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Vergaberecht und -praxis in der Weltraumindustrie

Die Raumfahrt erlebt seit einigen Jahren rasanten technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt. Wiederverwendbare Raketen, Miniaturisierung, 3-D Druck oder Digitalisierung senken die Kosten für die Produktion von Satelliten und ihren Start in die Erdumlaufbahnen. Cloudplattformen, Machine Learning und erste Ansätze von KI-Anwendungen revolutionieren den Zugang zu Erdbeobachtungsdaten, ihre Analyse und die Bereitstellung von Mehrwertdiensten. Die Satellitennavigation ist ein essenzielles Element für kritische Infrastrukturen, das Transportwesen und zahlreiche weitere Wirtschaftsbereiche. Mehrere Unternehmen wie Starlink von Elon Musk oder OneWeb bauen große „Mega“- Satellitenkonstellationen mit globaler Abdeckung für die Internetversorgung, das Internet der Dinge und die Maschinenkommunikation auf. Nach vielen Verzögerungen und Rückschlägen steht der Weltraumtourismus nun kurz vor der Markteinführung, Richard Branson´s Virgin Galactic hat den ersten Flug für März 2021 angekündigt. Mit den zahlreichen geplanten Missionen zum Mond und Mars rückt selbst der Ressourcenabbau im Weltraum in greifbare Nähe. Wie nie zuvor treffen Raumfahrtunternehmen auf Interesse von Investoren, mit einer für 2021 geplanten Investorenrunde würde der Wert von SpaceX allein auf 36 Mrd. Dollar steigen. Das Engagement und der Erfolg der Weltraum-Milliardäre Musk, Bezos und Branson, das Investoreninteresse, die technischen Möglichkeiten und die Marktvorhersagen haben zu einer großen Zahl an Start-ups in der Raumfahrt geführt, allein in Deutschland wurden in den letzten Jahren ca. 90 neue Unternehmen gegründet. Das in der Branche führende Marktforschungsunternehmen Euroconsult rechnet bis Ende dieses Jahrzehntes mit einer Verfünffachung bei der Nachfrage von Satelliten und jährlich ca. 1.300 Satellitenstarts weltweit. Morgan Stanley geht bis 2040 von einem weltweiten Marktvolumen der Raumfahrt in Höhe von 1 Billiarde Dollar aus.

Bedeutung der öffentlichen Auftragsvergabe in der Raumfahrt

Trotz dieser, mit dem Begriff „NewSpace“ umschriebenen Kommerzialisierungswelle bleibt die Raumfahrt sehr stark von der öffentlichen Hand abhängig, sei es als direkter Kunde von Satellitenherstellern oder Startdienstleistern für eigene Missionen, als Endnutzer von Satellitendiensten und -anwendungen, als Fördergeber für Forschung und Entwicklung oder als Regulator und Aufsichtsbehörde für private Raumfahrtaktivitäten. Für öffentliche Beschaffungen können drei Akteursebenen in Europa unterschieden werden, die Mitgliedstaaten, die Europäische Weltraumorganisation (ESA) und die Europäische Union.

Vergaben auf Ebene der Mitgliedstaaten

Auf Ebene der Mitgliedstaaten werden raumfahrtbezogene Beschaffungen durch Ministerien, Raumfahrtagenturen, Forschungseinrichtungen und Behörden durchgeführt.

In Deutschland sind als wesentliche Akteure zu nennen das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., welches sowohl als Raumfahrtagentur als auch als führende Forschungseinrichtung fungiert, sowie das BMVg mit seiner Beschaffungsbehörde BAAINBw. Hinsichtlich der Nutzung von Satellitendiensten, -daten und -anwendungen kommen jedoch viele weitere Behörden und öffentliche Einrichtungen auf allen Ebenen als Vergabestellen in Betracht. Erdbeobachtungsdaten und -dienste werden zum Beispiel bei Grenzüberwachung, Bau- und Infrastrukturplanung, im Umwelt- und Klimaschutz, bei Naturkatastrophen und für viele weitere öffentliche Zwecke beschafft. Satellitenkommunikation wird durch alle Sicherheitsbehörden eingesetzt, spielt aber auch eine wichtige Rolle bei der Internetversorgung entlegener Ortschaften oder im Rahmen des 5G-Ausbaus.

