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Kleiner Fehler, große Wirkung: Falsche CPV-Codes in der TED-Datenbank – nur Ausreißer oder System im System?

WebWenn man etwas sucht, ist es gut zu wissen, wie es aussieht. Was aber, wenn das, was Sie suchen, gar nicht so aussieht, wie es aussehen müsste? Dann wird es schwierig, mitunter sogar unmöglich, es zu finden. Nun ist der Prozess zur Vergabe öffentlicher Aufträge – für Bieter wie für Beschaffer – stark formalisiert, um einen transparenten und fairen Wettbewerb zu ermöglichen. Auf eine bislang offenbar gänzlich unbeachtete Lücke in diesem Prozess machte mich Peter Cornelius, seit 1994 Betreiber des elektronischen Ausschreibungssuchdienstes „Ted-Alert„, aufmerksam: Die europäischen Ausschreibungsdatenbank TED (= Tenders Electronic Daily) des Amtes für Amtliche Veröffentlichungen der EU, in der alle öffentlichen Ausschreibungen oberhalb der EU-Schwellenwerte verpflichtend zu veröffentlichen sind und die für über 150 lizenznehmende Datenbanken Dritter integraler Bestandteil ist. Bei monatlich über 30.000 Neueinstellungen in TED (Gesamtzahl in 2009: 363.230) ist deren wichtigster Bestandteil der jeweils verwendete CPV-Code, eine Zahlencodierung des Auftragsgegenstands zur Überwindung der Sprachbarrieren. Doch niemand kontrolliert die Richtigkeit oder auch nur Plausibilität der verwendeten Codes. Ohne diesen ist die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen jedoch kaum auffindbar, weshalb es bei Verwendung eines falschen Codes für interessierte Bieter schwer bis unmöglich wird, eine Ausschreibung zu finden.

Doch Cornelius kann es, denn er war von 1985 bis 1991 als Mitarbeiter des Datenbank-Anbieters ECHO (European Commission Host Organisation) für die Direktion Informationsmarkt der Kommission (heute Teil der Generaldirektion Informationsgesellschaft und Medien) verantwortlich für den Aufbau der Datenbank und die Implementierung der Suchfunktion. Und was er heute zu finden vermag, ist bemerkenswert: Etliche mit falschem CPV-Code deklarierte und daher für Bieter faktisch kaum auffindbare Ausschreibungen. Selbst die Institutionen der EU machen da keine Ausnahme. Statistische Ausreißer, Nachlässigkeit einzelner Vergabestellen oder mitunter gar Absicht?

Der CPV-Code (Common Procurement Vocabulary) ist das gemeinsame Vokabular der EU zur Beschreibung des Auftragsgegenstandes bei öffentlichen Aufträgen. Er ist bei europaweiten Ausschreibungen von jeder Vergabestelle zwingend in der Vergabebekanntmachung anzugeben. Er stellt eine produkt- bzw. dienstleistungsbezogene Zahlencodierung zur Überwindung der Sprachbarrieren dar. Die CPV-Nomenklatur besteht dabei aus einem Hauptteil, der den Auftragsgegenstand definiert, und einem Zusatzteil zur Ergänzung weiterer qualitativer Angaben. Der Code ist der entscheidende Schlüssel für Bieter, die für sie relevanten Ausschreibungen in TED bzw. in den über 150 lizenznehmenden Datenbanken Dritter zu finden.

Als mich vor inzwischen über einen halben Jahr Peter Cornelius ansprach, hielt ich das Thema nicht für wirklich praxisrelevant. TED wird nach Angaben des Amtes für Amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Union fünfmal pro Woche mit etwa 1500 Bekanntmachungen über öffentliche Aufträge aus der Europäischen Union, dem Europäischen Wirtschaftsraum und weiteren Ländern aktualisiert. Das sind also 7500 Bekanntmachungen jede Woche, 30.000 im Monat. Da können Fehler schon mal vorkommen.

Doch Cornelius, der für seine Kunden – Bieterunternehmen – mittels der für diese relevanten CPV-Codes die TED-Datenbank gezielt nach Ausschreibungen durchsucht, ließ nicht locker. Also bat ich ihn, mir Fälle zu nennen, in denen der von der Vergabestelle genutzte CPV-Code falsch sei. Und Cornelius wird zu jeder Zeit fündig. Nachfolgend einige wenige, beispielhaft genannte Veröffentlichungen nur der letzten Tage:

1. Europäische Investitionsbank (Banque Européenne d’Investissement, BEI)
Bekanntmachung vom 21.01.2010
Dokument-Nr.: 17014-2010
Geschätzter Auftragswert: 2.000.000 EUR
Verwendeter CPV-Code: 85111400  = „Rehabilitationsmaßnahmen im Krankenhaus
Tatsächlicher Auftrag: „Überwachung der Arbeiten im Zusammenhang mit der Sanierung und Ausstattung von 17 Krankenhäusern„.

