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BGH-Urteil: Skontoabzüge bei der Angebotswertung berücksichtigen?

Sparschwein Unter Einbeziehung des Skontoabzugs – im konkreten Fall 2 % bei einer Zahlungsfrist von 14 Tagen – lag das Angebot eines Bieters rund 1 Prozent unter dem des nächstgünstigsten Wettbewerbers, ohne Skonto-Berücksichtigung war der andere günstiger. Nachdem die Auftraggeberin den Skonto-Effekt unberücksichtigt lies und letzteres bezuschlagt hatte, machte der Unterlegende im Wege der Klage Schadensersatz geltend.


Mit Urteil vom 11. März 2008 – Az X ZR 134/05 – hatte der BGH nun darüber zu befinden, ob der Auftraggeber angebotene Skontoabzüge bei der Angebotswertung berücksichtigen muss.

Dies bejahte das Gericht, allerdings mit der für die Praxis erheblichen Einschränkung, dass nur solche Skonti bei der Angebotswertung zu berücksichtigen seien, deren Voraussetzungen (hier also die 14tägige Zahlungsfrist) die ausschreibende Stelle auch erfüllen könne. Die Prüfung aber, ob diese Bedingungen erfüllbar seien, obliege allein der ausschreibenden Stelle – und nicht dem Gericht.

Der Prüfungsumfang des Gerichts könne sich dabei nur auf die Vertretbarkeit der Prognose des Auftraggebers belaufen, die vorliegend zu bejahen sei, weil der Skontoabzug von diesem angesichts der kurzen Zahlungsfrist als nicht realisierbar eingeschätzt wurde.

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Über Marco Junk

Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk als Leiter Regierungsbeziehungen für das IT-Dienstleistungsunternehmen Atos tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

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3 Kommentare

  1. Rainer Diebitz

    Es erscheint doch sehr fraglich, ob diese Entscheidung dem Transparenzgebot bzw. Willkürverbot (EU-Recht) entspricht. Immerhin setzt eine Skontoregelung von der Begrifflichkeit her eine Zahlungszielverkürzung voraus. Ein Zahlungsziel mit der Sowieso-Vertragsfrist (VOB/B – AR = 3 Wochen) stellt insofern keine Skontoregelung dar. Es erscheint willkürlich, wenn eine Zahlungszielverkürzung auf 14 Tage – jahrzehntelang vertraglich praktizierte Zahlungsfrist (vor Änderung der VOB) – nicht akzeptabel sein soll. Immerhin hatte die Vergabestelle ein Skontoangebot ausdrücklich ausgelobt – wollte demnach eine Zahlungszielverkürzung hinnehmen.

    Die ungeprüfte Ablehnung des Skontoangebots mit Zahlungsziel 14 Tage läuft auf eine nachträgliche Veränderung der Zuschlagkriterien hinaus (siehe Link). Ohne rechtliche Nachprüfung könnte jede Zahlungsfrist abgewiesen werden. Demnach führt der Ausschluss der Nachprüfung durch das Gericht zum Verstoß gegen das Transparenzgebot (Willkürverbot).

    Ohne Nachprüfung ist die Annahme/Nichtannahme des Skontoangebots in das willkürliche Ermessen der Vergabestelle gestellt, so dass die Vergabe bzw. das entsprechende Kriterium willkürlich gehandhabt werden könnte.

    Es stellt sich hier die Frage einer Überprüfung durch den EuGH. Der BGH hat in drastischer Weise – offenkundig – Grundsätze des EU-Rechts missachtet (Transparenzgebot) – ist jedenfalls seiner Pflicht zur Vorlage beim Europäischen Gerichtshof nicht nachgekommen.

