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Kurswechsel: Angebotsöffnung durch Externe zulässig (VK Südbayern, Beschl. v. 16.05.2022 – 3194.Z3-3_01-21-62)

EntscheidungIn einem bislang unveröffentlichten, aber bestandskräftigen Beschluss hält die Vergabekammer Südbayern für elektronische Vergabeverfahren nicht mehr an ihrer Auffassung zu den anwesenden Personen bei der Angebotsöffnung fest: Mangels Manipulationsgefahr könne es sich bei den beiden von § 55 Abs. 2 S. 1 VgV geforderten Vertreter:innen des öffentlichen Auftraggebers auch um Mitarbeiter:innen eines externen (Beschaffungs-)Dienstleisters handeln. Es müssten nicht zwingend Bedienstete des Auftraggebers selbst sein, die die Öffnung der Angebote durchführen. Die Kammer schließt sich der insoweit großzügigeren Haltung des OLG Düsseldorf an.

§§ 10, 11, 55 Abs. 2 S. 1 VgV

Sachverhalt

Der Auftraggeber, ein Klinikum, schrieb im Oberschwellenbereich Apothekenleistungen zur Krankenhausversorgung aus und bediente sich für die Durchführung des Vergabeverfahrens eines externen Dienstleisters. Zwei Mitarbeiter:innen dieses Dienstleisters führten auch die Öffnung der eingegangenen Angebote durch.

Nach Versand der Informationsschreiben gem. § 134 GWB rügte ein unterlegener Bieter u.a., dass der Auftraggeber das Verfahren nicht eigenständig geführt habe.

Der Auftraggeber half der Rüge insoweit nicht ab und hielt insbesondere daran fest, dass er das Verfahren trotz Einbindung eines externen Dienstleisters eigenständig geführt und sämtliche wesentlichen Ermessensentscheidungen eigenständig getroffen habe.

Der rügende Bieter beantragte sodann die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Seinen Antrag stützte er im Wesentlichen auf die bereits in der Rüge angeführten Einwände und machte in Bezug auf die Einbindung des externen Dienstleisters durch den Auftraggeber geltend, dass insbesondere die Angebotsöffnung nicht auf externe Dritte delegiert werden dürfe. Der Auftraggeber müsse vielmehr alle wesentlichen Entscheidungen eigenverantwortlich treffen.

In einem rechtlichen Hinweis teilte die Vergabekammer Südbayern den Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens mit, „dass sie hinsichtlich der anwesenden Personen bei der Angebotsöffnung künftig nicht mehr an ihrer im Beschluss vom 02.01.2018 – Z3-3-3194-1-47-08/17 getroffenen Rechtsauffassung festhalte“ (siehe hierzu auch [1]). In diesem Beschluss hat die Vergabekammer – für ein nicht elektronisch geführtes Vergabeverfahren – vorgegeben, dass die Angebotsöffnung zwingend durch Mitarbeiter:innen des Auftraggebers durchgeführt werden müsse und diese nicht ausschließlich durch einen externen Dienstleister vorgenommen werden dürfe. Stattdessen schließe sich die Vergabekammer Südbayern der insoweit weniger strengen Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (Beschl. v. 14.11.2018 – Verg 31/18) an. In ihrem Hinweis wies die Vergabekammer Südbayern darauf hin, dass sie „[a]uf Grund der elektronischen Verfahrensführung insbesondere der umfassenden elektronischen Protokollierungen der Angebotsöffnung durch die Vergabeplattformen“ eine Manipulationsgefahr für „verschwindend gering“ halte.

Die Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag wurde zurückgewiesen. Der im rechtlichen Hinweis bereits angekündigte Kurswechsel der Vergabekammer Südbayern in Bezug auf die bei einer Angebotsöffnung anwesenden Personen wurde vollzogen.