Aus vergaberechtlicher Sicht fällt auf, dass in den Mitgliedstaaten, namentlich den führenden Raumfahrtnationen wie Frankreich, Deutschland, Italien oder Spanien, kein eigenes „Weltraumvergaberecht“ existiert. Aufgrund der regelmäßig hohen Auftragsvolumen müssen die meisten Vergabeverfahren europaweit bekannt gemacht werden und stehen grundsätzlich auch Unternehmen aus anderen Staaten zur Teilnahme offen. Aufgrund der Nähe der Raumfahrt zum Verteidigungssektor und aufgrund ihrer strategischen und industriepolitischen Bedeutung kommen den vergaberechtlichen Ausnahmetatbeständen sowie Anforderungen an den Geheimschutz und die Versorgungssicherheit besondere Bedeutung zu. Dies gilt insbesondere für die Anwendung der VSVgV und der Beschaffung von sog. Dual-Use-Systemen. Die großen Raumfahrtunternehmen wie Airbus, Thales, Leonardo, GMV oder OHB stellen sich in den wesentlichen Mitgliedstaaten regelmäßig mit Tochterunternehmen auf, um mit diesen an den jeweiligen nationalen Vergabeverfahren teilnehmen.

Vergaben der Europäischen Weltraumorganisation

Die ESA ist seit ihrer Gründung 1975 die wichtigste öffentliche Vergabestelle in der europäischen Raumfahrtindustrie. Sie ist eine zwischenstaatliche Organisation, ihr oberstes Organ ist der Ministerrat, der alle zwei Jahre zusammentritt.

Nach einem Wachstumsschub in den letzten Jahren gehören der ESA zurzeit 22 Mitgliedstaaten an, darunter mit der Schweiz, Norwegen und Großbritannien auch Staaten außerhalb der EU. Die Aktivitäten der ESA unterteilen sich in ein „Pflichtprogramm“ und eine Vielzahl sog. optionaler Programme. Das Pflichtprogramm, das die Weltraumforschungsprogramme und das allgemeine Budget umfasst, wird von allen Mitgliedern gemeinsam finanziert. Der anteilsmäßige Beitrag der einzelnen Staaten richtet sich dabei nach dem jeweiligen Bruttoinlandsprodukt. Hinsichtlich der optionalen Programme ist es hingegen jedem einzelnen Staat freigestellt, ob und in welcher Höhe er sich beteiligt. Das Budget der ESA für 2020 betrug ca. 6,7 Milliarden Euro.

Da die ESA keine Forschungsförderung in Form von Zuwendungen vorsieht, werden die Haushaltsmittel für Beschaffungen genutzt. Die ESA funktioniert insofern nach dem Prinzip eines geografischen Mittelrückflusses („Geographic Return“), d.h. sie vergibt Aufträge für ihre Raumfahrtprogramme an Unternehmen aus den Mitgliedstaaten in einer Höhe, die etwa den Beitragsgeldern des jeweiligen Landes entsprechen. Die Auftragsvergabe unterliegt einer eigenen Beschaffungsordnung, die in regelmäßigen Abständen überarbeitet wird und sehr stark auf die Industriepolitik der ESA und die besonderen Herausforderungen von Raumfahrtmissionen zugeschnitten ist. Auftragsvorhaben und -bekanntmachungen werden in einem eigenen Portal (EMITS) veröffentlicht und in den letzten Jahren wurde eine fortgeschrittene Umstellung auf elektronische Vergabeverfahren erreicht. Wie bei einer eVergabe üblich, müssen auch hier Bieter im Portal der ESA registriert sein und ihre Angaben regelmäßig aktualisieren. Teilnahmeberechtigt sind Unternehmen und Einrichtungen aus den Mitgliedstaaten, assoziierten Staaten und Staaten, mit denen Kooperationsabkommen bestehen.

Das Standardverfahren der ESA ist das offene wettbewerbliche Verfahren (Open Competitive Tender). Das sog. beschränkte wettbewerbliche Verfahren (Restricted Competitive Tender) kann unter anderem eingesetzt werden

– für Lieferungen oder Dienstleistungen, die aufgrund ihrer besonderen Beschaffenheit nur von einer begrenzten Zahl von Wirtschaftsteilnehmern beschafft werden können,

– für allgemeine Beschaffungen, die keine industriepolitischen Auswirkungen haben und mit einem unverhältnismäßigen Verfahrensaufwand verbunden wären,

– für Lieferungen oder Dienstleistungen, die von der Agentur im Rahmen von internationalen Vereinbarungen oder im Rahmen einer Rahmenvereinbarung beschafft werden,

– wenn es sich um Lieferungen oder Leistungen handelt, die als geheim eingestuft sind oder deren Ausführung von besonderen Sicherheitsmaßnahmen begleitet sein muss.

