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„Reform“ der VO PR 30/53 verabschiedet und veröffentlicht

Die „Dritte Verordnung zur Änderung der Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen“ hat der Bundesrat am 05.11.2021 behandelt und verabschiedet. Zwischenzeitlich wurde sie am 30.11.2021 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht (BGBl I 2021 Nr. 80, S. 4968 vom 30.11.2021 [1]) und tritt am 01.04.2022 in Kraft. Grundlage dazu war eine Vorlage des BMWi und eine danach erfolgte ergänzende Empfehlung des Wirtschaftsausschusses des Bundesrats. Nicht allen Empfehlungen des Wirtschaftsausschusses wurde gefolgt und aus der Reform wurde ein Reförmchen.

Die Vorgeschichte

Bereits im Jahr 2013 wurde vom BMWi ein Gutachten zur „Bedeutung der Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen“ in Auftrag gegeben und die Ergebnisse dieser Studie am 01.03.2015 veröffentlicht. Zeitgleich hatte auch Dr. Horst Greiffenhagen seine „Programmatischen Überlegungen zu einer möglichen Reform der Preisverordnung für öffentliche Aufträge“ publiziert.

Über die Ergebnisse der beiden Studien wurde hier an dieser Stelle auch bereits im Jahr 2015 im Detail berichtet (siehe [2]). Beim Vergleich mit den Empfehlungen aus den beiden Studien fällt es schwer, die nun verabschiedeten Änderungen tatsächlich auch als Reform zu bezeichnen, weil viele Anregungen leider nicht umgesetzt wurden.

Nach 2015 folgten Stellungnahmen des BDI und ein vom BMWi moderierter Konsultationsprozess mit anderen Bundesressorts, den Verbänden sowie den Preisbildungs- und Preisüberwachungsstellen. Im Anschluss setzte das BMWi eine Arbeitsgruppe ein, der Vertreter der Preisbildungsstellen, des BMVg, des Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), des BDI, des Verbands der Kommunalen Unternehmen (VKU) und der Wissenschaft angehörten.

Am 22. April 2021 hat das BMWi zunächst einen Referentenentwurf als „Verordnung zur Änderung der Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen [3]“ vorgelegt und veröffentlicht, wobei ein Inkrafttreten zum 01.07.2021 beabsichtigt war. Parallel wurde die Länder- und Verbändebeteiligung eingeleitet, in deren Folge Stellungnahmen von verschiedenen Verbänden und Organisationen [4] eingegangen sind. Als Ergebnis entstand die überarbeite Vorlage des BMWi [5], die am 22.09.2021 beim Bundesrat eingereicht wurde. Dazu gesellte sich eine Empfehlung des Wirtschaftsausschusses des Bundesrats vom 22.10.2021 [6], die in mehreren Punkten Änderungen vorsah.

VO PR 30/53 – was hat sich nun geändert?

Die Anpassungen der Verordnung betreffen im Wesentlichen § 4 VO PR 30/53 (Preise für marktgängige Leistungen) und § 9 VO PR 30/53 (Prüfung der Preise). Mit dem Ziel, die Voraussetzungen marktgängige Leistung und verkehrsüblicher Preis näher zu definieren, werden folgende Absätze neu in § 4 VO PR 30/53 aufgenommen:

„(2) Marktgängig ist eine Leistung, für die zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe ein Markt aus Angebot und Nachfrage für diese Leistung mit funktionierendem Wettbewerb besteht (allgemeiner Markt). Marktgängig ist eine Leistung auch, wenn zu ihrer Beschaffung durch ein Vergabeverfahren ein Markt geschaffen wurde, auf dem mindestens zwei Anbieter zuschlagsfähige Angebote abgegeben haben (besonderer Markt). 

(3) Im Verkehr üblich ist der Preis, den der betreffende Anbieter für die Leistung im Wettbewerb regelmäßig durchsetzen kann.  

