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Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf ist das für den Sitz der Vergabekammern des Bundes zuständige Beschwerdegericht (§ 116 Abs. 1, 3 GWB). Marco Junk (Vergabeblog) sprach mit Heinz-Peter Dicks, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht, Vorsitzender des Vergabesenats und des 2. Kartellsenats des OLG Düsseldorf, über Anspruch und Wirklichkeit des Vergaberechts, über aktuelle rechtliche Streitfragen und die Notwendigkeit von Vereinfachungen.
Ein Gastbeitrag von Dr. Corinna Contag und Dr. Susanne Mertens, LL.M
Der Umsetzungsprozess der EU-Richtlinie 2009/81/EG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit hat – endlich – begonnen: Der deutsche Gesetzgeber ist mit einem Gesetzesentwurf vom 12.08.2011 zur Änderung des Vergaberechts für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit sowie einem Verordnungsentwurf (VSVgV) vom 30.06.2011 die ersten Schritte auf dem Weg zur Umsetzung gegangen.
Nun hat der Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss (DVA) den Entwurf zur Änderung der VOB/A veröffentlicht. Für Bauleistungen soll hinsichtlich der Verfahrensregelungen zur Umsetzung der Richtlinie 2009/81/ auf einen 3. Abschnitt der VOB/A verwiesen werden. Für Liefer- und Dienstleistungen ist zur Zeit noch nicht bekannt, ob eine von der VOL/A unterschiedliche Rechtsverordnung entstehen soll oder eine Eingliederung in die VOL/A vorgenommen wird.
Der Zeitplan des Deutschen Gesetzgebers sieht vor, dass die für die Umsetzung notwendigen Gesetzesänderungen am 01.01.2012 in Kraft treten sollen.
§§ 100 Abs. 2 lit. d), 115 Abs. 4 GWB; Art. 13, 55, 56 RL 2009/81EG
Am 21.08.2011 lief die Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2009/81/EG über die Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsrelevanten Aufträgen ab. Erstmals hat sich kürzlich auch das OLG Düsseldorf mit der Richtlinie befasst. Der Beschluss vom 08.06.2011 enthält interessante Ausführungen zur Reichweite von § 100 Abs. 2 lit. d) GWB, zum Verhältnis des GWB zu der Richtlinie und zur Rechtmäßigkeit des § 115 Abs. 4 GWB.
§ 97 Abs. 1 GWB; §§ 2 Nr. 1 Abs. 1, 17 Abs. 2 S. 2, Abs. 3, 19 Abs. 3 lit. f) EG VOL/A.
Personelle oder rechtliche Verflechtungen zwischen mehreren Bietern eines Vergabeverfahrens begründen eine Vermutung wettbewerbswidriger Absprachen. Erhalten Auftraggeber hiervon Kenntnis, sind sie verpflichtet zu prüfen, ob Wettbewerbsverstöße vorliegen. Die Bieter müssen diese Vermutung widerlegen. Bleibt es bei dem bloßen Verdacht, ist ein Ausschluss vom Verfahren nicht zulässig.
Ein Bieter kann die Vergabeentscheidung eines Auftraggebers bereits mit dem bloßen Hinweis angreifen, dass sein Angebot nach seiner Branchen- und Marktkenntnis das wirtschaftlichste Angebot darstelle. Dem OLG Düsseldorf zufolge reicht ein solcher Vortrag aus, um die Formerfordernisse des § 108 Abs. 2 GWB an die Substantiierung einer Rüge zu erfüllen. Das Gericht gibt zudem weitere praxisrelevante Hinweise zur Unverzüglichkeit und zu Alternativpositionen.
Art. 24 RL 2004/18/EG; § 21 Nr. 3 S. 2 VOB/A 2006; §§ 13 Abs. 3 S. 2, 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. f), Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VOB/A 2009
Bieter dürfen in einem Vergabeverfahren mehrere Hauptangebote abgeben. Die irrtümliche Bezeichnung als Nebenangebote schadet nicht. Dies hat das OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 09.03.2011 (VII-Verg 52/10) klargestellt und damit eine lange Zeit ungeklärte Frage beantwortet.