Ganz allgemein führt die Vergabekammer Südbayern zunächst aus, dass der Auftraggeber „Herr des Verfahrens“ sei und sich mit den im Vergabeverfahren anfallenden Entscheidungen befassen müsse. Bei einer Übertragung von Aufgaben im Rahmen des Vergabeverfahrens auf einen externen Dienstleister habe der Auftraggeber darauf zu achten, dass seine Entscheidungshoheit nicht zu einem Feigenblatt verkommt: Lediglich „rein verwaltungstechnische Tätigkeiten“ dürften übertragen werden, nicht hingegen Entscheidungen, die den wesentlichen Kern des Vergabeverfahrens betreffen. Zulässig sei die Übertragung beispielsweise mit Blick auf

Eine vollständige Übertragung auf einen externen Dienstleister scheide hingegen etwa aus, wenn es um

Letzteres bedeutet jedoch nicht, dass eine Übertragung auf einen Beschaffungsdienstleister per se und vollständig ausgeschlossen wäre. Der Entscheidung der Vergabekammer Südbayern lässt sich entnehmen, dass sie es auch in Bezug auf die Zuschlagsentscheidung bei dem verfahrensgegenständlichen reinen Preisentscheid für ausreichend erachtet, wenn der Auftraggeber sich mit diesen Entscheidungen befasst und vorbereite Entwürfe bzw. Prüfungen des externen Dienstleisters (explizit) genehmigt.

Im Anschluss an diese allgemeinen Ausführungen zur Zulässigkeit der Übertragung von Aufgaben des Auftraggebers auf einen externen Beschaffungsdienstleister äußert sich die Vergabekammer Südbayern auch spezifisch zur Frage, ob die Öffnung der Angebote im Rahmen eines mit elektronischen Mitteln durchgeführten Vergabeverfahrens ebenfalls zu den Tätigkeiten gehört, die vollständig auf einen externen Dienstleister übertragen werden dürfen. Wie bereits in ihrem im Vorfeld ergangenen rechtlichen Hinweis angekündigt, hält die Vergabekammer Südbayern ausdrücklich nicht an ihrer bisherigen – allerdings auf analog durchgeführte Vergabeverfahren bezogenen – Spruchpraxis fest. Im Rahmen von elektronischen Vergabeverfahren, die den Anforderungen der §§ 10, 11 VgV entsprechen, könne die Angebotsöffnung mangels Manipulationsgefahr vom Auftraggeber vollständig auf externe Dienstleister übertragen werden. Dies gelte insbesondere mit Blick auf Vergabeplattformen, die für die Angebotsabgabe sowie -öffnung genutzt werden, und bei denen eine weitreichende Protokollierung der Angebotsschritte erfolge. Bei den von § 55 Abs. 2 S. 1 VgV vorgesehenen „zwei Vertretern des öffentlichen Auftraggebers“ könne es sich folglich jeweils auch um vom Auftraggeber eingesetztes externes Personal handeln. Die Vergabekammer Südbayern nimmt insoweit ausdrücklich Bezug auf den Beschluss des OLG Düsseldorf vom 14.11.2018 – Verg 31/18.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung ist mit Blick auf die Anforderungen des § 55 Abs. 2 S. 1 VgV in praktischer Hinsicht zu begrüßen und in rechtlicher Hinsicht überzeugend.

Die Öffnung von Angeboten – zur Öffnung von Teilnahmeanträgen und Interessenbestätigungen siehe unten – in elektronischen Vergabeverfahren zeichnet sich sowohl bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen als auch von Bauleistungen durch das sog. 4-Augen-Prinzip aus: Erforderlich sind stets mindestens zwei Vertreter:innen des öffentlichen Auftraggebers (§ 55 Abs. 2 S. 1 VgV, § 40 Abs. 2 S. 1 UVgO, § 14 EU Abs. 1 S. 1 VOB/A, § 14 Abs. 1 S. 1 VOB/A), um die Gefahr von Manipulationen und Fehlern zu verringern sowie einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten. Streit entzündet sich insoweit weniger um die Anzahl der Personen bzw. Augen, die bei der Angebotsöffnung zugegen sein müssen. Ausgangspunkt für Diskussionen ist vielmehr die Formulierung „Vertreter des öffentlichen Auftraggebers“. Insoweit drängt sich in der Vergaberechtspraxis die Frage auf, ob im Rahmen der Angebotsöffnung noch von Vertreter:innen des öffentlichen Auftraggebers gesprochen werden kann, wenn hierfür ein externer Dienstleister eingebunden wird.

