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Ausschluss von Angeboten zweier miteinander verbundener Bieter (Bay. Oberstes Landgericht, Vorlage-Beschluss vom 24.06.2021 – 12 Verg 2/21)

EntscheidungDas Bayerische Oberste Landesgericht befasst sich in seiner Entscheidung mit Fragen des Ausschlusses von Angeboten zweier Bieter, die zwar formell getrennt agieren (einmal als Kaufmann und einmal als GmbH), aber wirtschaftlich eine Einheit darstellen. Es handelt sich also um eine etwas andere Konstellation als die häufiger betrachtete Frage der Angebote konzernverbundener Schwesterunternehmen (siehe hierzu VK Rheinland, Beschl. v. 19.05.2021 – VK 6/21-L, [1]). In der Begründung der dem EuGH gestellten Vorlagefragen beleuchtet das Gericht verschiedene interessante Facetten der Konstellation „Angebote miteinander verbundener Bieter“.

§§ 97, 124 GWB, Art. 57 RL 2014/24/EU, Art. 101 AEUV

Sachverhalt

Der Entscheidung liegt ein offenes Verfahren zur Vergabe von Busverkehrsdienstleistungen zugrunde.

Bei dem Auftraggeber gingen u.a. zwei Angebote ein, die von ein und derselben Person unterzeichnet wurden. Dies hatte folgenden Hintergrund: Der Unterzeichnende hat einmal ein Angebot als Kaufmann, der unter seiner im Handelsregister eingetragenen Firma auftritt, abgegeben und einmal als Geschäftsführer und Alleingesellschafter einer GmbH.

Vor diesem Hintergrund schloss der Auftraggeber die Angebote beider Bieter wegen Verstoßes gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs und wegen Wettbewerbsverfälschung aus. Er begründete dies damit, dass die Angebote jeweils von der gleichen Person gefertigt worden seien. Der Zuschlag solle auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden. Hiergegen wandten sich die beiden ausgeschlossenen Bieter. Sie beriefen sich darauf, ein Wettbewerbsverstoß oder eine Verfälschung des Wettbewerbs könnten schon deshalb nicht vorliegen, weil sie nicht in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stünden. Ein solches Wettbewerbsverhältnis sei durch die umfassende Leitungsmacht des Kaufmanns sowie die vollständige Beherrschung der GmbH ausgeschlossen. Eingetragener Kaufmann und GmbH bildeten ein einheitliches Unternehmen, das keinem Binnenwettbewerb unterliege.

Die Vergabekammer Südbayern gab den beiden Bietern recht und entschied, ihre Angebote müssten wieder in die Angebotsprüfung aufgenommen werden. Die beiden Angebote seien zu Unrecht wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs vom Verfahren ausgeschlossen worden. Der Ausschluss könne auch nicht auf § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB und eine wettbewerbsverzerrende Absprache gestützt werden, da die Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit bildeten, sodass es an der Wettbewerbsrelevanz der Absprache fehle. Die Angebote stellten auch keine unzulässigen Doppelangebote dar. Sie stammten von unterschiedlichen, wenn auch stark mit einander verflochtenen Unternehmen.

Hiergegen wandten sich der öffentliche Auftraggeber und das für den Zuschlag vorgesehene Unternehmen im Rahmen der sofortigen Beschwerde. Sie begründeten die Beschwerde u.a. damit, dass die eine wirtschaftliche Einheit bildenden Bieter gegenüber den übrigen Einzelbietern ohne rechtlich tragfähige Grundlage bevorzugt würden.

Dies führe zu einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und Beeinträchtigung bzw. Verfälschung des nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu schützenden Wettbewerbs. Denn diese – eine wirtschaftliche Einheit bildenden Unternehmen – könnten sich, als formal zwei unterschiedliche Rechtssubjekte, z. B. dadurch einen Vorteil verschaffen, dass sie sich unter Nachweis unterschiedlicher Eignungsvoraussetzungen an der Ausschreibung mittels abgestimmter Angebote beteiligten.

Die Entscheidung

Das Beschwerdegericht setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die folgenden (hier redaktionell ergänzten) Fragen zur Vorabentscheidung vor, wobei die Fragen 2 und 3 nur dann einer Antwort bedürfen, wenn die Frage 1 bejaht wird:

1. Ist Art. 57 Abs. 4 Buchst. d) der RL 2014/24/EU (Ausschluss von Bietern wegen Vereinbarungen, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen) dahingehend auszulegen, dass der öffentliche Auftraggeber über hinreichend plausible Anhaltspunkte für einen Verstoß der Wirtschaftsteilnehmer gegen Art. 101 AEUV (wettbewerbsverhindernde, -einschränkende oder verfälschende Abreden) verfügen muss?

2. Ist Art. 57 Abs. 4 der RL 2014/24/EU (Aufzählung fakultativer Ausschlussgründe) in dem Sinn als abschließende Regelung der fakultativen Ausschlussgründe auszulegen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 18 Abs. 1 dieser Richtlinie) – bei Abgabe weder eigenständiger noch unabhängiger Angebote – einer Zuschlagserteilung nicht entgegenstehen kann?