(4) Gibt es für eine Leistung einen verkehrsüblichen Preis auf dem allgemeinen Markt, ist dieser maßgeblich im Sinne von Absatz 1. Gibt es für die Leistung auf dem allgemeinen Markt keinen verkehrsüblichen Preis, wird vermutet, dass der Preis, zu dem die Leistung auf einem besonderen Markt angeboten wird, im Verkehr üblich ist, wenn er sich unter den Bedingungen eines Wettbewerbs herausgebildet hat.“

Die Absätze 2 und 3 stellen eigentlich nichts Neues dar, sondern sind nur eine Bestätigung der bisherigen Preisprüfungspraxis. Beim neuen 4 handelt es sich aber tatsächlich um eine entscheidende Neuerung, die dazu führen kann, dass eine Vergabe im Wettbewerb mit mindestens zwei zuschlagsfähigen Angeboten alle Voraussetzungen an einen Marktpreis erfüllt und einer Preisprüfung nicht mehr unterzogen werden braucht. In diesem Zusammenhang sagt die Vorlage des BMWi, die im Bundesrat zur Abstimmung stand:

„Bestehen weder Anhaltspunkte für einen Preisverstoß noch Zweifel an einem angemessenen Preis, etwa weil eine marktgängige Leistung in einem wettbewerblichen Vergabeverfahren beschafft wurde, in dem mehrere Anbieter geeignete Angebote abgegeben haben, dürfte eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung, dass keine Preisprüfung durchgeführt wird, vertretbar sein.“

Letzten Endes kommt es also auf das pflichtgemäße Ermessen der Preisprüfer an, das bisher auch durch das hoheitliche Aufgreifermessen geregelt ist und was sich nun zusätzlich auch im neuen Absatz 3 zum § 9 VO PR 30/53 ausdrückt:

(3) Die Entscheidung, ob eine Prüfung im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 stattfindet, treffen die für die Preisbildung und Preisüberwachung zuständigen Behörden nach pflichtgemäßem Ermessen.

Weitere Änderungen zu § 9 VO PR 30/53 – geschuldet den Empfehlungen des Wirtschaftsausschusses des Bundesrats – sind:

– Die Mindestaufbewahrungsfrist für die Unterlagen zur Preisprüfung in § 9 (1) VO PR 30/53 wird von fünf auf 10 Jahre erhöht

– Preisprüfer dürfen jetzt explizit auch Fotokopien, Ausdrucke, fotografische Abbildungen, elektronische Daten und Dateien anfertigen lassen

– Soweit die angemessenen Kosten des Auftragnehmers nicht ermittelbar bzw. berechenbar sind, können diese vom Preisprüfer geschätzt oder sogar mit Null angesetzt werden. Im neuen § 9 (5) VO PR heißt es dazu:

„Die für die Preisbildung und Preisüberwachung zuständigen Behörden können im Rahmen der Schätzung der Kosten des Auftragnehmers angemessene Sicherheitsabschläge ansetzen. Können die Kosten des Auftragnehmers nur innerhalb eines bestimmten Rahmens geschätzt werden, so kann dieser Rahmen zu Lasten des Auftragnehmers ausgeschöpft werden. Ist eine Schätzung durch die für die Preisbildung und Preisüberwachung zuständige Behörde ganz oder teilweise nicht möglich, so kann diese die betroffenen Kostenpositionen des Auftragnehmers mit Null ansetzen.“

Die ersten zwei genannten Punkte sind grundsätzlich nichts Neues, sondern allenfalls eine Klärung bzw. Bestätigung der geltenden Praxis. Denn auch die bisherige 5-jährige Mindestaufbewahrungsfrist stand unter dem Vorbehalt von vorhandenen längeren Fristen aus anderen Vorschriften (z.B. Steuer- und Handelsrecht). Der dritte Punkt, die Möglichkeit einer Schätzung mit Sicherheitsabschlägen oder im Extremfall sogar die Ansetzung von Positionen mit Null, hat nichts mehr mit der Feststellung der angemessenen Kosten zu tun und geht deutlich über die übliche Praxis hinaus. Bereits heute ist es zwar so, dass als allerletzte Möglichkeit Kosten geschätzt werden können – diese Schätzung sollte jedoch nicht einseitig zu Lasten des Auftragnehmers gehen. Es bleibt abzuwarten wie die Preisprüfer diese neue Regelung in der Praxis umsetzen.

LSP – zusätzliche Änderungen

LSP – das sind die Leitsätze für die Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten als Anlage zur VO PR 30/53. Neben redaktionellen Umformulierungen sind folgende Änderungen verabschiedet:

Nr. 44 LSP – Kalkulatorische Zinsen – Ermittlung des betriebsnotwendigen Kapitals

Bisher erfolgte hier nur der Abzug von Anzahlungen und Vorauszahlungen von öffentlichen Auftraggebern. In der Neufassung müssen alle Anzahlungen und Vorauszahlungen abgezogen werden, was eine Reduzierung des ansetzbaren Betrags für kalkulatorische Zinsen bedeutet.

