Vergabeblog

"Der Fachblog des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW)"

eVergabe: Licht und Schatten des Rechtsrahmens zur elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren (Teil 1)

Mit dem Beitrag im Vergabeblog am 18.4.2017 unter dem Titel „eVergabe: Heute zündet die 2. Stufe der Umsetzungspflicht für Zentrale Vergabestellen“ wurde über die die grundsätzliche Verpflichtung zur eVergabe durch Zentrale Beschaffungsstellen ab dem 18.4.2017 berichtet (Vergabeblog.de vom 18/04/2017, Nr. 30786). Bereits ein Jahr zuvor wurde die 1. Stufe mit Inkrafttreten des neuen oberschwelligen Vergaberechts im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der Vergabeverordnung (VgV), der Sektorenverordnung (SektVO) und der Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) gezündet.

Während es bei der 1. Stufe „nur“ um die verpflichtende Anwendung partieller elektronischer Elemente im Vergabeverfahren ging (elektronische Bekanntmachung und elektronische Bereitstellung der Vergabeunterlage), die alle Auftraggeber und Konzessionsgeber gleichermaßen traf, ging die 2. Stufe – wenn auch zunächst begrenzt auf Zentrale Beschaffungsstellen – um ein Vielfaches weiter. Das Ziel ist so eindeutig wie seit Beginn der Implementierung von e-Vergabe in rechtlicher und technischer Sicht um die Jahrtausendwende bekannt: Es geht um eine Vereinfachung der Vergabe unter gleichzeitiger Steigerung von Effizienz und Transparenz (vgl. Erwägungsgründe 52 und 72 der RL 2014/24/EU).

Der nachfolgende Beitrag soll in zwei Teilen anhand der wesentlichen sechs Schritte im Vergabeverfahren und mit Blick auf den Vertragsanbahnungsprozess die nationale Umsetzung der EU-Regelungen zur verpflichtenden eVergabe am Beispiel der Vergabeverordnung –VgV darstellen. Dabei sollen vor dem Hintergrund der vorgenannten Zielvorgabe auch widersprüchliche und fragwürdige Bestimmungen kritisch hinterfragt werden.

In diesem ersten Teil werden Ihnen die Schritte 1) bis 3) vorgestellt.

Schritt 1) Bekanntmachung (ab 18.04.2016)

Allgemein: Die Bekanntmachung ist im Amtsblatt S der EU (TED) zu veröffentlichen.

Konkret umgesetzt: Die Bekanntmachungen (hier: Auftragsbekanntmachung) sind mittels entsprechender Standardformulare zu erstellen (§ 37 Abs. 2, § 39 Abs. 2 VgV) und dem Amt für Veröffentlichungen der EU elektronisch zu übermitteln (§ 40 Abs. 2 VgV). Art. 6 der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1986 zur Einführung von Standardformularen bestimmt in diesem Zusammenhang, dass öffentliche Auftraggeber die Formulare (nur noch) elektronisch mittels der Online-Anwendung eNOTICE oder mittels TED-eSender übermitteln (dürfen).

Schritt 2) Bereitstellung der Vergabeunterlagen (ab 18.04.2016)

Allgemein: Die Vergabe- bzw. Teilnahmeunterlagen sind an Bewerber zu übermitteln oder diesen bereitzustellen, die ihr Interesse an der Ausschreibung bekunden.

Konkret umgesetzt: Die Vergabeunterlagen müssen über eine elektronische Andresse in der Auftragsbekanntmachung oder der Aufforderung zur Interessenbestätigung unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt elektronisch zum Abruf bereitgestellt werden (§ 41 VgV).

