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Der nachträgliche Ausschluss der Nachforderung ist ebenso zulässig wie die inhaltliche Beschränkung auf bestimmte Unterlagen! (VK Berlin, Beschl. v. 24.01.2023 – VK B 2-35/22)

EntscheidungDer öffentliche Auftraggeber ist grundsätzlich dazu berechtigt, die Vergabeunterlagen nachträglich zu ändern. Diese bedeutet auch, dass der Auftraggeber während des laufenden Vergabeverfahrens die Möglichkeit der Nachforderung auf bestimmte Unterlagen beschränken, mithin die Nachforderung für bestimmte Unterlagen ausschließen kann. Es ist dem öffentlichen Auftraggeber a maiore ad minus darüber hinaus nicht nur erlaubt, gar keinen Gebrauch von der Nachforderungsmöglichkeit zu machen, sondern auch, die Nachforderung auf bestimmte Unterlagen zu beschränken.

§§ 97 Abs. 1 und 2 GWB, 160 Abs. 3 GWB, 16a EU Abs. 3 VOB/A

Sachverhalt

Die Antragsgegnerin schrieb im August 2022 Landschaftsbauarbeiten in einem offenen Verfahren aus.

Auf eine entsprechende Bieterfrage hin, wurden den Vergabeunterlagen nachträglich die Formblätter V 2251 F Teile 1 bis drei beigefügt. Betreffend diese Formblätter wurde zudem in der gleichzeitig angepassten und nachgereichten Aufforderung zur Angebotsabgabe klargestellt, dass betreffend diese Formblätter die Nachforderung ausgeschlossen wird. Alle weiteren Angebotsunterlagen sollten dagegen ungeachtet dieser Änderungen an den Vergabeunterlagen nachgefordert werden. In der angepassten Aufforderung zur Angebotsabgabe hieß es insoweit wie folgt:

„Fehlende Unterlagen, deren Vorlage mit dem Angebot gefordert war, werden teilweise nachgefordert, und zwar folgende Unterlagen: alle fehlenden Unterlagen werden nachgefordert, mit Ausnahme der Formblätter V 2251 F“.

Die Antragstellerin fügte ihrem Angebot die Formblätter V2251 F Teile 1 bis 3 entgegen den angepassten Bestimmungen der Aufforderung zur Angebotsabgabe nicht bei und wurde mit selbiger Begründung aus dem Vergabeverfahren ausgeschlossen. Gleichzeitig wurde ihr der Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen angekündigt.

Den Ausschluss rügte die Antragstellerin mit der Begründung, dass die Aufforderung zur Angebotsabgabe in der ursprünglichen Fassung explizit darauf hinwies, dass fehlende Unterlagen nachgefordert würden und dass diese aus Bietersicht wesentliche Regelung nicht im laufenden Verfahren geändert werden könne. Die versäumte Aufnahme der Stoffpreisgleitklausel hätte allenfalls durch Aufhebung des Verfahrens und anschließenden Neubeginn geheilt werden können. Der Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen scheide vor diesem Hintergrund aus.

Infolge der mitgeteilten Nichtabhilfe stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Die Vergabekammer stellte in ihrer ohne mündliche Verhandlung nach Lage der Akte ergangenen Entscheidung klar, dass der Nachprüfungsantrag z.T. offensichtlich unzulässig und soweit zulässig offensichtlich unbegründet war:

„Die Kammer hätte den Nachprüfungsantrag gemäß § 163 Abs. 2 S. 3 GWB schon nicht übermittelt, wäre von der Antragstellerin bereits darin offengelegt worden, dass mit dem Änderungspaket 3 auch die Aufforderung zur Angebotsabgabe im Hinblick auf die Nachforderung von Unterlagen angepasst wurde.“

