1993 wurde das forum vergabe gegründet. Die gegenwärtig rund 500 Mitglieder (Organisationen, Verbände, Unternehmen, Personen), vorwiegend aus Deutschland, aber auch aus Österreich und der Schweiz, kommen aus allen mit Fragen des öffentlichen Auftragswesens befassten Kreisen. Vergabeblog sprach mit dem Geschäftsführer des forum vergabe, Herrn RA Dr. Mark von Wietersheim, über die Aufgaben des forums, dessen politisches Selbstverständnis, über die Badenweiler Gespräche und über Zukunftspläne.
Sehr geehrter Herr Dr. von Wietersheim, was genau ist – in knappen Worten – das forum vergabe und welche Ziele hat es?
Entsprechend unserer Satzung fördern wir die Bildung auf dem Gebiet des nationalen und internationalen Vergabewesens – vor allem durch Meinungsaustausch und Aus- und Fortbildungsveranstaltungen. Das forum vergabe ist gemeinnützig und nicht gewinnorientiert tätig. Wir unterstützen den Dialog zwischen allen am Vergabewesen Beteiligten, ohne uns selber durch Beratung oder anders aktiv zu positionieren. Dabei bieten wir praktisches Wissen ebenso wie wissenschaftlich aufgearbeitete Diskussionen und decken das gesamte Spektrum des Vergaberechts ab.
D.h. also, das forum ist „vergabepolitisch“ neutral? Wie verhalten Sie sich bei konkreten, und regelmäßig ja sehr umstrittenen Reformvorhaben, sei es auf nationaler oder europäischer Ebene – gibt es dann einen internen Abstimmungsprozess?
Unsere 500 Mitglieder kommen aus allen Bereichen des Vergaberechts – Gesetzgebung, öffentliche Auftraggeber, Unternehmen, Rechtsprechung, Berater, Anwälte, Wissenschaftler und viele andere mehr. Deren vielfältigen unterschiedlichen und oft entgegengesetzten Interessen kann man gar nicht in eine einheitliche Auffassung zusammenführen. Wichtig ist uns aber, dass die Akteure miteinander sprechen und für die Probleme und Auffassungen der anderen Akteure Verständnis entwickeln. Dies in einen ständigen Dialog zu überführen, verstehen wir als eine unserer Hauptaufgaben. Dieser Dialog findet in Diskussionen zu Referaten und Podiumsdiskussionen statt – aber auch während der Pausen oder nach Veranstaltungen aufgrund der bei uns geknüpften Kontakte. Als Grundlage für diesen Dialog bieten wir mit unserer Monatsinfo und auf unserer Homepage neutral und aktuell aufbereitete Informationen.
…d.h., das forum ist im Grunde ein thinktank, wie man neudeutsch sagen würde?
Gewissermaßen ja, aber ein thinktank ohne eigene Ergebnisse – jeder Beteiligte muss seine eigenen Ergebnisse entwickeln. Diese werden aber durch den Dialog gefördert und berücksichtigen alle Beteiligten, weil sich durch Kommunikation und gegenseitiges Verständnis die für alle Seiten besseren neuen Lösungen entwickeln.
Das Highlight der Vergabeszene sind seit 1990 die „Badenweiler Gespräche“ des forums. Eben in Badenweiler, einem kleinen Örtchen südlich von Freiburg im Schwarzwald, für das man fast eine Tagesreise einplanen muss. Im nächsten Jahr sind sie nun erstmals in Fulda. Was war Grund für den Wechsel?
Die Berufs- und Vergabewelt hat sich seit 1990 verändert: Damals hatte die Veranstaltung in Badenweiler in vielen Hinsichten Alleinstellungsmerkmale. Inzwischen gibt es im Vergaberecht vielfältige Veranstaltungs- und Fortbildungsangebote – und darüber sind wir natürlich froh, denn es war ein Kernanliegen des forum vergabe vom Anfang an, das Vergaberecht aus seiner damaligen Nische zu holen, die notwendige Aus- und Fortbildung zu beleben und so Akzeptanz und Ergebnisse von Vergabeverfahren nachhaltig zu verbessern. Diese Entwicklung verschärfte aber zunehmend das immer vorhandene Problem, ob Zeitaufwand und Kosten der Anreise im angemessenen Verhältnis zur Veranstaltungsdauer stehen. Außerdem werden Reisekosten gerade bei öffentlichen Auftraggebern immer mehr hinterfragt. Dies führte im Ergebnis dazu, dass sich in einer Mitgliederumfrage eine ganz große Mehrheit der Rückläufe für eine Verlegung aussprach und der Vorstand dies auch beschlossen hat. Mittlerweile hat sich ergeben, dass leider das in Badenweiler gastgebende Hotel Römerbad Insolvenz angemeldet hat und auf Grundlage eines Insolvenzplanes weitergeführt wird.
