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Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Reichen Zusicherungen aus? (VK Südbayern, Beschl. v. 13.06.2023 – 3194.Z3-3_01-23-11)

EntscheidungWollen Auftraggeber qualitative Zuschlagskriterien in der Auswahlentscheidung berücksichtigen, müssen sie sich oftmals auf die Zusicherungen der Bieter verlassen. So können häufig technische Merkmale eines noch zu entwickelnden Produkts, ein zugesicherter Fertigstellungszeitpunkt oder auch Inhalte eines Personalkonzepts naturgemäß nicht im laufenden Vergabeverfahren auf deren spätere Einhaltung hin überprüft werden. Ob dieses Dilemma überhaupt mit den vergaberechtlichen Rahmenbedingungen vereinbar ist, hatte jüngst die Vergabekammer Südbayern zu entscheiden.

§ 127 GWB

Leitsatz

§ 127 Abs. 4 Satz 1 GWB verlangt, dass die Zuschlagskriterien so festgelegt werden, dass der Auftraggeber eine wirksame Überprüfung vornehmen kann, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Ist – wie hier bei Energieverbrauchsdaten eines noch zu entwickelnden Triebzugs – oder bei einer Konzeptbewertung eine Überprüfung mit naturwissenschaftlicher Genauigkeit während des Vergabeverfahrens nicht möglich, ist zumindest zu verlangen, dass das für die Zuschlagsbewertung maßgebliche Leistungsversprechen in eine einklagbare Leistungsverpflichtung oder in eine solche Leistungsverpflichtung mündet, bei deren Verletzung eine vertragliche Sanktion zur Verfügung steht.

Sachverhalt

Ein Auftraggeber schrieb die Herstellung und Lieferung von S-Bahn-Triebwagen aus. Er sah für die Auswahl des Bestbieters als Zuschlagskriterium auch das Kriterium „Energieverbrauch“ vor. Nach einer detailliert vorgegeben Formel wurde anhand von Bieterangaben der (voraussichtliche) spätere Energieverbrauch des angebotenen Triebzugs in seiner bieterindividuellen Konfiguration ermittelt. Dies wurde entsprechend in Wertungspunkte umgerechnet. In einem sehr komplexen Nachprüfungsverfahren hatte sich die Vergabekammer Südbayern unter anderem auch mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Bewertung von Kriterien, deren Erfüllung (noch) nicht überprüfbar ist, zulässig ist.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer hält die Bewertung des Energieverbrauchs anhand von (nicht vollständig verifizierbarer) Bieterangaben im Ergebnis für zulässig. Dabei führt sie instruktiv aus, welche Vorgaben eine Vergabestelle machen muss, um das Kriterium nach Zuschlagserteilung nicht nur in „leere Versprechungen“ münden zu lassen.
Mit Verweis auf § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB sieht die Vergabekammer Südbayern das Erfordernis, dass die theoretische Möglichkeit der Überprüfung der Bieterangaben bestehen muss. § 127 Abs. 4 GWB verlangt, dass die Zuschlagskriterien so festgelegt werden, dass der Auftraggeber eine wirksame Überprüfung vornehmen kann, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Dabei erkennt die Vergabekammer die Problematik, dass bei noch zu entwickelnden Lösungen (oder noch umzusetzenden Konzepten) keine Überprüfung dahingehend möglich ist, ob die zugesicherten Eigenschaften später im Falle der Beauftragung tatsächlich eingehalten werden. Vielmehr können die Bieterangaben allenfalls auf Plausibilität überprüft werden.
Die Vergabekammer Südbayern hält es in solchen Fällen für zwingend erforderlich, dass „das für die Zuschlagsbewertung maßgebliche Leistungsversprechen in eine einklagbare Leistungsverpflichtung oder in eine solche Leistungsverpflichtung mündet, bei deren Verletzung eine vertragliche Sanktion zur Verfügung steht“.

