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EuGH: Austausch des Nachunternehmers kann zur Kündigungspflicht und Neuausschreibung führen (Urteil v. 13.04.2010, Rs. C-91/08)

EU-Recht Die leidigen Nachunternehmer. Oft braucht man sie, aber eigentlich will man sie nicht. Der Nachunternehmer ist wie die Bietergemeinschaft eine Form der Kooperation und damit Leid und Segen. Vor jeder Entscheidung, zu kooperieren, sollten daher zahlreiche Faktoren bedacht werden (werden sie aber meist nicht), etwa: Kooperieren oder doch besser eigene Fachkräfte einstellen? Und: Besteht die Gefahr, dass der Kooperationspartner nach der Kooperation Kunden abzieht? Aber auch: Komme ich persönlich mit dem Geschäftsführer des Partners klar, kann ich mich mit seinen Zielen und Idealen identifizieren, „funkt“ es also zwischen uns? Die Konsequenzen, wenn es nicht „funkt“, spielten sich bislang vor allem auf der Vertragsebene ab: Preisanapassung, Kündigung, Schadensersatz.

Der EuGH hat nun aber einen weiteren Faktor hinzugefügt, der bei der Frage des Nachunternehmereinsatzes von Anfang an wohl bedacht sein will: Ein Wechsel des Nachunternehmers durch den Auftragnehmer kann nämlich den öffentlichen Auftraggeber dazu veranlassen, den ganzen Vertrag zu kündigen und neu auszuschreiben. Das jedenfalls folgt aus einer neuen Entscheidung des EuGH v. 13.04.2010, Rs. C-91/08.

Der Entscheidung des EuGH lag vereinfacht folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Stadt Frankfurt a.M. schrieb Ende des Jahres 2002 einen Vertrag zum Betrieb, zur Instandhaltung, zur Wartung und zur Reinigung von städtischen Toilettenanlagen für die Dauer von 16 Jahren aus. Die Gegenleistung für diese Leistungen sollte in dem Recht bestehen, eine Benutzungsgebühr zu erheben und während der Vertragslaufzeit Werbeflächen in und an den Toilettenanlagen sowie an anderen öffentlichen Flächen im Stadtgebiet von Frankfurt zu nutzen. Dies stellt eine klassische Dienstleistungskonzession dar, da das Betriebsrisiko auf den Konzessionär („Auftragnehmer“) übertragen wird.

Mehrere Angebote gingen ein, auch eines der Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH (FES). Diese benannte als Nachunternehmer für die Erbringung der Werbeleistungen und die Ausführung der WC-Module die Wall AG, deren Eignung in dem Angebot besonders hervorgehoben wurde.

Dieses Angebot überzeugte und die Stadt schloss Mitte 2004 mit FES den Konzessionsvertrag ab. Nach Abschluss des Konzessionsvertrages, aber noch vor Leistungsbeginn, holte die FES von der Wall AG ein Angebot für die Erbringung der jeweiligen Nachunternehmerleistungen ein. Außerdem holte sie ein Angebot der Deutsche Städte Medien GmbH („DSM“, besser bekannt unter „Ströer“) ein, welche gar nicht als Nachunternehmer benannt war. Offenbar sagte FES letzteres Angebot mehr zu als das der Wall AG. Wohl deshalb ersuchte FES die Stadt Frankfurt um Zustimmung zu einem Wechsel des Nachunternehmers. Eine solche Zustimmung war nach § 30 Abs. 4 des Konzessionsvertrages erforderlich. Nachdem die Stadt ihre Zustimmung zum Wechsel erteilt hatte, schlossen FES und DSM einen entsprechenden Vertrag – die Wall AG war damit draußen.

Wall AG erhob daraufhin Klage vor dem Landgericht Frankfurt a.M. und beantragte unter anderem, die FES zu verurteilen, es zu unterlassen, den mit DSM geschlossenen Vertrag zu vollziehen. Das Landgericht legte dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor, welche – verkürzt – davon handelten, ob ein Wechsel eines Nachunternehmers eine Neuausschreibungspflicht nach sich ziehe und bejahendenfalls, ob ein infolge des Verstoßes gegen diese Pflicht geschlossener Vertrag zu kündigen sei (es ging auch noch um andere Fragen, die hier nicht behandelt werden sollen).

Zunächst befasst sich der EuGH zur Beantwortung der Fragen allgemein mit dem Transparenzgebot und betont mit Hinweis auf die Entscheidung „pressetext“ (C-454/06), dass wesentliche Änderungen des Vertrages zu einer Neuausschreibung führen können. In Rn. 39 nimmt er dann zu dem Nachunternehmerwechsel Stellung:

„Ein Wechsel des Nachunternehmers kann, auch wenn diese Möglichkeit im Vertrag vorgesehen ist, in Ausnahmefällen eine solche Änderung eines der wesentlichen Bestandteile des Konzessionsvertrags darstellen, wenn die Heranziehung eines Nachunternehmers anstelle eines anderen unter Berücksichtigung der besonderen Merkmale der betreffenden Leistung ein ausschlaggebendes Element für den Abschluss des Vertrags war, was zu prüfen jedenfalls dem vorlegenden Gericht obliegt.“