Das nicht-wettbewerbliche Verfahren (Non-competitive Tender) kann unter anderem eingesetzt werden,

– wenn es nur eine Quelle für die Lieferungen oder Leistungen gibt, in einem Fall äußerster Dringlichkeit,

– wenn Aufträge für zusätzliche oder ergänzende Lieferungen oder Leistungen aus wissenschaftlichen, technischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht von denen eines früheren Auftrags getrennt werden können,

– wenn die benötigten Lieferungen oder Leistungen Gegenstand von Rechten des geistigen Eigentums sind und daher nur aus einer bestimmten Quelle beschafft werden können.

Die meisten Vergabeverfahren der ESA werden in einem Verfahrensschritt durchgeführt, es besteht jedoch auch die Möglichkeit eines zweistufigen Verfahrens (Two-Stage-Tendering). Die ESA wendet dieses Verfahren vor allem dann an, wenn es ohne Beiträge der Wirtschaftsteilnehmer nicht möglich ist, detaillierte Spezifikationen für die Lieferungen oder Leistungen zu formulieren, oder wenn es erforderlich ist, zunächst qualifizierte Wirtschaftsteilnehmer zu ermitteln und auszuwählen. Die ESA hat damit Anlehnungen an Teilnahmewettbewerb und wettbewerblichen Dialog eingeführt.

Hervorzuheben ist, dass die Vergabeentscheidungen der ESA nur einer eingeschränkten Überprüfung offenstehen. Diese setzt stets eine rechtzeitige Rüge (Claim) voraus. Diese ist grundsätzlich bis zum in der Ausschreibung angegebenen Schlusstermin bzw. 10 Kalendertage ab dem Zeitpunkt, an dem die Grundlage der Rüge dem Bieter bekannt war oder hätte bekannt sein müssen, anzubringen. Der Generaldirektor hat die Möglichkeit das Vergabeverfahren daraufhin auszusetzen. Dies setzt allerdings voraus, dass die Rüge nicht leichtfertig erhoben wird und eine Erklärung enthält, deren Inhalt belegt, dass der Kläger ohne Aussetzung einen nicht wiedergutzumachenden Schaden erleiden wird, dass es weiterhin wahrscheinlich ist, dass die Klage Erfolg haben wird, und dass die Gewährung der Aussetzung der Weltraumorganisation keinen unverhältnismäßigen Schaden zufügen würde.

Die Rüge ist in erster Instanz beim Leiter der Beschaffungsabteilung einzureichen. Ist der Bieter mit der Entscheidung der Beschaffungsabteilung nicht einverstanden, kann er eine Anfechtung beim Industrie-Ombudsmann der Agentur einreichen. Der Ombudsmann gibt nach Anhörung des Antragstellers und des Leiters der Beschaffungsabteilung innerhalb von zehn Kalendertagen nach Einreichung der Anfechtung eine schriftliche Empfehlung an den Leiter der Beschaffungsabteilung und den Antragsteller ab, woraufhin wieder der Leiter der Beschaffungsabteilung eine Entscheidung trifft. Ist der Bieter auch mit dieser Entscheidung nicht einverstanden, kann er den Vergabeprüfungsausschusses (Procurement Review Board) anrufen. Die Entscheidung des Ausschusses ist dann für die Parteien endgültig und verbindlich.

Als weitere Besonderheit kann genannt werden, dass die ESA, wenn notwendig, den Beginn der Vertragsausführung vor Zuschlag oder Vertragsunterzeichnung anordnen kann (sog. Preliminary Authorization to Proceed). Dieses Mittel wird vor allem dann eingesetzt, wenn Liefergegenstände mit sehr langen Lieferzeiten betroffen sind (sog. Long Lead Items) oder aus anderen Gründen nicht mit dem formalen Abschluss des Verfahrens und der Wirksamkeit des Vertrages gewartet werden kann. Überwiegend wird das Mittel allerdings bei Vertragsänderungen eingesetzt, um durch die oft sehr zahlreichen Änderungsprozesse bedingte Verzögerungen in der Umsetzung der Missionen zu vermeiden. Da zumindest für die großen Raumfahrtmissionen nur wenige Unternehmen als Hauptauftragnehmer (sog. LSI, Large System Integrators) in Frage kommen, gibt die ESA diesen mit den sog. Best Practices Vorgaben zur Erteilung von Unteraufträgen, wobei die Auswahlverfahren von der ESA auch überwacht werden.

