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Rekommunalisierung im Rahmen von Konzessionsvergabeverfahren erschwert (Niedersächsisches OVG, Beschluss v. 11.9.2013 – 10 ME 87/12 u. 10 ME 88/12)

ParagraphDas niedersächsische OVG hat im Rahmen eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens entschieden, dass die durch Art. 28 Abs. 2 GG garantierte kommunale Selbstverwaltung eine energiekonzessionsvergebende Gemeinde nicht dazu berechtigt, eine Strom- und Gaskonzession an eine von ihr gegründete Netzgesellschaft zu vergeben, ohne hierbei die Ziele des § 1 EnWG in ausreichendem Maße zu berücksichtigen. (Beschluss v. 11.9.2013 – 10 ME 87/12 u. 10 ME 88/12)

Sachverhalt

Mehrere niedersächsische Gemeinden haben nach Abschluss eines Auswahlverfahrens gemäß § 46 EnWG beschlossen, die ausgelaufenen Strom- und Gaskonzessionen an eine von ihnen gemeinsam gegründete Strom- und Gasnetzgesellschaft zu vergeben. Als Auswahlkriterien waren u.a. die „Stärkung des kommunalen Einflusses auf die örtliche Energieversorgung“ sowie die „angemessene Beteiligung der Gemeinden an den im örtlichen Netzbetrieb erzielten Deckungsbeiträgen“ mit einer Gewichtung von 55% festgelegt. Das Auswahlkriterium „Versorgungssicherheit und effizienter Betrieb“ war mit 25% gewichtet. Nach der Konzeption der gemeinsamen Netzgesellschaft sollte ein noch nicht feststehender strategischer Partner sowie ggf. ein technischer Betreiber eingebunden werden.

Die Kommunalaufsichtsbehörde beanstandete die entsprechenden Ratsbeschlüsse, weil es u.a. das EnWG als verletzt ansah. Die Gemeinden hätten die Auswahl in einem intransparenten und diskriminierenden Verfahren getroffen. Zudem könne mit der gemeinsamen Netzgesellschaft die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Gemeinden und die Energieversorgung gefährdet sein. Das erstinstanzlich befasste VG Oldenburg wies die Rechtsansicht der Kommunalaufsichtsbehörde zurück. Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung in Art. 28 Abs. 2 GG räume den Gemeinden einen weiten, hier nicht überschrittenen Ermessensspielraum ein, die Strom- und Gasnetze zukünftig in der Verantwortung einer kommunalen Netzgesellschaft unter Einbindung privater Dritter zu betreiben. Das niedersächsische OVG hat die Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Verwaltungsgerichtes nicht bestätigt.

Entscheidung

Die von den Gemeinden beabsichtigte Vergabe der Strom- und Gaskonzessionen an die von ihnen gegründete Netzgesellschaft verstößt gegen § 46 Abs. 3 S. 5 EnWG. Nach dieser Vorschrift sind die Gemeinden bei der Auswahl des zu konzessionierenden Unternehmens den Zielen des § 1 EnWG verpflichtet. Nach § 1 Abs. 1 EnWG bezweckt das EnWG „eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht“.

Nach Auffassung des niedersächsischen OVG ist § 46 Abs. 3 S. 5 EnWG dahingehend zu verstehen, dass die Ziele des § 1 EnWG mindestens gleichwertig, also zu mindestens 50%, in die Auswahlbewertung einfließen müssen (Rz. 44). Bei § 1 EnWG handelt es sich um eine verbindliche Rechtsvorgabe und um keinen unverbindlichen Programmsatz. Ungeschriebenen kommunalspezifischen Interessen kann kein höheres Gewicht als den geschriebenen netzspezifischen Auswahlgründen zukommen (Rz. 44). Hierfür streitet die Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck, die eine sichere und kostengünstige Versorgung der Verbraucher sicherstellen wollen. Vor allem macht § 46 Abs. 4 EnWG deutlich, dass bei einer Eigenbewerbung von Kommunen keine abweichenden Auswahlkriterien gelten sollen (Rz. 44). Zudem gilt die in Art. 28 Abs. 2 GG garantierte kommunale Selbstverwaltungsgarantie nur im Rahmen der Gesetze. Hierzu zählt auch § 46 Abs. 3 S. 5 EnWG, der die Kommunen nicht unverhältnismäßig beschränkt (Rz. 44). Denn eine kommunale Eigenbewerbung und auch die Berücksichtigung weiterer kommunaler Interessen neben den ausdrücklich in § 1 EnWG genannten Zielen bleibt möglich, so das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg.

