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Die Novelle des HVTG: Nun also doch mit der UVgO! Ende eines hessischen Sonderweges?

Hessen hat mit LDr. 20/5277 die Novelle des HVTG auf den Weg gebracht. Damit reiht sich das Bundesland nicht nur in die immer länger werdende Reihe von Umsetzungen der Unterschwellenvergabeverordnung (UVgO) ein (siehe auch [1]), sondern stellt eine umfassende Neuregelung des Landesvergaberegimes vor.

Die Unterschwellenvergabeverordnung

Die UVgO ist zwischenzeitlich maßgeblicher Standard für die Vergabe von Lieferungen und Dienstleistungen im Unterschwellenbereich. In den 4 Jahren seit Bekanntmachung des Gesetzes, ist dieses nicht nur für den Bund, sondern nach und nach auch in bisher 12 Bundesländern (chronologisch: Hamburg, Bremen, Bayern, Saarland, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Niedersachsen, Berlin) in Kraft getreten bzw. umgesetzt worden. Nun schließt sich Hessen mit dem neuen Entwurf für das hessische Vergabe- und Tariftreuegesetz an.

Dem Entwurf zufolge soll das HVTG an die Regelungen der UVgO bzw. VOB/A angepasst werden und wurde im Zuge dessen ganz überwiegend novelliert. Die UVgO soll sowohl von Landes- als auch von kommunalen Auftraggebern verpflichtend angewandt werden. Insofern sind auch keine Ausnahmen oder Änderungen der Vorschriften der UVgO ersichtlich.

Landesrechtliche Besonderheiten?

Interessanter, als die 1:1 Umsetzung der UVgO sind die darüber hinaus getroffenen Sonderregeln im HVTG.

Mittelstandsfreundlichkeit und Nachhaltigkeit sind laut der Begründung die Leitmotive der Neufassung gewesen. Insofern sind Vergabestellen auf Landesebene verpflichtet soziale und umweltbezogene Aspekte in ihren Vergaben zu berücksichtigen. Den anderen Auftraggebern wird hier ein Ermessen eingeräumt. § 4 des neuen HVTG normiert die Tariftreue- und Mindestlohnpflichten, welche dem klassischen Schema folgen. Auftraggeber werden hier nun explizit ermächtigt, bei Anhaltspunkten für Verstöße nachzuprüfen und Nachweise zu fordern.

Eine Neuerung findet sich in dem in § 5 Abs. 3, 4 HVTG-Entwurf normierten Kontrollmechanismus, nach dem der beabsichtigten Zuschlagsempfänger eine Sozialkassenbescheinigung vorzulegen hat. Hiermit sollen „schwarze Schafe rechtzeitig aussortiert werden“. Dies ist als Standard neu. Wie effektiv sich dies in der Praxis gestaltet, ist abzuwarten. Laut der Entwurfsbegründung soll in diesem Zusammenhang beim Hessischen Ministerium für Soziales und Integration eine Stelle eingerichtet werden, die Ansprechpartner bei Fragen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und insbesondere des Entgelts sein soll. Hier sind in der Tat Anwendungsfälle vorhanden, in denen gerade kleinere Auftraggebereinheiten bisher trotz der Vermutung von Verstößen gegen die entsprechenden arbeits- und sozialrechtlichen Vorgaben die weitere Überprüfung mangels ausreichender Prüfungsmöglichkeiten ad acta gelegt haben. Insofern kann diese Stelle ein echter Mehrwert sein, um die „schwarzen Schafe“ frühzeitig belastbar zu erfassen.

Im dritten Teil wird die Vergabe von Verkehrsleistungen etwas stringenter neu gefasst, ohne jedoch grundlegende Neuerungen einzuführen.

Der vierte Teil des HVTG normiert die Verfahrensvorschriften. In § 12 HVTG-Entwurf wird die Systematik der UVgO übernommen. Die hessische Besonderheit des  Interessensbekundungsverfahren als  formfreiere Alternative zum Teilnahmewettbewerb gehört damit der Vergangenheit an.  Für die beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb, die freihändige Vergabe und das Verhandlungsverfahren werden Wertgrenzen aufgestellt. Im bisherigen HVTG gibt es hier eine unterschiedliche Anknüpfung bei Bauleistungen und Liefer-/ Dienstleistungen: Während beim Bau sich die Wertgrenze auf ein „ Gewerke“ bezog, war für Liefer- und Dienstleistungen eine Wertgrenze in Bezug auf einen „ Auftrag“ geregelt. Der Entwurfsbegründung lässt sich nun entnehmen, dass in Abgrenzung zum alten HVTG (durchgängig) auf den Auftrag und nicht auf das Gewerk (Fachlos) abgestellt wird. Hierdurch sollen verdeutlicht werden, dass sich die Wertgrenzen auf „Teillose eines Gewerkes“ beziehen könnten und mehrere „Aufträge in einem Gewerk“ möglich sein. Damit solle die Mittelstandförderung verbessert werden. Dieses Verständnis des Auftragsbegriffs  (Auftrag also als Los) als maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Wertgrenzen wäre als Abweichung von der vergaberechtlich üblichen Begrifflichkeit in § 3 VgV begrifflich klarer zu fassen, um spätere Diskussionen zu vermeiden. Ansonsten wäre eine  Auslegung des Auftragsbegriffs in Anlehnung an § 3 VgV naheliegend.