Trotz aller Besonderheiten hat sich das Vergaberecht der ESA in den letzten Jahren immer mehr dem der Vergaberecht der EU angeglichen. Die Europäische Kommission hat bereits vor einigen Jahren die Äquivalenz der Regelungen anerkannt. Ein Streitpunkt bleiben die Regelungen zum geografischen Mittelrückfluss, die aus Sicht der Europäischen Kommission mit den Regeln des gemeinsamen Marktes nicht vereinbar sind.

Vergaben der Europäischen Union

In den letzten 15 Jahren ist die Bedeutung der EU in der europäischen Raumfahrt sowohl in politischer wie programmatischer Hinsicht stetig gewachsen. Seit Mitte der 2000er Jahre führt die Europäische Kommission ambitionierte eigene Weltraumprogramme, das europäische Satellitennavigationsprogramm mit den Systemen Galileo und EGNOS sowie das europäische Erdbeobachtungsprogramm Copernicus (vorher GMES) durch.

Am 10. November 2020 erzielten das Europäische Parlament, die EU-Mitgliedstaaten im Rat und die Kommission eine politische Einigung über den nächsten langfristigen EU-Haushalt. In einem nächsten Schritt wird nun die Verordnung über den mehrjährigen Finanzrahmen erlassen und der Eigenmittelbeschluss ratifiziert. Ebenfalls kurz vor Weihnachten konnten Rat, Parlament und Kommission in Trilog-Verhandlungen eine politische Einigung über das Weltraumprogramm der Union für die kommenden Jahre und die entsprechende Verordnung erzielen. Die Verordnung muss jedoch noch vom Europäischen Parlament und dem Rat abschließend gebilligt werden.

Im neuen EU-Weltraumprogramm werden alle bestehenden und neuen Weltraumaktivitäten in einem einzigen Programm zusammengeführt. Mit einer Finanzausstattung in Höhe von über 13 Mrd. EUR wird das EU-Weltraumprogramm die Weiterentwicklung der derzeitigen europäischen Programme Galileo/EGNOS und Copernicus gewährleisten. Außerdem können europäische Initiativen in den Bereichen Satellitenkommunikation (GOVSATCOM) und Weltraumlageerfassung (Space Situational Awareness, SSA) starten. Mit der Verordnung wird der Kommission die Gesamtverantwortung für die Durchführung des Programms übertragen. Die Agentur für das Europäische GNSS wird zur Agentur der Europäischen Union für das Weltraumprogramm und bekommt einen größeren Aufgabenbereich und mehr Zuständigkeiten.

Beschaffungen der Europäischen Kommission, der Agentur für das Weltraumprogramm (EUSPA) und weiterer relevanter Agenturen und Einrichtungen der EU werden auf Basis der EU-Haushaltsverordnung (Verordnung 2018/1046 vom 18. Juli 2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union), ggf. ergänzt durch die besonderen Haushaltsordnungen der jeweiligen Agenturen, durchgeführt. Seit der letzten Fassung aus 2018 sind die Bestimmungen zu Vergaben in Titel VII sowie in Anhang 1 zur Haushaltsordnung enthalten. Die Regelungen sind weitgehend identisch mit den Vorschriften für Vergaben der Mitgliedstaaten, weisen jedoch Unterschiede im Detail auf. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass gegen Vergabeentscheidungen der Rechtsweg zum Gericht der Europäischen Union (EuG) offensteht. Aufgrund der üblichen Dauer der Verfahren, vor allem aber aufgrund des Umstandes, dass regelmäßig keine Aussetzung erfolgt, ist der Rechtsschutz für unterlegene Bieter in der Praxis jedoch stark eingeschränkt.