    Jedenfalls stellt es einen Entzug des gesetzlichen Richters dar, wenn ein nationales Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nicht nachkommt (vgl. BVerfGE 73, 339 ; 82, 159 siehe auch BVerfG Beschl. 1.Kammer des 1.Senats 21.08.96- 1 BvR 866/96 – NVwZ 1997, S.481; BVerfG Beschl. 2.Kammer des 1.Senats 05.08.98 – 1 BvR 264/98 – DB 1998, S.1919)

    Danach wird eine Vorlagepflicht insbesondere in solchen Fällen unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Gericht seine Vorlageverpflichtung grundsätzlich verkennt. Gleiches gilt, wenn zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts einschlägige Rechtsprechung des EuGH noch nicht vorliegt oder wenn eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet hat. Erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des EuGH nicht nur als entfernte Möglichkeit, so wird Art.101 Abs.1 Satz 2 GG nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dann verletzt, wenn das letztinstanzliche Gericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidenden Frage des Gemeinschaftsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind.

    Ein Gericht, das sich hinsichtlich des Europäischen Rechts nicht ausreichend kundig macht, verkennt regelmäßig die Bedingungen der Vorlagepflicht.

    In der Rechtsprechung des EuGH ist entschieden, dass der Staat für solche Schäden zu haften hat, die ihre Ursache in solchen, dem Staat zuzurechnenden Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht haben. Auch Art.10 EG verpflichtet die Mitgliedstaaten, rechtswidrige Folgen von Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht zu beheben.

    Der EuGH hat entschieden, dass der Mitgliedstaat für solche Schäden einzustehen hat, die dem einzelnen deshalb entstanden sind, weil das höchste deutsche Gericht gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen hat. Der EuGH führt aus, dass alle staatlichen Instanzen die vom Gemeinschaftsrecht vorgeschriebenen Normen zu beachten haben. Zur Vorlagepflicht eines deutschen letztinstanzlichen Gerichts hat zudem bereits das BVerfG in seiner Entscheidung vom 09.01.2001 ausgeführt, dass der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht zwar an die Vorgaben des GG gebunden sei – soweit im übrigen die Normsetzung zwingend dem Gemeinschaftsrecht folgt, ist sie allerdings ebenso wie das sekundäre Gemeinschaftsrecht selbst nicht am Maßstab der deutschen Grundrechte durch das BVerfG zu prüfen, sondern unterliegt dem auf Gemeinschaftsebene gewährleisteten Grundrechtsschutz.

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  2. Rainer Diebitz

    Die Besonderheit des Skontoangebots liegt im vorliegenden Fall darin, dass die Vergabestelle selbst in den Ausschreibungsunterlagen ein solches Angebot angefragt hatte. Demnach handelte es sich bei dem Angebot nicht nur um ein preisliches Kriterium, sondern der Anbieter durfte auch darauf vertrauen, dass der Auftraggeber ein verkürztes Zahlungsziel in Kauf nehmen wollte, um ein preislich günstigeres Angebot zu erhalten. Schließlich ist mit dem Begriff „Skonto“ generell die Vorstellung einer gegenüber den Regelfristen (VOB) verkürzten Zahlungsfrist verbunden. Unter diesen Umständen erscheint es willkürlich, wenn die Vergabestelle bei der Auswertung ohne nachvollziehbare Begründung im einzelnen – insbesondere ohne Nachprüfung – das Skontoangebot nicht wertet, wenn dies praktisch darauf hinausläuft, dass eine – in den Ausschreibungsunterlagen noch signalisierte – Verkürzung vertraglicher Zahlungsfristen aus internen Gründen überhaupt nicht möglich sein soll.

    Die Vergabestelle kann wohl ebenso wenig damit Gehör finden, sie habe von Anfang an vertragswidrig auf verschleppte Zahlungfristen gesetzt wie darauf, die internen Verhältnisse hätten sich nach Angebotsabgabe derart verschlechtert, dass die mit den Ausschreibungsunterlagen durch Anforderung eines Skontoangebots signalisierte Möglichkeit einer angemessen verkürzten Zahlungsfrist nach Angebotsabgabe nun nicht mehr vorliegen würden.

