Vergabeblog

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Zur Zulässigkeit von leistungsbezogenen Eignungskriterien und der Abgabe von zwei Hauptangeboten (OLG Naumburg, Beschluss v. 12.04.2012 – 2 Verg 1/12)

ParagraphIm Rahmen einer EU- weiten Vergabe zu Beratungsleistungen für ein Landesdatennetz in Sachsen-Anhalt hat das OLG Naumburg (Beschluss v. 12.04.2012 – 2 Verg 1/12) neben der Erläuterung des Ablaufs und der Struktur eines Verhandlungsverfahrens auch zu anderen spannenden Themen Stellung genommen: zur Frage, unter welchen Voraussetzungen Eignungsanforderungen (Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit und Fachkunde der Bieter) bei den Zuschlagskriterien berücksichtigt werden können und ob die Abgabe von zwei Hauptangeboten grundsätzlich bei der VOL/A möglich ist.

§§ 7 Abs.1, 19 Abs.9 EG VOL/A

Der Fall

Die Vergabestelle plant, ein technologisch optimiertes landesweites Sprach- und Datennetz als sogenanntes „Next Generation Network“ (NGN) zu errichten und schreibt zur Vorbereitung dieser Beschaffung die technische Beratung aus. Als verbindlicher Leistungsumfang ist die Unterstützung bei den durchzuführenden EU-weiten Vergabeverfahren, die Erstellung einer Vergabekonzeption und der Leistungsbeschreibung, die Beantwortung von Bieterfragen, die Prüfung und Bewertung von Teilnahmeanträgen und Angeboten und die Durchführung von Vertragsverhandlungen vorgesehen. Als Unterkriterien für die Qualität des schriftlichen Angebots waren in den Vergabeunterlagen unter anderem genannt:

„Angaben zur Sicherstellung der personellen Verfügbarkeit 10 %, Angaben zur geplanten Kommunikation mit dem Auftraggeber, zur Projektdokumentation, zu Statusberichten etc. 5 %.“

Der zweitplatzierte Bieter rügt – neben weiteren Punkten -, dass dies keine Zuschlags-, sondern Eignungskriterien seien, die bei der Wertung des Angebots nicht berücksichtigt hätten werden dürfen. Ebenso hätte das letzte modifizierte Angebot der Erstplatzierten nicht gewertet werden dürfen, da es ohne ausdrückliche Aufforderung der Vergabestelle abgegeben worden sei.

Abgrenzung leistungsbezogene und bieterbezogene Kriterien

Nachdem die Vergabekammer Sachsen-Anhalt dem unterlegenen Bieter Recht gab, hat das OLG Naumburg dann die Rechtsauffassung der Vergabestelle nach deren sofortiger Beschwerde bestätigt.

Grundsätzlich trägt es die Argumentation des Zweitplatzierten, dass Eignungskriterien nicht bei der Wertung berücksichtigt werden dürfen. Nach dem Grundsatz „kein Mehr an Eignung“ dürfen Anforderungen zur Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Bieter nur bei der Prüfung auf der zweiten Wertungsstufe berücksichtigt werden, im Rahmen der Frage, ob diese generell geeignet sind, den Auftrag auszuführen. Dies darf dann nicht mehr bei der Wertung auf der vierten Stufe, also der Prüfung, welches Angebot das wirtschaftlichste ist, zum Zuge kommen. Allerdings, so das OLG Naumburg, kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Zuschlagkriterien auf den konkreten Einzelfall an, die Benennung des Kriteriums ist dabei nicht alleine entscheidend. Dazu schildert das Gericht sehr anschaulich, wie zwischen Eignungs- und Zuschlagskriterien zu differenzieren ist:

„Vergaberechtlich zulässig sind solche Kriterien und Unterkriterien, die sich auf den konkreten Leistungsinhalt des jeweiligen Angebots beziehen; vergaberechtswidrig sind Kriterien und Unterkriterien der Wirtschaftlichkeitsbewertung eines Angebots, die sich stattdessen auf die Person des Bieters beziehen…. Für die Abgrenzung zwischen beiden Arten von Wertungskriterien ist es maßgeblich, ob sich ein Wertungsaspekt in seinem wesentlichen Kern bzw. hinsichtlich seines Bewertungsschwerpunkts auf Angaben stützen soll, die nur für den konkreten Auftrag Bedeutung erlangen, oder auf Angaben zu den generellen Fähigkeiten und Fertigkeiten des Bieters […]

