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Erste Verfassungsbeschwerde nach der Bereichsausnahme erfolglos (BVerfG, Beschl. v. 30.03.2020 – 1 BvR 843/18)

Entscheidung

Verfassungsbeschwerde aus Sachsen-Anhalt gegen die Neuregelung der Bereichsausnahme Rettungsdienst/Gefahrenabwehr scheitert an Subsidiaritätsvorgabe – die Umsetzung der Bereichsausnahme Rettungsdienst/Gefahrenabwehr in den Bundesländern nimmt Fahrt auf. Sachsen-Anhalt gehörte zu den ersten Ländern, die im Landesrettungsdienstrecht auf die 2016 eingeführte Bereichsausnahme vom Vergaberecht in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB reagierten. Die Verfassungsbeschwerde privater Anbieter direkt gegen das Landesgesetz scheiterte. Es muss zuerst der normale Rechtsweg beschritten werden, falls die gewünschten Konzessionen nicht erteilt werden.

§ 12 Abs. 2 RettDG LSA, § 13 Abs. 1 Satz 1 RettDG LSA, § 12 Abs. 2 KatSG-LSA, Art. 10 Buchst. h Richtlinie 2014/24/EU, Art. 10 Abs. 8 Buchst. g Richtlinie 2014/23/EU, § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB, § 52 AO, Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs.1 GG; §§ 93a, b BVerfGG

Leitsatz

  1. Vor einer Verfassungsbeschwerde muss man (Subsidiaritätsgrundsatz) grundsätzlich alle prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um eine Grundrechtsverletzung zu verhindern bzw. eine Korrektur der behaupteten Verletzung zu erwirken. Dies gilt v.a. dann, wenn in der Anwendung des Gesetzes Spielräume für die Verwaltung vorhanden sind.
  2. Im Streit über die Erteilung von Konzession/Genehmigung/Auftrag muss sich der Bieter zunächst in einem Auswahlverfahren hierum bemühen und gegebenenfalls Rechtsschutz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit bzw. den Vergaberechtsweg erlangen.

Sachverhalt

Diverse Bundesländer setzen aktuell im jeweiligen Landesrettungsdienstrecht die Bereichsausnahme Rettungsdienst/Gefahrenabwehr (§ 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB) um. In Sachsen-Anhalt ist dies bereits mit dem Gesetz zur Änderung des Rettungsdienstgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt vom 26.10.2017, geschehen. (GVBI. LSA Nr. 20/2017 vom 8.11.2017, S. 197 f.).

Die Vorgängervorschriften aus dem RettDG LSA vom 11.11.1993 und dem RettDG LSA vom 21.03.2006 sahen vor, dass sich die Träger für die Durchführung des Rettungsdienstes geeigneter Leistungserbringer bedienen sollen. Dabei war die Vielfalt der gemeinnützigen Hilfsorganisationen und der sonstigen privaten Leistungserbringer zu beachten. Dem lag zugrunde, dass nach der Wiedervereinigung der Rettungsdienst in den „neuen Bundesländern“ meist durch die gemeinnützigen Hilfsorganisationen übernommen wurde, teilweise aber ergänzend private Unternehmen gegründet worden waren, die man (weiter) einbeziehen wollte.

Das RettG LSA vom 18.12.2012 sah ebenso zunächst keine besondere Privilegierung der gemeinnützigen Hilfsorganisationen vor. Erst mit der Einführung der Konzessionsrichtlinie (2014/23/EU) vom 26.02.2014 und der Vergaberichtlinie (2014/24/EU) vom 26.02.2014 sowie der nationalen Umsetzung ins GWB sah sich der Gesetzgeber von Sachsen-Anhalt veranlasst, das RettDG LSA im Jahre 2017 zu novellieren.

Grund hierfür war: Bis dato galt GWB-Vergaberecht nicht für Konzessionen. Dies war seinerzeit einer der maßgeblichen Gründe dafür, dass der Gesetzgeber des Rettungsdienstgesetzes sich für das Konzessionsmodell und gegen das Submissionsmodell entschieden hatte („Flucht in die Konzession“).

