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Inwieweit verliert eine Rahmenvereinbarung bei Erreichen der Höchstgrenze ihre Wirkung? (OLG Koblenz, Beschl. v. 12.12.2022 – Verg 3/22)

EntscheidungDer EuGH hat in einer wegweisenden Entscheidung zum Erfordernis einer Höchstgrenze bei Rahmenvereinbarungen im Jahr 2021 festgestellt, dass eine Rahmenvereinbarung bei Erreichen der Höchstgrenze ihre Wirkung verliert. Seitdem ist in der Vergabepraxis ungeklärt, was unter diesem „Verlieren der Wirkung“ genau zu verstehen ist. Das OLG Koblenz hat sich nunmehr in einer aktuellen Entscheidung ausführlich mit dieser Frage befasst. Nach Auffassung des OLG Koblenz verliert eine Rahmenvereinbarung bei Erreichen der Höchstgrenze automatisch ihre Wirkung. Ein Kündigungsrecht des Auftraggebers für den Fall des Erreichens der Höchstgrenze sei deshalb nicht erforderlich und führe dazu, dass die Höchstgrenze nicht transparent aufgestellt wurde.

BGB §§ 133, 157; GWB § 97 Abs. 1, 2, § 160 Abs. 2, 3

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb eine Rahmenvereinbarung über Dienstleistungen in einem europaweiten offenen Verfahren aus. In den Vergabeunterlagen war das maximale Auftragsvolumen der Rahmenvereinbarung angegeben.

Der Entwurf der Rahmenvereinbarung enthielt folgende Klausel (Ziff. 2.4.):

„Die Rahmenvereinbarung kann vom Auftraggeber jederzeit vor Ablauf der Vertragslaufzeit (…) gekündigt werden, wenn das genehmigte Budget des Auftraggebers in Höhe von (…) EUR (netto) aufgrund bereits erteilter Aufträge ausgeschöpft ist.“

Einer der Bieter griff das Verfahren unter anderem wegen der fehlenden Angabe einer Höchstgrenze an. Nach erfolglosem Nachprüfungsverfahren reichte er eine sofortige Beschwerde beim Vergabesenat des OLG Koblenz ein.

Die Entscheidung

Die sofortige Beschwerde hat Erfolg!

Das OLG Koblenz weist zunächst darauf hin, dass bei der Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung in der Bekanntmachung und / oder in den Vergabeunterlagen ein Höchstwert der zu erbringenden Leistungen anzugeben ist. Die Rahmenvereinbarung verliere ihre Wirkung, wenn dieser Wert erreicht sei (vgl. EuGH, Urt. v. 17.06.2021 – Rs. C-23/20, siehe hierzu auch [1]).

Zwar war hier in den Vergabeunterlagen eine Höchstgrenze angegeben. Diese ist aus Sicht des OLG Koblenz jedoch nicht transparent aufgestellt worden.

Nach Auffassung des OLG Koblenz ergibt sich bei einer Auslegung der Vergabeunterlagen eindeutig, dass eine Überschreitung des Höchstwerts der zu erbringenden Dienstleistungen gerade nicht ohne Weiteres zu einem Erlöschen der Leistungspflicht des Auftragnehmers führen soll.

Vielmehr werde dem Auftraggeber die Möglichkeit eröffnet, sich über die Höchstgrenze hinwegzusetzen. Ziffer 2.4 des Entwurfs der Rahmenvereinbarung sehe ein Kündigungsrecht des Auftraggebers für den Fall vor, dass das genehmigte Budget bereits erteilter Aufträge ausgeschöpft sei. Dieses genehmigte Budget entspreche seiner Höhe nach dem in den Vergabeunterlagen als solchem bezeichneten.

Das Kündigungsrecht habe folglich keinerlei Sinn, wenn eine Überschreitung des Höchstwerts ohne Weiteres zu einem Erlöschen der Leistungspflicht des Auftragnehmers führen sollte. Eines Kündigungsrechts bedürfte es dann schlichtweg nicht.

Das Kündigungsrecht sei auch nicht wegen der Gefahr einer Doppelausschreibung erforderlich, da die Rahmenvereinbarung bei Erreichen der Höchstgrenze ohnehin ihre Wirkung verliere.

Auch der potenzielle Rückgriff auf die Vorschrift des § 132 GWB erfordere kein Kündigungsrecht. Änderungsmöglichkeiten im Rahmen des § 132 GWB bestünden auch gerade dann, wenn kein Kündigungsrecht vereinbart sei und die Rahmenvereinbarung ohne Weiteres mit Erreichen des Höchstwerts der zu erbringenden Dienstleistungen beziehungsweise der zu liefernden Waren automatisch ihre Wirkung verliere.

Rechtliche Würdigung

Die vage Aussage des EuGH im Jahr 2021, wonach eine Rahmenvereinbarung bei Erreichen der Höchstgrenze ihre Wirkung verliert, hat in der Vergabepraxis für Verunsicherung gesorgt. In der Praxis wird oftmals ein Kündigungsrecht des Auftraggebers für den Fall des Erreichens der Höchstgrenze vorgesehen, da nicht davon ausgegangen wird, dass die Rahmenvereinbarung mit Erreichen der Höchstgrenze ohne Weiteres erlischt.