Ungeregelt ist die Bereitstellung der Vergabeunterlagen in Verfahren ohne Auftragsbekanntmachung bzw. Vorinformation. Hier empfiehlt sich in richtlinienkonformer Auslegung die Beachtung des nicht umgesetzten Art. 54 Abs. 2 RL 2014/24/EU (Vergaberichtlinie > VRL), der für alle Vergabeverfahren unterschiedslos vorgibt, dass die Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes (oder Aufnahme des Dialogs) grundsätzlich ein Verweis auf die elektronische Adresse enthalten muss, über die die Auftragsunterlagen direkt elektronisch zur Verfügung gestellt wurden. Den Aufforderungen sind die Vergabeunterlagen „beizufügen“, wenn ein unentgeltlicher, uneingeschränkter, vollständiger und direkt elektronischer Zugang aus den Gründen nach Art. 53 Abs. 1 UAbs. 2 oder 3 der VRL nicht angeboten wurde werden.

  • Ausnahmen von der elektronischen Bereitstellung der Vergabeunterlagen

Die Ausnahmegründe sind umgesetzt in § 41 Abs. 2 und 3 VgV. Insbesondere bei den in Abs. 2 genannten technischen Gründen für eine Ausnahme von der uneingeschränkten Bereitstellung der Vergabeunterlagen zeigt sich die unglückliche Umsetzungssystematik, die der Verordnungsgeber für diese Vorschrift gewählt hat. § 41 Abs. 2 VgV beruht auf Art. 53 Abs. 1 UAbs. 2 VRL, der seinerseits auf die in Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 VRL genannten Gründe für die abweichende Übermittlung der Vergabeunterlagen abstellt. Aus Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 ergibt sich allerdings, dass die dort genannten Gründe in erster Linie dazu dienen, von einer elektronischen Angebotsabgabe abzuweichen, die als Teil der elektronischen Kommunikation nach Art. 22 Abs. 1 UAbs. 1 VRL grundsätzlich zu erfolgen hat. Art. 53 Abs. 1 UAbs.2 VRL nimmt insofern nur soweit auf diese Ausnahmetatbestände Bezug, wie sie sich für die abweichende Übermittlung der Angebotsunterlagen anbietet. In dieser Systematik hätte die VgV die Tatbestände des Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 VRL als Ausnahme vom Grundsatz der elektronischen Angebotsabgabe in § 53 VgV regeln müssen und für Ausnahmen, die auf die alternative Übermittlung der Vergabeunterlagen passen, hierauf in § 41 Abs. 2 VgV Bezug nehmen müssen. Insofern passt z.B der Ausnahmetatbestand des Abs. 2 Nr. 2 VgV nicht in die Systematik des § 41 VgV, da die Nr. 2 ausdrücklich auf Dateiformate zur Beschreibung von Angeboten beschränkt ist, die nicht mit allgemein verfügbaren oder verbreiteten Programmen verarbeitet werden können oder lizenzrechtlich geschützt sind. Der Ausnahmetatbestand muss nämlich der Sphäre der Bieter zugeordnet werden und stellt keinen Bezug zur Bereitstellung der Vergabeunterlagen durch die öffentlichen Auftraggeber dar.

Ähnliches gilt für den Ausnahmetatbestand nach Abs. 2 Nr. 3 des § 41 VgV bzgl. der irreführenden Verordnungsbegründung (Verwendung von Bürogeräten, die dem öffentlichen Auftraggeber nicht allgemein zur Verfügung stehen). Die in der Verordnungsbegründung genannten „Großformatdrucker oder Plotter“, die als Beispiele aus dem Erwägungsgrund 53 der VRL vom Verordnungsgeber unreflektiert übernommen wurden, zeigen auf, dass es sich bei den Ausnahmetatbeständen ursprünglich um Ausnahmen von der elektronischen Angebotsabgabe handelt, da Großformatdrucker nur im Zusammenhang mit dem Ausdrucken großer Pläne als Teil des Angebots zum Einsatz kommen. Ist der öffentliche Auftraggeber nicht im Besitz solcher Großformatdrucker, kann er die Angebote ausnahmsweise auf nichtelektronischem Wege verlangen. Bezüglich der Vergabeunterlagen kann es nur um solche Geräte gehen, die dem öffentlichen Auftraggeber zur Erstellung der elektronischen Vergabeunterlagen fehlen. Das könnten z.B. Großscanner sein, die vorhandene Pläne, die für die Leistungsbeschreibung als Teil der Vergabeunterlagen wichtig sind, eingescannt und damit digitaler Bestandteil der Vergabeunterlagen werden könnten (so auch Rechten in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV § 41, RdNrn 41 ff.).

