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Neues öffentliches Preisrecht (VO PR Nr. 30/53) zum 1.4. – Auch das noch?

Manch einer mag es für einen Aprilscherz halten. Nach acht Jahren Diskussion tritt ausgerechnet zum 1.4. die „Dritte Verordnung zur Änderung der Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen“ in Kraft. Dürfen wir uns jetzt freuen oder müssen wir uns fürchten? Je nach Sichtweise – Auftraggeber, Auftragnehmer, Preisprüfer oder Steuerzahler – mag das Urteil unterschiedlich ausfallen, aber ein Punkt sollte alle gleichermaßen berühren.

Bei der Prüfung der Wirkung von Kontrollsystemen stellt sich zumeist die Frage nach der (1) Angemessenheit und (2) der Funktionsfähigkeit. Zur grundsätzlichen Eignung des reformierten öffentlichen Preisrechts (1) ist hier und auch an anderer Stelle schon viel Gehaltvolles gesagt worden (vgl. den Beitrag von Hans-Peter Müller ). Mich interessiert vor allem der zweite Punkt: die Funktionsfähigkeit. Wird das Kontrollsystem gelebt, kommt es im Doing an, oder steht es nur auf dem Papier?

„Land unter“ in den Preisüberwachungsstellen

„Auch das noch!“ – Diese Aussage könnte man vielleicht in Anbetracht des aktuellen Prüfungsalltags in den Preisüberwachungsstellen (PÜs) erwarten. Schon jetzt kommen die PÜs den Prüfungsersuchen kaum hinterher. Dies liegt an den zahlreichen Sonderthemen, die man ihnen aufs Auge gedrückt hat. Neben dem Kerngeschäft „Prüfung öffentlicher Aufträge“ und „Zuwendungen auf Kostenbasis“ gesellen sich zahlreiche weitere Prüfungsaufträge: Kostenprüfungen im Rahmen der Regulierung der Strom- und Gasnetzentgelte oder die Prüfung von EU-Förderungen. Jüngst musste auch noch Personal für die Bewilligung von Corona-Hilfen abgeordnet werden.  Insofern stellen sich angesichts der Novellierung schon die Fragen: Welche Aufgaben sind von den PÜs zu stemmen? Welche Infrastruktur und wie viel Personal wird dafür zur Verfügung gestellt?

Hinzu kommt eine technische Ausstattung einiger PÜs, die nicht ganz zeitgemäß ist. Dies rächte sich auch hier unter den Bedingungen von Corona, wo kaum Präsenzprüfungen mehr durchgeführt werden konnten. Die Folgen sind bekannt: der Rückstau bei den Prüfungen ist länger geworden, viele Auftraggeber warten auf den Prüfbericht, Unternehmen auf die Grundsatzprüfung. Das BMBF lässt sogar im Regierungsbezirk Oberbayern die Zuwendungen auf Kostenbasis hilfsweise durch eine WP-Gesellschaft prüfen. Aber was bleibt dem Ministerium anderes übrig, wenn einem der Bundesrechnungshof im Nacken sitzt.

Es klingt nach einer Kapitulationserklärung der PÜs, wenn man das originär hoheitliche Prüfungsgeschäft einem privaten Dritten überlässt. Immerhin haben die dort tätigen Mitarbeiter zumeist eine standardisierte Ausbildung in wirtschaftlichen Prüfungsmethoden erhalten, bringen dafür aber zumeist wenig bis keine Erfahrungen bei Kostenprüfungen mit. Faktisch aber sind einzelne PÜs durch die verantwortlichen Landesregierungen und die unzureichende Ressourcenausstattung zu dieser Kapitulation gezwungen.

Schafft nun die Reform Abhilfe oder „verschlimmbessert“ sie vielleicht nur? Was bedeutet die Novellierung für die PÜs? Die Reform führt sicherlich zu mehr Arbeit für sie. Dies zeigt sich besonders an zwei Stellen. Mehraufwand dürfte vor allem die Regelung zur Schätzung der Kosten im neuen § 9 (5) VO PR nach sich ziehen. Der Absatz 5 sieht vor, dass die für die Preisbildung und Preisüberwachung zuständigen Behörden unter bestimmten Voraussetzungen die angemessenen Kosten schätzen oder angemessene Sicherheitsabschläge ansetzen können. Werden also durch das Unternehmen die erforderlichen Unterlagen nicht beigebracht, flüchtet die VO PR Nr. 30/53 ins individuelle Preisprüferermessen. Im Controlling wissen wir aus der Forschung zur Schätzung von Wettbewerbskosten wie schwierig, fehlerbehaftet und vor allem zeitintensiv eine solche „Schattenkalkulation“ ist.