Interessant ist, dass die Europäische Kommission schon seit 2008 für sehr große und komplexe Vergabeverfahren das Instrument des wettbewerblichen Dialoges eingesetzt hat, während auf Ebene der Mitgliedstaaten dieses Verfahren auch heute noch nur sehr zögerlich benutzt wird. Nach einer Lernphase sowohl auf Seiten der Kommission als auch der Industrie werden die Erfahrungen mit dem wettbewerblichen Dialog positiv bewertet, auch wenn Vorbereitung und Durchführung sehr aufwendig sind und die Teilnahme für die Industrie hohe Kosten verursacht. Aus Industriesicht kritisiert werden hingegen die regelmäßige Nutzung des offenen Verfahrens auch für technisch komplexe und risikoreiche Aufträge, ohne dass die Möglichkeit von Verhandlungen über technische Lösungen, Zeit- und Zahlungspläne sowie Vertragsbedingungen wie etwa Vertragsstrafen oder Regeln zum Geistigen Eigentum besteht.

Die allgemeinen Regeln der Haushaltsordnung werden ergänzt durch spezifische Regelungen in der Verordnung über das Weltraumprogramm. Nach Art. 14 gelten die folgenden Grundsätze für Vergabeverfahren im Weltraumprogramm:

– in allen Mitgliedstaaten über die gesamte Lieferkette hinweg eine möglichst breite und offene Beteiligung aller Wirtschaftsteilnehmer, insbesondere von Neugründungen, neuen Marktteilnehmern sowie kleinen und mittleren Unternehmen, zu fördern, einschließlich der Verpflichtung zur Vergabe von Unteraufträgen durch die Bieter;

– Vermeidung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung und, soweit möglich, der Abhängigkeit von einem einzigen Anbieter, insbesondere bei kritischen Ausrüstungen und Diensten, wobei die Ziele der technologischen Unabhängigkeit und der Kontinuität der Dienste zu berücksichtigen sind;

– abweichend von Artikel 167 der Haushaltsordnung gegebenenfalls auf mehrere Lieferquellen zurückzugreifen, um eine bessere Gesamtkontrolle über alle Komponenten des Programms, ihre Kosten und den Zeitplan zu gewährleisten;

– die Grundsätze des offenen Zugangs und des fairen Wettbewerbs in der gesamten industriellen Lieferkette zu befolgen, wobei die Ausschreibungen auf der Grundlage der Bereitstellung transparenter und rechtzeitiger Informationen, einer klaren Kommunikation der geltenden Beschaffungsregeln und -verfahren, der Auswahl- und Zuschlagskriterien und aller anderen relevanten Informationen erfolgen, die gleiche Bedingungen für alle potenziellen Bieter, einschließlich KMU und Start-ups, ermöglichen;

– die Autonomie der Union zu fördern;

– die Sicherheitsanforderungen der Komponenten des Programms zu erfüllen und zum Schutz der wesentlichen Sicherheitsinteressen der Union und ihrer Mitgliedstaaten beizutragen;

– die Kontinuität und Zuverlässigkeit der Dienste zu fördern;

– angemessene soziale und ökologische Kriterien zu erfüllen.

Der Beschaffungsausschuss innerhalb der Kommission prüft den Beschaffungsprozess in Bezug auf alle Komponenten des Programms und überwacht die vertragsgemäße Ausführung der an die betrauten Einrichtungen delegierten EU-Haushaltsmittel.

Artikel 15 eröffnet die Möglichkeit für sog. bedingte Abschlagszahlungsverträge (Conditional stage payment contracts), bei denen nur die erste Phase der Ausführung fest vertraglich vereinbart ist, während die weiteren Phasen sowohl hinsichtlich des Budgets als auch der Ausführung an Bedingungen geknüpft sind. Die Ausführung jeder bedingten Stufe unterliegt einer expliziten Entscheidung des Auftraggebers. Art. 16 enthält Regelungen für Aufträge auf Kostenerstattungsbasis. Der öffentliche Auftraggeber kann sich für einen Voll- oder Teilkostenerstattungsvertrag entscheiden, wenn die Angabe eines genauen Festpreises aufgrund der mit der Ausführung des Auftrags verbundenen Unsicherheiten schwierig oder ungeeignet ist. Artikel 17 enthält Regelungen für die Vergabe von Unteraufträgen, wonach Bieter aufgefordert werden können, einen Teil des Auftrags im Wege eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens auf den geeigneten Ebenen an andere Unternehmen als diejenigen, die zur Unternehmensgruppe des Bieters gehören, weiterzuvergeben. Bei Aufträgen mit einem Wert von über 10 Millionen Euro sollen mindestens 30 % des Auftragswerts im Wege von wettbewerblichen Ausschreibungen auf verschiedenen Ebenen an Unternehmen außerhalb der Unternehmensgruppe des Hauptauftragnehmers vergeben werden.