Unzulässig war der Antrag, soweit die Antragstellerin eine Rechtsverletzung auf eine nachträgliche Festlegung des Ausschlusses der Nachforderung stützte, da ein solcher jedenfalls erkennbar und deshalb vor Ablauf der Angebotsfrist hätte gerügt werden müssen, § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB. Ohne dass dies für die Entscheidung tragend gewesen wäre, hält die Vergabekammer diesbezüglich jedoch auch zur offensichtlichen Unbegründetheit dieser behaupteten Rechtsverletzung wie folgt fest:

„Woraus sich die Unzulässigkeit des erfolgten Nachforderungsausschlusses ergeben soll, lässt die Antragstellerin auch nach Mandatierung ihrer nunmehrigen Verfahrensbevollmächtigten offen. Der Vortrag beschränkt sich darauf, dass die bisherige, für die Bieter wesentliche Regelung nicht im Rahmen eines Änderungspaketes zum Nachteil der Bieter geändert werden könne. Für diese im Ergebnis unzutreffende Einschätzung hätte es der Einholung eines Rechtsrates nicht bedurft.“

Betreffend des auf die ausgebliebene Einreichung der Formblätter gestützten Ausschlusses führte die Vergabekammer konsequent und zutreffend aus, dass die nachträgliche Festlegung des Ausschlusses der Nachforderung und die durch den Antragsgegner vorgenommene Beschränkung des Ausschlusses der Nachforderung zulässig sind.

Maßgeblich für die Rechtmäßigkeit sei Folgendes:

„Beide Festlegungen sind entgegen der Antragstellerin nicht zu beanstanden. Auftraggeber sind bei Wahrung der Verfahrensgrundsätze aus § 97 Abs. 1 und 2 GWB grundsätzlich berechtigt, die Vergabeunterlagen nachträglich zu ändern.“

Verstöße gegen die Verfahrensgrundsätze waren dem (unstreitigen) Sachverhalt der Entscheidung nicht zu entnehmen. Zur Zulässigkeit der Begrenzung des Nachforderungsausschlusses stellte die Vergabekammer zutreffend heraus, dass der Nachforderungsausschluss von § 16a EU Abs. 3 VOB/A gedeckt ist. Hiernach ist es öffentlichen Auftraggebern – a maiore ad minus – nicht nur erlaubt, gar keinen Gebrauch von der Nachforderungsmöglichkeit zu machen, sondern auch, die Nachforderung auf bestimmte Unterlagen zu beschränken (vgl. Ziekow/Völlink/Steck VOB/A-EU § 16a EU Rn. 26).

Rechtliche Würdigung

Der Entscheidung der VK Berlin ist uneingeschränkt zuzustimmen.

Die VK Berlin hatte sich mit zwei streiterheblichen Rechtsfragen zur Nachforderungsregelung des § 16a EU Abs. 3 VOB/A (identische Regeln finden sich auch in § 16a Abs. 3 VOB/A, in § 56 Abs. 2 Satz 2 VgV und in § 41 Abs. 2 Satz 2 UVgO) zu befassen. Danach kann der öffentliche Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen festlegen, dass er keine Unterlagen oder Preisangaben nachfordern wird. Die beiden Fragen hierzu wurden wie folgt beantwortet:

­Ist der erst nachträglich festgelegte Ausschluss der Nachforderung zulässig? Ja. Der Auftraggeber ist grundsätzlich dazu berechtigt, die Vergabeunterlagen nachträglich zu ändern. Dies betrifft auch die nachträgliche Verfahrensregelung, dass bestimmte Unterlagen (im vorliegenden Fall ein Formular betreffend eine Regelung zur Stoffpreisgleitklausel) im Falle des Fehlens bei Angebotsabgabe nicht nachgefordert werden, und das Angebot in diesem Fall auszuschließen ist.