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Öffentliche Auftraggeber dürfen auch nach Öffnung der Angebote (Submission) eine Anpassung des Leistungsumfangs vornehmen. Allerdings ist den Bietern Gelegenheit zu geben, ihre Angebote entsprechend zu ändern. Ansonsten verstößt der Auftraggeber nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 5. Januar 2011 (Az.: VII-Verg 46/10) gegen das in der VOB/A geregelte Gebot, den Bietern eine einwandfreie Preisermittlung zu ermöglichen. Der Vergabesenat unterstreicht hiermit die Bedeutung der dem Auftraggeber obliegenden Pflicht zur eindeutigen und erschöpfenden Beschreibung der Leistung.
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Ein Gastbeitrag von RA Holger Schröder
Eisenbahnverkehrsleistungen unterliegen grundsätzlich dem Vergaberecht. Die Aufgabenträger im Schienenpersonennahverkehr (SPNV), wie etwa die Bundesländer oder Verkehrsverbünde, dürfen einen Auftrag zur Erbringung von SPNV-Leistungen nicht mehr ohne Ausschreibungswettbewerb direkt an ein Unternehmen vergeben. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe entschieden (Beschluss vom 8. Februar 2011 – X ZB 4/10).
Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 6. Oktober 2010 (Az.: Verg 44/10) festgestellt, dass die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige öffentliche Bekanntmachung – trotz unterschiedlichen Wortlauts der jeweils einschlägigen Paragrafen – sowohl nach der VOB/A 2006 als auch nach der VOB/A 2009 unter den gleichen Voraussetzungen gestattet ist. Die Voraussetzungen hierfür liegen vor, wenn kein Angebot die Wertungsstufen 1 bis 3 unbeanstandet passiert hat und vom Auftraggeber bezuschlagt werden könnte.
Minuspreise sind aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers doch eigentlich eine Annehmlichkeit. Er muss für die betreffende Leistungsposition nichts bezahlen, sondern er erhält vielmehr eine Gutschrift. Das erscheint ganz logisch, und es kann zumindest rechnerisch relativ einfach gehandhabt werden.
Aber es ist wie so häufig: Das Recht, und speziell das Vergaberecht, kennt so seine eigenen Regeln, die das Leben wieder kompliziert machen können. Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 22.12.2010 – VII-Verg 33/10) hat sich im Interesse der Stärkung des Wettbewerbs zu der Frage der Wertbarkeit von Minuspreisen jüngst positiv geäußert. Indes: Nicht nur das Vergaberecht steht dem entgegen, sondern es wurde wohl auch die dabei entstehende Umsatzsteuerproblematik übersehen.
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Mit seiner Entscheidung vom 27.10.2010 (VII – Verg 47/10) hat das OLG Düsseldorf weitere Facetten der Forderung von Eignungsnachweisen beleuchtet, insbesondere zum Thema Rügepflicht. Erneut werden Diskrepanzen zur Spruchpraxis anderer Vergabenachprüfungsorgane deutlich. Das Thema bleibt ein vergaberechtlicher Evergreen!
Reduziert ein Auftraggeber in einem laufenden Vergabeverfahren den Leistungsumfang, muss er den Bietern in jeder Lage des Verfahrens Gelegenheit geben, hierauf zu reagieren. Das gilt auch dann, wenn die Angebote bereits geöffnet wurden. Das OLG Düsseldorf hat nun klargestellt: Jedes andere Vorgehen verstößt gegen die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung.
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Das OLG Düsseldorf hält den am 24.11.2009 zwischen dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr AöR (VRR) und der DB Regio NRW GmbH (DB Regio) geschlossenen Vergleichsvertrag zum Betrieb der Nahverkehrslinien im Rhein-Ruhrgebiet für vergaberechtswidrig. Dieser Vertrag sieht vor, dass die DB Regio die S-Bahn-Linien bis Dezember 2023 betreiben sollte. Nach Ansicht des OLG hätte, da es sich um eine wesentliche Änderung des bestehenden Vertragsverhältnisses handelt (so war der Betrieb ursprünglich nur bis 2018 vereinbart), dieser neu ausgeschrieben werden müssen (Beschluss v. 21.07.2010 – VII-Verg 19/10).
Ein Gastbeitrag von Dr. Susanne Mertens, LL.M.
Bei der Errichtung, Instandsetzung und Wartung technischer Anlagen in Immobilien bestehen Auslegungsspielräume und Einordnungsschwierigkeiten. Der erheblich höhere Schwellenwert für die Beschaffung von Bauleistungen führt immer wieder zu Streitigkeiten, ob es sich bei den Leistungen mit Einbau und Verkabelung um Bauleistungen handelt.