Zusammenarbeit zwischen der ESA und der EU

Seit die EU ihre eigenen Weltraumprogramme hat, arbeitet sie zur Implementierung eng mit der ESA zusammen. Dies erfolgt auf Grundlage eines Rahmenabkommens von 2004 und einzelnen sog. Delegationsabkommen (Delegation Agreements), unter denen der ESA bestimmte Rollen und Aufgaben, darunter auch die Durchführung von Beschaffungen, zugewiesen werden. Während der letzten Jahre wurde insofern intensiv darum gerungen, ob die ESA im Rahmen von delegierten Aufgaben das Vergaberecht der EU oder das eigene Vergaberecht anwendet. In der letzten Phase hat ESA im Rahmen des Galileo/EGNOS-Programms die Regeln der EU, im Rahmen des Copernicus-Programms ihre eigenen Regeln, allerdings mit Modifikationen umgesetzt. Zurzeit wird eine Rahmenfinanzpartnerschaft nach Art. 130 der EU-Haushaltsordnung verhandelt, welche für die nächsten Jahre insbesondere auch eine Festlegung zum anwendbaren Vergaberecht und der entsprechenden Rollenverteilung beinhalten wird.

Zusammenfassung und Ausblick

Trotz der fortschreitenden Kommerzialisierung der Raumfahrtindustrie bleibt diese sehr stark von öffentlichen Aufträgen abhängig. Aufträge kommen vorrangig von der Europäischen Weltraumorganisation, von den Raumfahrtagenturen oder sonstigen Vergabestellen der Mitgliedstaaten, oder von der Europäischen Kommission und den Agenturen der Europäischen Union. Insofern müssen Unternehmen der Raumfahrtindustrie mit dem nationalen Vergaberecht, dem besonderen Vergaberecht der Europäischen Union unter der Haushaltsordnung, dem eigenen Vergaberecht der Europäischen Weltraumbehörde und n der jeweiligen Vergabepraxis vertraut sein. Die jeweiligen Ausschreibungsportale sind regelmäßig zu beobachten. Da die Vergabestellen auf den drei Akteursebenen jeweils eigene Anforderungen an beizufügende Erklärungen und Nachweise haben, sollten Unternehmen sich entsprechend gut vorbereiten und die jeweiligen Anforderungen sehr genau befolgen. Aufträge für große Weltraumprogramme sind hochkomplex, können sehr hohe Auftragswerte haben und unterliegen oft besonderen Geheimschutz- oder Sicherheitsanforderungen.

Entsprechend aufwendig sind auch die Vergabeverfahren, eine Verfahrensdauer von bis zu 2 Jahren ist für große Aufträge und öffentlich-private Partnerschaften nicht ungewöhnlich. Die Komplexität spiegelt sich auch auf Vertragsebene wider, vor allem die Regeln zu Gewährleistung, Haftung, Versicherung, Service-Level und Geistigem Eigentum sind auf die besonderen technischen Herausforderungen und Risiken in der Raumfahrt einerseits, aber auch auf die regelmäßig sehr hohen Anforderungen der Auftraggeber an Qualität, Verfügbarkeit und Sicherheit zugeschnitten. Für das Verständnis des Vertrages müssen die industriepolitischen, technischen und kommerziellen Zusammenhänge bekannt und eine enge Interaktion mit der technischen Projektleitung sichergestellt sein.

Kontribution

Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Rechtsanwalt Jan Helge Mey, LL.M. (McGill) [1] verfasst.

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Über Jan Helge Mey, LL.M. (McGill) [1]

Jan Helge Mey ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht. Er ist Partner in der Sozietät BHO Legal [2] in Köln. Jan Helge Mey ist spezialisiert auf das Vergabe- und Zuwendungsrecht, Luft- und Weltraumrecht sowie Außenwirtschaftsrecht, ist Autor zahlreicher Fachbeiträge und führt Schulungen für Behörden und Unternehmen durch.

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Über Dr. Ingo Baumann [4]

Ingo Baumann ist Rechtsanwalt und Gründungspartner der Sozietät BHO Legal [2] in Köln. Ingo Baumann ist spezialisiert auf Rechtsfragen der Raumfahrtindustrie und berät dazu etwa die Europäische Kommission, die Europäische Weltraumbehörde, das BMWi, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, führende Hersteller- und Betreiberunternehmen oder Start-ups.

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