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OLG Düsseldorf legt EuGH Fragen zur öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit im IT-Bereich vor (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.11.2018 – VII-Verg 25/18)

EntscheidungKann eine unentgeltliche Softwareüberlassung ein öffentlicher Auftrag sein? Muss der Gegenstand einer öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit die gegenüber dem Bürger zu erbringende öffentliche Dienstleistung selbst sein? Existiert ein Besserstellungsverbot als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Bereichsausnahme der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit? Das OLG Düsseldorf bittet den EuGH um Klärung verschiedener Fragen zur öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit im IT-Bereich.

Art. 2 Abs. 1 Nr. 5, Art. 12 Abs. 4 Richtlinie 2014/24/EU, §§ 103 Abs. 1, 108 Abs. 6 GWB

Leitsätze (gekürzt)

Das Beschwerdeverfahren wird zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ausgesetzt. Dem EuGH werden zur Auslegung der Vergaberichtlinie 2014/24/EU (VRL) folgende Fragen vorgelegt, wobei die Fragen 2 und 3 nur im Falle einer Bejahung der Frage 1 einer Antwort bedürfen:

1. Handelt es sich bei einer schriftlich vereinbarten Softwareüberlassung eines Träger öffentlicher Verwaltung an einen anderen Träger öffentlicher Verwaltung, die mit einer Kooperationsvereinbarung verknüpft ist, um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 VRL bzw. einen jedenfalls zunächst, vorbehaltlich von Art. 12 Abs. 4 lit. a) bis c) in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallenden Vertrag im Sinne von Art. 12 Abs. 4 VRL, wenn der Softwareübernehmer zwar für die Software weder einen Preis noch eine Kostenerstattung zu leisten hat, die mit der Softwareüberlassung verbundene Kooperationsvereinbarung aber vorsieht, dass jeder Kooperationspartner und damit auch der Softwareübernehmer dem jeweils anderen etwaige zukünftige, jedoch nicht verpflichtend herzustellende eigene Weiterentwicklungen der Software kostenfrei zur Verfügung stellt?

2. Müssen nach Art. 12 Abs. 4 lit. a) VRL Gegenstand der Zusammenarbeit der beteiligten Auftraggeber die gegenüber dem Bürger zu erbringenden öffentlichen Dienstleistungen selbst sein, die gemeinsam erbracht werden müssen, oder reicht es aus, wenn sich die Zusammenarbeit auf Tätigkeiten bezieht, die den gleichermaßen, aber nicht zwingend gemeinsam zu erbringenden öffentlichen Dienstleistungen in irgendeiner Form dienen?

3. Gilt im Rahmen von Art. 12 Abs. 4 VRL ein ungeschriebenes sogenanntes Besserstellungsverbot und, wenn ja, mit welchem Inhalt?

Sachverhalt

Die Stadt Köln benötigt eine neue Einsatzleitstellensoftware für ihre Berufsfeuerwehr. Das Land Berlin, dass deutschlandweit die größte Berufsfeuerwehr unterhält, setzt die Einsatzleitstellensoftware eines bestimmten Softwareentwicklers ein. Nach der mit dem Softwareentwickler getroffenen Vereinbarung darf das Land Berlin die Software kostenfrei an andere Behörden mit Sicherheitsaufgaben weitergeben.

Die Stadt Köln schließt daraufhin mit dem Land Berlin eine Kooperationsvereinbarung, nach der das Land Berlin der Stadt Köln die Software entgeltfrei und dauerhaft überlässt. Ferner sieht die Vereinbarung vor, dass die Software um weitere fachliche Funktionalitäten erweitert werden kann, die dem anderen Kooperationspartner kostenneutral anzubieten sind.

Ein Softwareunternehmen sieht sich durch die Softwareüberlassung und die Kooperationsvereinbarung benachteiligt und stellt einen Nachprüfungsantrag. Das Softwareunternehmen macht geltend, dass der Abschluss der Kooperationsvereinbarung einen Beschaffungsvorgang darstelle. Die Beschaffung ziehe zudem Folgeaufträge für den Softwarehersteller nach sich, da ein Dritter Pflege und Weiterentwicklung der Software mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand nicht leisten könne.

