordnung aus.

Ein Unternehmen, gegen das Ende 2019 eine dreijährige Vergabesperre verhängt worden war, reicht einen Teilnahmeantrag ein. Das Unternehmen wird daraufhin von der Auftraggeberin, die auch zuvor auch die Vergabesperre ausgesprochen hat, wegen schwerer Verfehlung nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB vom Vergabeverfahren ausgeschlossen.

Maßgebliche Gründe für die Verhängung der Vergabesperre waren die Abrechnung tatsächlich nicht erbrachter Leistungen in einer Abschlagsrechnung und der Einsatz eines nicht genehmigten Nach-Nachunternehmers, was schlussendlich zur berechtigten Kündigung des Bauvertrages aus wichtigem Grund geführt hat.

Nach erfolgloser Rüge stellt das Unternehmen einen Nachprüfungsantrag. Darin trägt es vor, dass der Ausschluss nicht gerechtfertigt sei, da ihm beide Fehlverhalten nicht zuzurechnen seien. Die Falschabrechnung sei in Unkenntnis der Geschäftsführung durch einen Mitarbeiter ohne Leitungsverantwortung verschuldet worden. Die Geschäftsführung habe hiervon erst im Wege des Sperrverfahrens Kenntnis erlangt. Der nicht genehmigte Nach-Nachunternehmereinsatz beruhe allein auf dem eigenmächtigen Handeln des Nachunternehmers.

Während des laufenden Nachprüfungsverfahrens erklärt die Auftraggeberin zusätzlich den Ausschluss wegen Schlechtleistung nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB.

Die Entscheidung

Die VK Bund entschied, dass der Nachprüfungsantrag in der Sache keinen Erfolg hat, da der Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB i.V.m. § 142 GWB zu Recht erfolgte.

Die VK Bund stellt zunächst mit Verweis auf die Entscheidung des BGH vom 03. Juni 2020 (XIII ZR 22/19) zur Zulässigkeit des Vorgehens gegen eine Vergabesperre vor den Zivilgerichten klar, dass die Nachprüfungsinstanzen weiterhin für die Überprüfung der Verneinung der Eignung in einem konkreten Vergabeverfahren zuständig sind.

Eine den Ausschluss rechtfertigende Schlechtleistung liege vor, da sowohl die unberechtigte Abschlagsrechnung als auch der nicht genehmigte Nach-Nachunternehmereinsatz dem Unternehmen als erhebliche mangelhafte Erfüllung wesentlicher Vertragspflichten zuzurechnen seien. Auf die Kenntnis der Geschäftsführung komme es hier nicht an.

Im Rahmen der Schlechtleistung sei nach Auffassung der VK Bund allein entscheidend, ob die Schlechtleistung objektiv dem Verantwortungsbereich des Bewerbers/Bieters als früherem Auftragnehmer zuzuordnen ist. Hierbei sei zwischen der Zurechnung im Rahmen der schweren Verfehlung und der Schlechtleistung zu differenzieren.

Bei der schweren Verfehlung nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB kann aufgrund des Verweises auf § 123 Abs. 3 GWB das Fehlverhalten einer Person dem Unternehmen nur dann zugerechnet werden, wenn die Person als für die Leitung des Unternehmens Verantwortlicher gehandelt hat. Ein solcher Verweis auf § 123 Abs. 3 GWB fehlt bei der Schlechtleistung nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB. Daher komme es hier allein darauf an, ob diese unabhängig von der Leitungsfunktion dem Verantwortungsbereich des Unternehmens zuzurechnen sei.

Die Schlechtleistung von Mitarbeitern sei dabei stets zuzurechnen, da ein Unternehmen für seine Mitarbeiter und deren Verhalten grundsätzlich einstandspflichtig sei. Selbst wenn man darüber hinaus einen eigenen Verursachungsbeitrag verlangen würde, liege dieser in Form eines Organisationsverschuldens vor. Die unberechtigte Abrechnung sei auf eine unzureichende interne Kontrolle zurückzuführen. Gleiches gelte für den nicht genehmigten Einsatz eines Nach-Nachunternehmers. Es liege allein im Verantwortungsbereich des Auftragnehmers, das im Vertragsverhältnis mit dem Auftraggeber bestehende Verbot der Weitergabe an nicht genehmigte Nach-Nachunternehmer an den Nachunternehmer zu kommunizieren, effektiv zu kontrollieren und durchzusetzen.

Abschließend stellt die VK Bund fest, dass diese Gesichtspunkte allerdings eine schwere Verfehlung und damit eine dreijährige Vergabesperre nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB nach kursorischer Prüfung nicht rechtfertigen. Hierauf komme es aber nicht an, da allein über den Ausschluss zu entscheiden sei.

Rechtliche Würdigung

Im Rahmen der Zulässigkeit führt die VK Bund zutreffend aus, dass aus der jüngsten BGH-Entscheidung zur Vergabesperre (siehe hierzu Vergabeblog.de vom 07/09/2020, Nr. 44855 [1]) kein generelles Stufenverhältnis zugunsten der Zivilgerichte folgt. Unternehmen sind vielmehr weiterhin befugt, die Verneinung der Eignung, auch wenn diese mit der Verhängung einer Vergabesperre begründet wird, von den Vergabekammern überprüfen zu lassen.

Die Entscheidung der VK Bund verdeutlicht aber auch, dass – wenn ein Unternehmen diesen Weg geht – die Vergabesperre nur insoweit Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens ist, als sie den Ausschluss betrifft. Über die Rechtmäßigkeit der Vergabesperre als solche wird hingegen nicht entschieden.

