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Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten auf Seiten der Vergabestelle (OLG Frankfurt, Beschl. v. 20.01.2016 – 11 Verg 11/15)

EntscheidungDie Antragstellerin wendet sich mit ihrer erfolgreichen sofortigen Beschwerde gegen die für notwendig erklärte Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner. Die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners wurde nach Würdigung des Einzelfalles abgelehnt. Der erläuterte Beschluss zeigt mustergültig die Entscheidungsprämissen zur Lösung dieser Rechtsfrage auf.

I. Leitsatz

Stehen im Mittelpunkt eines Nachprüfungsverfahrens auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen, spricht im allgemeinen mehr dafür, dass der öffentliche Auftraggeber die erforderlichen Sach- und Rechtskenntnisse in seinem originären Aufgabenkreis ohnehin organisieren muss und daher auch im Nachprüfungsverfahren nicht notwendig eines anwaltlichen Bevollmächtigten bedarf.

§ 128 Abs. 4 S. 3 GWB a.F., § 182 Abs. 4 S. 3 GWB n.F.; § 80 Abs. 1, 2 und 3 S. 2 VwVfG

II. Hintergrund

Die vorliegende Entscheidung reiht sich ein in eine Vielzahl Entscheidungen, die sich mit der Frage der notwendigen Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten für den Antragsgegner beschäftigen (z.B. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10.03.2015 – 15 Verg 11/14).

1. Rechtsgrundlagen nach alten und neuem Recht

Der Ausspruch über die Verpflichtung, dem Grunde nach die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners zu tragen, beruht auf § 128 Abs. 4 S. 3 GWB a.F., nach dem neuen Recht auf § 182 Abs. 4 S. 3 GWB n.F.

§ 182 Abs. 4 S. 3 GWB n.F. ist neu gefasst: Hat sich der Antrag durch Rücknahme oder anderweitig erledigt, erfolgt die Entscheidung, wer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen anderer Beteiligter zu tragen hat, nach billigem Ermessen; in Bezug auf die Erstattung der Aufwendungen der Beigeladenen gilt im Übrigen § 182 Abs. S. 2 GWB entsprechend.

Die Neufassung der Regelung zum Aufwendungsersatz entspricht nach der Gesetzesbegründung der im Falle der Antragsrücknahme oder sonstigen Erledigung geltenden Regelung in § 182 Abs. 3 S. 5 GWB n.F. für die Kostentragung in Bezug auf die Kosten der Vergabekammer. Dadurch wird der Gleichlauf der Regelungen für die Gebühren und Auslagen einerseits und die notwendigen Aufwendungen andererseits hergestellt. Zudem wird eine Regelungslücke für den Aufwendungsersatz im Falle der sonstigen Erledigung, insbesondere der Erledigung durch Abhilfe seitens des öffentlichen Auftraggebers, geschlossen: § 182 Abs. 4 S. 3 GWB kann nach dem neuen Recht als Grundlage dafür herangezogen werden, die notwendigen Aufwendungen eines Beteiligten einem anderen aufzuerlegen. Die Vorschrift erlaubt es, materielles Unterliegen unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit auch für den Aufwendungsersatz zu berücksichtigen. Die von einem Beteiligten zu tragenden Aufwendungen sind durch das Kriterium „zweckentsprechend“ begrenzt (siehe bereits § 182 Abs. 4 S.1 und § 78 GWB – Drucksache, 18/6281, Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG, S. 134).

2. Verweis auf das VwVfG

Die allgemeinen vom OLG Frankfurt referierten Regeln sind unstreitig: ob die hier die streitgegenständlichen Kosten eines Rechtsanwalts als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Kosten erstattungsfähig sind, richtet sich nach § 80 Abs. 1, 2 und 3 S. 2 VwVfG. Danach sind Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren erstattungsfähig, wenn die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Die Prüfung dieser Notwendigkeit erfolgt im jeweiligen konkreten Verfahren. Maßstab ist die Sicht einer verständigen Partei, die bemüht ist, die Kosten so gering wie möglich zu halten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts ist notwendig, wenn sie vom Standpunkt eines verständigen, nicht rechtskundigen Beteiligten für erforderlich gehalten werden durfte.

3. Allgemeiner Maßstab für die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten

Dabei gilt bei der Prüfung der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts auf Seiten des Auftraggebers nach zutreffender Auffassung des OLG Frankfurt tendenziell eher ein strengerer Maßstab als auf Seiten des Bieters.

Maßgebliche Bedeutung kommt, so das OLG Frankfurt, dabei der Frage zu, ob sich die Probleme eines Nachprüfungsverfahrens auf auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen einschließlich der dazu gehörenden Vergaberegeln konzentrieren oder auf darüber hinausgehende schwierige, ggf. ungeklärte oder europarechtlich fundierte vergaberechtliche Fragestellungen beziehen. Sofern im Mittelpunkt des Nachprüfungsverfahrens auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen stehen, spricht im allgemeinen mehr dafür, dass der öffentliche Auftraggeber die erforderlichen Sach- und Rechtskenntnisse in seinem originären Aufgabenkreis ohnehin organisieren muss und daher auch im Nachprüfungsverfahren nicht notwendig eines anwaltlichen Bevollmächtigten bedarf. Die Komplexität des Sachverhalts sowie die Bedeutung und das Gewicht des Auftrags für den Auftraggeber können ergänzend zu beurteilen sein. Bedeutung erlangt zudem, inwieweit die Vergabestelle über geschultes Personal und Erfahrung mit Vergabeverfahren verfügt. Schließlich kann der Gesichtspunkt der so genannten prozessualen Waffengleichheit in die Prüfung der Notwendigkeit einfließen.