Insbesondere drei verschiedene Auffassungen lassen sich zur Beantwortung dieser Frage ausmachen:

  1. Einen großzügigen Maßstab legen etwa das OLG Düsseldorf (Beschl. v. 14.11.2018 – Verg 31/18) und nunmehr auch die Vergabekammer Südbayern an, die – jedenfalls im Falle einer mit elektronischen Mitteln nach §§ 10, 11 VgV durchgeführten Vergabe – eine vollständige Übertragung auf externe Dienstleister als zulässig erachten. Diese Haltung findet auch Fürsprecher in der Literatur: Terbrack, in: Pünder/Schellenberg (Hrsg.), Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, § 55 VgV Rn. 16.
  2. Demgegenüber wird mitunter angenommen, dass mindestens eine Person als Vertreter:in des öffentlichen Auftraggebers vor Ort sein müsse, bei der es sich nicht um einen externen Dienstleister handele, sondern um eine Person, die unmittelbar zum öffentlichen Auftraggeber gehöre (Koch, in: Burgi/Dreher (Hrsg.), Beck’scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, 3. Aufl. 2019, § 55 VgV Rn. 10; Fett, in: Gabriel et al. (Hrsg.), BeckOK-Vergaberecht, 24. Edt., 30.04.2022, § 55 VgV Rn. 17; in diese Richtung wohl auch Eichler, in: MünchKomm-Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 55 VgV Rn. 15; für analoge Vergabeverfahren auch noch VK Südbayern, Beschl. v. 02.01.2018 – Z3-3-3194-1-47-08/17).
  3. Eine vermittelnde Haltung nimmt die Vergabekammer Niedersachsen ein, die eine vollständige Übertragung der Angebotsöffnung auf externes Personal in der Regel für unbedenklich hält, solange keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die eingesetzten Personen mit einem der Bieter kollusiv zusammengewirkt haben (Beschl. v. 08.05.2018 – VgK-10/2018).

Aus teleologischer Sicht ist der Haltung des OLG Düsseldorf und nunmehr auch der Vergabekammer Südbayern der Vorrang einzuräumen: Grundsätzlich gilt – wie auch die Vergabekammer Südbayern im zugrundeliegenden Beschluss betont –, dass der Auftraggeber Herr des Verfahrens bleiben und sämtliche wesentliche Entscheidungen selbst treffen muss. Der Einbindung von externen Berater:innen sind Grenzen gesetzt. Warum diese Grenzen bei der Öffnung von Angeboten im Rahmen eines Vergabeverfahrens, das den Anforderungen der §§ 10, 11 VgV entspricht, überschritten sein sollen, erschließt sich nicht. Die auf einem Vergabeportal eingereichten Angebote sind weder für den Auftraggeber noch für dessen eingesetztes externes Personal vor Ablauf der Angebotsfrist einsehbar. Erst nach Ablauf der Angebotsfrist ist technisch ein Zugriff auf die Angebote möglich. Auf den elektronischen Vergabeportalen wird hinterlegt, welche beiden Personen unter Verwendung ihrer Anmeldedaten inkl. Passwort die Angebotsöffnung vorgenommen haben. Auch der exakte Zeitpunkt der Öffnung wird automatisch im System protokolliert. Nach der Öffnung stehen die von den Bietern eingereichten Unterlagen zum Download bereit. Die auf dem Vergabeportal hinterlegten Angebote können – zumindest im Portal selbst – soweit ersichtlich in technischer Hinsicht nicht geändert bzw. manipuliert werden. Der Auftraggeber kann die hinterlegten, unveränderlichen Angebote nach der Öffnung jederzeit selber herunterladen, ohne darauf angewiesen zu sein, die Angebote durch seine externen Berater:innen per E-Mail o.ä. übermittelt zu bekommen.