Nr. 52 LSP – Kalkulatorischer Gewinn – Höhe der Zurechnung – neuer Absatz 4

„(4) Ist die Höhe des Entgelts für das allgemeine Unternehmerwagnis für die Leistung durch die Vertragsparteien nicht bestimmt, ist der übliche Gewinnzuschlag im Rahmen öffentlicher Aufträge vorzusehen.“

Diese Klarstellung ist bereits in der 9., neu bearbeiteten Auflage des führenden Kommentars „Ebisch / Gottschalk / Hoffjan / Müller: Preise und Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen“ aus 2020 enthalten und führt dazu, dass auch dann ein Gewinnzuschlag zu berücksichtigen ist, wenn keine vertragliche Vereinbarung vorhanden ist.

Bundesrat: sonstige Punkte der Entschließung und was uns erspart blieb

Das Ziel eines modernen öffentlichen Preisrechts sei – so wurde festgestellt – durch die vom BMWi punktuell überarbeitete Verordnung nicht erreicht. Der Bundesrat bittet die nächste Bundesregierung – in Person des BMWi – das öffentliche Preisrecht in der nächsten Legislaturperiode einer weiteren Novellierung und Modernisierung zu unterziehen. In diese Novellierung soll auch das zugrundeliegende Übergangsgesetz über Preisbildung und Preisüberwachung vom 10. April 1948 (Preisgesetz) einbezogen werden.

Die Bundesregierung wird ferner gebeten bei der externen Evaluation zur Höhe des Höchstzinssatzes bei den kalkulatorischen Zinsen (diese sollten ja bereits in der derzeitigen Reform auf Initiative des Bundesfinanzministeriums gegenüber den bisherigen 6,5% auf 1% reduziert werden) auch die Höhe des kalkulatorischen Gewinns mit zu berücksichtigen.

Entgegen der Vorlage des Wirtschaftsausschusses des Bundesrats hat das Plenum folgender Empfehlung nicht zugestimmt (nur die Länder Bayern, Brandenburg und Niedersachsen waren dafür): Die Marktgängigkeit der Leistung sollte auf eine Leistung des allgemeinen Bedarfs beschränkt werden und § 4 (2) Satz 1 wie folgt geändert werden:

„Marktgängig ist eine Leistung des allgemeinen Bedarfs, für die zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe ein Markt aus Angebot und Nachfrage für diese Leistung mit funktionierendem Wettbewerb besteht (allgemeiner Markt).“

Faktisch wäre dann bei sonstigen Leistungen außerhalb des allgemeinen Bedarfs, wie sie die Vorlage bei Gütern und Dienstleistungen „spezifisch militärischer, polizeilicher oder nachrichtendienstlicher Natur (beispielsweise Kampfflugzeuge und -hubschrauber, Kampfpanzer, sonstige Kriegswaffen, Munition, Abhör- und Ortungstechnik, jeweils zugehörige Spezialsoftware oder Ersatzteile)“ sieht, keine marktgängige Leistung mehr möglich.

Dies würde jedoch zu einer Beschränkung des Vorrangsprinzips des Marktpreises führen und somit dem Grundgedanken der VO PR 30/53 entgegenstehen. Dem Wirtschaftsausschuss des Bundesrats muss dieser Zwiespalt bewusst gewesen sein, denn er spricht in seinen Empfehlungen selbst vom „vorrangigen Marktpreis“. Insofern war eine Ablehnung dieser weitergehenden Empfehlung folgerichtig, wenn man sich nicht gegen den „Geist“ der VO PR 30/53 stellen will.

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Über Michael Singer [7]

Michael Singer beschäftigt sich seit 1988 ausführlich mit der Thematik „Öffentliches Preisrecht und Preisprüfungen“. Er veranstaltet praxisorientierte Seminare zum öffentlichen Preisrecht und berät Unternehmen vor Preisprüfungen und auf dem Weg zu prüfsicheren öffentlichen Aufträgen (https://www.singer-preispruefung.de). Außerdem ist er Mitveranstalter des Deutschen Preisrechtstags, tritt als Referent bei Tagungen und Fachseminaren auf und veröffentlicht regelmäßig einschlägige Fachbeiträge.

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