Können Sie schon absehen – und verraten – was Schwerpunkt der kommenden Konferenz sein wird?
Wir haben für das Programm viele sehr interessante Vorschläge und stellen gerade Themen und Referenten zusammen. Gerade im Moment gibt es viele aktuelle und wegweisende Entwicklungen auf europäischer und nationaler Ebene – so soll nach dem ehrgeizigen Zeitplan der Kommission bis Ende 2011 ein Vorschlag für die Überarbeitung der Vergaberichtlinien vorliegen. Diesen wollen wir beispielsweise diskutieren.
Das forum bietet auch ein breites Spektrum an vergaberechtlichen Fortbildungsveranstaltungen an. Haben Sie den Eindruck, dass der Bedarf danach zugenommen hat?
Das Vergaberecht ist im Alltag von Verwaltung, Rechtsprechung, Anbietern und Beratern angekommen. In den letzten Jahren sind Themen wie die Vergaben im Sozialbereich hinzugekommen. Es haben sich Spezialisierungen herausgebildet, zum Beispiel was Vergaben im IT-Bereich, im Sozialwesen, im Verteidigungsbereich usw. angeht. Das ist eine aus Sicht des Vergaberechts gute Entwicklung und hat natürlich zu einem gestiegenen Bedarf an Fortbildung geführt. Wie jedes Werkzeug will auch das Vergaberecht als Werkzeug einer wirtschaftlichen Beschaffung sachgerecht verwendet werden, und das muss nun einmal gelernt werden.
Als gemeinnütziger und nicht gewinnorientierter Verein freuen wir uns über das Interesse am Vergaberecht – und bieten dementsprechend selber ein breites Spektrum von Themen, Informationen und Veranstaltungen an.
Wo sehen Sie die Zukunft des Forums? Immerhin gibt es, z.B. durch Kanzleien, aber natürlich auch den Vergabeblog, immer mehr Informationen gratis. Ein grundsätzliches Problem des Informationszeitalters…
In der Tat gibt es täglich neue Informations- und Fortbildungsangebote. Das forum vergabe hat diese Entwicklung als einer der Treiber vor gut zwanzig Jahren angestoßen – gerade das Fehlen dieser Angebote hatte ja zur Gründung des forum vergabe geführt.
Wir müssen uns innerhalb dieser immer wieder neuen Verhältnisse auch immer wieder neu positionieren. Dies tun wir, aber mehr durch Evolution als durch Revolution unserer vorhandenen Angebote.
Ganz sicher wird das forum vergabe als Vermittler von Informationen und als neutraler Gastgeber von Diskussionen nicht überflüssig werden. Wir freuen uns über diese lebendige Entwicklung und entwickeln unser Angebot von Veranstaltungen und Informationen laufend fort.
Vielen Dank für das Interview!
Herr Rechtsanwalt Dr. von Wietersheim studierte von 1988 bis 1993 in Freiburg, Edinburgh und München. Nach seinem in München abgelegten 2. Staatsexamen war er ab 1996 als Rechtsanwalt bei Luther & Partner in Berlin tätig. Im Jahr 2000 wechselte er zur Rechtsabteilung Deutsche Bahn AG, wo er zuletzt das Team Infrastrukturrecht Region Ost leitete. Seit 2009 ist er Geschäftsführer des forum vergabe e.V. 2007 schloß er seine vergaberechtliche Dissertation bei Prof. Otte in Mannheim ab. Er ist Lehrbeauftragter an der Hochschule Osnabrück und hat zahlreiche Artikel und Bücher zum privaten Baurecht und zum Vergaberecht veröffentlicht.
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk als Leiter Regierungsbeziehungen für das IT-Dienstleistungsunternehmen Atos tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
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