Jetzt sieht das Landesrecht ein Privileg für Hilfsorganisationen vor. Genehmigungen nach § 12 RettDG LSA sollen gemäß § 13 Abs. 1 S. 1 RettDG LSA den gemeinnützigen Organisationen erteilt werden, die gemäß § 12 Abs. 2 RettDG LSA des Katastrophenschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt im Katastrophenschutz mitwirken. Schon hier sind diverse ggf. auslegungsbedürftige Begriffe zu erkennen: Was bedeutet genau „gemeinnnützig“, wann kann evtl. von der Soll-Vorgabe abgewichen werden, wann wirkt man im Katastrophenschutz mit?

Die Bereichsausnahme findet Anwendung, wenn u.a. bestimmte Dienstleistungen, welche unter die in § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB gelisteten CPV-Codes (Common Procurement Vocabulary) fallen, vergeben werden sollen. Unter diese CPV-Codes fallen auch Leistungen des Rettungsdienstes.

Die Klägerinnen sind private Krankentransportunternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht.

„Sie halten derzeit Genehmigungen nach dem dortigen Rettungsdienstgesetz, sind nach eigenen Angaben „in den Katastrophenschutz eingebunden“ und erfüllen „alle weiteren“ in diesem Gesetz aufgestellten Voraussetzungen zur Erteilung einer Genehmigung. Es liegt damit nahe, dass sie auch über eine Zustimmung nach § 12 Abs. 2 KatSG-LSA verfügen.“ (BVerfG aaO, Rn. 5)

Die Unternehmen rügen eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.

Die Entscheidung

Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG).

Rechtliche Würdigung

I. Berufsfreiheit und Bereichsausnahme

In der Sache hat das BVerfG keine Aussage darüber getroffen, ob die Bereichsausnahme Rettungsdienst/Gefahrenabwehr auf Bundesebene (§ 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB) oder auf Landesebene in Sachsen-Anhalt verfassungskonform umgesetzt wurde. Daher an dieser Stelle nur wenige grundsätzliche Überlegungen:

Zentral betroffen ist das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG, Parallelnorm Art. 16 LV SA). Dieses gilt nicht nur für natürliche Personen, sondern auch für Unternehmen als „inländische juristische Personen“, Art. 19 Abs. 3 GG.

Wenn private Rettungsdienst-Unternehmen keine Konzessionen (oder in anderen Bundesländern auch Aufträge) mehr erhalten, wird die Berufsfreiheit ggf. eingeschränkt. Das BVerfG differenziert hierbei zwischen Berufswahlbeschränkungen (dort wird zwischen objektiven und subjektiven Eingriffen unterschieden) und reinen Berufsausübungsregelungen. Je nach Einordnung müssen Eingriffe unterschiedlich gerechtfertigt sein (auf eine ausführliche Darstellung verzichten wir hier).

Andererseits haben Unternehmen, auch wenn sie schon länger bestehen, keinen Anspruch darauf, dass staatliche Aufträge oder Konzessionen unbegrenzt weiterlaufen. Insofern besteht kein Schutz durch Grundrechte. Ebenfalls berührt die Vergabe eines öffentlichen Auftrags bzw. einer Konzession an einen Mitbewerber grundsätzlich nicht den Schutzbereich der Berufsfreiheit des erfolglosen Bewerbers (s. dazu nur BVerfG, Beschl. v. 27.02.2008 – 1 BvR 437/08 und BVerfG, Beschl. v. 23.04.2009 – 1 BvR 3424/08).

Die Frage für die Zukunft wird also sein: Inwiefern sind – je nach Ausgestaltung des jeweiligen Landesrechts – private Unternehmen neben Hilfsorganisationen bei Auswahlverfahren zu berücksichtigen? Kann man sie pauschal (ohne Ansicht des Einzelfalles) außen vor lassen oder kann/muss die öffentliche Hand sie einbeziehen? Die Bereichsausnahme gibt hier eine klare Richtung vor: Grundsätzlich ist der Rettungsdienst Sache der Hilfsorganisationen, weil sie auch darüber hinaus im Bevölkerungsschutz gesellschaftlich einen Mehrwert bieten. Diese Grundlinie muss auch in den Bundesländern durchgehalten werden. Begründung: Einerseits muss Europarecht (auf diesem basiert ja die Bereichsausnahme) kohärent in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden (s. dazu EuGH, Urt. v. 08.09.2010, Rs. C-46/08 (Carmen Media Group); EuGH, Urt. v. 23.12.2015, Rs. C-293/14 (Hiebler ./. Schlagbauer); EuGH, Urt. v. 04.07.2019 — Rs. C-377/17 (zur HOAI)), andererseits haben die Hilfsorganisationen im Gegensatz zu privaten Unternehmen einen völkerrechtlichen Sonderstatus (s. Genfer Konventionen, DRKG, ZSKG). Dieser Sonderstatus führt zu einer Unterstützungspflicht des Staates.