In den nachfolgenden Schritten 3 – 5 ist die elektronische Kommunikation bereits ab dem 19.4. 2017 für Zentrale Beschaffungsstellen und ab dem 19. Oktober 2018 für alle anderen öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich verpflichtend.

Schritt 3) Bewerberkommunikation

Allgemein: Bei vielen Vergabeverfahren ergeben sich Aufklärungsfragen der Bewerber, die von Seiten der Vergabestellen (diskriminierungsfrei) beantwortet werden müssen sowie Benachrichtigungen über nicht berücksichtigte Bewerbungen. Die Abgabe von Teilnahmeanträgen, Interessenbekundungen und Interessenbestätigungen gehören ebenso zur Bewerberkommunikation.

Konkret umgesetzt:

  • Grundsätze der Kommunikation

Grundsätzlich gilt, dass für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten in einem Vergabeverfahren sowohl die öffentlichen Auftraggeber als auch die Unternehmen Geräte und Programme für die elektronische Datenübermittlung (elektronische Mittel) verwenden müssen (§ 97 Abs. 5 GWB, § 9 Abs. 1 VgV). Die Vorschrift richtet sich nach ihrem Wortlaut gleichermaßen an öffentliche Auftraggeber und Unternehmen. Die Einbeziehung der Unternehmen in den Adressatenkreis der Vorschrift ist jedoch gemessen an den europäischen Vergaberichtlinien zu weitgehend. Die Richtlinien adressieren- so wie in Art. 22 Abs. 1 VRL entweder die Mitgliedstaaten oder – wie in den meisten Fällen – die öffentlichen Auftraggeber. Eine gesetz- oder verordnungsgeberische Vorgabe an Unternehmen, elektronische Mittel bei der Teilnahme an einem Vergabeverfahren verwenden zu müssen, ist zweifelhaft, da Herr des Verfahrens der öffentliche Auftraggeber ist. Dieser hat das zu verwendende Kommunikationsmittel verbindlich vorzugeben. Das interessierte Unternehmen hat sich an diese Vorgabe zu halten, um überhaupt am Vergabeverfahren teilnehmen zu können. Daher ist die in der Fachliteratur auch vertretene Auffassung, dass es sich bei dieser Regelung um einen „Papiertiger“ handelt, die allenfalls von praktisch deklaratorischer Bedeutung ist, nicht von der Hand zu weisen.

Aus dem GWB ergibt sich für niemanden die Möglichkeit, mittels gesetzlicher Maßnahmen gegenüber einem Unternehmen dessen Einhaltung der verpflichtenden Verwendung elektronischer Mittel durchzusetzen. Infrage kommt lediglich eine Quasi-Sanktion, indem Unternehmen, welche vom öffentlichen Auftraggeber festgelegte Vorhaben nicht beachten, z.B. nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV wegen nicht formgerechter Angebotseinreichung auszuschließen sind (so Müller zu § 9 Abs. 1 VgV in Kommentar zur VgV Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß – Ausgabe Juli 2016).

  • Spezialregelungen der Bewerberkommunikation

Über diese grundsätzlichen Bestimmungen zur elektronischen Kommunikation hinaus wurden bzgl. der Form und Übermittlung der Interessenbekundungen, Interessenbestätigungen und Teilnahmeanträge (neben der Angebotsabgabe) gesonderte Regelungen in § 53 VgV aufgenommen. Auch hier werden die Unternehmen verpflichtet, diese Dokumente elektronische einzureichen. Darüber hinaus wird den Unternehmen die Textform nach § 126b BGB vorgegeben. Der deklaratorische Charakter dieser Regelung ist aufgrund der Normadressierung ebenso evident wir im Falle der Kommunikationsregelung nach § 9 Abs. 1 VgV , denn auch hier ist der öffentliche Auftraggeber Herr des Verfahrens , der vorgibt, in welcher Form diese Dokumente von den Unternehmen abgegeben werden müssen. Ein Hinweis darauf ergibt sich auch aus der Übergangsbestimmung des § 81 VgV. Während § 81 VgV korrekterweise die öffentlichen Auftraggeber als die „Herren des Verfahrens“ adressieren, die für einen Übergangszeitraum auch nichtelektronische Übermittlungswege verlangen können, erweckt § 53 Abs. 1 VgV hingegen den Eindruck, die Unternehmen werden qua Rechtsverordnung zur elektronischen Übermittlung verpflichtet.

