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eVergabe: Auftraggeber ist für den Zugang zur E-Vergabe-Plattform verantwortlich! (VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 30.12.2016 – 1 VK 51/16)

EntscheidungLässt der Auftraggeber die Einreichung von Angeboten ausschließlich über eine eVergabe-Lösung zu und ist es einem Bieter wegen technischer Schwierigkeiten nicht möglich sein Angebot ordnungsgemäß und rechtzeitig abzugeben, darf das Angebot deswegen nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden. Der Auftraggeber hat den elektronischen Zugang zu seinem Vergabeverfahren derart auszugestalten und wie einen offenen Briefkasten zur Verfügung zu halten, sodass sich Bieter ohne die vorherige Bewältigung großer technischen Hürden beteiligen können.

§§ 11a EU VOB/A, 14 Abs. 5 Nr. 1 EU VOB/A, 16 Nr. 1 VOB/A, 11 VgV, 57 VgV

Leitsatz

  1. Lässt die Vergabestelle die Einreichung von Angeboten ausschließlich über eine an das Internet angebundene Plattform zu (E-Vergabe) und ist es einem Bieter – aus Gründen die allein aus der Sphäre der Vergabestelle stammen – unmöglich und unzumutbar, sein Angebot nur der Form nach rechtzeitig abzugeben, darf das Angebot deswegen nicht ausgeschlossen werden.
  2. Die Vergabestelle hat den elektronischen Zugang zu ihrem Vergabeverfahren derart auszugestalten und wie einen offenen Briefkasten zur Verfügung zu halten, so dass sich auch Bieter ohne eigene IT-Abteilung schrankenlos beteiligen können.

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb die Oberflächenabdichtung eines Müllablageplatzes europaweit im offenen Verfahren nach den Bestimmungen der VOB/A EU aus. Er legte fest, dass Angebote ausschließlich elektronisch eingereicht werden dürfen. Die Bieter hatten dafür eine von dem Auftraggeber ausgewählte, softwarebasierte Plattform eines anerkannten eVergabe-Lösungsanbieters zu nutzen. Danach war ausschließlich eine elektronische Angebotsabgabe mit qualifizierter elektronischer Signatur zulässig. Nach den von den Bietern zu beachtenden Angaben im Handbuch des Plattformbetreibers müssen sich die Bieter zunächst online anmelden, die Vergabeunterlagen anfordern und herunterladen. Anschließend müssen Sie sich eine Software herunterladen und auf einem Rechner installieren (das sog. Bietercockpit). Mit diesem Programm können die Bieter sodann die heruntergeladenen Vergabeunterlagen bearbeiten, ein eigenes Angebot erstellen und elektronisch abgeben.

Entgegen den Anforderungen hatte die erstplatzierte Bieterin (hier die Beigeladene) ihr Angebot nicht bis zum Ablauf der Angebotsfrist elektronisch über die Internet-Plattform eingereicht, sondern lediglich als Anhang zu einer E-Mail. Über die Internet-Plattform reichte sie ihr inhaltlich identisches Angebot erst einige Stunden nach Ablauf der Angebotsfrist ein. Grund hierfür war, dass die Angebotseinreichung trotz mehrerer Zustellversuche am Vortrag und am Tag des Fristablaufs (um 10 Uhr) der Bieterin trotz Rücksprache mit dem Support (Helpdesk, Hotline) des Plattformbetreibers rechtzeitig nicht möglich war.

Der Auftraggeber schloss das Angebot der erstplatzierten Bieterin nicht aus dem Verfahren aus, sondern teilte der Beigeladenen mit, dass das Angebot wie ein rechtzeitig eingegangenes Angebot behandelt und bei der Angebotswertung berücksichtigt wird. Die zweitplatzierte Bieterin (die ASt) begehrt den Ausschluss des erstplatzierten Bieterangebots.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Das Angebot der erstplatzierten Bieterin war nach der gut begründeten Auffassung der Vergabekammer nicht aus dem Vergabeverfahren auszuschließen. Die Bieterin hatte alles ihr zumutbare unternommen, ihr Angebot rechtzeitig zu übermitteln. Ein dem Auftraggeber zuzurechnendes technisches Problem, wohl im Zusammenhang mit den Einstellungen des Proxy Servers, hat dazu geführt, dass ein rechtzeitiger Angebotseingang vereitelt wurde.

Zutreffend ist zwar, dass Angebote, die bei Ablauf der Angebotsfrist nicht vorgelegen haben, zwingend auszuschließen sind, § 16 EU Nr. 1 VOB/A. Der Auftraggeber hat insoweit keinen Ermessensspielraum, die Rechtsfolge ist zwingend. Dies gilt aber dann nicht, wenn die Ursache dafür, dass ein Bieter sein Angebot der Form nach auf der einzigen dafür bereitgestellten Internet-Plattform nicht rechtzeitig abgeben kann, alleine dem Auftraggeber zuzuordnen ist. Dann darf sein Angebot nicht deswegen ausgeschlossen werden. Treten technische Schwierigkeiten beim Betrieb der von der Vergabestelle verwendeten elektronischen Mittel auf, so sind die Folgen danach zu beurteilen, wessen Sphäre sie zuzuordnen sind. Schwierigkeiten auf Auftraggeberseite dürfen nicht zulasten des Bieters gehen.