Gleichwohl muss man berücksichtigen, dass ggf. ein komplettes Ausscheiden von privaten Unternehmen aus dem Rettungsdienst deren wirtschaftliches Ende bedeuten kann, falls nicht andere Geschäftsfelder bestehen. Insofern sollte überlegt werden, einen gewissen Bestandsschutz zu gewährleisten. Dieser könnte einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen kohärenter Umsetzung der Bereichsausnahme und faktischer Abschaffung privater Unternehmen in diesem Bereich darstellen.
Die Materialien zum Landesrecht in Sachsen-Anhalt geben Hinweise, erfassen das Problem aber nicht. Allenfalls die Opposition wies auf das Thema Berufsfreiheit hin (Stenografischer Bericht 7/34 vom 28.09.2017, 34. Sitzung des Landtags von Sachsen-Anhalt, vom 28.09.2017, S. 75).

Es kommt selten vor, dass in einer Ausschreibung auf ein bestimmtes Los kein Angebot abgegeben wird. Wenn gezielt in einem wettbewerblichen Verfahren das Bewerbungsverhalten der Mitbewerber untereinander abgestimmt wird, kann dies eine rechtswidrige Absprache sein. Sachdienlicher wäre, wenn die Beteiligten in einem Rettungsdienstbereich (Träger und Konzessionäre) über einen Bestandsschutz sprechen und statt formalisierter Vergabeverfahren (mit oder ohne GWB) ein Verfahren gewählt wird, welches langfristig bei den Leistungserbringern Anreize für Qualität und wirksame Aufwachskapazitäten setzt (Stichwort: „Planungsmodell“, s. dazu u.a. Vergabeblog.de vom 18/02/2019, Nr. 39856 [1] und Kieselmann/Pajunk/Liefländer/Stadler/Böth, in Lüder/Stahlhut [Hrsg]: Gesamtverteidigung in Gefahr!? Auf dem Weg zu einer Gesundheitssicherheitspolitik).

II. Verfassungsprozessrecht: Subsidiarität

Fast zu erwarten war, dass das BVerfG den Antrag wegen des Subsidiaritätsgrundsatzes nicht zur Entscheidung angenommen hat (§ 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG). Entschieden hat dies die „Kammer“ als Dreiergremium (§ 15a BVerfGG).

Normalerweise steht gegen Gesetze die sog. Rechtssatzverfassungsbeschwerde offen (Frist: ein Jahr). § 93 Abs. 3 BVerfGG lautet: „Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz oder gegen einen sonstigen Hoheitsakt, gegen den ein Rechtsweg nicht offensteht, so kann die Verfassungsbeschwerde nur binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes oder dem Erlaß des Hoheitsaktes erhoben werden.“

Das BVerfG will aber vermeiden, dass es mit unnötigen Verfahren überhäuft wird. Dies hat bekanntlich zu den Ergänzungen in den §§ 93a-d BVerfGG geführt. Danach bedarf die Verfassungsbeschwerde der Annahme zur Entscheidung. Diese Vorentscheidung wird durch die zuständige Kammer getroffen. Das BVerfG legt den Grundsatz der Subsidiarität dabei recht weit aus. Grundsätzlich sind die Fachgerichte anzurufen. Diese können Vorfragen sachlicher und rechtlicher Art klären und ggf. auch (wenn sie von der Verfassungswidrigkeit des nachkonstitutionellen Gesetzes überzeugt sind) das Gesetz nach Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Auch wenn das jeweilige oberste Fachgericht nicht vorlegt, ist gegen diese letztinstanzliche Entscheidung wiederum die Verfassungsbeschwerde möglich. Das BVerfG profitiert dann von der Klärung der diversen Sach- und Rechtsfragen in den Vorinstanzen.

