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HOAI verstößt gegen EU-Recht (EuGH, Urt. v. 04.07.2019 – Rs. C-377/17)

Das mit Spannung erwartete Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist gefallen. Die als verpflichtendes Preisrecht anzuwendenden Vergütungsregelungen der Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (HOAI) verstoßen gegen EU-Recht. Das Urteil erging in dem Klageverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland (s. [1]). Das Gericht folgt damit den Schlussanträgen des Generalanwalts Szpunar, der am 28.02.2019 dem Gericht empfahl, die Regelungen der HOAI zu zwingenden Mindest- und Höchstsätzen für europarechtswidrig zu erklären( s. [2] und .

Unser Autor Dr. Oskar Maria Geitel [4] hat zu dem Urteil des EuGH bereits eine FAQ – Liste (häufigsten Fragestellungen) zusammengetragen und präsentiert folgende Erstantworten auf die Entscheidung:

Der kürzlich veröffentlichte Urteilsvolltext kann hier [5] abgerufen werden. Die wesentlichen Fragen und Antworten zu den Rechtsfolgen dieses grundlegenden Urteils sind in einer FAQ-Liste zusammengestellt.

Ist die gesamte HOAI aufgrund des EuGH-Urteils nunmehr nichtig oder unanwendbar?
Nein! Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie verbietet lediglich verbindliche Mindest- und Höchstpreise für bestimmte Dienstleistungen. Damit ist das „harte Preisrecht“ des § 7 Abs. 1 (ergänzt durch Abs. 3 und 4) HOAI angesprochen. Die Formvorgaben für die Vergütungsvereinbarung gemäß § 7 Abs. 1 HOAI („schriftlich und bei Auftragserteilung“) bleiben unberührt. Dies dürfte auch für die in § 7 Abs. 5 HOAI geregelten Rechtsfolgen eines Formverstoßes (Anspruch auf den Mindestsatz) gelten. Hierin kann im Einzelfall jedoch eine Umgehung des Verbots von Mindestpreisen gesehen werden, was zur Unanwendbarkeit auch dieser Vorschrift führen würde. Jedenfalls die in den Leistungsbildern beschriebenen Grund- und Besonderen Leistungen bleiben als Grundlage für das vertragliche Leistungsversprechen des Planers erhalten.

Sind vertragliche Vergütungsvereinbarungen, insbesondere soweit sie ein Berechnungshonorar nach der HOAI vorsehen, nunmehr nichtig? 
Wahrscheinlich nicht. Eine vertragliche Vergütungsvereinbarung beruht nicht auf dem verbindlichen Preisrahmenrecht des § 7 Abs. 1 HOAI, sondern auf einer autonomen Entscheidung der Vertragsparteien. Architekten und Ingenieure können daher weiterhin das im Vertrag vereinbarte HOAI-Honorar geltend machen und notfalls auch einklagen. Zwar ist europarechtlich anerkannt, dass ein Mitgliedsstaat die Folgen eines Vertragsverstoßes unverzüglich abstellen und dafür notfalls auch Verträge kündigen muss. Vergütungsvereinbarungen auch der öffentlichen Hand sind jedoch nach unserer Einschätzung keine Folge des verbindlichen Preisrechts und damit des Vertragsverstoßes, sodass wir eine Pflicht zur vorzeitigen Beendigung von HOAI-Verträgen nicht sehen.

Müssen Architekten und Ingenieure zukünftig noch alle Grundleistungen erbringen?
Das hängt ausschließlich von der vertraglichen Vereinbarung der Parteien ab, welche Grund- und Besonderen Leistungen geschuldet sein sollen. Diese Vereinbarung bleibt von dem EuGH-Urteil unberührt.

Was bedeutet das Urteil für laufende „Aufstockungsklagen“ / Mindestsatzklagen?
Nicht jede Klage auf den Mindestsatz nach der HOAI ist automatisch abzuweisen. Dies gilt beispielsweise dann nicht, wenn der Mindestsatz vertraglich vereinbart wurde oder mit einem Formverstoß (keine schriftliche oder bei Auftragserteilung getroffene Honorarvereinbarung) begründet wird. Beruft sich der Architekt oder Ingenieur dagegen abweichend von einer formwirksam getroffenen vertraglichen Honorarvereinbarung auf die höher liegenden Mindestsätze, sind die Erfolgsaussichten einer Klage, soweit sie das vertraglich vereinbarte Honorar übersteigt, jedenfalls nach dem heutigen EuGH-Urteil nicht gestiegen. Zwar kann man mit der wohl herrschenden Ansicht der Berufungsgerichte vertreten, dass zunächst die Reaktion des Gesetzgebers auf das Urteil abgewartet werden müsse. Dagegen spricht aber, dass der EuGH in einem früheren Verfahren bereits klargestellt hat, dass Art. 15 der Dienstleitungsrichtlinie so konkret ausgestaltet ist, dass das Verbot von verbindlichem Preisrecht auch ohne gesetzlichen Umsetzungsakt des Mitgliedsstaates gilt. Da die HOAI primär Allgemeininteressen und nicht die subjektiven Rechte der Architekten und Ingenieure schützt, kommt es voraussichtlich zu einer sog. „Horizontalwirkung der Richtlinie“ auch zwischen Privaten. Sprich: Es ist mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass sog. „Auftstockungsklagen“ nach dem heutigen Urteil aufgrund der Unanwendbarkeit des verbindlichen Preisrahmens in § 7 Abs. 1 HOAI abgewiesen werden.

Was bedeutet das Urteil für laufende und zukünftige Vergabeverfahren der öffentlichen Hand?
Alle Vertreter des Mitgliedsstaates, dessen Vertragsverletzung festgestellt wurde, sind ab Verkündung des Urteils des EuGH verpflichtet, den Vertragsverstoß abzustellen. Dabei kann nicht auf eine Reaktion des Gesetzgebers durch Aufhebung oder Änderung der HOAI gewartet werden. Ein Angebot in einem Vergabeverfahren der öffentlichen Hand auszuschließen, weil es die Mindestsätze der HOAI unterschreitet (oder die Höchstsätze überschreitet), dürfte ab heute daher nicht mehr zulässig sein. Demgegenüber dürfte der öffentliche Auftraggeber auch zukünftig berechtigt sein, als Berechnungsparameter für das Honorarangebot die HOAI vorzugeben. Denn nach § 58 Abs. 2 Satz 3 VgV kann der öffentliche Auftraggeber sogar Festpreise vorgeben, sodass das wirtschaftlichste Angebot ausschließlich nach qualitativen, umweltbezogenen oder sozialen Zuschlagskriterien bestimmt wird. Daher dürfte der öffentliche Auftraggeber auch nicht gehindert sein, einen festen Preisrahmen, nämlich den der HOAI vorzugeben. Hierin könnte jedoch möglicherweise eine Umgehung des EuGH-Urteils gesehen werden. Was jedenfalls zulässig sein dürfte, ist die Vorgabe eines Berechnungshonorars nach HOAI mit der Möglichkeit, einen frei kalkulierbaren Abschlag von den Mindestsätzen oder Zuschlag zu den Höchstsätzen anzubieten. Denn in diesem Fall würden auch nicht mittelbar verbindliche Mindest- oder Höchstpreise vorgegeben, so wie es Art. 15 Dienstleistungsrichtlinie verbietet.

Ist das Urteil des EuGH anfechtbar? 
Nein! Das Urteil des EuGH ist mit Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbar und damit bindend.

Quelle: Kapellmann und Partner Rechtsanwälte

 

 

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