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EuGH schränkt Eignungsleihe ein (EuGH, Urt. v. 07.04.2016, Rs. C-324/14 – Partner Apelski Dariusz)

Entscheidung EUBewerber und Bieter können sich zum Nachweis ihrer Eignung grundsätzlich auf die Kapazitäten anderer Unternehmen stützen (Eignungsleihe). Diese Regel kennt aber Ausnahmen. So können der Auftragsgegenstand und die damit verfolgten Ziele derart besonders sein, dass eine Eignungsleihe nur dann möglich ist, wenn das Drittunternehmen unmittelbar und persönlich an der Auftragsausführung beteiligt ist, so der EuGH. Dies kann z.B. beim Winterdienst für öffentliche Straßen der Fall sein. Mit dieser Entscheidung schließen die Luxemburger Richter an ihr Urteil zur Eignungsleihe vom 14.1.2016 (vgl. Beitrag des Autors, Vergabeblog.de vom 29.02.2016, Nr. 25037) an.

Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 3 RL 2004/18/EG (bzw. Art. 63 Abs. 1 RL 2014/24/EU bzw. § 47 VgV); Art. 44 Abs. 2 RL 2004/18/EG (bzw. Art. 58 Abs. 5 RL 2014/24/EU bzw. § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB)

Leitsatz

Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 3 der RL 2004/18/EG sind in Verbindung mit Art. 44 Abs. 2 RL 2004/18/EG dahin auszulegen, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass die Ausübung dieses Rechts [Anm.: sich für einen bestimmten Auftrag auf die Kapazitäten anderer Unternehmen stützen zu können] bei Vorliegen besonderer Umstände in Anbetracht des Gegenstands und der Ziele des betreffenden Auftrags eingeschränkt werden kann. Dies ist namentlich der Fall, wenn sich die Kapazitäten, über die ein Drittunternehmen verfügt und die für die Ausführung des Auftrags erforderlich sind, nicht auf den Bewerber oder Bieter übertragen lassen, so dass dieser sich nur dann auf die genannten Kapazitäten berufen kann, wenn sich das betreffende Drittunternehmen unmittelbar und persönlich an der Ausführung des Auftrags beteiligt. (Rdnr. 95)

Sachverhalt

Das polnische Vorabentscheidungsersuchen betraf ein Verfahren zur Vergabe eines in acht Teillose unterteilten öffentlichen Auftrages für die ganzjährige Reinigung der Fahrstraßen der Stadt Warschau. Gemäß den Vergabeunterlagen musste jeder Bieter zum Nachweis seiner technischen Leistungsfähigkeit eine Referenzliste vorlegen. Wollte ein Unternehmer ein Angebot für den gesamten Auftrag einreichen, so musste er für jedes der acht Teillose entsprechende Referenzen mit einem jeweiligen Mindestgesamtwert von ca. 224.000 Euro nachweisen, insgesamt also ca. 1,8 Mio. Euro.

Ein Dienstleister (Partner Apelski Dariusz) berief sich in seinem Angebot bei zwei Referenzen auf die Erfahrung eines Drittunternehmens, das in etwa 230 Kilometer Entfernung von Warschau ansässig ist. Dem Angebot war außerdem eine Zusage dieses Drittunternehmens beigefügt, wonach der Drittunternehmer seine Kapazitäten (insbesondere Beratungs- und Schulungsleistungen) auf vertraglicher Grundlage dem Bieter zur Verfügung stellen werde.

Die Stadt Warschau war der Ansicht, dass ohne eine persönliche und tatsächliche Beteiligung des nicht vor Ort befindlichen Drittunternehmens an der Auftragsausführung dessen Kenntnisse und Erfahrungen nicht zur Verfügung gestellt werden könnten und schloss das Angebot aus. Die vom ausgeschlossenen Bieter um Rechtsschutz angerufene Nachprüfungsinstanz legte den Rechtsstreit dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

Die Entscheidung

Der EuGH erinnert zunächst daran, dass es einem Bieter zwar freisteht, ob und wie er sich die Kapazitäten Dritter zwecks Eignungsbeleg sichert, und er zugleich tatsächlich über die Drittmittel für die Auftragsausführung verfügen muss. Allerdings kann sich ein Bieter nicht rein formal auf die Kapazitäten Dritter berufen, um die Eignungsvoraussetzungen zu erfüllen (Rdnr. 37 f.).