Wann ist die fachgerichtliche Vorarbeit erforderlich? Dies ist dann der Fall, wenn „die angegriffenen Vorschriften auslegungsbedürftige und -fähige Rechtsbegriffe enthalten, von deren Auslegung und Anwendung es maßgeblich abhängt, inwieweit ein Beschwerdeführer durch die angegriffenen Vorschriften tatsächlich und rechtlich beschwert ist“ (vgl. BVerfGE 145, 20 <54 f. Rn. 86>; 150, 309 <327 Rn. 44>). Es soll sich zunächst auch eine „gefestigte Rechtsprechung der Fachgerichte“ entwickeln (vgl. BVerfGE 86, 15 <27>; 114, 258 <280>).

Nur dann, wenn der Fall „allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen“ aufwirft, kann das BVerfG direkt angerufen werden. Dies war nach zutreffender Überzeugung der Kammer hier nicht der Fall:

A. Zu klärende Vorfragen außerhalb des Verfassungsrechts (Landesrecht Sachsen-Anhalt)

Nach dem Subsidiaritätsgrundsatz sind somit diverse Vorfragen außerhalb des spezifischen Verfassungsrechts zu klären. Dazu nachfolgend.

1. Mitwirkung im KatS?

Der Fall beim BVerfG wirft die interessante Frage auf, wann Unternehmen im Katastrophenschutz „mitwirken“. Was bedeutet konkret „mitwirken“? Hier tun sich zwei Dimensionen auf: Einerseits ist denkbar, dass private (nicht gemeinnützige) Unternehmen konkret in einem Katastrophenfall „mitwirken“, weil sie mit von der Rettungsleitstelle alarmiert werden. Die vorhandenen Krankentransportwagen (KTW) und Rettungswagen (RTW) werden bei größeren Schadensfällen logischerweise mit alarmiert, wenn notwendig, gleich ob sie formal im Katastrophenschutz mitwirken oder nicht. Andererseits stellt sich die Frage, ob die entsprechenden privaten Unternehmen formal die Zustimmung (§ 12 Abs. 2 KatSG-LSA, Verwaltungsakt) zur Mitwirkung im Katastrophenschutz haben. Man mag dies für eine sinnlose Förmelei halten. Andererseits ist die Mitwirkung im Katastrophenschutz normalerweise daran geknüpft, dass die entsprechenden Organisationen entsprechende ehrenamtliche Kräfte ausbilden und langfristig in Bereitschaft halten. Gemeinnützige Hilfsorganisationen tun dies normalerweise. Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht tun dies normalerweise nicht (Ausnahmen bestätigen die Regel).

Im konkreten Fall ist unklar, ob die Beschwerdeführer im Katastrophenschutz insofern mitwirken, als sie dauerhaft Ehrenamtliche ausbilden und in Bereitschaft halten. Die Internetpräsenzen der beiden Beschwerdeführer drücken sich dazu etwas schwammig aus. Ein Unternehmen bestätigte auf Anfrage, dass aktuell keine Ehrenamtlichen vorhanden seien.

Das Landesrecht in Sachsen-Anhalt sieht aufgrund des zugrunde gelegten Mehrwertes der gemeinnützigen Hilfsorganisationen eine zweifache Privilegierung vor:

§ 12 Abs. 2 S. 3 KatSG-LSA sieht eine generelle Anerkennung nur für die „großen“ Hilfsorganisationen (ASB, DRK, DLRG, JUH, MHD) vor. Nach dem Gesetzestext können auch andere (auch private) Organisationen im Katastrophenschutz mitwirken (§ 12 Abs. 2 S. 1 KatSG-LSA); ein Anspruch auf Zustimmung gegenüber der Behörde besteht allerdings nicht. Auf Landesebene wurde eine entsprechende Anerkennung bislang wohl nicht verliehen. Private Rettungsdienstunternehmen (die beiden Beschwerdeführer) haben diese Anerkennung wohl schon beantragt, aber noch nicht erhalten. Ob hierzu schon vor dem Verwaltungsgericht gestritten wurde, ist unbekannt. Auf örtlicher Ebene bestehen teilweise wohl relativ kurz befristete Vereinbarungen über die Mitwirkung im Katastrophenschutz, die aber noch keine Zustimmung nach dem KatSG-LSA darstellen.