Weitere Arbeit könnte die „Vermutungsregel“ im neuen Absatz 4 des zentralen § 4 – Preise für marktgängige Leistungen – auslösen. Soweit ein Marktpreis des Unternehmens auf dem allgemeinen Markt nicht feststellbar ist, wird für den besonderen Markt künftig vermutet, dass der Preis, wenn er sich unter den Bedingungen im Wettbewerb herausgebildet hat, verkehrsüblich ist. Insoweit wäre es an der Preisprüfbehörde, die Vermutung, die nur greift, wenn deren Voraussetzungen vorliegen, zu widerlegen. Dabei ist noch unklar, wie diese Umkehr der Beweislast mit den Nachweispflichten des Unternehmens über das Zustandekommen des Preises in § 9 VO PR Nr. 30/53 zusammenspielt.

Die beiden Beispiele illustrieren, dass die Novellierung wohl Mehrarbeit bei den PÜs verursachen könnte. Umgekehrt könnten aber auch zeitintensive Kostenprüfungen infolge des erweiterten Marktpreisverständnisses entfallen. Aber im Ergebnis dürfte der Mehraufwand wohl überwiegen. Wie sieht es aber bei den anderen vom Preisrecht betroffenen Akteuren aus?: öffentlichen Auftraggeber, Auftragnehmer und natürlich wir alle als Steuerzahler.

Was heißt das für öffentliche Auftraggeber?

Glücklich können sich die öffentlichen Auftraggeber schätzen, die über eigene Prüfrechte verfügen. Dies gilt in der Forschungsförderung für die pauschalierte Abrechnung durch Projektträger. Noch größere Bedeutung hat die Ressortvereinbarung, welche die vertraglichen Prüfrechte des BAAINBw regelt. Dem BAAINBw obliegt vornehmlich die vorkalkulatorische Prüfung von Selbstkostenfestpreisen. Dabei legt sie ihre Prüfrechte durchaus offensiv aus. Man kann das als sehr professionelle Anwendung des Preisrechts bewundern, gleichwohl ist es mit der Grundintention des Interessenausgleichs im öffentlichen Preisrecht aber nur schwer vereinbar. Der Schutzfunktion von Auftraggeber und -nehmer widerspricht es, dass in der Praxis Auftrags­verhandlungen und Preisprüfungen miteinander vermischt werden. Auch wenn sich das BAAINBw selbst helfen kann, gilt für alle anderen öffentlichen Auftraggeber: Prüfungsersuchen werden häufiger abgelehnt werden bzw. sich noch länger hinziehen.

Dürfen sich die Auftragnehmer freuen?

Sollten die Unternehmen vielleicht die heimlichen „Krisengewinnler“ sein und in die Hände klatschen, weil den PÜs die Kapazitäten fehlen und somit vielleicht die Prüfungsdichte abnimmt? Gewiss nicht, eher das Gegenteil dürfte der Fall sein. Schon vor Jahren hat der BDI eine bessere personelle Ausstattung der Preisüberwachungsstellen eingefordert. Mancher wird sich wundern, warum sich, bildlich gesprochen, hier ein Autofahrer mehr Verkehrskontrollen wünscht. Aber auch die Unternehmen wollen Planungssicherheit. Sie warten schon jetzt sehr lange auf Grundsatzprüfungen, zukünftig könnte der Prüfungsstau noch länger werden. Außerdem lässt die Überlastung Auswirkungen auf die Prüfungsqualität befürchten, gerade wenn bei bestimmten Entscheidungen sehr viel Prüferermessen im Spiel sein könnte.

Was bedeutet das für den Steuerzahler?

Wer kann sich nicht über die Verschwendung von Steuergeldern massiv aufregen? Gerade wo die Gelder dringend an verschiedenen Stellen gebraucht werden: Energiewende, Verteidigung und Pandemiebekämpfung. Die bestehenden Ineffizienzen in Teilen der öffentlichen Beschaffung schreien nach einer konsequenten Anwendung des öffentlichen Preisrechts. Gerade in der Maskenaffäre hätte man sich gewünscht, dass die zuständigen PÜs ihr pflichtgemäßes Ermessen ausüben und konsequent Preisprüfungen durchführen. Bei Preisen von bis zu 8,90 € netto pro Maske, ein Vielfaches der billigsten Anbieter, kann man sicher von einem Verstoß gegen den Grundsatz höchstzulässiger Preise ausgehen. Als Steuerzahler kann man nur hoffen, dass die Preisprüfung über eine angemessene Ressourcenausstattung vermehrt wieder Chancen bekommen initiativ zu prüfen und somit den Kern der Verordnung zu leben: Gerade in Zeiten des Marktversagens im Interesse des Gemeinwohls den Staat vor überhöhten Preisen zu schützen.

Denn Marktversagen scheint es immer häufiger zu geben: Die Krise wird ja gerade zum Normalzustand. Auf die Flüchtlingskrise kam Corona, jetzt der russische Überfall auf die  Ukraine, mit der Folge der größten Flüchtlingswelle in Europa seit dem 2. Weltkrieg. Wenn Marktversagen kein „Ausnahmemodus“ mehr ist, sondern zum regelmäßigen Begleiter wird, ist auch die öffentliche Beschaffung permanent mit preislichen Verwerfungen konfrontiert. Dabei sind die 100 Milliarden € Sondervermögen der Bundeswehr und der daraus resultierende Prüfungsbedarf noch gar nicht mitberücksichtigt.