Gemäß § 97 Abs. 6 GWB haben die Bieter Anspruch darauf, dass der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält. Dazu gehören die § 11 VgV und § 11a EU VOB/A. Nach den darin enthaltenen Bestimmungen hat die Vergabestelle die von ihr gewählten elektronischen Mittel zum Zugang zum Vergabeverfahren so vorzuhalten, dass sie eine Teilnahme am Verfahren in keiner Weise einschränken. Das ist dann der Fall, wenn sich die Bieter ohne finanziellen und zeitlichen Aufwand mit der Vergabestelle austauschen können. Wenn sich die Vergabestelle wie hier dafür entscheidet, Angebote ausschließlich über eine bestimmte Internet-Plattform zuzulassen, hat sie dafür Sorge zu tragen, dass diese Plattform, wie ein Briefkasten oder eine Annahmestelle, bis Fristablauf ohne weiteres zu erreichen ist. Kommt sie dieser Pflicht nicht nach, verstößt sie gegen bieterschützendes Vergaberecht.

Richtig ist, dass der Bieter die für die Übermittlung benötigte Zeit vorab in Erfahrung bringen muss und diese bei der Angebotsabgabe einzuplanen hat. Unterlaufen ihm hierbei Fehler, geht dies zu seinen Lasten. Er trägt das Übermittlungsrisiko. Vorliegend hatte die beigeladene Bieterin allerdings alles unternommen, was von einem Bieter erwartet werden kann. Zum einen entsprach das Vorgehen den Einstellungen der Software nach den Angaben des maßgeblichen Handbuchs. Zum anderen hat die Bieter rechtzeitig und umfassend Kontakt zum Kundendienst aufgenommen, um eine Lösung des technischen Problems zu finden. Mehr kann von einem Bieter nicht erwartet werden. Vor allem hatte aber die Vergabestelle den elektronischen Zugang derart auszugestalten, dass sich auch Bieter ohne eigene IT-Abteilung schrankenlos beteiligen können.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung ist zutreffend und in der Sache detailliert und nachvollziehbar begründet. Wenn sich der Auftraggeber dafür entscheidet, Angebote ausschließlich über eine bestimmte Internet-Plattform zuzulassen, hat er dafür Sorge zu tragen, dass diese Plattform, wie ein Briefkasten oder eine Annahmestelle, ohne weiteres zu erreichen ist. Kommt der Auftraggeber dieser Pflicht nicht nach, verstößt er gegen bieterschützendes Vergaberecht. Unterstellt man, dass die Auftraggeberin vorliegend den elektronischen Zugang für einen Bieter vergaberechtswidrig ausgestaltete und würde man das Angebot dieses Bieters dann gemäß § 16 EU Nr. 1 VOB/A von der Wertung ausschließen (müssen), bedeutet dies eine Beschränkung des europarechtlich determinierten Rechtsschutzes desjenigen Bieters, zu dessen Lasten gegen Vergaberecht verstoßen wurde. Man würde den Bieter des Primärrechtsschutzes gemeinschaftsrechtswidrig berauben. Vor diesem Hintergrund war die Entscheidung der Vergabekammer im zu entscheidenden Fall folgerichtig. Allerdings sind dabei drei Aspekte besonders hervorzuheben:

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Praxistipp

Im Grunde hat der Auftraggeber vorliegend keine Fehler gemacht. Zum einen hatte er auf eine bewährte und deutschlandweit anerkannte eVergabelösung zurückgegriffen. Zum anderen hat er klare Vorgaben und Anforderungen an die Durchführung der eVergabe den Bietern vorgegeben (vgl. dazu auch Probst/Winters, Die eVergabe nach der Vergaberechtsreform 2016, CR 2016, 349 ff.). Technische Probleme können ungeachtet dessen nicht ausgeschlossen werden. Dies veranschaulicht auch die Entscheidung. Trotzdem ist es Auftraggebern zu empfehlen, eindeutig auf etwaige Probleme und deren Lösungsmöglichkeiten in den Bewerbungsbedingungen bzw. den Teilnahmebedingungen hinzuweisen. In Anbetracht der häufig engen zeitlichen Spielräume im Vergabeverfahren und der Angewohnheit vieler Bieter, erst kurz vor Schluss die Angebote, sei es elektronisch, sei es postalisch, einzureichen, empfiehlt es sich darüber hinaus, einen Fristablauf erst später am Tag vorzusehen, anstatt wie vorliegend 10 Uhr, z.B. 15 Uhr. Bis dahin könnten etwaige Probleme noch besser gelöst werden.

Auf der anderen Seite müssen sich Bieter rechtzeitig mit der ordnungsgemäßen und formgerechten Angebotsabgabe auseinandersetzen und dürfen nicht erst auf den letzten Drücker handeln. Vor diesem Hintergrund ist Bietern grundsätzlich zu empfehlen, sich am Vortag des Ablaufs der Angebotsfrist mit der Angebotseinreichung umfassend zu befassen und gegebenenfalls zu versuchen, das Angebot bereits am Abend des Vortags ordnungsgemäß einzureichen. Gelingt dies nicht, können sie am Tag des Ablaufs der Angebotsfrist immer noch Klärungsversuche unternehmen. Des Weiteren sollten Bieter jedenfalls immer dann, wenn sie technisch nicht in der Lage sind, ein Angebot über eine vorgeschriebene Plattform formgerecht abzugeben, dieses jedenfalls per E-Mail rechtzeitig dem Auftraggeber zur Verfügung stellen.

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Über Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG [2]

Der Autor Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG, ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte [3] in Berlin. Er berät seit über 20 Jahren öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe-, zuwendungs-, haushalts- und preisrechtlichen Fragestellungen. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

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