Die andere Privilegierung ist im Rettungsdienstgesetz vorgesehen und basiert auf dem KatSG-LSA. Aufgrund der Bereichsausnahme sollen Genehmigungen „den gemeinnützigen Organisationen erteilt werden, die gemäß § 12 Abs. 2 des Katastrophenschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt im Katastrophenschutz mitwirken.“ (§ 13 RettDG LSA). Eine entsprechende Genehmigung soll nach § 13 Abs. 3 RettDG LSA insbesondere dann verwehrt werden, wenn die Bewerber […] „eine angemessene Leistungsfähigkeit bei der Bewältigung eines Ereignisses mit einer großen Anzahl von erkrankten oder verletzten Personen nicht nachweisen“ oder „im Auswahlverfahren ihre angemessene Fähigkeit zur Mitwirkung im Katastrophenschutz nicht im erforderlichen Maße nachweisen“. Beide Punkte dürften von privaten Unternehmen ohne Ehrenamt kaum zu erfüllen sein.

2. Gemeinnützigkeit (AO?)

Im Rahmen des Auswahlverfahrens wäre nach dem BVerfG „einfachrechtlich zu klären, ob das Tatbestandsmerkmal „gemeinnützig“ in § 13 Abs. 1 S. 1 RettDG LSA – neben der Mitwirkung im Katastrophenschutz gemäß § 12 Abs. 2 KatSG-LSA – eine zusätzliche Anforderung normiert. In letzterem Fall wäre auch die Auslegung des Begriffs „gemeinnützig“ fachgerichtlich zu klären. Der Rückgriff auf das Abgabenrecht ist zumindest nicht zwingend.“ (BVerfG aaO., Rn. 13).

Rein theoretisch hat das BVerfG Recht. Maßgeblich bei der Auslegung der Bereichsausnahme sind die materiellen Kriterien des EuGH. Dieser hat in seinem wegweisenden Urteil klargestellt, dass die Formulierung „gemeinnützig“ in den jeweiligen Richtlinien eine Grundbedingung (quasi notwendig, aber nicht hinreichend) für die Privilegierung ist. Ebenfalls hat er klargestellt (formell richtig, materiell aber in Deutschland ohne weitere Bedeutung), dass die nationale Konkretisierung in § 107 Abs. 1 Nr. 4 2. Halbsatz GWB („gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen im Sinne dieser Nummer sind insbesondere die Hilfsorganisationen, die nach Bundes- oder Landesrecht als Zivil- und Katastrophenschutzorganisationen anerkannt sind.“) nicht prüft, ob materiell fehlende Gewinnerzielungsabsicht etc. vorliegt. Aus diesem Grunde war die nationale Konkretisierung im 2. Halbsatz der Vorschrift für den EuGH alleine nicht ausreichend. Er hat klargestellt, dass materiell folgende Wertung zugrunde liegt: Durch die Bereichsausnahme privilegiert sind „Organisationen oder Vereinigungen, deren Ziel in der Erfüllung sozialer Aufgaben besteht, die nicht erwerbswirtschaftlich tätig sind und die etwaige Gewinne reinvestieren, um das Ziel der Organisation oder Vereinigung zu erreichen“ (EuGH aaO., Rn. 59). Ob die nationale Gemeinnützigkeit nach § 52 AO diese materiellen Kriterien enthält, hat der EuGH zur Prüfung an die nationalen Gerichte verwiesen.

Da aber – so auch der Vortrag im EuGH-Verfahren – die Hilfsorganisationen in Deutschland sämtlich gemeinnützig nach den §§ 51ff. AO sind, sind automatisch auch die vom EuGH genannten materiellen Kriterien erfüllt: Die „sozialen Aufgaben“ finden sich im Katalog von § 52 Abs. 2 AO, der Grundsatz in Abs. 1. Die fehlende Gewinnerzielungsabsicht und das „Reinvestieren von Gewinnen“ statt der Ausschüttung an Mitglieder/Gesellschafter (wie bei privatwirtschaftlichen Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht) sind u.a. in § 55 AO geregelt.