Erleichterungen ergeben sich mit § 12 Abs. 5 des Entwurfes bei der Beauftragung von freiberuflichen Leistungen: Hier wird die Regelung der UVgO uneingeschränkt übernommen,  so dass im Ergebnis die Beachtung allgemeiner haushaltsrechtlicher Grundsätze ausreichend ist. Hier ist die bisherige Handhabung deutlich formaler.

§ 17 HVTG-Entwurf greift die fakultativen und zwingenden Ausschlussgründe aus dem GWB auf. Für unzuverlässige Unternehmen, soll in Ergänzung zum Wettbewerbsregister eine „Informationsstelle“ bei der Finanzdirektion Frankfurt geschaffen werden, die solche schweren Verstöße führt. Aus der Formulierung des Entwurfes wird ist allerdings nicht eindeutig ersichtlich welcher Erhärtungsgrad für die Feststellung eines „schweren Verstoßes“ erforderlich ist. In der Formulierung wird hier auf den Zusatz „nachweislich“ verzichtet. Die Informationsstelle scheint insofern als bewusste Erweiterung zum Wettbewerbsregister gedacht zu sein, die für eine Erfassung zumindest keine rechtskräftige Verurteilung erforderlich macht. Die Entscheidung, wie mit der dort erhältlichen Information über eine schwere Verfehlung im Vergabeverfahren umzugehen ist, soll jedoch ausdrücklich bei der Vergabestelle verbleiben.

In § 18 HVTG-Entwurf schließen sich dann die auszubauenden „Vergabekompetenzstellen“ an, welche auf der vorhandenen Infrastruktur der VOB-Stellen aufbauen sollen. Diese, bei den Regierungspräsidien, HessenMobil und der Oberfinanzdirektion Frankfurt angesiedelten Stellen sollen zwei Funktionen haben: Sie sollen Vergabestellen und Zuwendungsempfänger bei Ausschreibungen unterstützen. Außerdem dienen sie als Anlaufstelle für Beanstandungen im laufenden Verfahren. Insofern bieten die Vergabekompetenzstellen eine Rechtsschutzinstanz, die allerdings  nicht wie in Sachsen, Sachsen – Anhalt und Thüringen, durch die Vergabekammern war genommen wird.

Bewertung

Insgesamt ist zu begrüßen, dass  sich der Entwurf aufbauend auf einer bundesweiten Grundregelung auf einzelne politische Schwerpunkte beschränkt. Auch in Bezug auf die Einführung eines vergabespezifischen Rechtsschutzes im Unterschwellenbereich ist der Versuch einer vermittelnden Lösung gelungen. Neben der Klarstellung des gewollten Bezugspunktes für die Wertgrenzen erscheint zentral, dass die wichtige Funktion der Vergabekompetenzstellen in der Beratung der Vergabestellen und Zuwendungsempfänger auch mit den erforderlichen Ressourcen ausgestattet wird, um die Unterstützung gerader kleinerer Vergabestellen abbilden zu können.

Kontribution

Der Beitrag wurde gemeinsam mit Frau stud. jur. Neele Schauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kanzlei FPS Fritze Wicke Seelig, Frankfurt am Main / Berlin, verfasst.

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Über Neele Schauer [2]

Neele Schauer ist seit 2018 als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei FPS Fritze Wicke Seelig [3], Frankfurt am Main im Bereich des Vergaberechts tätig. Zusammen mit Dr. Annette Rosenkötter, Aline Fritz und Tim Kuhn hat sie bereits zahlreiche Veröffentlichungen, insbesondere zur Sektorenverordnung und im Bereich der Verteidigung und Sicherheit, publiziert.

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Über Dr. Annette Rosenkötter [4]

Rechtsanwältin und Fachanwältin für Vergaberecht sowie Verwaltungsrecht Frau Dr. Rosenkötter ist Partnerin in der Sozietät FPS Fritze Wicke Seelig [5] in Frankfurt a.M.. Sie berät im Vergaberecht als auch im europäischen Beihilfenrecht, dort insbesondere im Gesundheits- und im ÖPNV-Bereich. Frau Dr. Rosenkötter hält regelmäßig Vorträge und Sch​ulungen zum Vergaberecht und hat zahlreiche vergaberechtliche Fachbeiträge veröffentlicht.

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