Dem OLG Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 14.04.2010 – VII-Verg 60/09) lag ein Fall zur Entscheidung vor, bei dem die Wartung der Anlage und der Austausch von ca. 2500 Brandmeldern beschränkt nach VOB/A ausgeschrieben war. Der geschätzte Auftragswert lag mit 450.000,00 EUR deutlich über dem EU-Schwellenwert für Liefer- und Dienstleistungen. Kern der Auseinandersetzung: Werden hier EU-weite Ausschreibungspflichten – nämlich für Dienstleistungen – umgangen?
Juristische Beratungsdienstleistungen sind grundsätzlich nach den Bestimmungen der VOF auszuschreiben. Die VOL gilt nur, wenn die Leistungen eindeutig und erschöpfend beschrieben werden können. Dies hat nun das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 21.04.2010 – VII-Verg 55/09) klargestellt und den Nachprüfungsantrag einer Anwaltskanzlei verworfen.
Nun ist es amtlich: Die so genannte „Ahlhorn-Rechtsprechung“ ist Rechtsgeschichte! Fast auf den Tag genau drei Jahre nach dem unter dem Namen „Fliegerhorst Ahlhorn“ berühmt gewordenen Beschluss ändert der Vergabesenat des OLG Düsseldorf in Folge des EuGH-Urteils „Wildeshausen“ seine Spruchpraxis zu Grundstücksgeschäften der öffentlichen Hand.
Nachdem der EuGH der vielfach kritisierten Rechtsprechung des OLG Düsseldorf in zentralen Punkten eine Absage erteilte hatte, war der erste Beschluss des Vergabesenats zur EU-weiten Ausschreibungspflicht von Investorenprojekten mit Spannung erwartet worden. Diese Woche war es dann so weit (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.06.2010, VII Verg 9/10 – „Haan“). Die Düsseldorfer Richter ändern ihre bisherige Spruchpraxis und schaffen damit eine verlässliche Rechtslage für Kommunen und Investoren.
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Öffentliche Auftraggeber sind grundsätzlich frei in ihrer Beschaffungsentscheidung. Sie dürfen bestimmte Produkte oder Verfahren vorgeben, wenn es auftrags- und sachbezogene Gründe hierfür gibt. Dies hat nun das OLG Düsseldorf in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden.
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Auch wenn sich der Gesetzgeber bislang zu einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung nicht durchringen konnte: Die Rechtsprechung kommt immer häufiger zu dem Ergebnis, dass Bietern auch bei Auftragsvergaben unterhalb EU-Schwellenwerte grundsätzlich der Prozessweg eröffnet ist. Zuletzt hat das OLG Düsseldorf in einer Entscheidung vom 13.01.2010 (27 U 1/09) bestätigt, dass sich Bieter gegen rechtswidrige Vergabeentscheidungen gerichtlich zur Wehr setzen können. Dabei greift der Rechtsschutz nach Auffassung des OLG Düsseldorf nicht erst bei willkürlichem Verhalten der Vergabestelle – ein Ansatz, der zu einer deutlichen Erweiterung des Rechtsschutzes im Unterschwellenbereich führt.
Nicht uninteressant: Die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) will in diesen Tagen den Auftrag für den Betrieb der Linien des Regionalverkehrs von Hamburg nach Bremen und Uelzen an das private Bahnunternehmen Metronom vergeben. Das, obwohl das Angebot der Deutschen Bahn für den Betrieb der Linien – umfasst ist der Zeitraum von 2010 bis 2018 – um einen zweistelligen Millionenbetrag günstiger gewesen ist. Möglicherweise war aber genau das der vergaberechtliche Fehler. Ein guter Anlass, den schmalen Grad zwischen wirtschaftlichstem Angebot und Unauskömmlichkeit i.S.d. § 25 Nr. 2 Abs. 2 und Abs. 3 VOL/A einmal genauer zu beleuchten. Und eine Prognose zu wagen.
Heute geht es also in die 2. Runde: Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf verhandelt darüber, ob die Vergabe der Architektenleistungen zur „Wiedererrichtung des Berliner Stadtschlosses/Bau des Humboldt-Forums“ an den Architekten Franco Stella, Vicenza (Italien), gegen das Vergaberecht verstößt (Az.: VII-Verg 39/09). Was war geschehen?
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