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BGH: Zur Eindeutigkeit und Unzumutbarkeit der Forderung von Erklärungen/Nachweisen durch öffentliche Auftraggeber – kein „blindes“ Vertrauen auf die Formblätter des Vergabehandbuchs!

ParagraphDie Entscheidung des BGH vom 03.04.2012, Az.: X ZR 130/10 ist ein Beispiel dafür, wie sich auch im Vergaberecht der Fokus der Aufmerksamkeit über die Jahre hinweg deutlich verschiebt. Vor knapp 10 Jahren hatte der BGH mit der Entscheidung vom 18.02.2003, X ZR 43/02, eine Zeit der sehr strikten und formalistischen Handhabung in Vergabeverfahren eingeläutet, als er entschieden hat, dass grundsätzlich jede fehlende Erklärung oder jeder fehlende Nachweis im Angebot eines Bieters ohne Möglichkeit für den Auftraggeber zu einer wie auch immer gearteten großzügigen Handhabe zwingend zum Ausschluss des Angebots führen muss.

Dem bereits in dieser Entscheidung enthaltenen Zusatz, dass die Forderung der betreffenden Erklärung/des betreffenden Nachweises die Bieter nicht unzumutbar belasten darf, wurde im Nachgang der Entscheidung zunächst kein besondere Beachtung geschenkt. Die Entscheidung hatte bekanntermaßen zur Folge, dass oftmals ein oder sogar mehrere wirtschaftliche Angebote im Vergabeverfahren aufgrund geringfügiger Defizite ausgeschlossen werden mussten, und deutlich teurere Angebote den Zuschlag erhielten, was nicht zuletzt unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten fragwürdig erschien.

Im Laufe der Jahre nach dieser Entscheidung aus dem Jahre 2003 wurde sowohl in der Rechtsprechung wie auch in der Gesetzgebung an zahlreichen Stellschrauben gedreht, um derartige unerwünschte Effekte abzumildern. Auf Normgebungsseite wurden die bekannten Änderungen in § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) VOB/A, § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, § 19 Abs. 2 EG VOL/A, § 16 Abs. 2 VOL/A und § 5 Abs. 3, 11 Abs. 3 VOF geschaffen, mit denen einzelne Unzulänglichkeiten in den Teilnahmeanträgen bzw. Angeboten unbeachtlich bzw. über Nachforderungspflichten bzw. Nachforderungsmöglichkeiten heilbar wurden.

In der Rechtsprechung wurden zunehmend zwei Voraussetzungen in den Vordergrund gestellt, die vorliegen müssen, damit der zwingende Ausschluss von Angeboten nach der vorgenannten BGH-Rechtsprechung überhaupt erst eingreifen kann. Zum einen muss eine klare und eindeutige Forderung des betreffenden Nachweises/der betreffenden Erklärung durch den Auftraggeber vorliegen. Zum anderen muss jeder geforderte Nachweis (zu dem geforderten Zeitpunkt) für die Bieter zumutbar sein.

Zu beiden Fragen enthält die nun ergangene Entscheidung des BGH vom 03.04.2012, X ZR 130/10, weiterführende Inhalte.

Dabei verdeutlicht die Entscheidung, dass auch in den Vergabehandbüchern Vorgaben enthalten sind, die die Anforderungen an die Eindeutigkeit, wie sie der BGH definiert, nicht erfüllen. Auftraggeber sollten daher im Einzelfall prüfen, inwieweit diese Vorlagen auf die von ihnen gewünschten Nachweise ausreichend zugeschnitten sind und nach Möglichkeit erforderliche Anpassungen im Einzelfall vornehmen. In jedem Fall ist aber vor Ausschlussentscheidungen zu prüfen, ob die Vorlagen den Grund des jeweiligen Ausschlusses tatsächlich tragen. Zur Entscheidung des BGH im Einzelnen:

1. Zur Eindeutigkeit der Forderung von Nachweisen / Erklärungen

a) Mehrdeutigkeit bzw. Missverständlichkeit von Anforderungen

Die Entscheidung des BGH betrifft noch die VOB/A 2006 und das VHB 2008, dort Ziffer 3 des Formulars 211 – Aufforderung zur Abgabe eines Angebots (aber auch in dem aktuellen Formular 211 des VHB 2008, Stand 2010, ist diese vom BGH festgestellte Unklarheit noch enthalten):

„Vorlage von Nachweisen/Angaben durch den Bieter und ggf. Nachunternehmer“

Weiter war in dem Formblatt angekreuzt, dass und welche Eignungsnachweise mit dem Angebot vorzulegen waren. Der klagende Bieter war vom öffentlichen Auftraggeber ausgeschlossen worden, weil er die mit dem Angebot geforderten Eignungsnachweise für die von ihm angegebenen Nachunternehmer nicht vorgelegt hatte.