    Es erscheint mit den Vergabegrundsätzen nicht vereinbar, wenn unter diesen Umständen weder die Vergabestelle zu einer nachvollziehbaren Begründung verpflichtet sein soll, noch die Prüforgane, insbesondere das Gericht, sich einer genauen Prüfung verweigern sollen.

    Hier geht es demnach darum, dass einerseits willkürliche Vergabeentscheidungen zugelassen werden, andererseits die deutsche Vergabeprüfung bzw. Gesetzgebung europäischen Standarts immer noch nicht entspricht.

    Da verwundert es kaum noch, wenn kürzlich auf dem Symposium eines deutschen Baukonzerns unter hochkärätiger Teilnahme ausführlich nur darüber beratschlagt wurde, ob eine Veränderung der Vergabebestimmungen dahingehend angeraten bzw. möglich sei, dass auch im Falle des Eingriffs durch ein Vergabegericht der bereits abgeschlossene rechtswidrige Bauvertrag nicht etwa ausgesetzt, sondern trotz Rechtswidrigkeit ohne Einschränkungen umzusetzen sei. Zu begründen sei dies mit dem besonderen öffentlichen Interesse an einem unverzögerten Beginn der Baumaßnahme. Die eventuellen Schadensersatzforderungen des durch die rechtswidrige Vergabe übergangenen Bieters – diese wären schwer darzulegen und um mehr als 5 % könne es sich kaum handeln – wären dabei in Kauf zu nehmen. Es würde mich nicht wundern, wenn sich dafür eine ganze Reihe gewichtiger Befürworter finden – das EU-Vergaberecht ließe sich so wohl viel besser händeln.

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  3. Rainer Diebitz

    Bereits mit der Entscheidung des EuGH vom 18.07.2007 gegen die Bundesrepublik Deutschland wurde bekräftigt, dass ein Mitgliedsstaat vor Sanktionen wegen der Nichteinhaltung gemeinschaftsrechtlicher Vergabebestimmungen auch nicht durch nationale Rechtsgrundsätze wie dem des „pacta sunt servanda“ geschützt wird.

    1
    Der Fall

    Die Gemeinde Braunschweig hatte ohne die gemäß Richtlinie geforderte europaweite Vergabebekanntmachung einen dreißigjährigen Vertrag zur Restabfallbehandlung abgeschlossen. Als Folge fehlender Bekanntmachung hat der EuGH bereits am 10.04.2003 (Aktenzeichen: verb. Rs. C-20/01 und C-28/01) entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland hiermit gegen ihre Verpflichtungen aus dem europäischen Vergaberecht verstoßen hat.

    Trotz des Ersuchens der Kommission der europäischen Gemeinschaften an die Deutsche Regierung, die zur Beseitigung des Vergabeverstoßes ergriffenen Maßnahmen mitzuteilen, gefolgt von einer mit Fristsetzung und Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission blieb der vergaberechtswidrig zustande gekommene Abfallbeseitigungsvertrag zunächst bestehen. Erst nachdem die Kommission erneute Klage bei dem EuGH eingereicht hatte, kündigte die Stadt Braunschweig den geschlossenen Müllentsorgungsvertrag.

    2
    Die Entscheidung des EuGH

    Der EuGH urteilt, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen habe, indem sie bis zum Ablauf der von der Kommission gesetzten Frist nicht die Maßnahmen ergriffen hatte, die sich aus dem ersten Urteil des EuGH vom 10.04.2003 in Bezug auf die Vergabe des Entsorgungsvertrages ergeben hatten.