Vor diesem Hintergrund erschließt sich nicht, inwiefern es sich bei der Öffnung von Angeboten im Rahmen von Verfahren nach den §§ 10, 11 VgV um einen derart wesentlichen Verfahrensschritt handeln soll, der zwingend vom Auftraggeber selbst durchzuführen sei. Eine gesteigerte Fehler- und/oder eine besondere Manipulationsanfälligkeit sind nicht zu erkennen, sodass einer Einbindung von externen Berater:innen insoweit nichts entgegensteht. Für den von der Vergabekammer Niedersachsen in den Blick genommenen Sonderfall, in welchem ein kollusives Zusammenwirken des eingesetzten Personals und eines Bieters zu befürchten sei, bleibt – soweit ersichtlich – aufgrund der technischen Rahmenbedingungen kein Anwendungsbereich.

Schließlich sei noch angemerkt, dass die skizzierte Problematik allein die Öffnung von Angeboten betrifft. Für die Öffnung von Teilnahmeanträgen und Interessenbestätigungen kennen die Vergaberechtsregime vergleichbare Regelungen nicht, sodass hier einem Einsatz externer Dienstleister ohnehin nichts im Weg stehen dürfte.

Praxistipp

Nunmehr können Auftraggeber auch im Zuständigkeitsbereich der Vergabekammer Südbayern die Angebotsöffnung vollständig auf externe Dienstleister delegieren, sofern es sich um ein elektronisches Vergabeverfahren handelt, das den Anforderungen der §§ 10, 11 VgV entspricht.

Sollten im Anwendungsbereich des 1. Abschnitts der VOB/A noch schriftliche Angebote zugelassen sein, sollte die von der Vergabekammer Südbayern im o.g. Beschluss geäußerte Auffassung nicht leichtfertig auf die Öffnung der schriftlichen Angebote übertragen werden. Die Vergabekammer Südbayern stützt ihren Kurswechsel im Wesentlichen auf die aus ihrer Sicht verschwindend geringe Manipulationsmöglichkeit, die mit einer elektronischen Vergabe auf einer Vergabeplattform unter Einhaltung der §§ 10, 11 VgV und unter Berücksichtigung der automatisierten Protokollierung verbunden ist. Bei der Öffnung schriftlicher Angebote sind andere Rahmenbedingungen gegeben.

Wenngleich die Vergabekammer Südbayern (bei elektronischen Vergaben) insoweit von ihrer strengen Haltung abgerückt ist, ist weiterhin zu vergegenwärtigen, dass die elementaren Entscheidungen im Rahmen eines Vergabeverfahrens vom Auftraggeber selbst getroffen werden müssen. Insoweit kommt allenfalls eine vorbereitende Prüfung durch externes Personal in Betracht, die sich der Auftraggeber explizit zu eigen machen und genehmigen muss. Dieser Verfahrensschritt ist hinreichend detailliert zu dokumentieren.

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Über Dr. Daniel Weidemann [2]

Der Autor Dr. Daniel Weidemann ist Rechtsanwalt im Düsseldorfer Büro der Kanzlei Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB [3]. Er berät primär öffentliche Auftraggeber, aber auch Bieter zu allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Neben der Betreuung öffentlicher Auftraggeber bei der Konzeptionierung und Durchführung von Verfahren nach VgV, VOB/A und UVgO begleitet er Unternehmen in Vergabeverfahren (Prüfung von Vergabeunterlagen, Angebotsunterlagen, Rügen). Die Vertretung in Nachprüfungsverfahren vor Vergabekammern und Vergabesenaten bildet einen weiteren Schwerpunkt. Schließlich berät er Fördermittelempfänger bei der Beachtung der Förderauflagen und gegen eine Rückforderung von Zuwendungen bei Auflagenverstößen.

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