Die Vergabekammer Rheinland weist den Nachprüfungsantrag zurück. Der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, da es mangels Entgeltlichkeit kein öffentlicher Auftrag vorläge. Es fehle auch an einer synallagmatischen Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung, da innerhalb der Kooperation beide Partner gleichermaßen berechtigt und verpflichtet seien. Der Antragsteller legt gegen den Beschluss sofortige Beschwerde beim OLG Düsseldorf ein.

Die Entscheidung

Das OLG Düsseldorf legt dem EuGH den Fall zur Vorabentscheidung vor.

Der Vergabesenat stellt fest, dass er in seiner bisherigen Rechtsprechung ein weites Verständnis des öffentlichen Auftrags vertreten habe. Danach habe der Senat irgendeine rechtliche Verknüpfung wechselseitiger Leistungen als ausreichend für die Annahme eines entgeltlichen Vertrags gehalten. Ein klassisches Synallagma im Sinne einer gegenseitigen Zweckbindung der beiden Leistungen sei nicht erforderlich gewesen. Für die Entgeltlichkeit habe der Eingang irgendeiner Verpflichtung zu einer geldwerten Leistung genügt.

Nach diesem Maßstab sei ein entgeltlicher Vertrag zwischen der Stadt Köln und dem Land Berlin zu bejahen. Zwar würden sich aus der Kooperation nur dann Ansprüche ergeben, wenn was jedoch nicht erzwungen werden könne einer der Kooperationspartner Funktionalitäten der Software erweitert. Obwohl zukünftige Softwareentwicklungen ungewiss seien, begründe das geldwerte Kooperationsangebot der Stadt Köln aber eine für die rechtliche Verknüpfung ausreichende Voraussetzung für die Softwareüberlassung. Bei Vorliegen eines öffentlichen Auftrags wären dann die Voraussetzungen der Bereichsausnahme einer öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit gemäß § 108 Abs. 6 GWB zu prüfen.

An einer abschließenden Entscheidung sehe sich der Vergabesenat jedoch durch die Ausführungen des EuGH im Urteil vom 21.12.2016 (Rs. C-51/15, Remondis) sowie die vorausgegangenen Rechtsauführungen des Generalanwalts in seinen Schlussanträgen gehindert, aus denen auf ein engeres Verständnis der Begriffe des öffentlichen Auftrags und des entgeltlichen Vertrags im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 VRL geschlossen werden könnte.

Sofern ein öffentlicher Auftrag zu bejahen sei, würden sich verschiedene Auslegungsfragen in Bezug auf die Bereichsausnahme stellen. So sei unklar, welche Tätigkeiten als Gegenstand der Zusammenarbeit ausreichend seien. Ferner sei zu klären, ob das vom EuGH vor Inkrafttreten der aktuellen Vergaberichtlinie Richtlinie 2014/24/EU entwickelte sog. Besserstellungsverbot, nach dem Voraussetzung einer vergaberechtsfreien horizontalen Kooperation sei, dass durch die Vereinbarung kein privater Dritter besser als seine Wettbewerber gestellt wird, im Rahmen der Bereichsausnahme der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit unter Geltung der Richtlinie 2014/14/EU zu berücksichtigen sei.

Rechtliche Würdigung

Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 VRL definiert öffentliche Aufträge als zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern geschlossene entgeltliche Verträge über die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen. In der von dem OLG Düsseldorf angeführten Urteil vom 21.12.2016 (Rs. C-51/15, Remondis, Rn. 67) hatte der EuGH ausgeführt, dass das vertragliche Synallagma von Leistung und Gegenleistung ein wesentliches Merkmal eines öffentlichen Auftrags sei. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob ein Kooperationsangebot in Form einer Verpflichtung zur Bereitstellung etwaiger Weiterentwicklungen der Software für die Annahme einer entgeltlichen Gegenleistung ausreichen kann, wenn keine Verpflichtung des Kooperationspartners zur Weiterentwicklung der Software besteht.

Der Vergabesenat hebt zudem hervor, dass die Regelung zur öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit in Art. 12 Abs. 4 VRL den von Beteiligten geschlossenen Vertrag nicht als entgeltlich bezeichnet. Dies könnte in der Tat so zu verstehen sein, dass jedenfalls im Bereich der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit kein strenges Synallagma zu fordern ist. Bei einer öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit zur Wahrnehmung einer gemeinsamen Aufgabe dürften die Leistungen und Gegenleistungen der Beteiligten tatsächlich oftmals nicht in einem synallagmatischen Verhältnis zueinander stehen.