Das Unterkriterium „Angaben zur Sicherstellung der personellen Verfügbarkeit“ bezieht sich hier nicht auf die abstrakte personelle Leistungsfähigkeit und nicht auf die personellen Ressourcen des Bieters im Allgemeinen (dies wären Eignungsaspekte und diese wären als Zuschlagskriterien nicht zulässig), sondern eindeutig auf das Konzept des Bieters dafür, wie und in welchem Maße er während der Ausführung des konkreten Auftrags gewährleisten möchte, dass dem Auftraggeber kompetente Ansprechpartner des Auftragnehmers zur Verfügung stehen. Es geht dem Antragsgegner um die Erreichbarkeit kompetenter Ansprechpartner für die Mitarbeiter des Auftraggebers und damit um die leistungsbezogene Bewertung der Ausführung der Unterstützungsleistungen. Es ist ohne Weiteres nachvollziehbar und für einen fachkundigen Bieter ohne weitere Erläuterungen auch erkennbar, dass ein Angebot in seinem Inhalt als qualitativ hochwertiger bewertet werden soll, das eine ständige oder zumindest zeitlich umfangreiche Ansprechbarkeit, ggf. eine häufige Präsenz vor Ort oder eine einfach zu handhabende Kommunikationsmöglichkeit o.ä. umfasst.“

In den weiteren Ausführungen nimmt das Gericht auch zum beanstandeten Unterkriterium „Angaben zur geplanten Kommunikation mit dem Auftraggeber, zur Projektdokumentation, zu Statusberichten etc.“ Stellung. Da es sich eindeutig auf die Konzeption des Bieters für die Erbringung der konkreten projektbezogenen Vertragsleistungen und nicht auf die Bewertung abstrakter Kommunikationsmöglichkeiten der Mitarbeiter eines Bieters bezieht, ist es als konkretes leistungsbezogenes Zuschlagskriterium zulässig (in Abgrenzung zum generellen bieterbezogenen Kriterium).

Abgabe von zwei Hauptangeboten bei VOL/A

Im Rahmen der Frage, welches Angebot der Erstplatzierten als das letztverbindliche zu werten ist, macht das Gericht interessante Ausführungen zur grundsätzlichen Zulässigkeit von zwei Hauptangeboten im Rahmen der VOL/A. Unter Bezugnahme die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zur VOB/A (Beschluss v. 09.03.2011, Verg 52/10, 23.03.201210, VII Verg 61/09) führt es aus:

„…denn jedenfalls ist allgemein anerkannt, dass ein Bieter, soweit die Abgabe von Nebenangeboten zugelassen ist, auch mehrere Nebenangebote parallel zueinander und neben seinem Hauptangebot abgeben und aufrechterhalten kann. Wieso die Abgabe mehrerer Nebenangebote zulässig, die Abgabe mehrerer Hauptangebote per se unzulässig sein soll, ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Zulässig ist auch die Abgabe alternativer Hauptangebote, soweit der Auftraggeber durch die Aufnahme von Alternativpositionen im Leistungsverzeichnis deren Einreichung ausdrücklich gefordert hat. Bei formaler Betrachtung spaltet eine Alternativposition im Angebot dieses formal in zwei nahezu identische, sich nur in dieser Position unterscheidende Angebote. Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat darüber hinaus die Zulässigkeit mehrerer paralleler Hauptangebote bejaht, wenn sich deren Unterschiede auf – angeblich – gleichwertige Produkte oder Technologien i.S. von § 9 Nr. 10 VOB/A 2006 (= § 7 Abs. 8 VOB/A 2009; ähnlich § 8 EG Abs. 7 VOL/A 2009; vgl. auch Art. 23 Abs. 8 VKR) beschränken …“

Sofern also in den Vergabeunterlagen ein gleichwertiges Produkt bzw. eine gleichwertige Technologie gefordert wird, sind nach der Auffassung des OLG Naumburg auch bei der VOL/A zwei Hauptangebote zulässig.

Deutsches Vergabenetzwerk

Ausschluss von zwei Hauptangeboten in Vergabeunterlagen zulässig?

Immer wieder findet sich in den Vergabeunterlagen der Ausschluss der Abgabe von zwei Hauptangeboten. Ob dies bei Ausschreibungen mit gleichwertigen Produkte bzw. Technologien zulässig ist, ist angesichts dieser Entscheidung zu bezweifeln. Ist in den Vergabeunterlagen keine Regelung enthalten (und werden gleichwertige Produkte oder Technologien in einzelnen Positionen gefordert), ist die Abgabe von zwei Hauptangeboten dann grundsätzlich zulässig. Allerdings: Bieter sollten die Zulässigkeit wegen der noch sehr geringen Rechtsprechung in diesem Bereich vorab mit Bieterfragen klären und bei Widerstand der Vergabestelle auf die vorliegenden Beschlüsse des OLG Naumburg und des OLG Düsseldorf verweisen.

PrellDie Autorin Monika Prell ist für den Bereich der Öffentlichen Ausschreibungen/Vergaberecht bei Bitkom Consult “ zuständig. „Bitkom Consult – Vergaberecht“ coacht, berät und unterstützt insbesondere Unternehmen der ITK-Branche bei öffentlichen Ausschreibungen. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.

