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Schadensersatz bei unrechtmäßigem Ausschluss des Angebotes (OLG Saarbrücken, Urt. v. 24.02.2016 – 1 U 60/15)

EntscheidungAnspruch des Bieters auf Schadensersatz in Höhe des positiven Interesses, wenn sein preisgünstigstes Angebot zu Unrecht vom Vergabeverfahren ausgeschlossen wird.

 

§§ 13, 16 VOB/A; §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB

Leitsatz

  1. Das Fehlen in der Vergabeausschreibung geforderter rechnerischer Nachweise zu Wärmedämmeigenschaften von Fester- und Türelementen stellt – sofern der Vertragsinhalt hierdurch nicht bestimmt wird – keine einer Abänderung der Vergabeunterlagen vergleichbare Auslassung (§ 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A) dar; bei ihrem Fehlen ist die Vergabestelle gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A zu einer Nachforderung verpflichtet.
  2. Wird der preisgünstigste Bieter zu Unrecht vom Vergabeverfahren ausgeschlossen, muss der Auftraggeber Schadensersatz in Höhe des positiven Interesses zahlen.

Sachverhalt

Eine Gemeinde (AG) hatte die Montage von Fenster, Türen und Toren für den Neubau eines Feuerwehrgerätehauses unterhalb des EU-Schwellenwerts im Wege einer beschränkten Ausschreibung ausgeschrieben. Der Preis war alleiniges Zuschlagskriterium. Im LV war bezüglich der Wärmedämmeigenschaften (Fenster- und Türelemente) Folgendes gefordert:

Der rechnerische Nachweis ist je Fenster-/Türelement separat zu führen, Mindestwert. Die Nachweise sind bereits bei Angebotsabgabe dem Angebot beizufügen. Nichtabgabe führt zum Ausschluss! Bieter A hatte das günstigste Angebot abgegeben, vergaß darin jedoch die geforderten rechnerischen Wärmedämmnachweise. Der AG schloss das Angebot ohne Nachforderung der fehlenden Nachweise aus und erteilte den Zuschlag auf ein anderes Angebot. A forderte darauf im Wege der Zivilklage den ihm entgangenen Gewinn, da sein Angebot hätte beauftragt werden müssen.

Die Entscheidung

Das OLG bestätigt das erstinstanzliche Urteil des LG und gibt Bieter A Recht.

A sei zu Unrecht gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 Ziff. b VOB/A ausgeschlossen worden. Ein zwingender Ausschlussgrund nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 Ziff. b VOB/A sei dann gegeben, wenn der Bieter Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen habe (§ 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A). Dabei sei der Begriff der Änderungen weit zu verstehen. Er umfasse alle Eingriffe mit verfälschendem Ergebnis, sei es etwa durch Streichungen einzelner Positionen des LV, durch Hinzufügen von bisher nicht vorgesehenen Informationen oder durch Weglassen einer als Ausschlusskriterium gekennzeichneten, vertragswesentlichen Anforderung. Auch der Begriff der Erklärungen und Nachweise in § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A sei weit auszulegen und beziehe sich sowohl auf bieterbezogene Eigen- und Fremderklärungen als auch auf leistungsbezogene Angaben und Unterlagen. Nicht hierunter fielen jedoch, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang der Ausschlussgründe nach § 16 Abs. 1 VOB/A ergebe, solche Erklärungen und Nachweise, die bereits nach der vorrangigen Regelung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A zwingend bzw. nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A fakultativ zu einem Ausschluss führten.

