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Reine Preisverhandlungen im Verhandlungsverfahren zulässig (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.03.2021 – VII-Verg 56/20)

EntscheidungÖffentliche Auftraggeber dürfen das Verhandlungsverfahren auf reine Preisverhandlungen beschränken. Insbesondere verstoßen sie damit nicht gegen die Grundsätze des Wettbewerbs, der Gleichbehandlung und Transparenz. Das OLG Düsseldorf entscheidet damit eine seit vielen Jahren offene Frage zugunsten der Auftraggeber.

Sachverhalt

Es kommt nicht mehr oft vor, dass ein Vergabesenat eine Frage zu entscheiden hat, die das Vergaberecht seit Jahrzehnten unbeantwortet ließ. Ein solcher Fall lag nun dem OLG Düsseldorf vor. Die Parteien stritten über die Grenzen des Verhandlungsverfahrens und darüber, auf welche Inhalte sich die Verhandlungen erstrecken müssen. Der Vergabesenat stellt klar: Es ist allein Sache des Auftraggebers, die Verhandlungsinhalte festzulegen. Dabei darf er sich auf reine Preisverhandlungen beschränken.

Was war geschehen?

Ein öffentlicher Auftraggeber vergab Instandsetzungsdienstleistungen in einem EU-weiten Verhandlungsverfahren nach den Bestimmungen der VSVgV. Er behielt sich vor, den Zuschlag schon auf Grundlage der ersten verbindlichen Angebote zu erteilen. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Im Laufe des Verhandlungsverfahrens kam es zu zahlreichen Änderungen der Vergabeunterlagen. Die Leistungsänderungen gab der Auftraggeber ausnahmslos einseitig zwingend vor, inhaltliche Verhandlungen führte er nicht. Nachdem die Bieter ihre ersten verbindlichen Angebote abgaben, trat der Auftraggeber mit ihnen in Verhandlungen über die Angebotspreise. Dieses Vorgehen hielt ein Bieter für vergaberechtswidrig. Nach Zurückweisung seiner Rüge stellte er einen Nachprüfungsantrag.

Zunächst machte der Bieter geltend, dass bereits die Wahl eines Verhandlungsverfahrens unzulässig sei. Zwar lasse die VSVgV dem öffentlichen Auftraggeber die freie Wahl zwischen dem nichtoffenen Verfahren und dem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. Das gelte aber nicht, wenn – wie hier – der Auftragsgegenstand bereits vollumfänglich feststehe, sodass Verhandlungen von vornherein nicht erforderlich seien. Dem widersprach die Vergabekammer:

„Erwägungsgrund 47 der Richtlinie 2009/81/EG … stell[t] darauf ab, dass oftmals Verhandlungen erforderlich seien. Dennoch gewährt [er] vorbehaltlos die Möglichkeit für die Auftraggeber, das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb zu wählen. Entsprechend ist auch Art. 25 der Richtlinie 2009/81/EG formuliert. Eine Erforderlichkeit von Verhandlungen im jeweiligen Einzelfall zur Rechtfertigung eines Verhandlungsverfahrens wird gerade nicht erklärt.“

Außerdem beanstandete der Bieter, dass im Verhandlungsverfahren reine Preisverhandlungen unzulässig und mit Sinn und Zweck des Verhandlungsverfahrens – nämlich der Abwicklung fachlich komplexer Aufträge – nicht vereinbar seien.

Eine Nachverhandlung der Preise bei im Übrigen vollkommen gleichbleibendem Leistungsinhalt diene allein dazu, die Preise zu drücken und führe zu einer nachträglichen Veränderung des Ergebnisses eines einwandfrei durchgeführten Wettbewerbs um das wirtschaftlichste Angebot. Es ermögliche dem öffentlichen Auftraggeber willkürliche Entscheidungen und verstoße gegen den Gedanken des § 127 Abs. 4 S. 1 GWB. Die Bieter wüssten auch nicht, ob sie in gleichem Umfang die Möglichkeit erhalten, über einzelne Preise zu verhandeln, sodass der Auftraggeber letztlich die Möglichkeit habe, die Rangfolge der Bieter, gerade bei einer Zuschlagsentscheidung allein nach dem Preis, unmittelbar zu beeinflussen.

Auch dem widersprach die Vergabekammer: Ein Verbot reiner Preisverhandlungen ergebe sich weder aus dem Gesetz noch aus der Rechtsprechung des BGH (BGH, Beschl. v. 10.09.2009 – VII ZR 2005/08):

„So hat der BGH entschieden, dass es Sinn und Zweck des Verhandlungsverfahrens ist, mit den Bietern über deren Angebote und Vertragspreise zu verhandeln, um, ggf. durch Anpassung bereits abgegebener Angebote, das … wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln … Ausgehend von der Formulierung des BGH … ist festzuhalten, dass bei der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung gem. § 127 Abs. 1 GWB der Preis regelmäßig eine wichtige Rolle spielt. Im vorliegenden Verfahren ist der Preis sogar das einzige Zuschlagskriterium. Gerade auch in dieser Konstellation wäre es also fragwürdig, wenn im Rahmen der Verhandlungen … der Preis nicht, ggf. auch einziger, Verhandlungsgegenstand sein könnte.“

Schließlich, so die Vergabekammer, habe ein Bieter selbst dann keine schützenswerte Position inne, wenn sein Erstangebot das wirtschaftlichste ist. Er müsse sich auch weiterhin dem Wettbewerb stellen und das Einholen neuer Angebote seitens des Auftraggebers hinnehmen.