3. Soll-Regelung für Konzessionsvergabe

Die Soll-Regelung im Landesgesetz gibt der Behörde die Handlung für den Regelfall vor. Von diesem Regelfall darf aber in atypischen Fällen abgewichen werden. Fachgerichtlich zu klären wäre, so das BVerfG (Rn. 14), „ob und unter welchen Umständen die Erteilung einer Konzession an etablierte privatrechtliche Unternehmen einen Ausnahmefall darstellen kann. Nach der Entwurfsbegründung des Gesetzes zur Änderung des Rettungsdienstgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt sollen Ausnahmen möglich bleiben, um den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung tragen zu können (LTDrucks 7/1008, S. 17). Denkbar sei, dass für den avisierten Konzessionsbereich keine Hilfsorganisationen zur Verfügung stehen oder sie nur für Teilbereiche ein Angebot abgeben. Auch besondere örtliche Verhältnisse oder besondere Kompetenz langjährig erfahrener Rettungsdienstleister könnten ein Abweichen erfordern (LTDrucks 7/1008, S. 19 f.).

Auch wenn die Fallkonstellationen in den Materialien des Landtages eher ungewöhnlich klingen, müssen Behörden und Gerichte sich zunächst mit diesen Rechtsfragen vorab im Streitfall befassen.

B. Rechtsschutz vor den Fachgerichten (VG/OVG und VK/OLG) und Geltungsbereich der Bereichsausnahme

1. Bereichsausnahme einschlägig? Auswahlverfahren?

Im Streitfall wird zunächst geklärt werden müssen, ob die Bereichsausnahme einschlägig ist. Falls in einem Auswahlverfahren Hilfsorganisationen mit privaten Unternehmen im Wettbewerb stehen, ist nach überwiegender Ansicht GWB-Vergaberecht anzuwenden und die Bereichsausnahme nicht anwendbar.

Wenn die Bereichsausnahme angewendet wird, stellen sich Fragen aus dem Verwaltungsrecht (Maßstab für die Soll-Vorgabe, Privilegierung nach dem Landesrecht) und Verfassungsrecht (vor allem Berufsfreiheit). Zu den materiell-rechtlichen Bestimmungen, die außerhalb des Vergaberechts noch gerügt werden können, s. illustrativ: Jacob Bühs, EuZW 2020, 658.

Die Prüfung der Gemeinnützigkeit der beteiligten Hilfsorganisationen dürfte eine kurze Formsache bleiben.

Je nach Verfahren ist die Bereichsausnahme anwendbar oder nicht. Die betroffenen Unternehmen können sich zunächst um eine entsprechende Rettungsdienstkonzession bemühen. Wenn sie in einem entsprechenden Auswahlverfahren (§ 13 Abs. 1 Satz 2 RettDG LSA) unterliegen, steht der Weg zu den Fachgerichten offen. Insofern kann entweder der Verwaltungsrechtsweg beschritten oder ein Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer gestellt werden. In Zweifelsfällen muss der Bieter beide Wege beschreiten. Dies ist insofern misslich, als damit ein entsprechend hohes Kostenrisiko verbunden ist, welches in den meisten Fällen zu Kosten führt, die auch bei Obsiegen nicht vollständig ersetzt werden.

2. Verwaltungsrechtsweg (VG/OVG)

Der Weg zu den Verwaltungsgerichten ist eröffnet, wenn die Bereichsausnahme Gefahrenabwehr einschlägig ist. Damit greift die abdrängende Sonderzuweisung (§ 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO) in § 107 GWB zu den Vergabenachprüfungsinstanzen nicht mehr. Da die Rettungsdienstkonzessionen (wie auch Glücksspielkonzessionen) öffentlich-rechtlichen Charakter haben, landet man vor dem Verwaltungsgericht (bei anderen Vergabeangelegenheiten kommt man auch zu den Zivilgerichten, z.B. bei unterschwelligen Bauvergaben).

Das Verfahren auf dem Verwaltungsrechtsweg ist leider nicht optimal für Konkurrentenstreitigkeiten: Die Akteneinsicht und sinnvolle Regelungen zu Geschäftsgeheimnissen sind im Vergleich zum GWB suboptimal geregelt (siehe hierzu grundlegend Jacob Bühs, „Grundzüge für ein Vergabeverwaltungsprozessrecht“, DVBl. 2017, 1525ff.) Der Grund hierfür ist: Das verwaltungsgerichtliche Verfahren ist auf den Widerspruch des Bürgers gegenüber dem Staat ausgerichtet. Der Streit zwischen zwei oder mehreren Interessenten um öffentliche Aufträge oder Konzessionen richtet sich formal gegen den Aufgabenträger/Staat. Faktisch geht es aber immer auch um eine Entscheidung gegen ein konkurrierendes Unternehmen. Diese Konstellation wird von den Regelungen im GWB besser abgebildet als in VwGO oder ZPO.