Wichtig ist zunächst festzustellen, dass der EuGH die Neuausschreibungspflicht bei einem Nachunternehmerwechsel als Ausnahmefall betrachtet oder anders gewendet: Ein begründeter Nachunternehmerwechsel ist grundsätzlich ohne Ausschreibungspflicht möglich. Die Gründe hierfür lassen sich durch die klugen Ausführungen des Generalanwalts Yves Bot in seinen Schlussanträgen vom 27.10.2009 nachlesen. Der Generalanwalt weist zu Recht darauf hin, dass ein Wechsel desjenigen Nachunternehmers, der eine schlechte Leistung erbringt, möglich sein muss, ohne dass dies vergaberechtsrelevant sei. Im konkreten Fall hatte der Generalanwalt jedoch Bedenken. Denn hier hatte die Wall AG noch gar keine Leistungen erbracht. Sie sollte unmittelbar nach Abschluss des Konzessionsvertrages ausgetauscht werden. Sofern jedoch FES gerade wegen der Benennung der Wall AG von der Stadt den Zuschlag erteilt bekommen habe, würde dieser Austausch letztlich die transparente Prüfung der ursprünglichen Angebote durch die Stadt unterlaufen. Denn die Stadt hätte möglicherweise ein anderes Angebot bezuschlagt, wenn nicht die Wall AG benannt gewesen wäre. Der Generalanwalt hegt sogar den Verdacht, die FES hatte zunächst nur ein Scheinangebot abgegeben.

Was folgt daraus für die Praxis?

Kommt es für die Wertung der Angebote wesentlich auch auf die Rolle des Nachunternehmers an, so kann dessen Austausch kurz nach Bezuschlagung ausnahmsweise eine Neuausschreibung nach sich ziehen. Dies ist vor allem der Fall, wenn es auf die Leistung gerade dieses Nachunternehmers ankommt, da dieser etwa über ein Alleinstellungsmerkmal oder andere Aspekte, die individuell zu beurteilen sind, verfügt. Anders wäre dies etwa bei Nachunternehmern, die handelsübliche („off the shelf“) Leistungen erbringen, deren Austausch sich also auf die Angebotswertung nicht wesentlich auswirkt.

„Vertrauen ist gut, Vertrag ist besser”

Dies hatten FES und Wall AG offenbar sträflich unterlassen, insbesondere hätten beide die Preise im Vorfeld vertraglich festlegen sollen. Außerdem hätte es FES vertraglich verboten sein müssen, mit Wettbewerbern der Wall AG Verträge abzuschließen – auf eine entsprechende Bedingung hat gerade ein Nachunternehmer zu achten! Unterschiedliche Angebote potentieller Nachunternehmer holt man sich als Bieter eigentlich ohnehin bereits vor Abgabe des eigenen (Haupt-) Angebots ein, um richtig kalkulieren zu können und den Nachunternehmer auszusuchen. Was da genau zwischen FES und der Wall AG schiefgelaufen war, lässt sich nur vermuten.

Was geschieht nun mit dem „geänderten“ Konzessionsvertrag zwischen der Stadt und FES?

Der EuGH betont zwar, dass im Fall der (noch vom LG Frankfurt zu prüfenden) Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Vertrages zwischen Stadt und FES nicht zwingend eine Kündigungspflicht der Stadt besteht; allerdings müsse das innerstaatliche Recht hinreichende Rechtsschutzmechanismen vorsehen, welche die Ausübung des Transparenzgebots und des Gleichbehandlungsgrundsatzes praktisch nicht unmöglich oder übermäßig erschweren. Mir fällt da in unserem nationalen Recht eigentlich nichts anderes ein, als eine außerordentliche Kündigung nach § 314 BGB. Es stellt sich dann die Frage, ob FES auf den Bestand des Vertrages vertrauen durfte, was wohl nicht der Fall sein dürfte (siehe zu diesem Thema ausführlich Ortner, Die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen, Dissertation, 2007, Seite 199 ff). Der geänderte Konzessionsvertrag ist daher wohl zu kündigen und neu auszuschreiben.

Noch ein letztes: Die Entscheidung erging zwar zu einem Fall der Änderung einer Dienstleistungskonzession, sie ist jedoch aus meiner Sicht auf einen öffentlichen Auftrag ohne Weiteres (sogar „erst recht“) übertragbar. Die Entscheidung ist daher äußerst praxisrelevant und sollte vor jedem Wechsel eines Nachunternehmers ins Gedächtnis gerufen werden. Für Bieter und „wichtige“ Nachunternehmer gilt nun umso mehr: Regelt die wesentlichen Punkte (v.a. den Preis) im Vorfeld vertraglich (etwa durch eine Absichtserklärung) und verlagert dies nicht auf den Zeitraum nach Zuschlagserteilung! Der öffentliche Auftraggeber kann ebenfalls nicht mehr ohne weiteres darauf verweisen, dass ihn das Vertragsverhältnis zwischen Bieter und Nachunternehmer nichts angehe. Es geht ihn etwas an, denn ein grundloser Wechsel könnte seine Ausschreibungspflicht neu begründen!

Mehr Informationen über den Autor Dr. Roderic Ortner finden Sie im Autorenverzeichnis.

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Über Dr. Roderic Ortner

Roderic Ortner ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Fachanwalt für IT-Recht. Er ist Partner in der Sozietät BHO Legal in Köln und München. Roderic Ortner ist spezialisiert auf das Vergabe-, IT und Beihilferecht und berät hierin die Auftraggeber- und Bieterseite. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zum Vergabe- und IT-Recht und hat bereits eine Vielzahl von Schulungen durchgeführt.

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