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Über Monika Prell

Monika Prell ist Fachanwältin für Vergaberecht und Partnerin bei der Kanzlei SammlerUsinger in Berlin. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung im Vergaberecht und berät sowohl öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren als auch Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt Monika Prell ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen. Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit ist sie als Kommentarautorin tätig, veröffentlicht regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

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3 Kommentare

  1. FSC

    Hallo Frau Prell,

    ich habe selbst als Bid Manager in der oben genannten Branche gearbeitet (NGN). Die Argumentation des OLG läßt mich daher doch staunen:

    • Die „Angaben zur Sicherstellung der personellen Verfügbarkeit“ stellen eine notwendige Voraussetzung im Rahmen jeder Projektarbeit dar (und dabei handelt es sich hier). Hierbei wird zu Beginn ein fester Ansprechpartner im Sinne eines effizienten Projektmanagements festgelegt. Somit stellt das erste Kriterium – wenn überhaupt – eines zur „abstrakten personellen Leistungsfähigkeit“ des Anbieters für Projektarbeiten dar = Eignungskriterium: Kann der Anbieter die personelle Erreichbarkeit nicht sicherstellen, so weißt seine Organisation bzw. Prozesslandschaft Mängel auf, die ihn generell nicht für derartige Ausschreibungen qualifizieren. Noch extremer ließe sich auch argumentieren, dass die „Sicherstellung der personellen Verfügbarkeit“ eine grundlegende Voraussetzung im Projektumfeld ist. Eine derartig grundlegende Voraussetzung als Eignungskriterium für Ausschreibungen zu verwenden ist höchst zweifelhaft. Genauso gut könnte dann als Eignungskriterium für z.B. die Ausschreibung von Firmenfahrzeugen aufgeführt werden, dass diese genug Luft in den Reifen haben mögen!

    • Etwas differenziert ist der 2. Punkt zu sehen: Grundsätzlich gilt auch hier, dass „geplante Kommunikation mit dem Auftraggeber, zur Projektdokumentation, zu Statusberichten etc.“ eine notwendige Voraussetzung für effektives Projektmanagement sind = Eignungskriterium. Um derartige Fähigkeiten aber zweifelsfrei darlegen zu können, existieren diverse Zertifizierungsstufen verschiedener Anbieter, wie PMP, Prince2, etc. Die Notwendigkeit einer bestimmen ‚hochwertigen‘ Zertifizierungsstufe (z.B. „Professional Examination“ unter PRINCE2) könnte als „Konzeption des Bieters für die Erbringung der konkreten projektbezogenen Vertragsleistungen“ verstanden werden = Zuschlagskriterien.

    Glücklicherweise verweist auch das OLG auf die konkrete Bewertung des Einzelfalls. Ein „durchdeklinieren“ der eigenen Argumente im Rahmen einer Rüge ist daher nie verkehrt.

    Gruß

    FSC

    Reply

  2. J.B.

    Nur ein kleiner Hinweis:
    Die Entscheidung des OLG Düsseldorf (VII Verg 61/09) ist vom 23.03.2010. In dem Artikel hat sich beim Jahr ein kleiner Fehler eingeschlichen.

    Herzliche Grüße

    J.B.

    Reply

  3. Monika Prell, Bitkom Consult - Vergaberecht

    Sehr geehrte(r) FSC, sehr geehrte(r) J.B.,

    vielen Dank für Ihre Anmerkung bzw. den zutreffenden Hinweis (die Entscheidung des OLG Düsseldorf ist vom 23.03.2010, wird korrigiert). Sollten Sie sonst eine Entscheidung zur Abgabe von zwei Hauptangeboten finden, gerne immer an mich.

    Den interessanten Ausführungen zur praktischen Abgrenzung „leistungsbezogen – bieterbezogen“ stimme ich zu, dass die Abgrenzung einzelfallabhängig und nicht immer 100%ig abgrenzbar ist. Allerdings kann man mit der Unterscheidung des OLG Naumburg „für den konkreten Auftrag von Bedeutung, oder Angaben zu den generellen Fähigkeiten und Fertigkeiten des Bieters“ (Zitat s. Artikel) meines Erachtens durchaus die Sicherstellung der personellen Verfügbarkeit als Wertungs- bzw./Zuschlagskriterium berücksichtigen, wenn dies von der Vergabestelle konkret auf den ausgeschriebenen Auftrag bezogen und entsprechend im Vergabevermerk begründet wird. Dass dies Voraussetzung für jede Projektarbeit in dem genannten Umfeld ist, schließt es nicht grundsätzlich als Wertungskriterium aus, sondern könnte auch dazu führen, dass es in dem Umfeld eben künftig als Zuschlagskriterium zu werten ist.

    Mit freundlichen Grüßen

    Monika Prell
    Bitkom Consult – Vergaberecht

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