Der BGH betont in diesem Zusammenhang erneut seine Aussagen aus dem Urteil vom 10.06.2008, X ZR 78/07, in dem er bereits hervorgehoben hatte, dass die Ausschlusssanktion voraussetzt, dass aus den Vergabeunterlagen für die Bieter eindeutig und unmissverständlich hervorgehen muss, welche Erklärungen von ihnen verlangt werden.

In Parenthese sei in diesem Zusammenhang auf die weiterführenden Aussagen des OLG Düsseldorf vom 26.03.2012, Verg 4/12 hingewiesen, in dem das OLG Düsseldorf betont hat, dass diese Anforderungen sowohl im Hinblick auf die Art, den Inhalt wie auch auch den Vorlagezeitpunkt der Nachweise eindeutig und unmissverständlich sein müssen.

Doch weiter zur Entscheidung des BGH: Er betont, dass die Vergabestellen insoweit die Verpflichtung trifft, die Vergabeunterlagen klar und eindeutig zu formulieren und Widersprüchlichkeiten zu vermeiden. In dem vorgenannten Formblatt 211 des VHB ist nach BGH unklar, ob die Eignungsnachweise vom Bieter oder vom Nachunternehmer vorgelegt werden müssen, so dass nicht deutlich ist, ob sich der Bieter selbst um diese Nachweise kümmern, diese beschaffen und dem Auftraggeber vorlegen muss, oder ob sich seine Pflicht darin erschöpft, den Nachunternehmer aufzufordern, die geforderten Eignungsnachweise einzureichen. Darüber hinaus kann sich aus dem Wort „gegebenenfalls“ ergeben, dass diese Nachweise nur unter weiteren Umständen, zumindest erst auf eine weitere Anforderung durch die Vergabestelle eingereicht werden müssen. Die Formulierung des Formblatts 211 mit dem vorzitierten Inhalt ist also mehrdeutig und missverständlich.

b) Beseitigung der Mehrdeutigkeit bzw. Missverständlichkeit von Anforderungen durch Auslegung?

Der BGH prüft des Weiteren, ob diese Mehrdeutigkeit und Missverständlichkeit im Wege der Auslegung behoben werden kann. Diese Aussage des BGH sollte stets beachtet werden. Allein die Tatsache, dass eine Formulierung in den Vergabeunterlagen auslegungsfähig ist, führt noch nicht zur Mehrdeutigkeit oder Missverständlichkeit (so aber offenbar Leinemann, IBR 2012, 409). Entscheidend kommt es darauf an, ob durch Auslegung ein eindeutiger Inhalt der Anforderung gefunden werden kann oder eben nicht, wie in dem vorliegenden Fall, in dem sich aus der Gesamtschau der Vergabeunterlagen nach Wortlaut, Systematik etc. nicht ermitteln ließ, welche der vorgenannten Interpretationen die vom Auftraggeber tatsächlich gewünschte war.

c) Unklarheit nur des Vorlagezeitpunktes

Einen weiteren Hinweis liefert der BGH für die Forderungen von Erklärungen und Nachweisen, die zumindest nach ihrer Art und ihren Inhalt eindeutig sind, bei denen aber der geforderte Vorlagezeitpunkt unklar ist. Hierzu führt der BGH aus, dass derartige Nachweise vom Auftraggeber nachzufordern sind. Unter der Geltung der VOB/A 2009 stellt sich insoweit die Frage, ob diese Nachforderung (schon) die in § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A geregelte Nachforderung ist, oder ob es sich insoweit um die erstmalige Anforderung der entsprechenden Erklärung handelt, bei deren Nichtbeachtung dann nochmals eine Nachforderung nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A greift.

2. Zur Zumutbarkeit der Forderung von Nachweisen / Erklärungen

Bemerkenswert sind auch die Ausführungen des BGH zu der Frage, wann die Forderung von bestimmten Erklärungen/Nachweisen durch den Auftraggeber für die Bieter unzumutbar sein kann. Der BGH räumt insoweit mit der noch vom Berufungsgericht vertretenen Fehlvorstellung auf, dass allein die eindeutige Anforderung bestimmter Erklärungen/Nachweise durch den öffentlichen Auftraggeber verhindere, dass deren Vorlage für den Bieter unzumutbar sei. Bestimmte Forderungen nach Unterlagen/Nachweisen durch den Auftraggeber können mit anderen Worten auch dann unzumutbar sein, wenn sie vom Auftraggeber klar und eindeutig formuliert sind.