Die Ziele des § 1 EnWG konnten in der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung aber gerade nicht zu mindestens 50% berücksichtigt werden (Rz. 45). Denn die kommunalorientierten Auswahlkriterien der „Stärkung des kommunalen Einflusses auf die örtliche Energieversorgung“ sowie die „angemessene Beteiligung der Gemeinden an den im örtlichen Netzbetrieb erzielten Deckungsbeiträgen“ wurden bereits mit 55% gewichtet, sodass den in § 1 EnWG genannten Zielen der „möglichst sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen leitungsgebundenen Versorgung der Allgemeinheit mit Elekrizität und Gas, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht“ höchstens eine Gewichtung von 45% hätte zukommen können.

Außerdem war nach Ansicht der niedersächsischen Oberverwaltungsrichter die Organisation der gemeinsamen Netzgesellschaft noch zu offen, um sie überhaupt bei der notwendigen, an den Kriterien des § 1 EnWG orientierten Auswahlentscheidung, einbeziehen zu können (Rz. 47). Denn vor der Vergabe einer Strom- und Gaskonzession muss im Wesentlichen feststehen, wer und in welchem Umfang als strategischer Partner und ggf. auch als tatsächlicher Betreiber der zu konzessionierenden kommunalen Netzgesellschaft zur Verfügung steht. Eine Strom- und Gaskonzession darf an keine Gesellschaft vergeben werden, deren Leistungsfähigkeit noch nicht sachgerecht beurteilt werden kann (Rz. 47).

Das niedersächsische OVG monierte darüber hinaus auch die fehlerhafte Bewertung des Angebotes der Netzgesellschaft durch die Kommunen. So erzielte die Netzgesellschaft im Auswahlkriterium „Versorgungssicherheit und effizienter Betrieb“ die maximale Punktzahl. Da die Netzgesellschaft aber über keinerlei Erfahrungen und kein Personal verfügt hat, hätte die Höchstpunktzahl nicht vergeben werden dürfen (Rz. 46).

Deutsches VergabenetzwerkFazit

Die Beschlüsse des niedersächsischen OVG zeigen die Fehleranfälligkeit im Rahmen von Konzessionsvergabeverfahren nach dem EnWG exemplarisch auf. Dies gilt insbesondere bei Konzessionsvergabeverfahren, die letztlich nur dem Ziel der Rekommunalisierung dienen sollten. Das OVG in Lüneburg hat klar herausgestellt, dass rein kommunalorientierte Auswahlkriterien keinesfalls die energiespezifischen Auswahlkriterien nach § 1 EnWG dominieren dürfen. Ein besonderer „Rekommunalisierungsbonus“ für eigene Netzgesellschaften der Gemeinden kann auch nicht mit Art. 28 Abs. 2 GG begründet werden. Dies kann vor allem den Gemeinden große Probleme bereiten, die zwar zum Zwecke des Konzessionserwerbs eine eigene Netzgesellschaft gründen wollen, aber auf einen strategischen Partner angewiesen sind, der insbesondere das „Tagesgeschäft“ übernehmen soll. Steht der strategische Partner im Zeitpunkt der Entscheidung über die Vergabe der Konzession noch nicht fest, so kann die kommunale Netzgesellschaft schon deshalb keine Berücksichtigung bei der Konzessionsauswahlentscheidung nach § 46 Abs. 3 S. 5 EnWG i.V.m. § 1 EnWG finden.

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Über Holger Schröder

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss "Fachanwalt für Vergaberecht" der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.

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