3. Ist Art. 18 Abs. 1 der RL 2014/24/EU (Grundsatz der Gleichbehandlung) dahingehend auszulegen, dass er einer Erteilung des Zuschlags an Unternehmen entgegensteht, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und jeweils ein Angebot abgegeben haben?

Rechtliche Würdigung

Zur Begründung der Vorlagefragen verweist das Gericht auf folgende Erwägungen:

Zur ersten Frage

Die Regelung in Art. 57 Abs. 4 Buchst. d) der RL 2014/24/EU zum fakultativen Ausschluss von Bietern wegen Vereinbarungen, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen, ist in Deutschland in § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB umgesetzt. Danach kann ein öffentlicher Auftraggeber ein Unternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn er über hinreichende Anhaltspunkte dafür verfügt, dass das Unternehmen mit anderen Unternehmen Vereinbarungen getroffen oder Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt hat, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken.

Das Gericht will nun vom EuGH wissen, ob die wettbewerbsverhindernden, -einschränkenden oder verfälschenden Abreden i.S.d. des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB nach denselben Maßstäben beurteilt werden, wie sie vom EuGH auch bei der Anwendung des Art. 101 AEUV, der kartellrechtlich relevante Wettbewerbsabsprachen betrifft, angewandt werden. Hintergrund ist, dass der EuGH zu Art. 101 AEUV bereits entschieden hat, dass Absprachen oder abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, nicht dem kartellrechtlichen Verbot unterfallen (EuGH, Urt. v. 17. Mai 2018, C-531/16 – Specializuotas transportas; Urt. v. 12. Juli 1984, C-170/83 – Hydrotherm). Der Senat lässt auch erkennen, dass seiner Auffassung nach ein Gleichklang von kartell- und vergaberechtlicher Sichtweise geboten ist, sodass im Ergebnis bei einer Absprache zwischen Unternehmen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, mangels Wettbewerbsverzerrung kein Ausschluss in Betracht kommt.

Zur zweiten Frage

Die zweite vom erkennenden Senat aufgeworfene Frage zielt darauf ab, ob der von den Beschwerdeführern herangezogene Grundsatz der Gleichbehandlung einen Ausschluss auch dann rechtfertigen könnte, falls der EuGH – ebenso wie das vorlegende Gericht – annimmt, dass ein Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB bzw. Art. 57 Abs. 4 der RL 2014/24/EU mangels wettbewerbswidriger Absprache hier nicht in Betracht kommt. Der Senat tendiert dazu, die gestellte Frage zu verneinen und verweist insoweit insbesondere auf die hervorgehobene Bedeutung des Grundsatzes der Gleichbehandlung.

Zur dritten Frage

Zur Begründung der dritten Frage verweist das Gericht darauf, dass der EuGH entschieden habe, dass Angebote eigenständig und unabhängig abgegeben werden müssen (Urt. v. 17. Mai 2018, C-531/16 – Specializuotas transportas, siehe hierzu auch [2]). Diese Entscheidung beziehe sich zwar ausdrücklich auf miteinander verbundene Bieter, die keine wirtschaftliche Einheit bilden. Nach Auffassung des Senats steht der Grundsatz der Gleichbehandlung einer Zuschlagerteilung an Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und somit weder eigenständige noch unabhängige Angebote einreichen können, aber erst recht entgegen.

Praxistipp

Angebote von miteinander auf die ein oder andere Weise verbundener Unternehmen sind in der Praxis alles andere als eine Seltenheit.

Schon in der Vergangenheit hat der EuGH in seiner hier mehrfach zitierten Entscheidung aus 2018 entschieden, dass zwar allein die Konzernverbundenheit keinen automatischen Ausschlussgrund darstellt, gleichwohl aber die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Angebote in jedem Einzelfall zu prüfen ist. Wie der hier von der Vergabekammer Südbayern sowie dem Bayerischen Obersten Landesgericht zu beurteilende Fall zeigt, sollten Bieter und Auftraggeber beide gleichermaßen ihr Augenmerk vor allem auf die Frage einer möglichen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die Abgabe (potentiell) abgestimmter Angebote und weniger auf die vermeintlich wettbewerbsverzerrende Absprachen der Unternehmen legen. Auf Auftraggeberseite empfiehlt es sich zudem, Hinweise zu den Risiken mehrerer Angebote miteinander verbundener Unternehmen in die Unterlagen aufzunehmen, um die Bieter hier von Anfang an für dieses Thema zu sensibilisieren.

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Über Dr. Rut Herten-Koch [3]

Dr. Rut Herten-Koch berät sowohl die öffentliche Hand und ihre Unternehmen als auch private Eigentümer, Investoren, Projektentwickler und Bieter in Vergabeverfahren. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Begleitung und Gestaltung komplexer Verfahren – sei es im Bauplanungs- oder im Vergaberecht. Darüber hinaus vertritt Rut Herten-Koch ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen und den Verwaltungsgerichten. Seit 2002 ist sie als Rechtsanwältin im Bereich öffentliches Recht und Vergaberecht in Berlin tätig. Rut Herten-Koch ist seit Juli 2015 Partnerin bei Luther [4].

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