EIB

2. LMBV Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH
Bekanntmachung vom 23.01.2010
Dokument-Nr: 21835-2010
Geschätzter Auftragswert: 280.000 EUR
Verwendeter CPV-Code: 75100000 = „Dienstleistungen der Verwaltung
Tatsächlicher Auftrag: „Ingenieurtechnische Leistungen zur Gestaltung und Herstellung eines Sportstrandes in der Schladitzer Bucht

3. Europäisches Parlament, Generaldirektion Interne Politikbereiche, Direktion A: Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik
Bekanntmachung vom 02.02.2010
Dokument-Nr: 30348-2010
Geschätzter Auftragswert: 1.500.000 EUR
Verwendeter CPV-Code: 90000000 = „Abwasser- und Abfallbeseitigungs-, Reinigungs- und Umweltschutzdienste
Tatsächlicher Auftrag: „Bereitstellung von externem Fachwissen betreffend aufkommende regulatorische und politische Fragestellungen im Rahmen der Verantwortlichkeit des ENVI-Ausschusses im Bereich Umwelt”

4. Zweckverband Nahverkehr Amberg-Sulzbach – ZNAS
Bekanntmachung vom 02.02.2010
Dokument-Nr: 31244-2010
Geschätzter Auftragswert: 730.000 EUR
Verwendeter CPV-Code: 98300000 = „Diverse Dienstleistungen
Tatsächlicher Auftrag: “Direktvergabe von öffentlichen Personenverkehrsdiensten gemäß Artikel 5 Absatz 2 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen-Parlaments und des Rates vom 23.10.2007 zum 1.4.2011.

Cornelius kann die Liste beliebig erweitern. Jederzeit.

Was aber heißt das für ein transparentes und faires Vergabeverfahren? Was für die effiziente und wirtschaftliche Verwendung öffentlicher Gelder, wenn Wettbewerb aufgrund ausbleibender Bieter nicht stattfindet?

Cornelius – zwar verlängerter Arm “seiner” Bieter aber eben nicht antragsbefugt vor der Vergabekammer i.S.d. § 107 Abs. 2 GWB – hat im Juni 2008 eine Beschwerde (1843-2008) beim Europäischen Bürgerbeauftragten eingelegt, die jedoch nicht angenommen wurde. Es sei zunächst eine gründlichere Sachverhaltsermittlung einzuholen. Gleichzeitig weist das für TED verantwortliche Amt für Amtliche Veröffentlichungen der EU jede Verantwortlichkeit für Fehler von sich, da allein die ausschreibenden Stellen für die Veröffentlichungen zuständig seien.

Nach weiteren Hinweisen auf nicht enden wollende Veröffentlichungen unter falschem CPV-Code wurde Cornelius schließlich im September 2009 zu einem persönlichen Gespräch mit dem Leiter der Abteilung C 4, „Wirtschaftliche Aspekte des Vergabewesens; Elektronisches Vergabewesen“ der Kommission (Direktion Vergabewesen, Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen) nach Brüssel eingeladen. An diesem Gespräch nahmen auch Mitarbeiter des Amtes für Amtliche Veröffentlichungen teil. Passiert ist seit dem nichts.

Übertriebene Hysterie oder Anlass, der Sache nach zu gehen? Immerhin liegen allen Bekanntmachungen auf TED Aufträge von mindestens 4,845 Mio. Euro (Bauaufträge) bzw. 193.000 Euro (Dienstleistungs- und Lieferaufträge) zu Grunde.

Sagen Sie uns Ihre Meinung!

Die aktuelle CPV-Klassifikation finden Sie übrigens hier.

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Über Marco Junk

Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk als Leiter Regierungsbeziehungen für das IT-Dienstleistungsunternehmen Atos tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

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9 Kommentare

  1. Achim Petersen

    Das Grundproblem ist glaube ich die Überforderung von Mitarbeitern der Verwaltung. Vor allem, weil auch viele kleine und kleinste Behörden ihre Ausschreibungen selbst machen, anstatt das zentral an jemanden abzugeben, der sich damit auskennt. Das Vergabeverfahren gilt in vielen Behörden allgemein als Horror. Dort sind oft solch dermaßen strotzende Fehler drin, dass offenbar bereits die Grundlagen des Vergaberechts nicht verstanden wurden. Das hat meist nichts mit Bestechlichkeit und Mauschelei, sondern mit Überforderung, Missverständnissen und politischen Vorgaben zu tun.

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  2. Peter Cornelius

    Sehr geehrter Herr Petersen,

    Ihre Einschätzung ist sicher richtig, aber dann sollte wohl etwas durch die zuständigen Abteilungen im BMWi und in den Landeswirtschaftsministerien getan werden, um durch Schulung der Mitarbeiter der Verwaltung das Fachwissen zu erhöhen. Auch wenn die Veröffentlichung dann ggf. richtig gemacht wird, sind ja sicher auch noch genügend Fehlerquellen in der Bewertung und Entscheidung für einen Auftraggeber möglich.