3. Vergaberechtsweg (VK/OLG)

Falls Privatunternehmen in einem Auswahlverfahren beteiligt werden, ist der Weg zu den Nachprüfungsinstanzen offen. Dort wird dann möglicherweise thematisiert werden, welchen Einfluss landesrechtliche Vorgaben zum Katastrophenschutz im Vergabeverfahren haben dürfen.

Praxistipp

Landesgesetzgeber sind aufgerufen, im Sinne der europarechtlichen Kohärenz die bundesrechtliche Bereichsausnahme Gefahrenabwehr (§ 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB) im Landesrecht zu implementieren. Dabei kann im Sinne der Verhältnismäßigkeit ein Bestandsschutz für Private vorgesehen werden. Statt aufwendiger Vergabeverfahren ist ein Planungsmodell vorzugswürdig, dessen Einzelheiten in der kommenden Zeit diskutiert werden sollten (näher dazu Kieselmann/Pajunk/Liefländer/Stadler/Böth, in Lüder/Stahlhut [Hrsg]: Gesamtverteidigung in Gefahr!? Auf dem Weg zu einer Gesundheitssicherheitspolitik).

Die Träger sollten darauf achten, dass sie keine umfangreichen und zu formalistischen Vergabeverfahren durchführen, sondern dass sie langfristig gute Anreize für einen leistungsfähigen Rettungsdienst und Bevölkerungsschutz setzen.

Hilfsorganisationen sollten sowohl beim konkreten Träger als auch beim Landesgesetzgeber darauf achten, dass die Bereichsausnahme sinnvoll angewendet wird. Die Stellschrauben für einen Wettbewerb außerhalb des Vergaberechts müssen richtig gesetzt sein und langfristige Anreize für Qualität im Gesamtsystem erzeugen.

Private Unternehmen sollten überlegen, ihr Geschäftsfeld auf mehrere Standbeine zu stellen. In einigen Fällen ist zu beobachten, dass Private ihr Unternehmen an Hilfsorganisationen veräußern. Für Rechtsschutz im konkreten Fall müssen – wie oben dargestellt – Vergabekammer bzw. Verwaltungsgericht angerufen werden, bevor gegebenenfalls über verfassungsrechtliche Fragen entschieden wird.

Nicht auszuschließen ist, dass der EuGH nochmals mit der Bereichsausnahme befasst wird. Interessant ist dabei vor allem die Frage, ob Vorgaben des Primärrechts eingehalten werden müssen. Hierzu gibt es bekanntermaßen unterschiedliche Aussagen. Die Harmonisierung bei der Bereichsausnahme gestaltet die Grundfreiheit in diesem Bereich erst konkret aus. Der Richtliniengeber nimmt anhand der Bereichsausnahme den Rettungsdienst unter bestimmten Voraussetzungen bewusst aus dem Wettbewerb heraus. Dieses Ergebnis kann nicht dadurch konterkariert werden, dass man über EU-Primärrecht vergleichbare Vorgaben über die Hintertür wieder einführt (so im Ergebnis auch Bühs aaO.).

Kontribution

Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Rechtsanwalt Dr. Mathias Pajunk verfasst.

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Über Dr. Mathias Pajunk [2]

Dr. Mathias Pajunk ist ist Rechtsanwalt in der Sozietät SKW Schwarz Rechtsanwälte [3]. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt in der Beratung von öffentlichen Auftraggebern bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Dienstleistungskonzessionen. Zu seinen weiteren Tätigkeitsfeldern zählt die Bearbeitung komplexer Fragestellungen auf den Gebieten des Beihilfen- und Kartellrechts.

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Über René Kieselmann [5]

René M. Kieselmann [6] ist Rechtsanwalt und verantwortet als Partner der Sozietät SKW Schwarz Rechtsanwälte [3] das Dezernat Vergaberecht. Er berät zusammen mit seinem Team bundesweit vor allem die öffentliche Hand, aber auch Bieter. Schwerpunkte sind u.a. IT-Vergaben und Rettungsdienst/Bevölkerungsschutz. Er ist Mitglied der Regionalgruppe Berlin/Brandenburg des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) [7]

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