Die Abgrenzung, ob es sich beim Fehlen von geforderten Erklärungen um eine nach § 13 Abs. 1 Nr. 5 unzulässige Änderung der Vertragsunterlagen, die zwingend zum Ausschluss führe oder um das Fehlen geforderter Erklärungen und Nachweise im Sinne von § 13 Abs. 1 Nr. 4, die (nach § 16 Abs. 1 Nr. 3) nachzufordern seien, handele, richte sich entscheidend danach, ob die geforderten Angaben die vertragsgegenständlichen Leistungen erst bestimmten und damit wesentlicher Vertragsbestandteil werden oder ob sie den Inhalt des Vertragsangebots lediglich belegen und außerhalb des eigentlichen Vertragstextes stehende Umstände dokumentieren sollten. In diesem Sinne stelle das Fehlen der rechnerischen Nachweise der Wärmedämmeigenschaften keine Änderung der Vergabeunterlagen dar, denn diese wirkten sich nicht auf die Vertragsgestaltung oder den Zuschlagsbeschluss aus. Anders als im LV geforderte Hersteller- und Typenangaben, bei denen es sich um integrale Vertragsbestandteile handele, dienten die hier vom AG geforderten rechnerischen Nachweise nur der (leichteren) technischen Überprüfung, ob die angebotenen Systeme die entsprechenden Anforderungen erfüllten; sie wirkten sich aber in keiner Weise auf die Vertragsgestaltung und insbesondere die angegebenen Preise aus.

Man könne hier daher nicht von einem unvollständigen Angebot im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 Ziff. b VOB/A ausgehen, nur weil die geforderten Nachweise bezüglich der Wärmedämmwerte nicht beigefügt gewesen seien. Somit habe sich der AG pflichtwidrig verhalten, als er das Angebot des A sofort ausgeschlossen habe, ohne die von ihm geforderten Nachweise vorher nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A unter Fristsetzung nachzufordern. Da hier aber A das preisgünstigste Angebot vorgelegt habe und der Preis alleiniges Zuschlagskriterium gewesen sei, habe A gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf den entgangenen Gewinn (positives Interesse), da der Auftrag einerseits tatsächlich erteilt worden sei und zum anderen A den Zuschlag hätte erhalten müssen.

Rechtliche Würdigung

Eine Entscheidung, die nicht nur den Auftraggeber etwas überrascht haben dürfte. Einmal ist hervorzuheben, dass es sich hier um eine Vergabe unterhalb des Schwellenwertes handelt; zweitens, dass hier – ein seltener Fall – dem Bieter tatsächlich das positive Interesse als Schadensersatz zuerkannt wird, d.h. er wird wirtschaftlich so gestellt, als hätte sein Angebot den Zuschlag erhalten.

Der Auftraggeber wollte hier eigentlich auf „Nummer Sicher“ gehen, als er im LV explizit aufführte, dass der geforderte rechnerische Nachweis bereits bei Angebotsabgabe vorzulegen war und dessen Nichtabgabe zum Angebotsausschluss führt. Gleichwohl erscheint die Entscheidung richtig, da Nachweis eben nicht gleich Nachweis ist. Vielmehr ist dabei zu differenzieren, ob es sich bei den Nachweisen um wesentliche Vertragsbestandteile, die sich letztlich auf den Zuschlag auswirken, handelt, oder lediglich um solche, die weder Einfluss auf Preise noch Zuschlag haben. Im Ergebnis macht das Urteil des OLG Saarbrücken eine rechtssichere Wertung und Zuschlagsentscheidung für den Auftraggeber nicht gerade leichter.

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Praxistipp

Öffentlichen Auftraggebern ist zu raten, genau zu differenzieren, ob es sich beim Fehlen von geforderten Nachweisen tatsächlich um wesentliche Vertragsunterlagen oder um solche handelt, die gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A nachzufordern sind. Das seit 18.04.2016 geltende neue Vergaberecht ändert an dieser Rechtslage nichts, da es im Baubereich keine Änderungen hinsichtlich der Anforderungen an nachzufordernde Unterlagen vorsieht (siehe § 16a VOB/A bzw. EU VOB/A). Dagegen gilt für den Liefer- und Dienstleistungsbereich nach neuem Vergaberecht nun, dass lediglich eignungsbezogene Unterlagen nachzufordern sind, während dies bei leistungsbezogenen Unterlagen, die die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien betreffen, ausgeschlossen ist (siehe § 56 Abs. 2 und 3 VgV).

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Über Michael Werner

Michael Werner ist Rechtsanwalt und bei der DEGES GmbH in Berlin tätig. Herr Werner ist Experte im deutschen und europäischen Vergaberecht sowie im Bauvertragsrecht. Vor seiner anwaltlichen Tätigkeit war Herr Werner langjähriger Leiter der Rechtsabteilung des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie e.V. und Mitglied im Deutschen Vergabe - und Vertragsausschuss des Bundes (DVA).

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