Hinsichtlich des Ausschlusses wegen Schlechtleistung sah die Vergabekammer die Voraussetzungen zutreffend als erfüllt an. Ein Ausschluss vom Vergabeverfahren kann dabei jederzeit und damit auch während des Nachprüfungsverfahrens erklärt werden. Nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB liegt immer dann eine solche Schlechtleistung vor, wenn ein Unternehmen bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags

– eine wesentliche Anforderung im Sinne einer Haupt- oder Nebenleistung

– derart erheblich mangelhaft erfüllt hat,

– dass dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat und

– deshalb unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine negative Eignungsprognose für das konkrete Vergabeverfahren ermessensfehlerfrei angenommen werden kann.

Liegt das Fehlverhalten in der Verletzung vertraglicher Pflichten, wie vorliegend die Abrechnung nicht erbrachter Leistung und der nicht genehmigte Nach-Nachunternehmereinsatz, kommt regelmäßig sowohl ein Ausschluss wegen schwerer Verfehlung als auch wegen Schlechtleistung in Betracht. Eine objektive Zurechnung des Fehlverhaltens Dritter ohne Leitungsverantwortung und ein darauf gestützter Ausschluss ist aber nur im Rahmen der Schlechtleistung gerechtfertigt.

Praxistipp

Die Entscheidung zeigt deutlich, dass die Frage des Ausschlusses einzelfallabhängig ist. Auch bei Verhängung einer Vergabesperre ist die Eignung stets im konkreten Vergabeverfahren zu prüfen und kann nicht mit einem bloßen Hinweis darauf verneint werden.

Die Rechtfertigung eines Ausschlusses wegen schwerer Verfehlung unterliegt dabei insbesondere hinsichtlich der Zurechnung des Fehlverhaltens Dritter anderen Anforderungen als der Ausschluss wegen Schlechtleistung. Für den Ausschluss eines Unternehmens wegen Schlechtleistung reicht das objektive Fehlverhalten Dritter, wie z. B. eigener Mitarbeiter oder Nachunternehmer, grundsätzlich aufgrund der Organisationsverantwortung aus.

Unternehmen sollten daher auch nach Abschluss eines Vergabeverfahrens ein besonderes Augenmerk auf die Vertragsdurchführung richten und insbesondere diejenigen Vertragspflichten, die zu einer Kündigung berechtigen, sorgsam ausführen sowie entsprechende interne Kontroll- und Überwachungssysteme einrichten, um Fehlverhalten zu vermeiden bzw. zeitnah aufzudecken.

Für Vergabestellen folgt aus der Entscheidung, dass auch, wenn die Voraussetzungen für eine Vergabesperre bzw. einen Ausschluss wegen schwerer Verfehlung einmal nicht vorliegen, ein Ausschluss wegen Schlechtleistung gerechtfertigt sein kann, soweit dies zu einer berechtigten vorzeitigen Beendigung des früheren Auftrags oder einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat.

In prozessualer Hinsicht stellt die Entscheidung klar, dass Unternehmen, gegen die eine Vergabesperre verhängt wurde, grundsätzlich die Wahl haben, im Rahmen eines konkreten Vergabeverfahrens den Ausschluss vor der Vergabekammer oder aber die Vergabesperre isoliert vor den Zivilgerichten anzugreifen.

Dabei ist jedoch nicht zu verkennen, dass weder die Zivilgerichte über den Ausschluss im Vergabeverfahren noch die Vergabekammern über die generelle Rechtmäßigkeit der Vergabesperre entscheiden. Unternehmen sollten daher im Zweifel sowohl gegen die Vergabesperre vor den Zivilgerichten als auch gegen den Ausschluss im konkreten Vergabeverfahren vor den Vergabekammern vorgehen.

Ab 2021 eröffnet sich noch ein weiterer Weg:

Im Zuge der Umsetzung des Wettbewerbsregistergesetzes (WRegG) besteht nach § 6 Abs. 1 WRegG bei öffentlichen Aufträgen mit einem geschätzten Auftragswert ab 30 000 Euro (ohne Umsatzsteuer) eine Abfragepflicht beim Bundeskartellamt als Registerbehörde. Öffentliche Auftraggeber erhalten hier Informationen, ob bei einem Unternehmen im Wettbewerbsregister eingetragene Ausschlussgründe nach §§ 123 und 124 GWB vorliegen und können im Falle des Eintrags ein Unternehmen im Rahmen des jeweiligen Vergabeverfahrens ausschließen.

Ein eingetragenes Unternehmen kann unter Berufung auf ausreichende Selbstreinigungsmaßnahmen eine vorzeitige Löschung beantragen. Sofern dies abgelehnt wird, besteht für Unternehmen neben dem Zivilrechtsweg und dem Rechtsschutz im jeweiligen Vergabeverfahren die Möglichkeit der Beschwerde beim Oberlandesgericht.

Allerdings kann dieser Weg noch etwas dauern. Laut Webseite des BMWi [2] soll das Wettbewerbsregister möglichst Anfang 2021 funktionsfähig sein, mit einem Start vor dem Frühjahr 2021 ist somit nicht zu rechnen.

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Über Dr. Jana Dahlendorf [3]

Dr. Jana Dahlendorf ist Rechtsanwältin bei der Kanzlei SammlerUsinger Rechtsanwälte Partnerschaft mbB [4] in Berlin. Sie berät öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren ebenso wie Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt sie ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen.

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