Aber welche Lösungen drängen sich auf? Hier könnte man über den Verordnungsgeber, private Dienstleister oder auch die für die Preisüberwachungsstellen verantwortlichen Länder nachdenken.

Können wir etwas vom Verordnungsgeber erwarten? Ehrlich, das BMWK sortiert sich unter der Ampel-Regierung personell komplett neu. Dies gilt auch für die Gebiete „Vergabe-„ und „Preisrecht“. Andere Themen haben gegenwärtig absolute Priorität, vor allem „Klimaschutz“ und „sichere Energieversorgung“. Da scheint die Durchsetzung des Marktpreisvorrangs in der öffentlichen Beschaffung zurzeit eher nachrangig.

Können private Dienstleister den Job übernehmen? Selbstverständlich, würden die Big-Four-Gesellschaften sagen. Kostenprüfungen verantworten sie auch schon zum Teil im Rahmen der EU-Forschungsförderung. Aber ist das wirklich der richtige Ansatz? Mal abgesehen von den praktischen Schwierigkeiten, dass die Prüfungsassistenten in der Preisprüfung erst einmal angelernt werden müssten. Hier sind massive Interessenskonflikte zu erwarten, wenn zugleich ein anderer Arm der Gesellschaft den Auftragnehmer als Mandanten berät. Zudem stellt sich die Frage der Kostenübernahme, ein Thema welches bei der hoheitlichen Preisprüfung nicht aufkommt. Bei allen Bedenken, wäre zumindest ein Punkt interessant: Die Prüferbranche macht es vor, wie man die Digitalisierung für effiziente Prüfungen nutzen kann. Während man früher wäschekörbeweise Aktenordner vom Mandaten mitnehmen musste, liegt jetzt alles in der Cloud. Welche Innovationen bei Kostenkalkulation und Preisprüfung möglich sind, zeigt u.a. PwC auf dem Anwendertreffen Preisrecht am 1./2.Juni in Stuttgart exemplarisch mit seinem Tool zur digitalen Entgeltkalkulation auf.

Meines Erachtens kann die Lösung nur aus den Ländern kommen. Dort sitzen die für die Preisbildung und Preisüberwachung zuständigen Behörden. Als zentrale Maßnahme ist von Seiten der Bundesländer der seit Jahren fortwährende Personalabbau in den PÜs zu stoppen. Im Gegenteil bedarf es eines Personalaufwuchses, um eine für das Volumen öffentlicher Aufträge angemessene Personalausstattung in der Preisprüfung sicherzustellen. Dabei sollte man den Interessenkonflikt zwischen den im Land ansässigen Unternehmen und den vornehmlich zu prüfenden Bundesaufträgen auflösen. Aus Bundessicht könnte sich eine finanzielle Beteiligung an den Kosten der Preisprüfung rechnen. Zum einen direkt durch das erhöhte Rückforderungsvolumen und zum anderen indirekt, denn bei einer erhöhten Kontrollintensität dürfte das Preisrecht seine präventive kostensenkende Wirkung stärker entfalten. Vielleicht stehlen sich dann die Länder nicht mehr aus ihrer Verantwortung für die Wahrung des Preisstands.

Abschließend sollen die Überlegungen zur Funktionsfähigkeit des öffentlichen Preisrechts in vier Thesen zusammengefasst werden:

  1. Wir brauchen mehr Personal in den Preisüberwachungsstellen, die sich auch auf die Aufgaben der Preisprüfung konzentrieren können.
  2. Es muss für eine bessere IT-Ausstattung der Preisüberwachungsstellen gesorgt werden, damit auch „remote“ geprüft werden kann.
  3. Ausbildung im wirtschaftlichen Prüfungswesen. Eine bessere Vertrautheit mit den Methoden der Wirtschaftsprüfung und die Etablierung von Prüfungsstandards erscheint vor dem größerer werdenden Prüferermessen geboten.
  4. Die neutrale Rolle der Preisüberwachungsstelle ist zu stärken. Die Prüfrechte anderer Auftraggeber sollten reduziert werden.

Hinweis der Redaktion: Wer weitere Fragen zur Preiskalkulation hat, kann sich hier für das DVNW-Seminar „Preiskalkulation bei öffentlichen Aufträgen“ mit Dr. Hoffjan am 28. April 2022 anmelden.

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Über Prof. Dr. An­dre­as Hoffjan

Prof. Dr. Andreas Hoffjan ist Inhaber des Lehrstuhls Unternehmensrechnung und Controlling an der TU Dortmund. Sein wissenschaftlicher Forschungsschwerpunkt betrifft die Gebiete des Controllings, Kostenmanagements, Rechnungswesens entgeltregulierter Unternehmen und Non-Profit-Organisationen. Prof. Hoffjan gilt bei den Themen öffentliches Preisrecht, Leitsätze für Selbstkostenpreise und Zuwendungen auf Kostenbasis als einer der führenden Autoren.

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