- Vergabeblog - https://www.vergabeblog.de -

Mehr an Eignung bei der Vergabe freiberuflicher Leistungen (OLG Karlsruhe, Beschluss v. 21.12.2012 – 15 Verg 10/12) und Änderung der VgV

ParagraphIn dem Beschluss vom 21.12.2012 (15 Verg 10/12) hat sich das OLG Karlsruhe u.a. mit der seit jeher kritischen Frage beschäftigt, ob bzw. inwieweit bei der Vergabe freiberuflicher Leistungen ein Mehr an Eignung bei der Entscheidung über die Auftragsvergabe berücksichtigt werden kann.

§ 11 VOF, Art. 53 RL 18/2004/EG, §§ 4, 5 VgV

Unter Bezugnahme auf die Regelung des § 11 Abs. 5 VOF sowie auf die Rechtsprechung des EuGH kommt der Senat dabei zu dem Schluss, dass auch bei der Vergabe freiberuflicher Dienstleistungen die Entscheidung über die Vergabe des Auftrags ausschließlich nach Kriterien zu erfolgen habe, die der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen und damit rein auftragsbezogen sind, während eine Berücksichtigung von personenbezogenen Eignungskriterien bei der Wertung unzulässig sei. Zu bewerten seien demnach mit Gesichtspunkten wie dem Preis, der Ausführungsfrist, den Betriebs- und Folgekosten, der Gestaltung, der Rentabilität oder dem technischen Wert nur die Eigenschaften der angebotenen Leistung selbst, nicht aber des Anbieters.

Als Zuschlagskriterien (die es in dieser Begrifflichkeit in der VOF nicht gibt) sollen danach nur solche in Betracht kommen, die ausschließlich zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots dienen. Eine erweiterte Beurteilung der fachlichen Eignung dürfe selbst dann nicht erfolgen, wenn es um konkret projektbezogene Aspekte gehe. Nach Auffassung des OLG müsse der Auftraggeber eine Prognoseentscheidung dahingehend treffen, welcher Bewerber voraussichtlich die bestmögliche Leistung seiner Aufgabenstellung erbringen werde. Daraus folge letztlich, dass sich die Frage der Wirtschaftlichkeit der Leistung tatsächlich erst nach Abschluss des Auftrages beurteilen lasse.

Rechtliche Bewertung

Dem ist zwar grundsätzlich zuzustimmen. Im Gegensatz zu den Vorschriften der VOL/A (§ 21 EG Abs. 1 bzw. § 18 Abs. 1) ist es im Geltungsbereich der VOF aber gerade nicht ausdrücklich vorgeschrieben, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Vielmehr wird auf die bestmögliche Leistung abgestellt, § 11 Abs. 6 VOF. Die entsprechenden Kriterien, die für die notwendige Prognoseentscheidung herangezogen werden dürfen, finden sich in § 11 Abs. 5 Satz 1 VOF. Sie sind weitgehend identisch mit den Kriterien, die Art. 53 Abs. 1 a) der Richtlinie 2004/18/EG zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes vorgibt. Das Kriterium Qualität wird dabei jeweils an erster Stelle genannt.

Bei der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen ist zudem § 20 Abs. 1 VOF zu beachten, wo konkret projektbezogen darauf abgestellt wird, wer von den (bereits als für geeignet befundenen) Bietern am ehesten die Gewähr für eine sachgerechte und qualitätsvolle Leistungserfüllung bietet. Dadurch wird deutlich, dass gerade im Rahmen der VOF die Qualität der Auftragsausführung eine besonders große Rolle spielt. Dabei kommt es aufgrund der Tatsache, dass hier eine geistig-schöpferische Leistung gefordert ist, entscheidend auch auf die persönlichen Merkmale der Bieter an. Diese lassen sich nicht abschließend im Zuge einer oft formalisierten und abstrakten Eignungsprüfung abfragen und bewerten. Vielmehr muss es dem Auftraggeber möglich sein, das Kriterium Qualität mit Leben zu füllen und dazu unter anderem auch bieterbezogene Aspekte mit zu berücksichtigen. Dabei muss allerdings auch stets ein konkreter Bezug zu der zu erfüllenden Aufgabe hergestellt werden, um eine Vermischung von Eignungs- und Auftragskriterien zu vermeiden. Rein tatsächlich stellt das den Auftraggeber immer wieder vor große Herausforderungen, was letztlich zu den einschlägigen Entscheidungen der zuständigen Nachprüfungsinstanzen führt.

Inzwischen haben sowohl die Europäische Kommission als auch der nationale Gesetzgeber erkannt, dass diesbezüglich Handlungs- bzw. Klarstellungsbedarf besteht.Deutsches Vergabenetzwerk [1]Änderung der VgV

In der Siebten Verordnung zur Änderung der VgV (BR-Drucksache 610/13) ist daher vorgesehen, dass bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen sowie bei der Vergabe freiberuflicher Leistungen zukünftig die Organisation, die Qualifikation und die Erfahrung des bei der Durchführung des betreffenden Auftrags eingesetzten Personals als Kriterien bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots berücksichtigt werden können (vgl. Beitrag von RA Julie Wiehler [2]), sofern tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese Kriterien erheblichen Einfluss auf die Auftragsausführung haben können. Allerdings soll dies nur für nachrangige Leistungen gemäß Anhang II Teil B der Richtlinie 2004/18/EG (bzw. Anhang I Teil B zur VOF) gelten. Architekten- und Ingenieurleistungen wäre somit nicht umfasst.

Diese Unterscheidung macht die Kommission in ihrem Entwurf für die neue Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht. In Art. 66 Abs. 2 des Entwurfs ist unter dem übergeordneten Stichwort Zuschlagskriterien allgemein vorgesehen, dass bei Dienstleistungsaufträgen die Organisation und die Qualifizierung und Erfahrung des mit der Auftragsausführung betrauten Personals berücksichtigt werden können. Diese Regelung wird den praktischen Bedürfnissen eher gerecht.

Die nationale Regelung wird nach Inkrafttreten der neuen Richtlinie entsprechend anzupassen sein. Der konkrete Nutzen scheint zudem bereits jetzt fraglich. Bei nachrangigen Leistungen waren und sind die Vorschriften der VOF nämlich sowieso nur eingeschränkt anzuwenden, § 1 Abs. 3 VOF. Insofern dienen bei diesen Leistungen die Vorgaben des § 11 Abs. 5 VOF allenfalls als Richtschnur für die Auswahlentscheidung, nicht aber als verbindliche Vorgabe.

Avatar-Foto

Über Jochen Fürmann, Ass. iur. [3]

Ass. iur. Jochen Fürmann ist seit 2006 Dezernent bei der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt, Außenstelle Südwest (Mainz) [4], einer Mittelbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und bearbeitet vorwiegend Sachverhalte aus dem privaten Baurecht (inkl. HOAI), Vergabe- und allg. Zivilrecht. Er berät und vertritt die im Bezirk Südwest gelegenen neun Wasser- und Schifffahrtsämter, die Zentralstelle für Schiffs- untersuchung und Schiffseichung (ZSUK) sowie im Rahmen der Amtshilfe die Bundesanstalten für Gewässerkunde (BfG) und für Wasserbau (BAW). Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

Teilen
[6] [7] [8] [9] [10]