4. Konkrete Beurteilung

Im konkreten Fall hat das OLG Frankfurt festgestellt dass der Antragsgegner anwaltlicher Unterstützung im Nachprüfungsverfahren nicht bedurfte:

Die dem Nachprüfungsverfahren zu Grunde liegenden Fragen hätten sich im Wesentlichen auf die Wertung des Angebots der Antragstellerin und der Beigeladenen, d.h. originär der Vergabestelle bekannte tatsächliche und rechtliche Fragestellungen bezogen. Die im Nachprüfungsverfahren zu beurteilende Richtigkeit der vorgenommenen Bewertung des Angebots der Antragstellerin und der Beigeladenen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Ausgestaltung der Leistungsanforderungen, der geforderten Eignungsnachweise und Qualitätskonzepte würden dem des Antragsgegners als Vergabestelle originär bekannten und vertrauten Bereich vergaberechtlicher Sach- und Rechtsfragen unterfallen. Dies erstrecke sich auch auf die im Nachprüfungsverfahren erörterte Frage, ob die Vorabinformation ordnungsgemäß gemäß gewesen sei und wer im Hinblick auf die internen Organisationsstrukturen des Antragsgegners am Verfahren zu beteiligen gewesen sei.

Negativ hat der Senat auch die Größe und Funktion des Antragsgegners bewertet. Der Antragsgegner sei zentraler Ansprechpartner für alle hessischen Landesdienststellen und verfüge über eine nicht unerhebliche Erfahrung im Bereich des Vergaberechts.

III. Bewertung: Erfahren, groß und einfacher juristischer Vergabefall – i.d.R. keine Notwendigkeit der Hinzuziehung

Nach der Rechtsprechung ist es immer eine Einzelfallentscheidung, regelmäßig wird in der Rechtsprechung ausgeführt, dass die Frage der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht schematisch beantwortet werden kann. Für die Einzelfallentscheidung können – wie der BGH grundlegend und immer noch gültig entschieden hat – neben Gesichtspunkten wie der Einfachheit oder Komplexität des Sachverhalts, der Überschaubarkeit oder Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen auch rein persönliche Umstände bestimmend sein wie etwa die sachliche und personelle Ausstattung des Beteiligten, also beispielsweise, ob er über eine Rechtsabteilung oder andere Mitarbeiter verfügt, von denen erwartet werden kann, dass sie gerade oder auch Fragen des Vergaberechts sachgerecht bearbeiten können, oder ob allein der kaufmännisch gebildete Geschäftsinhaber sich des Falls annehmen muss (BGH, Beschl. vom 26.9.2006 – X ZB 14/06, Rdn. 61).

Das OLG Frankfurt lehnt daher je nach Einzelfall die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten ab. Wenn z.B. der Antragsgegner über ausreichende Erfahrung und Sachverstand verfügt, um ein durchschnittliches Nachprüfungsverfahren auch ohne juristischen Beistand durchzuführen und hinzu kommt, dass der Fall kaum vergaberechtliche Fragestellungen aufwirft, dann wird die Notwenigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten abgelehnt.

Es bleibt stets eine Einzelfallentscheidung, was auch daran zu erkennen ist, dass das OLG Frankfurt die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren und im Beschwerdeverfahren für notwendig erklärt hat, obwohl die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag wegen offensichtlicher Unzulässigkeit/Unbegründetheit nicht förmlich an den Antragsgegner zugestellt hat (OLG Frankfurt, Beschluss vom 04.03.2015 – 11 Verg 2/14). Das OLG Karlsruhe hat die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten abgelehnt, wenn sich nur die Fragen einer wirksamen Zuschlagserteilung und der Wirksamkeit des Zuschlags stellen und die Vergabestelle nur mit 1,25 Volljuristen besetzt ist, die nicht auf Vergaberecht spezialisiert sind (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10.03.2015 – 15 Verg 11/14).

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Es gilt insgesamt der Grundsatz je größer und erfahrener der Auftraggeber und je einfacher das Vergabeproblem, desto schwieriger wird die Kostenerstattung für den Antragsgegner. Je kleiner und unerfahrener der Auftraggeber und komplexer die Angelegenheit ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten anerkannt wird. Diese Fragen werden – wie in dem besprochenen Fall – vom Beschwerdesenat nach einer umfassenden Einzelfallprüfung entschieden.

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Über Dr. Christian Braun

Der Autor Dr. Christian Braun ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und einer der ersten Fachanwälte für Vergaberecht bundesweit. Er ist Gründungspartner von Braun & Zwetkow Rechtsanwälte in Leipzig. Herr Dr. Braun berät und vertritt seit über 20 Jahren bundesweit öffentliche Auftraggeber und Auftragnehmer in allen Fragen des Vergabe- und Konzessionsrechts. Herr Dr. Braun ist auch Dozent im Fachanwaltslehrgang für Vergaberecht. Er führt regelmäßig Vergaberechtsschulungen durch, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen.

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