Nach Ansicht des OLG Koblenz führt ein Kündigungsrecht des Auftraggebers für den Fall des Erreichens der Höchstgrenze allerdings dazu, dass diese nicht transparent aufgestellt wurde und damit vergaberechtswidrig ist. Aus Sicht des OLG ist das Kündigungsrecht nicht erforderlich, da eine Rahmenvereinbarung bei Erreichen der Höchstgrenze automatisch ihre Wirkung verliere.

Dies überzeugt nicht.

Denn eine Rahmenvereinbarung erlischt nicht automatisch bei Erreichen der Höchstgrenze. Dies ergibt sich nicht aus der Entscheidung des EuGH . Der EuGH hat in seinem Urteil aus dem Jahr 2021 lediglich die vage Aussage getroffen, dass die Rahmenvereinbarung bei Erreichen der Höchstgrenze ihre Wirkung verliert (EuGH, a.a.O., Tz. 68 u. 74).

Das Erreichen der Höchstgrenze führt entgegen der Ansicht des OLG Koblenz vielmehr zu einem Erlöschen der Leistungspflicht des Auftragnehmers.

Die Rahmenvereinbarung als solche erlischt hingegen nicht.

So führt der EuGH in seinem Urteil aus dem Jahr 2021 unter anderem aus (vgl. EuGH, a.a.O. Tz. 64; Hervorhebung durch den Verfasser dieses Beitrags):

„Wäre der Höchstwert oder die Höchstmenge der Rahmenvereinbarung nicht angegeben oder die Angabe nicht rechtlich verbindlich, könnten sich öffentliche Auftraggeber zudem über diese Höchstmenge hinwegsetzen. Dann könnten Zuschlagsempfänger wegen Nichterfüllung der Rahmenvereinbarung vertraglich haftbar gemacht werden, wenn sie die von den öffentlichen Auftraggebern geforderten Mengen nicht liefern könnten, selbst wenn diese Mengen die Höchstmenge in der Bekanntmachung überschreiten.“

Diese Ausführungen des EuGH zielen auf ein Erlöschen der Leistungspflicht des Auftragnehmers ab. Aus diesem Erfordernis des Erlöschens der Leistungspflicht des Auftragnehmers folgt somit zwar, dass der Auftraggeber ab Erreichen des Höchstwertes nicht mehr einseitig Leistungen von dem Auftragnehmer abrufen darf.

Die Parteien können jedoch in den Grenzen des § 132 GWB weitere Leistungen des Auftragnehmers vereinbaren. Diese Vorschrift erfordert hierfür jedoch einen noch bestehenden Vertrag. Dies ergibt sich bereits unmittelbar aus dem Wortlaut des § 132 Abs. 1 S. 1 GWB, der auf wesentliche Änderungen während der Vertragslaufzeit abstellt.

In der Vergangenheit hat zudem etwa das KG entschieden, dass ein Vorbehalt des Auftraggebers, in dem vergaberechtlich gem. § 132 GWB zulässigen Umfang weitergehende Abrufe vorzunehmen, der Natur einer Rahmenvereinbarung innewohne. Ansonsten würde dem Auftraggeber die Flexibilität, die ihm das Instrument der Rahmenvereinbarung gerade ermöglichen solle, genommen. Daher sei ein solcher Vorbehalt nicht unzulässig (KG Berlin, Beschl. v. 20.03.2020, Verg 7/19 zum Sektorenbereich).

Somit trifft die Auffassung des OLG Koblenz, wonach das bloße Bestehen eines Kündigungsrechts des Auftraggebers es diesem ermögliche, sich über die Höchstgrenze hinwegzusetzen und die Höchstgrenze daher nicht transparent aufgestellt sei, insgesamt nicht zu.

Fazit

Die Verwendung von Rahmenvereinbarungen ist mit Blick auf die Handhabung der erforderlichen Schätz- sowie Höchstwerte ohnehin bereits mit großen Herausforderungen verbunden.

Daher ist in der Vergabepraxis teilweise zu beobachten, dass Auftraggeber auf die Festsetzung einer Höchstgrenze verzichten. Dahinter steht die Erwägung, dass der EuGH in einer fehlenden Bekanntgabe von Schätzwert oder -menge und Höchstwert oder -menge keinen so schwerwiegenden Vergabeverstoß sieht, der als Rechtsfolge die Unwirksamkeit der Auftragsvergabe nach sich ziehen würde.

In diesem Kontext ist die Entscheidung des OLG Koblenz umso kritischer zu bewerten, da sie für weitere Verunsicherung bei der Verwendung des an sich für Auftraggeber so nützlichen Instruments der Rahmenvereinbarung sorgt.

Bei der Vergabe von Rahmenvereinbarungen weiterhin ein an sich sinnvolles Kündigungsrecht des Auftraggebers vorzusehen, ist aufgrund der Entscheidung des OLG Koblenz mit Risiken verbunden.

Schließlich ist sowohl für Auftraggeber als auch für Bieter zu beachten, dass das OLG Koblenz in dieser Entscheidung eine Präklusion abgelehnt hat. Der Vergaberechtsverstoß sei für einen durchschnittlichen Bieter nicht zu erkennen gewesen, da dieser auf der vergaberechtlichen Rechtsprechung zur Auslegung der das Gleichheits- und des Transparenzgebot normierenden europarechtlichen Vorschriften beruhe.

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Über Lars Lange, LL.M. (Kopenhagen) [2]

Der Autor Lars Lange ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht.

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