Im Gegensatz zur vertragsrechtlichen Unerheblichkeit von Interessenbekundungen, Interessenbestätigungen und Teilnahmeanträgen, wird jedoch vergaberechtlich bestimmt, dass es sich zumindest bei Teilnahmeanträgen und Interessenbestätigungen um wesentliche Bestandteile des Vergabeverfahrens handelt. Dies ergibt sich aus § 9 Abs. 2 VgV, der die mündliche Kommunikation in einem Vergabeverfahren für den Fall kategorisch ausschließt, in denen Teilnahmeanträge und Interessenbekundungen betroffen sind. Weitere Ausführungen hierzu in Schritt 4.

  • Elektronische Erstellung der EEE nach Ablauf der Übergangsregelung des § 81 VgV

Zur elektronischen Bewerberkommunikation gehört auch die ausnahmslose Pflicht zur Erstellung der Einheitlichen europäischen Eigenerklärung (EEE) nach Ablauf der Übergangsfristen in elektronischer Form nach § 81 VgV. Dies ergibt sich nicht so ohne weiteres aus § 50 VgV, der zwar die EEE regelt, aber die elektronische Erstellung nicht thematisiert. § 50 Abs. 1 VgV verweist zwar auf das Standardformular gem. der Durchführungsverordnung (EU) 2016/7 vom 5. Januar 2016 zur Einführung des Standardformulars für die Einheitliche Europäische Eigenerklärung, die Verordnung selbst verweist bzgl. der elektronischen Erstellung jedoch nur auf Art. 59 Abs. 2 UAbs. 2 der VRL, der bestimmt, dass die EEE ausschließlich in elektronischer Form ausgestellt wird. Diese Bestimmung wurde jedoch nicht ausdrücklich umgesetzt. Mit Ablauf der Übergangsfristen nach § 81 VgV unterfällt die elektronische Erstellung der EEE jedoch unter die verpflichtenden elektronischen Kommunikationsregeln nach § 9 Abs. 1 VgV. Darauf verweist auch der Leitfaden des BMWi für das Ausfüllen der EEE (Stand: Dezember 2016) in Abschnitt II Satz 2. Dort heißt es: „Nach dem 18.Oktober 2018 (bzw. für zentrale Beschaffungsstellen nach dem 18. April 2017) ist für Vergaben oberhalb der EU-Schwellenwerte ausschließlich die elektronische Eigenerklärung zu verwenden

Im kommenden Teil 2 werden die Schritte 4) “Angebotsabgabe”, 5) “Bieterkommunikation” und 6) “Annahme des Angebots” beleuchtet.

Hinweis der Redaktion
Die DVNW Akademie bietet zu der Thematik „eVergabe“ Inhouse-Seminare an. Mehr zu Inhouse-Seminaren der DVNW Akademie finden Sie hier.

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Über Michael Wankmüller

Herr Wankmüller war bis zu seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst Mitarbeiter im Vergaberechtsreferat des Bundeswirtschaftsministeriums. In dieser Funktion befasste er sich mit Fragen der Rechtsetzung im öffentlichen Auftragswesen. Hierzu gehörte auch die Mitwirkung bei Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien in deutsches Recht. Insbesondere war er zuständig für Fragen der elektronischen Auftragsvergabe, den Aspekten der innovativen und umweltfreundlichen Beschaffung und war zuletzt maßgeblich mit der Reform der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen – Teil A 2009 (VOL/A – 2009) betraut. Bis heute ist er Mitautor und Kommentator vergaberechtlicher Fachliteratur (erschienen in der Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm GmbH München), hält Vergaberechtsseminare und ist beratend tätig.

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