Die Entscheidung

Die sofortige Beschwerde blieb ohne Erfolg. Das OLG Düsseldorf bestätigt die Auffassung der Vergabekammer und hält reine Preisverhandlungen im Verhandlungsverfahren für zulässig!

Wo der Gesetzgeber Verhandlungsinhalte beschränken will, hat er dies – etwa mit Art. 5 Abs. 3 S. 3 der Verordnung (EG) 1370/2007 – ausdrücklich getan. Die §§ 119 Abs. 5, 146 S. 1 GWB, § 11 VSVgV enthalten gerade keine Beschränkung des Verhandlungsgegenstandes. Vielmehr definiert § 119 Abs. 5 GWB das Verhandlungsverfahren als ein Verfahren, in dem der Auftraggeber mit ausgewählten Unternehmen über ihre Angebote verhandelt. Bestandteil der Angebote ist auch der Preis.

Sinn und Zweck des Verhandlungsverfahrens ist nicht allein die Abwicklung komplexer Aufträge, sondern vor allem die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots. Das ist auch durch reine Preisverhandlungen möglich, so der Vergabesenat weiter.

Die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung sieht der Senat schließlich auch gewahrt und führt aus:

„Das Verhandlungsverfahren ist von vornherein weniger wettbewerbsintensiv und weitgehend formfrei konzipiert, weshalb es zumindest potentiell die Gefahr von Ungleichbehandlungen birgt. … Dies gilt bei Verhandlungen über den Auftragsgegenstand und bei reinen Preisverhandlungen gleichermaßen … Um die Gleichbehandlung der Bieter … sicherzustellen … sind an die Dokumentation des Verhandlungsverfahrens, einschließlich der Verhandlungsgespräche, hohe Anforderungen zu stellen … Weitergehende Beschränkungen des Verhandlungsgegenstands, insbesondere der Ausschluss reiner Preisverhandlungen, sind zur Wahrung dieser Grundsätze nicht geboten.“

Der Senat sieht die Grundsätze gewahrt, wenn der Auftraggeber:

„allen Bietern die gleichen Informationen zukommen [lässt] und ihnen die Chance [gibt], innerhalb gleicher Fristen und zu gleichen Anforderungen Angebote abzugeben. Aus dem Gebot der Gleichbehandlung folgt auch, dass der Auftraggeber einen wirksamen Geheimwettbewerb sicherstellen muss und sich jeder diskriminierenden Weitergabe von Informationen zu enthalten hat … Dies … untersagt ihm, Bieter gegeneinander auszuspielen … Mit dem Transparenzgebot vereinbar ist, dass die Antragsgegnerin in ihrem Einladungsschreiben nicht mitgeteilt hat, welche Preispositionen Gesprächsgegenstand sein werden. Es war den Bietern zuzumuten, sich auf alle denkbaren Preisverhandlungen einzustellen.“

Fazit

Das OLG Düsseldorf bezieht klar Stellung. Auftraggeber entscheiden in alleiniger Verantwortung über den Gegenstand der Verhandlungen mit den Bietern. Sie dürfen sich, insbesondere bei einer Vergabe nach dem alleinigen Zuschlagskriterium des niedrigsten Preises, auch auf reine Preisverhandlungen beschränken.

Die Gefahr der Manipulation des Verfahrens sieht der Vergabesenat, hält die Bedenken aber nicht für durchgreifend. Entscheidend und ausreichend sei, dass das Verfahren eingehend und nachvollziehbar dokumentiert wird.

Was aus Sicht von Auftraggebern zu begrüßen ist, dürfte Bietern missfallen: Sie sehen sich der Gefahr von Preisdumping ausgesetzt und müssen fürchten, dass Auftraggeber über den Umweg des Verhandlungsverfahrens selbst bei Leistungen, die eigentlich inhaltlich feststehen, an der Preisschraube drehen, ohne dass es neben der günstigsten auch auf die beste Leistung ankommt.

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Über Dr. Daniel Soudry, LL.M. [1]

Herr Dr. Daniel Soudry ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät SOUDRY & SOUDRY Rechtsanwälte (Berlin) [2]. Herr Soudry berät bundesweit öffentliche Auftraggeber und Unternehmen bei Ausschreibungen, in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren und im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Darüber hinaus publiziert er regelmäßig in wissenschaftlichen Fachmedien zu vergaberechtlichen Themen und tritt als Referent in Fachseminaren auf.

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