Rechtliche Würdigung

Im Ergebnis ist der Vergabekammer zuzustimmen, dass Zuschlagskriterien sich auch auf solche Tatsachen und Zusicherungen beziehen dürfen, die während des Vergabeverfahrens im Angebot versprochen werden, deren Erfüllung aber noch nicht abschließend nachgewiesen werden kann. Die von § 127 Abs. 4 GWB geforderte Überprüfung ist letztlich auch gerade dann möglich, wenn es sich „nur“ um eine zugesicherte Eigenschaft bzw. einen zugesicherten Leistungsbestandteil handelt. Bei Leistungsversprechen, die sich auf eine in der Zukunft zu erbringende Leistung beziehen, kann es stets nur auf die „Erfüllbarkeit“ ankommen. Selbst eine Teststellung oder der Nachweis mittels Konformitätsbescheinigung bescheinigt im laufenden Vergabeverfahren nicht, dass die Anforderungen im späteren Auftragsfall tatsächlich „erfüllt“ werden, sondern lediglich, dass sie „erfüllbar“ sind.

Ob dann die Erfüllung – wie die Vergabekammer meint – für den Auftragsfall zwingend dadurch vertraglich abgesichert sein muss, dass es sich um eine einklagbare Leistungsverpflichtung handelt oder die Nichteinhaltung zumindest sanktioniert sein muss, ist hingegen fraglich. Auch wenn dies dem Auftraggeber im Eigeninteresse häufig zu empfehlen ist, ergibt sich dies nicht zwingend aus dem Wortlaut des § 127 Abs. 4 GWB. Eine spätere Sanktionierung ist nämlich gerade keine „Überprüfung“ im Vergabeverfahren, sodass diese von der VK Südbayern definierte Anforderung deutlich über den Wortlaut hinausgeht.

Da die Ausführungen bzw. Zusicherungen des Bieters Teil seines Angebots sind, sind sie mit Zuschlagserteilung in jedem Fall Vertragsbestandteil und damit Leistungssoll. Es sollte dem Auftraggeber aber freistehen, sich dabei auch auf die „normalen“ Vertrags- und Mängelrechte zu beschränken, ohne einen Katalog an Vertragsstrafenregelungen definieren zu müssen.

Praxistipp

Will der Auftraggeber neben dem Preis weitere Kriterien zulassen, muss er sich inhaltlich häufig auf vertragliche Zusicherungen der Bieter verlassen. Dies kann beispielsweise technische Merkmale bei noch zu entwickelnden Leistungen betreffen, aber auch Konzepte für zu erbringende Dienstleistungen oder einen zugesicherten Liefertermin. Die Kriterien sollten stets so ausgestaltet sein, dass die Vergabestelle die Möglichkeit hat, die Angaben zumindest auf Erfüllbarkeit hin zu überprüfen. Darüber hinaus empfiehlt es sich in der Regel, vertraglich explizit vorzusehen, dass die zugesicherten Merkmale bei Leistungserbringung geschuldet sind. Ob die Nichteinhaltung mit Vertragsstrafen pönalisiert wird oder beispielsweise auch eine außerordentliche Vertragskündigung ermöglicht, sollte im Einzelfall geprüft werden.

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Über Dr. Alexander Dörr [1]

Dr. Alexander Dörr ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner bei Menold Bezler Rechtsanwälte [2], Stuttgart. Er berät bundesweit in erster Linie die öffentliche Hand bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsprojekten sowie bei komplexen vergaberechtlichen Fragestellungen. Ein Schwerpunkt bildet dabei die rechtliche und strategische Begleitung von großvolumigen Ausschreibungsvorhaben öffentlicher Auftraggeber, überwiegend im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. Daneben vertritt Herr Dörr regelmäßig öffentliche Auftraggeber in Nachprüfungsverfahren. Zudem hält er zu unterschiedlichen vergaberechtlichen Themen Schulungen und Seminare. Dr. Dörr ist unter anderem Dozent am Bildungszentrum der Bundeswehr. Er publiziert darüber hinaus zahlreiche Beiträge in Fachzeitschriften und ist regelmäßiger Autor auf vergabeblog.de.

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