Ist ein auf bestimmte Unterlagen bzw. Erklärungen beschränkter Ausschluss der Nachforderung zulässig? Ja. Es ist dem Auftraggeber – a maiore ad minus – nicht nur erlaubt, gar keinen Gebrauch von der Nachforderungsmöglichkeit zu machen, sondern auch, die Nachforderung auf bestimmte Unterlagen zu beschränken. Sofern die Antragstellerin meinte, dass ein Nachforderungsausschluss nicht nachträglich über eine Änderung der Vergabeunterlagen im Vergabeverfahren festgelegt werden kann, ist dem nach zutreffender Ansicht der Kammer nicht zu folgen. Eine solche Beschränkung ist weder der Norm selbst zu entnehmen noch aus allgemeinen Verfahrensgrundsätzen abzuleiten. Eine Nachforderung der fehlenden Unterlage bei der Antragstellerin war mithin ausgeschlossen und deren Angebot demnach wegen Unvollständigkeit zwingend auszuschließen.

Im Übrigen stellte die Vergabekammer fest, dass die Antragstellerin gegen die Obliegenheit zur Rüge verstoßen hat. Denn die geltend gemachten Vergabeverstöße hätte sie gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber rügen müssen. Nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die erst in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden. Dieser Rügeobliegenheit, auf die der Antragsgegner in der Auftragsbekanntmachung auch hingewiesen hat, ist die Antragstellerin nicht nachgekommen. Erkennbar sind Verstöße, die bei üblicher Sorgfalt und den üblichen Kenntnissen von einem durchschnittlichen Unternehmen erkannt werden (OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 01.09.2016 – 11 Verg 6/16). Dabei muss neben die Erkennbarkeit der die (mögliche) Vergaberechtswidrigkeit begründenden Tatsachen das Bewusstsein hinzutreten, dass hieraus in rechtlicher Hinsicht ein Vergaberechtsverstoß resultieren könnte (OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 09.05.2017 – 11 Verg 5/17). Vorliegend war für einen sorgfältig handelnden Bieter auch ohne besonderen Rechtsrat die von der Antragstellerin beanstandete rechtliche Konsequenz erfassbar, wonach die Unterlage „V 2251 F Stoffpreisgleitklausel ohne Basiswert 1 Teil 1 bis 3“ mit dem Angebot einzureichen und insofern eine Nachforderung ausgeschlossen ist. Die Bestimmungen sind eindeutig.

Praxistipp

Die Entscheidung klärt in begrüßenswerter Deutlichkeit, dass nachträgliche und eingeschränkte Festlegungen betreffend § 16a EU Abs. 3 VOB/A zulässig sind; mit entsprechender Begründung behauptete Rechtsverletzungen sind offensichtlich unbegründet. Für den öffentlichen Auftraggeber ergeben sich dadurch (weitere) Gestaltungsmöglichkeiten in Vergabeverfahren, welche gegenwärtig nach meiner Erfahrung nur sehr selten genutzt werden: zum einen kann in Verhandlungsverfahren vor jeder weiteren Verhandlungsrunde/Angebotsabgabe überlegt werden, ob die Zügel betreffend die Nachforderung angezogen werden. Zum anderen kann die Nachforderung bei besonders sensiblen Unterlagen explizit ausgeschlossen werden, wenn der Auftraggeber dies für zweckmäßig erachtet.

Die Entscheidung der VK Berlin befasst sich ob des Auftragsgegenstands zwar konsequenterweise ausschließlich mit der Norm des § 16a EU Abs. 3 VOB/A. Die tragenden Erwägungen lassen sich jedoch ebenso wie das Ergebnis derselben auf die wortlautidentische Bestimmung des § 56 Abs. 2 Satz 2 VgV (sowie im Unterschwellebereich auf § 16a Abs. 3 VOB/A und in § 41 Abs. 2 Satz 2 UVgO) übertragen: Die Entscheidung kommt über den Bereich der Bauaufträge hinaus auch für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen nach der VgV und der UVgO Bedeutung zu.

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Über Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG [1]

Der Autor Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG, ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte [2] in Berlin. Er berät seit über 20 Jahren öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe-, zuwendungs-, haushalts- und preisrechtlichen Fragestellungen. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

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