Die Möglichkeit, das Bieterrecht auf Eignungsleihe einzuschränken, besteht jedenfalls bei außergewöhnlichen Umständen. Es ist nicht auszuschließen, dass Leistungen wegen ihrer Besonderheiten eine bestimmte Kapazität erfordern, die nicht durch die Zusammenfassung kleinerer Kapazitäten mehrerer Unternehmen erbracht werden können. Dann ist die Forderung gerechtfertigt, ein einziger Unternehmer müsse die Mindesteignung erfüllen (Rdnr. 40).

Ebenso wenig ist es ausgeschlossen, dass durch die Eigenart und Ziele des öffentlichen Auftrages besondere Umstände begründet werden, die einer Eignungsleihe entgegenstehen. Unter solchen Umständen kann sich ein Bieter nur dann auf die Kapazitäten Dritter stützen, wenn das Drittunternehmen unmittelbar und persönlich an der Auftragsausführung beteiligt ist (Rdnr. 41).

Gleichzeitig können besondere Umstände zudem dafür sprechen, in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen genaue und angemessene Regeln dafür zu veröffentlichen, wie bzw. auf welche Weise sich ein Bieter auf die Kapazitäten dritter Unternehmen stützen kann (Rdnr. 54 ff.).

Vorliegend ist nach Überzeugung des EuGH daher nicht auszuschließen gewesen, dass die vom 230 Kilometer entfernt ansässigen Dritten zur Verfügung gestellten Beratungs- und Schulungsleistungen, insbesondere für den Winterdienst, nicht ausreichen könnten, um angemessen auf die speziellen Auftragserfordernisse (z.B. unverzügliche Reaktion, unmittelbare Beobachtung der Straßenoberflächen) reagieren zu können (Rdnr. 46 f.).

Rechtliche Würdigung

Das Urteil des EuGH ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen scheidet die Eignungsleihe nicht nur dann aus, wenn der zu vergebende Auftrag die Kapazität eines einzigen Unternehmens – ggf. auch einer begrenzten Anzahl von Unternehmen – zwingend erfordert (quantitative Ausnahme). Diese Möglichkeit hatte der EuGH bereits im Jahr 2013 herausgearbeitet (Urt. v. 10.10.2013, C-94/12, Swm Construzioni2 Spa und Mannocchi Luigino). Zum anderen schaffen die Luxemburger Richter erstmals eine qualitative Ausnahme vom Recht der Eignungsleihe, indem die Eigenart und Ziele des zu vergebenden Auftrages eine Berufung auf dritte Kapazitäten verbieten können. Außerdem ergänzt der EuGH seine Eignungsleihe-Entscheidung vom 14.1.2016 (vgl. Vergabeblog.de vom 29.02.2016, Nr. 25037) um eine weitere praktische Ausnahmemöglichkeit, weil er nunmehr die auftraggeberseitige Vorgabe bestimmter Regeln für die Art und Weise der Inanspruchnahme dritter (Eignungs-)Kapazitäten aus besonderen Gründen für möglich hält. Dabei hat der öffentliche Auftraggeber allerdings zu beachten, dass dem Bieter gleichwohl die Möglichkeit offen stehen muss, alternative Modalitäten für den Rückgriff auf die Kapazitäten anderer Unternehmen vorzuschlagen (Rdnr. 57).

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Praxistipp

Die Eignungsleihe ist nur bei der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit sowie der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit denkbar. Dieser Grundsatz bzw. das Recht eines Bieters sich auf die Kapazitäten eines Dritten zum Nachweis der Eignung berufen zu können, gilt aber nicht ausnahmslos. Die vom EuGH insoweit identifizierten Ausnahmen im Rahmen der Eignungsleihe sind eng auszulegen, um dieses Bieterrecht nicht auszuhöhlen. Besondere oder außergewöhnliche Umstände liegen nicht regelmäßig vor, sondern müssen im Einzelfall festgestellt werden. Öffentliche Auftraggeber sollten daher vor einer ausnahmsweisen Versagung der Inanspruchnahme dritter Kapazitäten die Eignung bzw. die Umstände der Eignungsleihe genau aufklären. Bieter sollten im Zweifelsfall eine sachdienliche Auskunft an den öffentlichen Auftraggeber richten, ob eine Eignungsleihe für möglich gehalten wird.

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Über Holger Schröder

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss "Fachanwalt für Vergaberecht" der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.

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