Hinsichtlich des notwendigen Gegenstands der Zusammenarbeit vertritt der Vergabesenat die Auffassung, dass dies nicht die unmittelbar zu erbringenden Dienstleistungen sein müssten (d.h. hier die Feuerwehr- und Rettungsdienstleistungen), sondern auch Hilfstätigkeiten wie die Überlassung und Weiterentwicklung der Einsatzstellensoftware. Für dieses Verständnis spricht auch die weite Formulierung in Erwägungsgrund 33 VRL, wonach die Zusammenarbeit alle Arten von Tätigkeiten in Verbindung mit der Ausführung der Dienstleistungen erfassen kann.

Das vom EuGH vor Inkrafttreten der VRL entwickelte Besserstellungsverbot (Urteil v. 13.6.2013 C-386/11 Piepenbrock, Rn. 37; Urteil v. 19.12.2012 C-159/11 Azienda Sanitaria di Lecce Rn. 35) findet sich in Art. 12 Abs. 4 VRL und der Umsetzung in § 108 Abs. 6 GWB nicht ausdrücklich wieder. Der Vergabesenat weist darauf hin, dass Erwägungsgrund 33 VRL das Besserstellungsverbot gleichwohl erwähnt, so dass sich die Frage stelle, ob und ggf. wie das Besserstellungsverbot zu berücksichtigen ist. Es erscheint denkbar, das Besserstellungsverbot in die Voraussetzung hineinzulesen, dass die Zusammenarbeit ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt sein darf (Art. 12 Abs. 4 lit. b) VRL, § 108 Abs. 6 Nr. 2 GWB).

Praxistipp

Die dem Vorlagebeschluss zugrundeliegende Kooperation der Stadt Köln mit dem Land Berlin gründet sich auf die sog. Kieler Beschlüsse von 1979, mit denen ein Ausschuss von Bund, Ländern und Kommunen Grundsätze für den Austausch von Software zwischen Trägern öffentlicher Verwaltung aufgestellt hatte. Die Gestaltungsvarianten zur Umsetzung vertraglicher Kooperationen auf Basis der Kieler Beschlüsse sind Gegenstand eines vom IT-Planungsrat beauftragten Gutachtens vom 20. August 2014 (Evaluierung der Kieler Beschlüsse II) und eines begleitenden Leitfadens zur Gestaltung vertraglicher Softwarekooperationen. Verwaltungskooperationen können im IT-Bereich ein wichtiges Instrument zur Kostenreduzierung sein. Zudem ist wie das Projekt der Stadt Köln und des Landes Berlin zeigt denkbar, über eine Kooperation zu versuchen, mit einer Weiterentwicklung der Software verbundene fachliche Vorteile für mehrere Verwaltungsträger nutzbar zu machen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine ausschreibungsfreie öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit im IT-Bereich möglich ist, ist daher von nicht zu unterschätzender praktischer Bedeutung.

Es spricht viel dafür, dass die Möglichkeiten öffentlicher Auftraggeber zur vergaberechtsfreien Kooperation im IT-Bereich aufgrund der eher weiten Formulierungen der Bereichsausnahme der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit in Art. 12 Abs. 4 und Erwägungsgrund 33 VRL größer sind, als dies vor Inkrafttreten der neuen EU-Vergaberichtlinien der Fall war. Sofern der EuGH das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags bejaht, könnte der EuGH den Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf zum Anlass nehmen, die Möglichkeiten und Grenzen der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit im IT-Bereich weiter zu konkretisieren und so für mehr Rechtssicherheit zu sorgen. Jedenfalls bis zur Entscheidung des EuGH sollten Auftraggeber sich die Risiken, die mit einer öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit im IT-Bereich zur Unterstützung öffentlicher Dienstleistungen möglicherweise verbunden sind, im Vorfeld der Vereinbarung der Kooperation genau ansehen.

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Über Dr. Tobias Schneider

Der Autor Dr. Tobias Schneider ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht im Berliner Büro der Kanzlei Dentons. Er berät Unternehmen und öffentliche Auftraggeber bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen und vertritt deren Interessen in Vergabeverfahren und vor den Nachprüfungsinstanzen.

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