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  3. Marco Junk

    Sieh an, es geht doch: Die Europäische Investitionsbank hat den Auftrag komplett neu ausgeschrieben (Dokument Nr. 31567-2010), verwendeter CPV-Code 45453100 – Sanierungsarbeiten. Was öffentlicher Protest doch zu bewirken vermag.

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  4. Tobias Brandt

    Diese Problematik ist uns (und vermutlich auch den
    Verantwortlichen) seit Jahren bekannt. Für unsere deutsche Version von TED (vergabereport Deutschland) überprüfen wir daher die CPV-Codes und ergänzen/korrigieren diese vor der Veröffentlichung. Das Problem ist im übrigen vielschichtig; so werden die CPV-Codes vom Veröffentlichungsamt alle paar Jahre verschlimmbessert. Viele Codes sind unsinnig, auf der anderen Seite werden viele Produkte und Dienstleistungen gar nicht abgebildet.

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  5. Peter Cornelius

    Lieber Kollege Brandt,

    vielen Dank für Ihren Kommentar – da wir uns kennen, kann ich beurteilen, dass Sie dies genau so sehen wie ich. Ihre Verfahrensweise als direkter Lizenznehmer ist nun anders und sicher auch so machbar, wenn man die Daten als Lizenz erwirbt und dann weiter verarbeitet. Ob Sie eine Lösung dieser Probleme entsprechend bezahlt bekommen, ist eine andere Frage.

    Ich habe dieses mich schon seit Jahren nervende Probleme über eine Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragen im Februar letzten Jahres angepackt,
    aber es ist noch kein endgültiger Bescheid da. Ich erwarte diesen in den nächsten Monaten – da dies dann öffentlich auf der Website des Europäischen Bürgerbeauftragen sein wird, wird dann sicher auch ein Link auf VERGABEBLOG eingebaut werden. Aber ich werde auch daran denken Sie direkt zu informieren !

    Gruss aus dem Norden nach Bayern

    Peter Cornelius

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  6. Helmut Krings

    Auch versuche mich nun schon seid Jahren durch die CVP Codes in Ausschreibungen durch zu kämpfen. Selbst bei vermutlich richtigen Codes ist immer noch keine genaue Aussage über den Ausschreibungsgegenstand gegeben.
    Beispiel, wenn da steht: 45000000 weis keiner um was es sich hier handelt. Selbst bei 45200000 oder 45220000 weis man noch nichts genaues, wenn man glück hat steht 4526200, dann kann man in etwa auf die Aufgabe schließen aber um was es sich handelt weis man immer noch nicht. Es ist ein Problem das Richtige zu finden.
    Ich werde die Problematik mal bei der Handwerkskammer bzw. dem ZDH vortragen, in der Hoffnung über diese als Institution einen wirksamen Einspruch zu erlangen.

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  7. Peter Cornelius

    Sehr geehrter Herr Krings,
    ich habe Ihren Kommentar mit Interesse gelesen. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir Ihre weitere Aktionen zur Kenntnis geben. Ich bin inzwischen auch mit einem vergaberechtlichen Anwalt in Köln zu diesem Thema in Kontakt. Für meine diesbezügliche Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten zum diesem Thema habe ich gerade in den letzten Tagen einen Zwischenbescheid erhalten, dass über meine Beschwerde, die im Februar 2009 begonnen hat, voraussichtlich bis Ende September 2010 entschieder werden wird.

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  8. Michael Singer

    Ich bin erst heute durch einen Querverweis des TED-Fundstücks auf diesen interessanten Beitrag gestoßen.

    Sehr geehrter Herr Cornelius,
    gibt es in dieser Angelegenheit Neues zu berichten? Sie schrieben ja, dass über Ihre Beschwerde voraussichtlich bis Ende September 2010 entschieden wird?

    Sehr geehrter Herr Junk,
    Sie schreiben in Ihrem Beitrag … „Übertriebene Hysterie oder Anlass, der Sache nach zu gehen?“.
    Ich sehe die Angelegenheit genauso wie Herr Cornelius, aber vielleicht relativiert sich das Ganze, wenn man sich vor Augen hält, dass 95% der Ausschreibungen die Schwellenwerte nicht überschreiten, also nicht TED-relevant sind.

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  9. Peter Cornelius

    Sehr geehrter Herr Singer,
    die Entscheidung des Bürgerbeauftragten zu meinen Gunsten ist inzwischen ergangen und Vergabeblog hat am 26.10. darüber berichtet – in diesem Bericht hat Herr Junk auch den Link auf die Entscheidung des Bürgerbeauftragten direkt eingebaut.

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