    Während sich die Bundesrepublik in diesem Verfahren damit verteidigte, dass es ihr erlaubt sei, gemäß Artikel 2 Abs. 6 Untersatz 2 der Richtlinie 89/665 vorzusehen, dass Verträge trotz eines Verstoßes gegen die Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge aufrecht erhalten und übergangene Bieter auf Schadensersatzansprüche verwiesen werden, entschied der EuGH, dass diese Regelung bei der Beurteilung, ob das Handeln der Bundesrepublik Deutschland gemeinschaftsrechtskonform sei, nicht relevant sei. Vielmehr bekräftigte der EuGH den bereits in seiner Entscheidung vom 10.04.2003 ausgesprochenen Vorrang des europäischen Gemeinschafts-Vergaberechtes vor der nationalen Rechtsordnung mit dem Urteilsgrund, wonach die Erlaubnis für die Mitgliedsstaaten, die Wirkungen der unter Verstoß gegen die Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge geschlossenen Verträge aufrecht zu erhalten, die Bundesrepublik jedoch nicht davor schützt, dass das Verhalten ihrer Vergabestelle nach Abschluss des Vertrages gleichwohl als gemeinschaftsrechtswidrig anzusehen sei.

    Mit anderen Worten steht die Existenz des Rechtsgrundsatzes, wonach geschlossene Verträge zu halten sind (pacta sunt servanda), der Verurteilung eines Mitgliedsstaates wegen Vertragsverletzung durch Nichteinhaltung von Vergaberechtsvorgaben nicht entgegen.

    3
    Auswirkungen dieser Entscheidung

    Dieses Ergebnis ist für die Bundesrepublik Deutschland schon angesichts der Gefahr finanzieller Sanktionen alarmierend. Was diese Rechtsprechung jedoch für eine Vielzahl ohne ausreichende europaweite Ausschreibung geschlossener Verträge konkret bedeutet, wird auch durch die vorliegende Entscheidung nicht gänzlich klarer:

    Ein direktes Klagerecht eines Konkurrenten auf Aufhebung eines Vertrages dürfte wohl eher nicht angenommen werden können. Der entsprechende Druck auf Vergabestellen kann jedoch wirksam mittels Aufsichts- und Klageinstrumenten der Kommission der europäischen Gemeinschaften gegen die Bundesrepublik Deutschland erfolgen, wie es vorliegend auch geschehen war. Dass die Bundesrepublik in vielen Fällen gar nicht selbst Vertragspartner des zustande gekommenen Vertrages ist, verkompliziert die Beseitigung entsprechender Vergaberechtsverstöße.

    In der Zukunft dürfte diskutiert werden, ob eine Pflicht einer Vergabestelle, einen unter Verstoß gegen das Vergaberecht zustande gekommenen Vertrag aufzuheben, bereits per se aus dem materiellen Recht folgt oder erst dann im Sinne einer Umsetzungsverpflichtung besteht, wenn ein solcher Verstoß durch den EuGH festgestellt wurde.

    Insbesondere besagt die Entscheidung des EuGH nicht, ob de lege lata bereits ein Recht der Vergabestelle auf Aufhebung eines vergaberechtswidrigen Vertrages besteht. Bei Werkverträgen mag argumentiert werden können, dass ein Recht auf sogenannte freie Kündigung gemäß § 649 BGB stets im Rahmen des Möglichen liegt. In diesem Zusammenhang kommt auch der Entscheidung des Landgerichts München I (Urteil vom 20.12.2005, Aktenzeichen 33 O 16465/05) große Bedeutung für die Zukunft zu; in diesem Urteil sprach das Gericht dem Auftraggeber das Recht zur Kündigung gemäß § 313 BGB unter Berücksichtigung einer zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Loyalitätsklausel und dem Umstand zu, dass beide Vertragsparteien erst durch eine (überraschende) Entscheidung des EuGH nach Abschluss des Vertrages die Ausschreibungspflichtigkeit des Auftragsgegenstandes erfahren hätten. Da diese Entscheidung des Landgerichts München jedoch nicht auf alle Konstellationen übertragbar ist, sollte sich der deutsche Gesetzgeber mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit er auch zur Vermeidung von enormen Schadensersatzansprüchen bei zu kündigenden Vertragsverhältnissen dem Auftraggeber ein Sonderkündigungsrecht mit besonderen Entschädigungsregelungen zur Seite stellt oder hier auf die Lösung entsprechender Konfliktlagen durch die Gerichte vertraut.

    Fundstelle
    EuGH, Urteil vom 18.07.2007 – Rs.C 503/04

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