Aus der Entscheidung des BGH ergibt sich, dass die Frage nach der Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit von Anforderungen in den Vergabeunterlagen nicht schablonenartig beurteilt werden kann, sondern vielmehr unter Berücksichtigung der beteiligten Interessen zu entscheiden ist. Der BGH betont dabei die Darlegungslast des Bieters, der sich auf Unzumutbarkeit beruft, und gibt weitere Anhaltspunkte für die vorgenannte Einzelfallbeurteilung vor. Konkret kann es nach dem BGH zumutbar sein, Eignungsnachweise für Nachunternehmer bereits mit dem Angebot zu fordern, wenn es sich um ein kleineres Bauvorhaben handelt, bei dem für den Nachunternehmereinsatz ohnehin nur beschränkter Raum besteht, während es bei einem größeren oder großen Bauvorhaben eher unzumutbar sein könne, wenn jeder Bieter für jeden Nachunternehmer schon mit dem Angebot unter Umständen umfangreiche Eignungsnachweise beibringen muss. Da schon die Forderung der Benennung von Nachunternehmern mit dem Angebot gemäß der Entscheidung vom 10.06.2008, X ZR 78/07, unter Umständen unzumutbar sei, könne dies erst recht der Fall sein, wenn die Eignungsnachweise für alle vorgesehenen Nachunternehmer bereits mit dem Angebot beizubringen sind.

Deutsches Vergabenetzwerk3. Fazit

Die Entscheidung verdeutlicht ein weiteres Mal, wie wichtig ist es für öffentliche Auftraggeber ist, durch eine sorgfältige Gestaltung ihrer Bekanntmachungen und Vergabeunterlagen dafür zu sorgen, dass die von Ihnen als wichtig angesehenen Erklärungen und Nachweise nach ihrer Art, ihrem Inhalt und dem Zeitpunkt ihrer Vorlage in einer jedenfalls durch Auslegung als klar und eindeutig feststellbaren Art und Weise gefordert sind.

Sind die Nachweise nach ihrer Art oder ihrem Inhalt auch nach Auslegung vom objektiven Bieterhorizont nicht als klar und eindeutig gefordert anzusehen, kann der Auftraggeber diese überhaupt nicht verlangen. Ist der Zeitpunkt ihrer Vorlage nicht eindeutig vorgegeben, muss der Auftraggeber die Nachweise nachfordern.

Im Übrigen müssen öffentliche Auftraggeber die Anforderungen nicht nur inhaltlich eindeutig formulieren, sondern sich in Bezug auf jede Forderung auch in Abwägung der beteiligten Interessen genau überlegen, ob diese Anforderungen den Bietern überhaupt zumutbar sind. Darüber hinaus sollten die Formulare des Vergabehandbuchs immer mit den konkreten Anforderungen auf das zu beurteilende Beschaffungsvorhaben abgeglichen werden und ggf. Anpassungen im Einzelfall vorgenommen werden, um Mehrdeutigkeiten zu vermeiden.

MantlerDer Autor Dr. Mathias Mantler ist Rechtsanwalt der Sozietät Kaufmann Lutz Rechtsanwaltsgesellschaft mbh, München. Daneben unterrichtet er das Vergaberecht im Rahmen von Masterstudiengängen an der TU München sowie der Hochschule Augsburg. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.

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Über Dr. Mathias Mantler

Der Autor Dr. Mathias Mantler ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät LUTZ |ABEL Rechtsanwalts PartG mbB und seit über 20 Jahren im Vergaberecht tätig. Er hat seinen Schwerpunkt in der projektbegleitenden Beratung von Öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen im Zusammenhang mit Beschaffungsvorhaben insbesondere in den Bereichen Infrastruktur, Health Care, Forschung und Entwicklung sowie IT/Digitalisierung sowie in der Vertretung von Auftraggebern und Unternehmen in Vergabenachprüfungsverfahren. Zudem ist er Autor diverser Fachveröffentlichungen im Vergaberecht und Dozent in vergaberechtlichen Seminaren und Lehrveranstaltungen.

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