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OLG Hamburg: Stromlieferungen an Private sind inhouse-schädlich (OLG Hamburg, Beschluss v. 14.12.2010 – I Verg 5/10)

Paragraph Eine kommunale Stadtwerke-GmbH kann keine vergabefreien Inhouse-Aufträge erhalten, wenn ihre Umsätze zu mehr 10 % aus Stromlieferungen an Private stammen. Dies hat das OLG Hamburg in seinem Beschluss vom 14.12.2010 (I Verg 5/10) entschieden und damit einer entgegenstehenden älteren Ansicht der VK Arnsberg widersprochen.

Stromlieferungen als Daseinsvorsorge?

Der Fall des OLG Hamburg betrifft die Direktvergabe energiewirtschaftlicher Dienstleistungen. Die Stadt Hamburg hatte die kommunale Stadtwerke-GmbH, an der sie mittelbar vollständig beteiligt ist, ohne Ausschreibung mit Aufgaben aus dem Abwicklungsmanagement (Organisation der Wechselprozesse, Netznutzungsmanagement, Abrechnung und Bilanzkreismanagement) beauftragt. Ein privates Stromversorgungsunternehmen griff die Auftragserteilung an und machte geltend, der Vertrag hätte zuvor ausgeschrieben werden müssen. Insbesondere lägen die Voraussetzungen für ein vergabefreies Inhouse-Geschäft nicht vor, da die Stadtwerke-GmbH Privatkunden mit Strom beliefere und daher nicht im Wesentlichen für die Stadt Hamburg tätig sei.

Die Stadt Hamburg wandte hiergegen ein, der Umsatz an Stromlieferungen an Privatkunden innerhalb des Stadtgebietes (15,91 %) sei kein inhouse-schädliches Drittgeschäft, da die Lieferungen als Teil der Daseinsvorsorge der Stadt zuzurechnen seien. Der Umsatz aus Stromlieferungen an Privatkunden außerhalb des Stadtgebietes (9,50 %) stelle kein wesentliches Drittgeschäft dar.

Wettbewerbsmarkt für Energie

Das OLG Hamburg hat ein vergabefreies Inhouse-Geschäft abgelehnt. Nach seiner Ansicht ist die Stadtwerke-GmbH nicht im Wesentlichen für die Stadt Hamburg tätig. Denn sämtliche Stromlieferungen an Privatkunden gälten als inhouse-schädliches Drittgeschäft. Bei Stromlieferungen an Private bestehe keine Rechtsbeziehung zwischen Auftraggeber und Inhouse-Unternehmen, die für den fraglichen Umsatz kausal sei. Denn hier entscheide allein der Privatnutzer, welchen Stromanbieter er aus einer Vielzahl von Unternehmen auswähle.

Ob die Belieferung mit Strom noch zur öffentlichen Daseinsvorsorge zählt, lässt das OLG Hamburg offen. Aus seiner Sicht kommt es darauf indes nicht an. Entscheidend sei vielmehr, dass die Stromversorgung nicht mehr exklusiv den Gemeinden zugewiesen sei, sondern auch von Privaten erbracht werden dürfe. Selbst eine Rekommunalisierung ändere nichts daran, dass für Stromlieferungen ein Wettbewerbsmarkt bestehe. Dieser Wettbewerb würde durch Inhouse-Vergaben verfälscht.

Auch dass die Stadtwerke GmbH auf Ziele des Klimaschutzes verpflichtet ist, führe zu keiner anderen Beurteilung. Denn auch für Ökostrom bestehe ein Wettbewerbsmarkt.

Änderung der Rechtsprechung

Damit widerspricht das OLG Hamburg einer älteren Entscheidungspraxis, die die Versorgung der Einwohner mit Energie und Wasser nicht als inhouse-schädliches Drittgeschäft ansah (VK Arnsberg, Beschluss vom 26.10.2005 – VK 15/05).

Das Gericht äußert sich jedoch nicht zur Frage, ab welchem prozentualen Anteil Drittgeschäft die Inhouse-Fähigkeit ausschließt. Während der EuGH (Urteil vom 19.04.2007 – C-295/05 „Asemfo“) einen Drittgeschäftsanteil von 10 % ausreichen lässt, hat sich der BGH hierzu skeptisch geäußert (Urteil vom 03.07.2008 – I ZR 145/05); das OLG Celle geht gar davon aus, dass nur 7,5 % Drittgeschäft zulässig sind (Beschluss vom 29.10.2009 – 13 Verg 8/09). Da der Umsatzanteil der privaten Stromversorgung vorliegend deutlich mehr als 10 % betrug, brauchte das OLG Hamburg hierzu nicht Stellung zu nehmen.

Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die Inhouse-Fähigkeit bestehender kommunaler Gesellschaften, insbesondere von Stadtwerke-Unternehmen. So erfolgt etwa der Strombezug von Gemeinden bei ihren Stadtwerken oft im Wege eines Inhouse-Geschäfts. Auch Kommunen, die der aktuellen Rekommunalisierungstendenz folgen und die Stromversorgung wieder selbst betreiben wollen, sollten daher die Auswirkungen auf die Inhouse-Fähigkeit ihrer Tochtergesellschaften berücksichtigen.

Der Autor Dr. Jan Seidel ist Rechtsanwalt im Düsseldorfer Büro der Sozietät HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK. Dort betreut er Projekte der öffentlichen Hand mit einem Schwerpunkt auf der vergaberechtlichen und umweltrechtlichen Beratung. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.

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Über Dr. Jan Seidel

Dr. Jan Seidel ist Rechtsanwalt im Düsseldorfer und Nürnberger Büro der KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Dort berät er öffentliche Auftraggeber und Bieter in Vergabeprojekten mit einem Schwerpunkt auf der kommunalen Infrastruktur (insbesondere Ver- und Entsorgung sowie ÖPNV).

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